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Stawiznopis
Peter Kunze

Darstellung von geschichtlichen Ereignissen in Abhängigkeit von politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die Geschichtsschreibung rekonstruiert Entwicklungen aus dem Bereich der Politik- und Sozialgeschichte, der Kultur-, Kirchen- und Wirtschaftsgeschichte sowie der Personengeschichte mit dem Ziel einer bewusstseinsbildenden Wirkung.

Frido Mětšk (1916-1990); Fotograf: Kurt Heine; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Anfänge einer Geschichtsschreibung über die Sorben reichen bis ins Mittelalter zurück. Zunächst waren es Chronisten, die Informationen über die elbslawischen Stämme in den ersten vier Jahrhunderten nach der Besiedlung lieferten, so der fränkische Chronist Fredegar (7. Jh.), der arabische Geograf Ibn Khordadhbeh (9. Jh.), der jüdische Kaufmann Ibrahim ibn Jacub (10. Jh.) und der sächsische Bischof Thietmar von Merseburg (Anfang 11. Jh.). Doch erst seit der Frühaufklärung kann man von einer systematischen und wissenschaftlichen Geschichtsschreibung sprechen, betrieben von Sorben und Deutschen. In ihrem Streben nach einer umfassenden Weltsicht richteten die Forscher ihr Augenmerk auch auf die Sorben und versuchten, auf idealistischer Grundlage die Gegenwart aus der Vergangenheit zu erklären. Sie empfanden das Sorbische z. T. als schützens- und erhaltenswert und verteidigten es gegen Verleumdung und Diffamierung. Im Mittelpunkt standen Untersuchungen zu Altertümern, zur Mythologie, zur Kirchen- und Kulturgeschichte. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Periode gehörten der Sorbe Abraham Frencel mit seiner Chronik „Historia naturalis Lusatiae Superioris“ und der Deutsche Christian Knauthe, der das enzyklopädische Werk „Derer Oberlausitzer Sorberwenden umständliche Kirchengeschichte“ (1767) verfasste. Erwähnung verdienen Juro Krygaŕ, Hadam Bohuchwał Šěrach, Jan Boguměr „Ohnefalsch“ Rychtaŕ und Carl Christian Gulde, die mit ihren Schriften dazu beitrugen, Vorurteile abzubauen und der sorbischen Bevölkerung den ihr gebührenden Platz in der Geschichte einzuräumen. Diesem Ziel sah sich auch die 1789 in Görlitz gegründete Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften verpflichtet. Jan Hórčanski und Karl Gottlob von Anton, später dann Christian Adolph Pescheck und Karl Benjamin Preusker bereicherten mit ihren Forschungen die historischen Kenntnisse. Mit der Wende zum 19. Jh. machten sich erste antisorbische Tendenzen bemerkbar. Christian Gottlieb Schmidt, Wylem Boguchwał Korn und Jan Křesćan Rychtar verunglimpften die Sprache und Kultur der Sorben und forderten deren rasche Germanisierung.

Dokumentation von Hartmut Zwahr, Domowina-Verlag 1984

Einen gewissen Auftrieb erlebte die Geschichtsschreibung über die Sorben ab Mitte des 19. Jh., als sich eine Nationalbewegung herausgebildet hatte. Führende Vertreter des sorbischen Bürgertums rückten Forschungen zur Geschichte und Kultur ihres Volkes in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Mit der Gründung der Maćica Serbska 1847 schufen sie sich ein organisatorisches Zentrum, mit der Zeitschrift „Časopis Maćicy Serbskeje“ ein Publikationsorgan und mit der 1855 entstandenen Sektion Archäologie/​Geschichte eine Fachabteilung. Historische Abhandlungen, in denen jedoch die Kulturgeschichte überwog, verfassten u. a. Jan Arnošt Smoler, Jan Pĕtr Jordan, Korla Awgust Jenč, Kito Wylem Broniš, Jan Bohuwěr Mučink, Měrćin Kral, Ota Wićaz, Arnošt Muka und Jurij Pilk sowie Jakub Wjacsławk, der sich erstmals sozialhistorischen Fragen zuwandte. Von deutscher Seite bemühten sich v. a. Hermann Knothe, Alfred Moschkau und Eduard Oskar Schulze mit landeskundlichen Studien um eine objektive Betrachtung der sorbischen Geschichte. Einen Höhepunkt bildete die 1884 erschienene erste Gesamtdarstellung „Historija serbskeho naroda“ (Geschichte des sorbischen Volkes), verfasst von dem Polen Wilhelm Józef Bogusławski, ergänzt und herausgegeben von Michał Hórnik. Weitere Überblicke folgten von Jan Bryl mit „Serbske stawizny w zańdźenosći a přitomnosći“ (Sorbische Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart, 1920) und Bogumił Šwjela mit „Das Wendentum in der Niederlausitz“ (1929). Dies waren Entgegnungen auf antisorbische Publikationen, die zunächst nach 1871 und dann verstärkt in der Zwischenkriegszeit erschienen, so Richard Andrees „Wendische Wanderstudien“ (1874), August Meitzens Arbeit über die Besiedlung der Slawengebiete (1879) und Otto Eduard Schmidts Hetzschrift „Die Wenden“ (1926). Autoren wie Woldemar Lippert, Walter Frenzel, Rudolf Lehmann, Felix Burkhardt und Rudolf Kötzschke setzten diese Linie fort, wobei sie es meist verstanden, ihren antisorbischen Thesen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen.

