Parlamentarisch-demokratische Staatsform des Deutschen Reiches 1919–1933, benannt
nach der Stadt Weimar, dem ersten Tagungsort der verfassunggebenden
Nationalversammlung. Artikel 113 der Weimarer Verfassung vom August 1919, nach
dem die „fremdsprachigen Volksteile des Reichs“ in ihrer freien Entwicklung – v.
a. im Gebrauch der Muttersprache – nicht beeinträchtigt werden durften, wurde
auf die Sorben nicht angewandt, weil sie, ein
autochthones Volk ohne Mutterland, nicht als nationale Minderheit galten (→ Minderheitenpolitik). Nach
damaligem Verständnis zählten zu Letzteren jene Volksgruppen, die außerhalb
ihres Mutterstaats lebten und mehrheitlich nur die eigene Sprache beherrschten;
dies waren in Deutschland Dänen, Litauer, Polen und Tschechen.
Gesangverein „Radosć“ aus Hochkirch auf dem Weg in die Niederlausitz, 1924;
Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen
Die staatliche Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg hatte vielerorts Autonomiebestrebungen geweckt.
Sie ermöglichte auch der Nationalbewegung der Sorben, sich neu auszurichten und Zugeständnisse
zu erwirken. Die sächsische Regierung regelte im Übergangsgesetz für das
Volksschulwesen 1919 den sorbischen Sprachunterricht. Das Evangelische
Konsistorium für Schlesien hob das Verbot des sorbischen Konfirmandenunterrichts
auf, das Preußische Volksbildungsministerium ordnete Ende 1920 an, in den
Regierungsbezirken Liegnitz/ heute:
Legnica (Polen) und Frankfurt (Oder)
nach dem Vorbild der polnischen Minderheit Sprach- und Religionsunterricht in
Sorbisch anzubieten. In Sachsen wurden jedoch keine Durchführungsbestimmungen
zum Übergangsschulgesetz erlassen, sodass sich den Schulleitern vor Ort
Möglichkeiten für eine individuelle Auslegung eröffneten. In Preußen kam es zu
keiner klaren Regelung der sorbischen Schulfrage (→ Schule).
Illustrierte Beilage des „Serbski Casnik“, 1928; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut
Wahlpropaganda in den „Serbske Nowiny“, 6.11.1932; Repro: Sorbische
Zentralbibliothek am Sorbischen Institut
Trotz dieser unbefriedigenden Gesetzeslage auf schulischem und kirchlichem Gebiet
sowie der Überwachungstätigkeit der Wendenabteilung entfalteten die Sorben in den 1920er-Jahren ein reges
nationales und kulturelles Leben (→ Vereinswesen). Dies fand u. a. seinen Ausdruck in der Übertragung der
slawischen Sportvereinigung Sokoł auf die
Lausitz und in einer vielfältigen Chor- und Laientheaterbewegung. Zu den im
Ausland wirkenden Freundesgesellschaften wurden intensive Kontakte gepflegt. Die
Weimarer Republik war eine schöpferische Epoche für Literatur, Theater,
Musik und Bildende Kunst. Die demokratischen Grundrechte, so
das allgemeine Wahlrecht sowie die Versammlungs-, Presse- und
Vereinigungsfreiheit, nahmen die Sorben nun gleichfalls in Anspruch. Die
politischen Strukturen ermöglichten es ihnen prinzipiell, ihre nationale
Identität und ihr kollektives Bewusstsein zu festigen. Ausdruck fand dies
bereits 1918 in der Gründung der Lausitzer Volkspartei, welche 1924 in Wendische Volkspartei umbenannt
wurde.
Die Sorben erstrebten in der Weimarer Republik prinzipiell die gleichen Rechte,
wie sie die Auslandsdeutschen für sich einforderten oder bereits besaßen. In
dieser Frage engagierte sich besonders Jan
Skala, seit 1925 Redakteur der Zeitschrift des Verbands der
nationalen Minderheiten Deutschlands „Kulturwille“, später „Kulturwehr“. Der
Gebrauch des Sorbischen in Schule und Kirche
war die entscheidende Forderung, denn ohne eigene Sprachkompetenz drohte ein
rascher Verlust der nationalen Identität. Die Domowina richtete deshalb Anfang 1929 eine Eingabe an die
Reichsregierung und verlangte, dass die Pflege von sorbischer Sprache und
Volkstum nicht nur geduldet, sondern genehmigt und gefördert werden sollte. Es
wurden Stipendien für sorbische Studenten angemahnt, um dem Mangel an Lehrern,
Geistlichen und weiteren Akademikern abzuhelfen. Die Begehren waren bewusst
apolitisch gefasst, um dem latenten Verdacht einer beabsichtigten Abspaltung der
Lausitz zu entgehen.
Lit.: M. Kasper: Zeitzeichen 1918–1933. Quellen zur sorbischen Geschichte,
Bautzen 1995; D. Scholze: Stawizny serbskeho pismowstwa 1918–1945, Budyšin 1998;
T. Meškank: Die Zwischenkriegszeit. Sorbische Nationalbewegung unter
Irredentaverdacht, in: Zwischen Zwang und Beistand. Deutsche Politik gegenüber
den Sorben vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart, Hg. E. Pech/D. Scholze,
Bautzen 2003.