Materielle Zeugnisse
Vorgeschichte und Bibliografie
Im Jahre 2008 nahm die Arbeitsgruppe âInventarisierung sorbischer Kulturdenkmale in der Niederlausitzâ des Sorbischen Instituts in der Zweigstelle ChĂłĆebuz (Cottbus) ihre Arbeit auf. Die Beteiligten â der Leiter der örtlichen Denkmalschutzbehörde (bis 2011) und Landschaftsarchitekt Alfred Roggan sowie die Slawistin Katja Atanasov â beschĂ€ftigten sich unter Leitung des hier angestellten Historikers Peter Schurmann zunĂ€chst mit den theoretischen Grundlagen. Als Ausgangspunkt diente eine institutsinterne Grobkonzeption, um ein bereits seit 2000 am Institutshauptsitz BudyĆĄin (Bautzen) fĂŒr die Oberlausitz laufendes, vergleichbares Projekt auf die Niederlausitz auszudehnen. Dazu sollten aber ausschlieĂlich Drittmittel eingeworben werden, was beim Energiekonzern Vattenfall Europe Mining & Generation Cottbus bis 2014 und bei dessen Nachfolger Lausitz Energie Kraftwerke und Bergbau AG (LEAG) bis 2020 Erfolg hatte.
Als erstes Vorhaben wurden ab Herbst 2008 alle ortsfesten Zeugnisse sorbischer/âwendischer Kultur im öffentlichen Raum der Stadt Cottbus erfasst und dokumentiert, zu denen auch die bereits in der Denkmalliste des Landes Brandenburg eingetragenen Objekte zĂ€hlten. Es handelte sich mehrheitlich um baugebundene Kunstwerke, die insbesondere seit Ende der 1960er Jahre geschaffen worden waren. Der Austausch und Dialog mit der Ăffentlichkeit, etwa mit Vertretern sorbischer Institutionen, der Sorben/Wenden-Beauftragten und weiterer stĂ€dtischer Ămter und Institutionen (z.âŻB. Kulturamt, Denkmalschutzbehörde, Stadtmuseum, Wendisches Museum), war uns von Anfang an wichtig. Nur ĂŒber die Kommunikation nach auĂen konnte dem Tatbestand mangelnder Kenntnis und begrenzter öffentlicher Reflexion derartiger Kulturzeugnisse abgeholfen werden. Ende 2011 erschien eine gedruckte Ăbersicht zu sorbischen/âwendischen Kulturzeugnissen im Stadtgebiet von ChĂłĆebuz (Cottbus). Bestandteil war u.âŻa. eine Ăbersicht zu Personen, die Kunstobjekte gestaltet oder stĂ€dtische Kulturpolitik mitbeeinflusst hatten.
Das Projekt wurde auf sorbische/âwendische Beschriftungen im öffentlichen Bereich der Niederlausitz, etwa in Kirchen, aber auch auf die Erforschung einer spezifischen Baukultur in der Region des Spreewalds ausgeweitet. Die Projektgruppe erstellte erste fachliche Gutachten zu verschiedensten Themen und Gedenkobjekten, vor allem fĂŒr die im August 2009 vom Cottbuser OberbĂŒrgermeister berufene Arbeitsgruppe âSorbische/âWendische Denkmale der Stadt Cottbus/âChĂłĆebuz â Serbske pomniki mÄsta ChĂłĆebuzâ.
Erste Meilensteine waren:
Roggan, Alfred 2009: Die Blockhausformen des Burger Spreewalds zwischen 1750 und 1850. Ihre Typik und ihre Sonderformen, S. 25â52 (=Â Brandenburgische Denkmalpflege; 18/2).
Schurmann, Peter 2009: Das Wendische Viertel in der Cottbuser Altstadt, S. 45â49 (=Â Cottbuser Heimatkalender).
Atanasov, Katja/âHerrmann, Katharina/âRoggan, Alfred/âSchurmann, Peter 2011: Das Wendische Cottbus â Serbski ChĂłĆebuz (= Cottbuser BlĂ€tter, Sonderheft).
Roggan, Alfred 2011: Sorbische/âWendische Zeugnisse des Bauens und Wohnens in Proschim. In: Sorbische IdentitĂ€t und Kultur in der Ortslage Proschim (ProĆŸym) mit Karlsfeld. Gutachten, Bautzen, S. 29â57 (= Kleine Reihe des Sorbischen Instituts; 14).
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred/âRoggan, Simon Alfred 2012: Niedersorbische (wendische) Beschriftungen in öffentlichen Bereichen der Niederlausitz vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, S. 77â95 (= Brandenburgische Denkmalpflege; 21/1).
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred 2014: Die Schwestern Liza und Marjana DomaĆĄkojc in Zahsow. In: LÄtopis 61/2, S. 116â129 (=Â Zeitschrift fĂŒr sorbische Sprache, Geschichte und Kultur des Sorbischen Instituts).
