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Delnjoserbšćina
Manfred Starosta a Hauke Bartels

Niedersorbisch ist eine in der Niederlausitz von bis zu 5 000 Menschen gesprochene slawische Sprache (Stand 2010). Die Eigenbezeichnung lautet dolnoserbšćina, dolnoserbska rěc, deutsch auch Wendisch. Das Niedersorbische bildet zusammen mit dem Obersorbischen die sorbische Gruppe und diese wiederum mit dem Tschechischen, Slowakischen, Polnischen und Kaschubischen den westlichen Zweig der slawischen Sprachfamilie.

Die niedersorbische Schriftsprache verfügt über sechs Vokalphoneme, ihr Konsonantensystem enthält 30 Phoneme. Ein Teil der niedersorbischen Dialekte verfügt über sieben Vokalphoneme, die Anzahl der konsonantischen Phoneme reicht dort von 28 bis 31. Der Hauptakzent liegt generell auf der ersten Wortsilbe. Vot allem in den Dialekten tritt bei mindestens dreisilbigen Wörtern ein Nebenakzent auf der vorletzten Silbe auf.

Niedersorbisch verfügt über sechs Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumental, Lokativ) und drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum). Hinzu kommt die Kategorie der Belebtheit. Bei den Numeri hat sich neben Singular und Plural der Dual erhalten. Die Vergangenheitstempora Präteritum (Imperfekt, Aorist) und Plusquamperfekt sind aus dem aktiven Sprachgebrauch weitgehend verschwunden, sodass heute nur noch Präsens, Perfekt und Futur gebräuchlich sind. Bewahrt wurde dagegen ein Supinum. Verbalaspekt und Aktionsarten sind lebendige Kategorien des Niedersorbischen.

Aus dem niedersorbischen Gesangbuch von Albin Moller, 1574; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Die Wortstellung ist im Niedersorbischen grundsätzlich frei. Als Grundreihenfolge gilt Subjekt-Objekt-Prädikat, wobei jedoch bes. in der Schriftsprache und bedingt durch den Sprachkontakt mit dem Deutschen auch die Grundfolge Subjekt-Prädikat-Objekt verbreitet ist. Ähnliches gilt für die Rahmenkonstruktion bei zusammengesetzten Prädikaten, die unter dem Einfluss des Deutschen verstärkt zur Anwendung gelangt.

Das niedersorbische Dialektgebiet, das noch Ende des 18. Jh. ein kompaktes Territorium etwa zwischen Crossen/​heute: Krosno Odrzańskie (Polen) im Osten (→ Östliche Lausitz), Luckau im Westen, Senftenberg im Süden (→ Senftenberger Region) und Beeskow im Norden ausmachte, reduzierte sich seitdem weiter, beschleunigt durch die Assimilation im 19. und 20. Jh. Es beschränkt sich heute – in nicht mehr kompakter Form – auf den Raum zwischen Cottbus, Burg und Jänschwalde. Niedersorbisch wird heute meist von älteren Menschen als Muttersprache gesprochen. Maßnahmen zum Erhalt und zur Revitalisierung sollen die Existenz des Niedersorbischen sichern helfen (→ Witaj-Modellprojekt).

Die Entwicklung des Niedersorbischen zur Schriftsprache setzte im Gefolge der Reformation mit ihrer Forderung nach Gottes Wort in der Muttersprache ein. Sowohl Sorben als auch mit ihnen sympathisierende Deutsche bemühten sich in der Folgezeit um die Übersetzung von Kirchenliedern (→ Gesangbuch), Gebeten, Agenden u. Ä. Die aus dem 16. und 17. Jh. stammenden niedersorbischen Texte, allen voran die Übertragung des Neuen Testaments (NT) von Mikławš Jakubica (Handschrift, 1548) sowie das erste sorbische Druckerzeugnis überhaupt, das niedersorbische Gesangbuch mit dem Kleinen Katechismus von Albin Moller (1574), sind noch stark durch regionalspezifische dialektale Merkmale geprägt.

Handschriftliches niedersorbisches Gesangbuch aus Werben, Ende des 17. Jh.; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Das niedersorbische Schrifttum blieb spärlich (→ Buchdruck), da die historischen Rahmenbedingungen keine Entfaltung gestatteten. Seit dem zweiten Drittel des 17. Jh. kam es außerdem zunehmend zu germanisatorischen Maßnahmen, welche u. a. Sprachverbote und Konfiszierungen sorbischer Literatur nach sich zogen (→ Dezemberreskript). Dabei waren es stets nur wenige, die sich für den Erhalt der niedersorbischen Sprache eingesetzt haben, darunter der Pietist Jan Bogumił Fabricius, dessen niedersorbische Fassung des NT 1709 gedruckt wurde. Fabricius stützte sich dabei wohl auf eine oder mehrere handschriftliche Übersetzungen. Die im NT von 1709 verwendete Sprache wurde Gegenstand der 1761 erschienenen „Nieder-Lausitzischen Wendischen Grammatica“ von Johann Gottlieb Hauptmann, wodurch sich der normierende Charakter dieser Fassung verstärkte (→ Bibelübersetzungen).

