Konzept zur Förderung und Revitalisierung der sorbischen Sprache bei Kindern
unter Anwendung der Immersionsmethode; das sorbische Wort Witaj heiĂt
,Willkommenâ. Immersion (auch âSprachbadâ) ist eine Form des frĂŒhen
Zweitspracherwerbs unter institutionellen Bedingungen (â Spracherwerb). Die Methode wurde zuerst in Kanada
erprobt und von den Bretonen in Frankreich in den 1970er Jahren ĂŒbernommen,
woraus dort die DIWAN-Bewegung hervorging. Der Sorbische Schulverein e. V. griff
die Idee des immersiven Lernens in den 1990er Jahren auf und schuf die
Konzeption fĂŒr das Witaj-Modellprojekt. Es ist vorrangig fĂŒr Kinder aus
ElternhĂ€usern gedacht, deren Muttersprache nicht Sorbisch ist. Dabei wird das Rollenprinzip âeine Person â eine
Spracheâ angewandt; die Bezugsperson in der KindertagesstĂ€tte spricht mit den
Kindern Sorbisch, unabhÀngig davon, ob die Eltern Deutsch oder eine andere
Sprache sprechen. Die Kinder werden so auf natĂŒrliche Weise zweisprachig
sozialisiert.
Bei der vollstÀndigen Immersion sprechen alle Erzieherinnen wÀhrend der gesamten
Betreuungszeit Sorbisch. In Witaj-KindertagesstÀtten gilt dieses Prinzip
durchweg. Bei der partiellen oder teilweisen Immersion lernen einige Kinder in
einer oder mehreren Gruppen Sorbisch. Dabei beherrschen meist nur die fĂŒr die
Witaj-Gruppen verantwortlichen Erzieherinnen die sorbische Sprache.
Der Sorbische Schulverein fĂŒhrte 1998 in der Witaj-KindertagesstĂ€tte âMato Rizoâ
in Sielow (Cottbus) erstmalig im sorbischen Siedlungsgebiet das Witaj-Modellprojekt bei einer
Gruppe von zwölf Kindern ein. Es folgten 1999 die Witaj-KindertagesstÀtten in
Dörgenhausen und Rohne, 2000 in Malschwitz und 2002 in Cottbus-Mitte. Da nicht jedes Kind aus
einer sorbischen oder gemischtsprachigen Ehe in der Familie das Sorbische
erlernt, gewinnt die institutionelle Anwendung der vollstÀndigen Immersion an
Bedeutung. Sie wird daher auch in den sorbischen KindergÀrten Crostwitz, Ralbitz und Ostro
fĂŒr einzelne Kinder mit nicht sorbischer Muttersprache angewendet. Ein Ă€hnliches
Prinzip des Spracherwerbs hat in diesen Einrichtungen bereits Tradition. Seit
1999 grĂŒndeten weitere freie und kommunale TrĂ€ger Witaj-Gruppen in deutschen
bzw. sorbischen KindertagesstÀtten (u. a. in Vetschau, Straupitz, Burg
(Spreewald) und JĂ€nschwalde in der Niederlausitz; in Bautzen,
Panschwitz-Kuckau, Hochkirch und Königswartha in der Oberlausitz).
In den Witaj-KindertagesstÀtten und Witaj-Gruppen lernen die Kinder Ober- bzw. Niedersorbisch zeitlich versetzt zur Erstsprache
Deutsch. Zwecks altersgerecht ausgewogener sorbisch-deutscher Zweisprachigkeit bis zum Schuleintritt wird fĂŒr
muttersprachlich sorbische Kinder in den KindertagesstÀtten Ralbitz und
Crostwitz die deutsche Sprache punktuell und personengebunden vermittelt. In
Sachsen ist das Witaj-Modellprojekt auf die vorschulische Bildung und Erziehung
beschrÀnkt. In der Schule wird das Sorbische im Rahmen der
schulartĂŒbergreifenden Konzeption 2plus als Unterrichtssprache bzw. durch
bilinguale Module im Sach-/Fachunterricht vermittelt. In Brandenburg hat sich
der Begriff Witaj auch in der Schule etabliert: Witaj-Klasse, Witaj-Unterricht,
Witaj-SchĂŒler.
Lehr- und Lernmittel sowie Projekte zur UnterstĂŒtzung des sorbisch-deutschen
Spracherwerbs werden u. a. vom WITAJ-Sprachzentrum der Domowina, vom Domowina-Verlag, von der Arbeitsstelle fĂŒr sorbische (wendische)
Bildungsentwicklung Cottbus, dem SĂ€chsischen Bildungsinstitut in Radebeul und dem Sorbischen Schulverein
entwickelt und herausgegeben. Zur Qualifikation der Erzieherinnen in
Witaj-KindergÀrten und Witaj-Gruppen werden auch regionale Angebote genutzt.
Elterntreffen, Ganztagsangebote an den Schulen, Feriensprachlager, Sprach- und
Kulturwettbewerbe sowie Familienfeste schaffen zusÀtzliche sorbische SprachrÀume
und dienen zugleich dem Erfahrungsaustausch.
Entscheidend fĂŒr den Erfolg des frĂŒhkindlichen sorbisch-deutschen
Zweitspracherwerbs sind IntensitÀt, Konsequenz, Dauer und KontinuitÀt der
Sprachvermittlung. Der Lernerfolg ist einerseits von den individuellen
FĂ€higkeiten und Fertigkeiten der Kinder, andererseits von den gegebenen
Rahmenbedingungen abhÀngig.
Lit.: 20 Jahre Sorbischer Schulverein e. V., Hg. L. Budarjowa, Bautzen 2010; Das
bilinguale Sprachprogramm WITAJ in der KindertagesstÀtte und in der Schule in
der Niederlausitz. Einblicke und Ausblicke, Hg. M. Norberg, Bautzen 2006; Das
WITAJ-Projekt in KindertagesstĂ€tten im Freistaat Sachsen â Zwischenbilanz und
Ausblick in die Zukunft, Hg. J. KaulfĂŒrstowa, Bautzen 2008; L. Budar/J. Schulz:
Sorbisch lernen und lehren. Sprachstandsanalyse in ausgewÀhlten
KindertagesstĂ€tten der Ober- und Niederlausitz, in: Witaj und 2plus â eine
Herausforderung fĂŒr die Zukunft, Hg. L Budarjowa, Bautzen 2009.
www.witaj-sprachzentrum.de; J. Schulz, Bilingualer Spracherwerb im
Witaj-Projekt, Bautzen 2015; J. Schulz: Sorbisch, in: Handbuch
Fremdsprachenunterricht, Hgg. Grit Burwitz-Melzer, Grit Mehlhorn u. a., TĂŒbingen
62016; 20 Jahre Witaj, Hg. L. Budarjowa, Bautzen 2018.