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred 2015: Spuren des Dichters Mato Kosyk in Werben/âWjerbno. Sein Geburtshaus, das GrundstĂŒck seiner Kindheit und Jugend sowie zwei Kosyk-Denkmale. In: LÄtopis 62/1, S. 101â119 (=Â Zeitschrift fĂŒr sorbische Sprache, Geschichte und Kultur des Sorbischen Instituts).
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred 2016: Die sorbische/âwendische Missionarin Maria Lobak/âMarija Lobakojc aus Turnow, genannt Maria Lobach (1798â1853). In: LÄtopis 63/2, S. 63â71 (=Â Zeitschrift fĂŒr sorbische Sprache, Geschichte und Kultur des Sorbischen Instituts).
Im weiteren Projektverlauf wurde die historische Forschung vor allem zur sorbischen/âwendischen Kulturgeschichte territorial ausgedehnt und vertieft. Der Fokus lag zunĂ€chst auf dem Altkreis ChĂłĆebuz (Cottbus) (2015) innerhalb des Landkreises Sprjewja-Nysa (Spree-NeiĂe). Hier konnten wichtige Personen und Institutionen als Kooperationspartner gewonnen werden, darunter der Landrat. Es folgten Erhebungen zur Senftenberger Region mit Wjelcej (Welzow) (2021), zur Kirche Dissen/âDeĆĄno mit ihrer besonderen Ausmalung (2022) und zum Altkreis Grodk (Spremberg) (2023). Im Landkreis GĂłrne BĆota-ĆuĆŸyca (Oberspreewald-Lausitz) waren unsere BemĂŒhungen von Erfolg gekrönt, den BegrĂ€bnisstĂ€tten des letzten sorbischen/âwendischen Pfarrers Benjamin BÄgaĆ/âBieger und des Landschaftsmalers Wylem Ć ybaĆ/âSchieber seitens der Stadt WÄtoĆĄow (Vetschau) den Ehrenstatus zuzuerkennen.
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred/âSchurmann, Peter 2015: Der Landkreis Spree-NeiĂe und seine sorbische/âwendische Kulturgeschichte. Der Altkreis Cottbus (=Â Sorbische Kostbarkeiten/âSerbske drogotki. Edition Wendisches Museum; 9).
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred/âSchurmann, Peter 2021: Sorbische/âWendische IdentitĂ€t und Kultur im Senftenberg-Spremberger Raum: Sorbische/âWendische Lebens- und Baukultur in der Region Welzow/âSerbska ĆŸywjeĆska a twaĆska kultura w regionje Wjelcej, Cottbus/âChĂłĆebuz, gebunden â mit Karten und Abb.
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred (Hg.) 2022: Dissen/âDeĆĄno â Die âAlte Wendische Kircheâ und ihr Pfarrer Gotthold Schwela/âBogumiĆ Ć wjela, Cottbus.
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred/âSchurmann, Peter 2023: Der Landkreis Spree-NeiĂe und seine sorbische/âwendische Kulturgeschichte. Der Altkreis Spremberg/âWokrejs Sprjewja-Nysa a jogo serbska kulturna historija. NÄgajĆĄny wokrejs Grodk (=Â Sorbische Kostbarkeiten/âSerbske drogotki. Edition Wendisches Museum; 10).
Die vielfĂ€ltigen Forschungsergebnisse wurden der Ăffentlichkeit in ĂŒber 100 VortrĂ€gen bis einschlieĂlich 2023 in der Nieder- und teilweise auch Oberlausitz prĂ€sentiert. Im Jahre 2013 war die Kooperation mit dem Lehrstuhl Technikgeschichte der Brandenburgischen Technischen UniversitĂ€t Cottbus/âSenftenberg unter Leitung von GĂŒnter Bayerl fĂŒr das grenzĂŒbergreifende und mit EU-Mitteln geförderte Vorhaben âDie Niederlausitz und die sĂŒdliche Lubuskie. Eine Kulturlandschaft im Zentrum Europasâ aufgenommen worden. Wir publizierten einen Beitrag im Sammelband und einen weiteren in einem der beiden ReisefĂŒhrer (2014/16). SpĂ€testens ab 2016 forschten wir zur Herrnhuter BrĂŒdergemeine als Zentrum der religiösen Erneuerungsbewegung seit der Reformation. Unsere Vermutung bestĂ€tigte sich, dass die BrĂŒdergemeine ein wichtiges Bindeglied gemeinsamer Kulturgeschichte zwischen Deutschen und Sorben/âWenden war und als einen seiner zentralen Orte Limbark (Limberg) unweit von ChĂłĆebuz (Cottbus) vorzuweisen hatte.
Roggan, Alfred 2014: Von KultstĂ€tten, Doppelkirchen und Denkmalen. Auf den Spuren der sorbischen/âwendischen Kultur in der Niederlausitz und der sĂŒdlichen Lubuskie. In: GĂŒnter Bayerl (Hg.): Adelsherrschaft, Industrielandschaft, Zukunftslandschaft. Deutsch-polnische Touren in Geschichte und Gegenwart der Niederlausitz und der sĂŒdlichen Lubuskie, Berlin, S. 55â88.