Erst mehrere Jahrzehnte nach Erscheinen des NT von Fabricius folgte die Übersetzung des Alten Testaments (AT) durch den Kolkwitzer Pfarrer und Gelehrten Jan Bjedrich Fryco (1796). Dieser Text, basierend auf dem zentralen Dialekt um Cottbus, prägte bis in die Periode der Jungsorbischen Bewegung den Charakter der niedersorbischen Schriftsprache. In der ersten Hälfte des 19. Jh. trat Jan Zygmunt Bjedrich Šyndlaŕ als Herausgeber und Autor niedersorbischer Schriften in Erscheinung.

Neue Impulse für ihre weitere Entwicklung erhielt die niedersorbischen Schriftsprache mit der Herausgabe des niedersorbischen Wochenblatts „Bramborski Serbski Casnik“ (seit 1848, → Zeitungen), des Buchkalenders „Pratyja“ (seit 1880, → Kalender) sowie durch das poetische Schaffen von Kito Fryco Stempel und Mato Kosyk (→ Lyrik). Bedeutsam war auch die Gründung der wissenschaftlich-kulturellen Gesellschaft Maśica Serbska (1880), die sich u. a. der Herausgabe populärer, zumeist christlich-erbaulicher Literatur widmete. Die niedersorbische Schriftsprache konnte sich in dieser Zeit aus ihrer Beschränkung auf den dörflich-bäuerlichen und kirchlichen Bereich lösen und erschloss sich neue Domänen (→ Wortschatz). Ihre weitere Normierung erfolgte gleichwohl nur langsam. Niedersorbisch war keine Unterrichtssprache an höheren Bildungsanstalten und selbst in der Volksschule wurde es vornehmlich als Hilfsmittel zum Erlernen des Deutschen eingesetzt.

Daher blieb der Bedarf an lexikalischem Ausbau, grammatischer Konsolidierung oder stilistischer Differenzierung relativ gering. Als mündliches Kommunikationsmittel blieb das Niedersorbische weitgehend auf den dörflich-bäuerlichen Raum beschränkt.

Bogumił Šwjela; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Dass die niedersorbische Schriftsprache sich dennoch weiterentwickelt hat, ist einzelnen engagierten Autoren zu verdanken. Zu ihnen gehörte v. a. Jan Bjedrich Tešnaŕ, der unter dem Eindruck der nationalen Wiedergeburt in der Oberlausitz Mitstreiter für die Renaissance des Sorbentums in der Niederlausitz zu gewinnen suchte. Seine sprachkulturellen Bemühungen zielten auf eine Zurückdrängung des deutschen Einflusses und eine Reslawisierung der niedersorbischen Schriftsprache (→ Sprachkultur, → Sprachpurismus). Auch Kito Šwjela prägte in den fünf Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Redakteur der niedersorbischen Wochenzeitung (1864–1915) sowie als Übersetzer und Autor maßgeblich die lexikalische Entwicklung, ohne die Schriftsprache mit übertriebenem Purismus und allzu starker Intellektualisierung zu belasten.

Die Zeit zwischen dem Ausgang des 19. Jh. und dem Ersten Weltkrieg kann als Höhepunkt in der Entwicklung des Niedersorbischen als Schriftsprache betrachtet werden. Jetzt erschienen Arnošt Mukas „Historische und vergleichende Laut- und Formenlehre der niedersorbischen (niederlausitzisch-wendischen) Sprache“ (1891) und sein „Wörterbuch der nieder-wendischen Sprache und ihrer Dialekte“ (1911–15, 1926), die zusammen eine umfassende Beschreibung der niedersorbischen Phonetik, Grammatik und Lexik liefern ( Grammatiken). Hinzu kommt die niedersorbische Kirchenagenda (1898), die ein Dokument religiöser Schriftsprachlichkeit auf hohem Niveau darstellt.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen erwarben Bogumił Šwjela, Mina Witkojc und Fryco Rocha als Redakteure und Herausgeber der niedersorbischen Wochenzeitung und der „Pratyja“ sowie als Autoren und Übersetzer literarischer Texte große Verdienste. Als Sprachwissenschaftler verfasste Šwjela ein „Lehrbuch der niederwendischen Sprache“ Grammatik 1906, Übungsbuch 1911; Nachdruck 1952) sowie eine „Vergleichende Grammatik der ober- und niedersorbischen Sprache“ (1926). Postum wurden aus seinem Nachlass die Wörterbücher „Deutsch-niedersorbisches Handwörterbuch“ (1953) und „Dolnoserbsko-nimski słownik“ (1961, → Wörterbücher) sowie sein Hauptwerk „Die Flurnamen des Kreises Cottbus“ (1958, → Flurnamen) veröffentlicht.

