Benennungen fließender und stehender Gewässer, d. h. Flüsse, Bäche, Gräben, Seen
und Teiche; auch Hydronyme. Eine zusammenfassende, historisch fundierte
Untersuchung liegt bislang nur für die Oberlausitz (von Hans
Walther) vor. Umfangreiches Material haben Bogumił Šwjela und Arnošt Muka zusammengetragen, ferner finden
sich einzelne Namenerklärungen in neueren Arbeiten zu Orts- und Flurnamen. Die Gewässernamen der Lausitz gliedern sich in drei historische Schichten: in
vorslawische (alteuropäische und germanische), slawische und deutsche Namen.
1. Bei den vorslawischen Namen handelt es sich meist um alteuropäische Gewässernamen, die
netzartig ganz Europa überziehen, wobei sie sich oft nicht aus der jetzt
gesprochenen Sprache, hier aus dem Slawischen oder dem Germanischen, erklären
lassen. Sie beruhen auf indogermanischen Wurzeln in sog. Wasserwörtern mit der
Grundbedeutung ,Wasser, Quelle, Bach, Fluss bzw. fließen, (Wasser-) Lauf, Nässe,
Feuchtigkeit‘ u. dgl. Als Entstehungszeit dieser ältesten Namenschicht ist das
3. Jahrtausend v. Chr. anzunehmen. Aus der Lausitz und dem altsorbischen
Sprachgebiet vom Oderraum im Osten bis zur Saale im Westen seien angeführt: Oder, niedersorb., obersorb. Wódra, niedersorb.
auch Odra, 948 Odera, um 1120 Odra, alteurop.
*Adrā, zu avestisch (altiranisch) adu ,Bach, Wasser‘. Das
anlautende kurze a- ergab im Slawischen o-, das auslautende
lange -ā führte zu -a, im Sorbischen erfolgte dazu ein
w-Vorschlag. Die Oder hat u. a. eine Entsprechung im Namen
der Adria. – Neiße, niedersorb., obersorb.
Nysa, 1241 Niza, Nizza, alteurop. *Nūsā
mit der indogermanischen Wurzel *nau, *nu, deren Bedeutung
sich mit ,Schiff, Gefäß (Trog), Tal, Rinne, Fluss‘ umschreiben lässt und in lat.
nāvis und griech. naus ,Schiff‘ enthalten ist. – Elbe, niedersorb., obersorb. Łobjo, 1. und 2.
Jh. n. Chr. Albis, Albia, Albio, wurde gewöhnlich mit
der Wurzel *albh-, lat. albus ,weiß‘, verbunden. Da aber die
ältesten Gewässernamen nicht von Farbbezeichnungen abgeleitet sind, schlug der
Indogermanist Wolfgang P. Schmid
*Albhā vor, zu einem indogerman. *albhā ,Fluss‘ neben
*albhā- ,Wolke‘, nachweisbar im Hethitischen (ausgestorbene Sprache
in der Türkei) durch alpa- ,Wolke‘, ein Wort aus dem Bedeutungsfeld der
Wasserwörter. Im Sorbischen wurde das anlautende *Al- vor -b-
zu Ło- umgestellt und a- wandelte sich zu o-. – Saale, niedersorb., obersorb. Solawa, um die
Zeitenwende Salas, 782 und 791 Sala fluvius, alteurop.
*Sala, zur Wurzel *sal, lat. salum ,Meer,
Strömung eines Flusses‘, altpreuß. salus ,Regenbach‘. Die Saale hat u.
a. Entsprechungen in Ungarn als Sala, in Frankreich als Salia
(heute Seille). – Schwarze Elster, niedersorb.
Carny Halšter, obersorb. Čorny Halštrow, 1017/18 ad
Nigram Elstram, 1241 trans Alestram, *Alistra, zur
indogermanischen Wurzel *el-/ol- ,fließen, strömen‘ oder zu der
germanischen Wurzel *al- ,wachsen, nähren‘, hier ,wachsend,
anschwellend‘, mit dem germanischen Suffix -str-, weshalb die Elster
nicht zu den alteuropäischen Gewässernamen gehört. – Spree, niedersorb.
Sprjewja, auch Sprěwa, obersorb. Sprjewja neben
Sprewja, Sprowja und Šprewja, 965
Sprewa, zu german. *spreu- ,sprühen, spritzen, stieben‘. – Mulde, obersorb. Modłej, Mulda, 948
orientalis Milda, 965 Milda, um 965 Moldawa, 1118
Mulda, germanisch, zu einer mit -d- erweiterten
indogermanischen Wurzel *mel- ,reiben, zermahlen‘. Die Sorben
übernahmen german. *Mildā als *Mьlda, wonach sich vor hartem
-d- -ьl- zu -oł- entwickelte. Danach erfolgte eine
Entlehnung aus dem Sorbischen ins Deutsche mit Wiedergabe von -oł- als
-ul-. Diese und weitere Namen haben die im 6./7. Jh. einwandernden
Slawen von der germanischen Restbevölkerung übernommen.