Roggan, Alfred 2016: Zur sorbischen/âwendischen Geschichte der Niederlausitz â von Beeskow bis Brody, von Spremberg bis Ć»ary. Eine Kulturlandschaft, gewachsen auf slawischen und deutschen Wurzeln. In: GĂŒnter Bayerl/âLeszek C. Belzyt/âAxel Zutz (Hg.): Handbuch zur Geschichte der Kulturlandschaft der Niederlausitz und der sĂŒdlichen Lubuskie, Berlin, S. 125â174.
Roggan, Alfred 2021: Die Diaspora-Arbeit der Herrnhuter BrĂŒdergemeine in der wendischen Niederlausitz 1751â1858 (= Cottbuser BlĂ€tter, Sonderheft).
Ein weiterer Meilenstein war die Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen Landesamt fĂŒr Denkmalpflege und ArchĂ€ologisches Landesmuseum (BLDAM) mit Sitz in WĂŒnsdorf. Gemeinsam wurde â mit politischer UnterstĂŒtzung des brandenburgischen Ministeriums fĂŒr Wissenschaft, Forschung und Kultur â ab 2019 darĂŒber beraten, inwieweit Sorbisches/âWendisches besser erkennbar und damit gezielter geschĂŒtzt werden könnte. Als Ergebnis erhielten die bislang in der Liste eingeschriebenen sorbischen Denkmale einheitlich den Zusatz oder Bezug âSorbische/âWendische Kulturâ zugewiesen, um eindeutig klassifiziert zu werden und schnell auffindbar zu sein (2021). Im Zuge dessen war auf die ersatzlose Vernichtung von Kunstwerken mit sorbischen/âwendischen Motiven in Neu-Schmellwitz infolge des WohnungsrĂŒckbaus nach der Wiedervereinigung Deutschlands öffentlich aufmerksam gemacht worden.
Atanasov, Katja/âRoggan, Alfred/âSchurmann, Peter 2021: Bestehen und Vergehen von Kunstwerken mit sorbischen/âwendischen Motiven in der Stadt Cottbus/âChĂłĆebuz, S. 112â115 (= Cottbuser Heimatkalender).
Mit dem 2022 dauerhaft hinzugewonnenen Kulturwissenschaftler Tobias PreĂler wurde die historische Forschung auf eine neue Stufe gestellt. WĂ€hrend zunĂ€chst die PrĂ€senz der Sorben/âWenden in der nördlichen Niederlausitz ab der frĂŒhen Neuzeit im Fokus stand (2019), wurde am Beispiel des Ortes Frydland (Friedland) im heutigen Landkreis Odra-Sprjewja (Oder-Spree) das Zusammenleben deutscher, jĂŒdischer und sorbischer Bewohner in einer Niederlausitzer Kleinstadt beschrieben. 2023 wurde mit der Studie zur sorbischen/âwendischen Lebens- und Baukultur im heutigen Landkreis Dubja-BĆota (Dahme-Spreewald) ein gemeinschaftliches Vorhaben abgeschlossen.
PreĂler, Tobias/âRoggan, Alfred 2019: Sorbische/âWendische Spuren in der nördlichen Niederlausitz (= Podstupimske pĆinoski k sorabistice/âPotsdamer BeitrĂ€ge zur Sorabistik; 12).
PreĂler, Tobias/âRoggan, Alfred 2022: Das Modell Friedland. Vom Zusammenleben deutscher, jĂŒdischer und wendischer Bewohner in einer Niederlausitzer Kleinstadt (= Podstupimske pĆinoski k sorabistice/âPotsdamer BeitrĂ€ge zur Sorabistik; 14).
Roggan, Alfred 2023: Die Lebens- und Baukultur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts/âĆœywjeĆska a twaĆska kultura aĆŸ do kĂłĆca 19. stolÄĆa. In: Sabrina Kuschy/âThomas Mietk (Hg.): Mehr als eine Tracht/âWÄcej ako drastwa. Sorbisches/âWendisches Leben im Landkreis Dahme-Spreewald/âSerbske ĆŸywjenje we wokrejsu Dubja-BĆota, Berlin, S. 15â88.
Seit der 2. JahreshĂ€lfte 2022 arbeitet zudem die Geschichtslehrerin Wencke Nebatz im Projekt mit, das sich nunmehr mit Landesfördermitteln aus dem Strukturwandel auf die Erarbeitung eines Online-Portals konzentriert. Beginnend 2025 bei der Stadt ChĂłĆebuz (Cottbus), sollen bis 2031 sĂ€mtliche Objekte sorbischer/âwendischer Kultur im gesamten Niederlausitzer Siedlungsgebiet digital zur VerfĂŒgung stehen.