Niedersorbische Sprachressourcen im preisgekrönten Internetportal des Sorbischen Instituts

Nach 1945 kam es in der Entwicklung der niedersorbischen Schriftsprache zu einschneidenden Veränderungen bes. im Wortschatz, daneben auch in der Aussprache, kaum jedoch in der Grammatik. Dies war v. a. darin begründet, dass die wenigen vor dem Krieg tätigen Autoren entweder verstorben waren oder sich aus den unterschiedlichsten Gründen zurückgezogen hatten. So warb man in der Oberlausitz geeignetes Personal für den Einsatz in der benachbarten Niederlausitz. Diese Obersorben wurden durch ihre Tätigkeit an den neu geschaffenen Institutionen (Wochenzeitung, sorbischer Rundfunk, Domowina, Schule) zu wichtigen Trägern und Multiplikatoren der niedersorbischen Schriftsprache. Da das Obersorbische zudem weiterentwickelt und besser konsolidiert war, wurde es verstärkt zum Vorbild für das Niedersorbische, das binnen kurzer Zeit weiter ausgebaut und lexikalisch den Anforderungen eines modernen Kommunikationsmittels angepasst werden sollte. Dieser Ausbau war gekennzeichnet durch eine weitreichende Slawisierung der Lexik unter Einfluss des Obersorbischen, eine Intellektualisierung der Sprache sowie eine Reform der Orthografie, die mit der Ersetzung der bis dahin verwendeten Fraktur durch die lateinische Schrift einherging. Von vielen Muttersprachlern wurden die Veränderungen als fremd empfunden und abgelehnt, obwohl sie zur Konsolidierung und Stabilisierung der niedersorbischen Schriftsprache beitrugen. Seit Ende der 1960er Jahre wurde zunehmend auf eine weitere verfremdende Slawisierung verzichtet und auf einen der Volkssprache nahen Ausdruck geachtet. In der Folge kamen manche ins Niedersorbische aufgenommen Obersorabismen, für die geeignete niedersorbische Entsprechungen existierten, wieder außer Gebrauch. Dies wurde von der 1979 gebildeten niedersorbischen Sprachkommission unterstützt.

Wichtige Beiträge zur Kodifikation und Normierung des Niedersorbischen sind z. B. die „Niedersorbische Grammatik für den Schulgebrauch“ von Pětš Janaš (1976, 21984), das „Niedersorbisch-deutsche Wörterbuch“ von Manfred Starosta (1999) sowie das seit 2003 online zugängliche und regelmäßig erweiterte „Deutsch-niedersorbische Wörterbuch“ (http://dolnoserbski.de/dnw/).

Lit.: M. Starosta: Niedersorbisch schnell und intensiv, 2 Bände, Bautzen 1991/92; Serbšćina. Najnowsze dzieje języków słowiańskich, Red. H. Faska, Opole 1998; A. Pohontsch: Der Einfluss obersorbischer Lexik auf die niedersorbische Schriftsprache, Bautzen 2002; Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens, Hg. M. Okuka, Klagenfurt 2002; Der Niedersorben Wendisch. Eine Sprach-Zeit-Reise, Bautzen 2003.

Metadata

Delnjoserbšćina
Delnjoserbšćina
Starosta, Manfred; Bartels, Hauke
Starosta, Manfred; Bartels, Hauke
Delnja Łužica; zapadosłowjanska rěč; serbšćina; rěč
Delnja Łužica; zapadosłowjanska rěč; serbšćina; rěč

Delnjoserbšćina je słowjanska rěč, kotruž w Delnjej Łužicy hač do 5 000 ludźi rěči (staw 2010). Swójske pomjenowanje je dolnoserbšćina, dolnoserbska rěc, němsce tež Wendisch.

Delnjoserbšćina je słowjanska rěč, kotruž w Delnjej Łužicy hač do 5 000 ludźi rěči (staw 2010). Swójske pomjenowanje je dolnoserbšćina, dolnoserbska rěc, němsce tež Wendisch.

Zahrnuto v sbírce
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
Im Sorabicon 1.0 zu finden unter

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