Sorbische und deutsche Gewässernamen im altsorbischen Siedlungsgebiet; Karte:
Iris Brankatschk
2. Bei den slawischen Gewässernamen unterscheidet man solche ohne und solche mit Suffix. In
der ersten Gruppe werden Appellative (Gattungsbezeichnungen) ohne formale
Kennzeichnung als Gewässernamen verwendet: niedersorb. grobla ,Graben,
kleiner Kanal‘ als Grobla, Name eines Fließes im Spreewald; pśekop ,Durchstich,
Entwässerungsgraben‘ als Pśekop, Gewässernamen bei Schmogrow; das auf urslaw. *struga
zurückgehende niedersorb. tšuga ,Wasserlauf, -graben, Bach, Fließ‘ gilt
als Tšuga in der Umgangssprache für den Hammergraben bei Peitz, auch obersorb. Truha kommt
öfter vor; rěka ,Fluss, Strom‘ benennt als Rěka
umgangssprachlich die Spree. Die von rěka abgeleiteten *Rěčka
und *Rěčica sind eingedeutscht als Riet(z)schke,
Rietschen und Rietz weit verbreitet. In einer zweiten
Gruppe tritt an einen Gewässernamen ein Gewässernamensuffix, oft -ica
und -nica (< *-ьnica), ferner -awa,
-awka, -a, -ik, -nik (< *-ьnikъ)
u. a.: *Wydrica, eingedeutscht Wudritz, mündet südlich von
Lübben in die Spree, zu
niedersorb. wudra ,Fischotter‘, also ,Fischotterbach‘;
Kemnitz(bach) (südöstlich von Löbau), 1241 Cameniza, altsorb. *Kamenica
,Steinbach‘, ein sehr häufiger Gewässername; Golnica, Bach bei
Drebkau, zu niedersorb.
gola ,Heide, (Nadel-)wald‘, also ,Waldbach‘; Wesenitz, in
der südwestlichen Oberlausitz entspringender Bach, altsorb. *Weźnica
,Ulmenbach‘, zu obersorb. wjaz, niedersorb. wěz ,Ulme‘, auf
dem Bachnamen beruht der Name des Dorfes Weßnitz (südöstlich von Großenhain), 1350 Wesnicz;
Pulsnitz, 1241
Polsniza, 1350 aqua dicta Polsnicz, *Połźnica, zu
*połz- ,kriechen‘, für ein langsam fließendes Gewässer. Darauf geht
der Name der heutigen Stadt Pulsnitz (südwestlich von Kamenz) zurück. Von der lautnachahmenden
Wurzel *šep-, vertreten in obersorb. šep ,Töne des Lispeln,
des Flüsterns‘, ist altsorb. *Šepc < *Šepьcь ,leise
fließender Bach‘, heute Schwarzer Schöps und Weißer Schöps,
obersorb. Čorny Šepc und Běły Šepc, 1352 von dem
Schepcze, abgeleitet. Darauf beruht der Ortsname Schöps, obersorb. Šepc, am
Schwarzen Schöps. Umgekehrt benannte man mitunter einen Wasserlauf
nach einer Siedlung, so die Kśišowka, dt. Kschischowka,
Kschischocke, Fließ bei Vetschau, nach Kśišow, dt. Krieschow (westlich von Cottbus). Manchmal verbirgt sich ein alter,
sonst nicht erwähnter Gewässername unter einem Ortsnamen, so wohl unter
Bühlow, niedersorb.
Běła (nördlich von Spremberg), *Běła (woda) ,Weiße, weißes Wasser‘, zu
niedersorb. běły ,weiß‘, ein sehr häufiges Motiv bei Gewässernamen,
schon 1241 Belipotok für den Biel(bach) (nordöstlich von
Stolpen). Auf einem
Gewässernamen *Lubawa beruht vielleicht Löbau, obersorb.
Lubij, 1221 oppidum Lubaw, danach benannt ist das
Löbauer Wasser, das aber 1228/1241 Lubotna hieß, 1268
flumen Lubetowe, möglicherweise zu einem Personennamen
Lubot(a). Slawische Namen tragen zahlreiche Seen und Teiche,
darunter der Wirchensee (westlich von Neuzelle), *Werchny (jezer), zu niedersorb.
wjerchny ,oben befindlich, ober-‘, für den am höchsten gelegenen
der Schlaubeseen, sowie der Wergensee (südöstlich von Neubrück), Kreis Beeskow, 1752
Würchen-See. Der lang gestreckte See nordwestlich von Lübben, an
dessen Nordostrand das Dorf Dollgen,
niedersorb. Dołgi, liegt, dürfte einst *Dołgi (jezer) oder
*Dołgan, *Dołgań geheißen haben, zu niedersorb.
dłujki, älter auch dlugi, obersorb. dołhi ,lang‘.
Für Teich ist niedersorb. Gat, Gaty, Gatnik weit
verbreitet, obersorb. Hat, Hatk, Hatki, oft mit
Bestimmungswörtern wie obersorb. hlinjany, pěskowy usw., dazu
entsprechend dt. Lehmteich, Sandteich u. dgl. Diese wie auch
einige andere Benennungen mit einer engen Gebrauchssphäre gelten z. T. als
Flurnamen.
3. Deutsche Gewässernamen kamen nach der deutschen Unterwerfung und Kolonisation auf. Oft sind es
Zusammensetzungen, meist mit Grundwörtern wie -wasser, -fließ,
-graben, -bach, später auch -kanal usw., so
Klosterwasser, Schwarzwasser, Greifenhainer
Fließ, Ströbitzer
Landgraben. Dazu existieren vielfach sorbische Entsprechungen, z. B.
für Klosterwasser obersorb. Klóšterska woda neben
Klóšterska rěka; die ursprüngliche sorbische Benennung lautete
vielleicht Rěka.
Lit.: J. Duma/E. Rzetelska-Feleszko: Dolnołużyckie nazwy rzeczne, in: Lětopis A
21 (1974) 2; J. Udolph: Studien zu slavischen Gewässernamen und
Gewässerbezeichnungen, Heidelberg 1979; E. Eichler: Zur ältesten (vorslawischen)
Schicht der Gewässernamen im altsorbischen und altpolabischen Sprachgebiet, in:
Lětopis A 28 (1981); H. Walther: Atlas zur Geschichte und Landeskunde von
Sachsen. Beiheft zur Karte G II 4: Historische Gewässernamenschichten,
Leipzig/Dresden 2004.