Quelleneditionen zur sorbischen Geschichte zwischen 1789 und 1918; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Deutliche Fortschritte machte die sorbische Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem 1951 in Bautzen gegründeten Institut für sorbische Volksforschung (→ Sorbisches Institut) und dem wenig jüngeren Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig entstanden erstmals staatliche Einrichtungen, in denen sich Wissenschaftler professionell mit der Erforschung sorbischer Geschichte beschäftigten. Allmählich wurde die vorherrschende Orientierung auf sprachliche und kulturelle Fragen überwunden und der historische Prozess in seiner Komplexität dargestellt. Schwerpunkte bildeten zunächst das frühe Mittelalter und die Periode des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus samt richtungweisenden Arbeiten zur Siedlungsgeschichte, Agrargeschichte, historischen Demografie und zur Nationalitätenstatistik und -politik, verfasst von Jan Brankačk, Frido Mětšk und Jan Šołta. Seit Anfang der 1960er Jahre erfolgte eine Konzentration auf die sorbische Geschichte des 19. und 20. Jh., besonders auf die Zeit nach 1945: Měrćin Kasper schrieb über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus, Frank Förster über die Industrialisierung der Lausitz, Hartmut Zwahr, Erhard Hartstock und Peter Kunze über nationale und kulturelle Aspekte sowie über die Nationalitätenpolitik im 19. Jh., Klaus J. Schiller und Manfred Thiemann über die ersten Jahrzehnte nach dem Krieg. Diese Forschungen, denen sich weitere über das Wendische Seminar in Prag, über die Entwicklung der Domowina und über die Lage der ländlichen Industriearbeiter im Braunkohlenbergbau anschlossen, schufen die Grundlage einer vierbändigen Gesamtdarstellung, der „Geschichte der Sorben“, deren letzter Band 1979 erschien. Vorausgegangen war ein 1976 in sorbischer, deutscher und polnischer Sprache publizierter „Abriss der sorbischen Geschichte“ von Jan Šołta, dem 1995 eine „Kurze Geschichte der Sorben“ von Peter Kunze folgte. Seit der politischen Wende 1989 bemühen sich deutsche und sorbische Historiker um eine objektive Darstellung der sorbischen Geschichte, um politisch motivierten Verzerrungen oder Verkürzungen v. a. aus der DDR-Zeit entgegenzutreten und bislang vernachlässigte Themen aufzuarbeiten. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der neueren und neuesten Geschichte. Peter Schurmann beschäftigt sich vor allem mit der sorbischen Nachkriegsgeschichte sowie der Geschichte der Sorben in der Niederlausitz. Biografischen und institutionellen Untersuchungen widmet sich Annett Bresan, zur rechtlichen Stellung der Sorben sowie zur Sprachenpolitik arbeitete Ludwig Elle. Schul- und Kirchenwesen, Industrialisierung sowie Sozial- und Alltagsgeschichte werden in den Arbeiten von Edmund Pech thematisiert. Timo Meškank forscht zu sorbisch-tschechischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit sowie zur Überwachung und Instrumentalisierung der Sorben in der DDR-Diktatur. Michael Richter beschreibt das Wirken deutscher Parteien in der zweisprachigen Oberlausitz nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit einigen Jahren verstärkten sich die Bemühungen, die Forschungslücken zur Frühen Neuzeit zu schließen. Richtungsweisende Arbeiten legte Peter Milan Jahn vor, dabei handelt es sich um biografische sowie mikrohistorische Studien. Lubina Mahling wendet sich konfessionspolitischen und biografischen Schwerpunkten der frühneuzeitlichen Oberlausitz zu. Friedrich Pollack untersucht die sorbische evangelische Geistlichkeit in der frühneuzeitlichen Oberlausitz und widmet sich ferner der Wissenschafts- und Wissensgeschichte dieser Epoche. Mittelalterliche und frühgeschichtliche Forschungen zur sorbischen Geschichte werden vordergründig von den Landesämtern für Archäologie Sachsens bzw. Brandenburgs sowie von einigen universitären Lehrstühlen in den neuen Bundesländern übernommen.

Lit.: Berichte zur sorbischen Geschichtsforschung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 8 (1960) 1; 18 (1970), Sonderband; 28 (1980), Sonderband; J. Šołta: Die Geschichtsschreibung im Rahmen der sorbischen Volksforschung. Zur Entwicklung der Abteilung Geschichte, in: 30 Jahre Institut für sorbische Volksforschung. 1951–1981, Bautzen 1981; P. Kunze: Forschungen zur sorbischen Geschichte von 1980 bis 1989, in: Lětopis B 38 (1991); T. Meškank: Zur sorbischen Geschichtsschreibung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Österreichische Osthefte 34 (1992) 2.

Metadata

Stawiznopis
Stawiznopis
Kunze, Peter
Kunze, Peter
archeologija; rozswětlerstwo; diktatura; chronist; narodne hibanje; nacionalizm; stawizny wědomosće; sorabistika
archeologija; rozswětlerstwo; diktatura; chronist; narodne hibanje; nacionalizm; stawizny wědomosće; sorabistika

Předstajenje stawizniskich podawkow we wotwisnosći wot politiskich a towaršnostnych wobstejnosćow. Stawiznopis rekonstruuje wuwića z wobłuka politiskich a socialnych stawiznow, kulturnych, cyrkwinskich a hospodarskich stawiznow kaž tež stawiznow wosobow a je wusměrjene na wědomje tworjace skutkowanje.

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Zahrnuto v sbírce
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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