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Wenden­straßen
von Jan Malink

Straßennamen mit dem Bestandteil Wend- bzw. Wind- (im 20. Jh. auch Sorb-), der auf die ursprünglich slawischen Bewohner des betreffenden Ortes verweist (neben Wendenstraße auch Wendengasse, Wendische oder Windische Gasse, Wendenmarkt, Wendenplan, Wendisches Dorf usw., lateinisch „Platea slavorum“ bzw. „sclavorum“ (→ Wenden, → Sorben). In Deutschland und seinen Nachbarstaaten lassen sich ca. 120 bestehende Wendenstraßen, 40 umbenannte Wendenstraßen und 14 Sorbenstraßen nachweisen.

Wendenstraßen in Braunschweig; Fotografin: Anja Pohontsch, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Wendenstraßen mittelalterlichen Ursprungs sind in über 30 Städten und etwa 20 Dörfern zu finden. Zu den Städten zählen Braunschweig (Ersterwähnung des Straßennamens 1268), Rostock (1317), Hameln (1407), Lüneburg (1432), Plön (1468), Stendal (1475). Auch in Städten mit polnischem, slowakischem oder slowenischem Umfeld bestanden Wendenstraßen, z. B. in Kolberg/heute: Kołobrzeg (Polen), Oels/heute: Oleśnica (Polen), Rügenwalde/heute: Darłowo (Polen), Kaschau/Košice (Slowakei), Eperies/Prešov (Slowakei), Göllnitz/Gelnica (Slowakei), Bartfeld/Bardejov (Slowakei), Marburg an der Drau/Maribor (Slowenien), Villach/Beljak (Österreich). Wendische Tore sind entweder Abschlüsse von Wendenstraßen (→ Bautzen, Braunschweig, Rostock, Zeitz) oder liegen an Straßen in das wendische Gebiet (Berlin, Neubrandenburg, Wesenberg). Es kann angenommen werden, dass in den Wendenstraßen anfangs v. a. slawische Bewohner lebten, etwa infolge von Umsiedlungen beim Anlegen der Stadt. Gelegentlich zogen mittelalterliche Wendenstraßen weitere Straßenbezeichnungen mit wendischem Namensbezug nach sich, ohne dass eine slawische Besiedlung vorausgesetzt werden muss. In Braunschweig entstanden an der Wendenstraße mit dem zugehörigen Wendentor die Straßennamen Am Wendentor, Wendentorwall, Wendenring, Am Wendenwehr und Wendenmaschstraße. Als Ausklang solcher Namensgebungen ist der Wendische Kirchhof in Bautzen anzusehen, der seinen Namen erst nach 1619 erhielt, als die Michaeliskirche sorbische Gemeindekirche wurde (→ Wendische Kirchen).

Zweisprachiges Straßenschild in Bautzen; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Wendenstraßen bestanden seit dem Spätmittelalter auch in Dörfern, wobei eine Abgrenzung zu Namensgebungen der Neuzeit nicht immer möglich ist. Für das westthüringische Dorf Breitungen ist eine Windische Gasse für 1349 nachgewiesen. Die dörflichen Wendenstraßen bildeten häufig einen eigenen Siedlungsschwerpunkt neben dem Dorfkern. Auffällig ist das gehäufte Auftreten von Wendenstraßen in Dörfern des mittleren Saaletals (Kannawurf, Leuna-Daspig, Meineweh, Niemberg, Roitzsch, Spergau, wohl auch Naumburg-Grochlitz und Greiz-Pohlitz) sowie in Holstein (Grube, Hollingstedt an der Treene, Meimersdorf ). Wendenhof, Wendischer Hof u. Ä. waren Einzelgehöfte im Gefilde, bei denen eine slawische Gründung oder Bewirtschaftung angenommen werden kann. Aus den Wendenhöfen konnten sich in der Neuzeit Straßenbezeichnungen herausbilden (Kliestow, Lohe, Obertaufkirchen, Schwallungen, Schwerin, Walderbach). Fünf Wendenhöfe existieren im Osten Baden-Württembergs (Adelmannsfelden, Blaufelden, Dörzbach, Neuffen, Sigmaringen).

Die zweite, bis in die Gegenwart reichende Gründungsphase von Wendenstraßen begann Mitte des 19. Jh., als Siedlungserweiterungen einen Bedarf an neuen Straßennamen erzeugten. Ausschlaggebend für die Namenswahl konnten Reminiszenzen an die slawische Vergangenheit sein, besonders dann, wenn bereits im Ortsnamen ein solcher Bezug deutlich wurde (Wendenstraße in Wentorf, Windisch Brachbach, Windischletten, Wendhausen). In Berlin-Köpenick brachte die Erinnerung an den Wendenfürsten Jaczo (Jaxa) mehrere wendische Namensgebungen hervor; 1895 wurde die Wendenstraße benannt. Ein am Müggelsee um 1900 errichteter Turm hieß Wendenturm. Aus dem Namen einer Gaststätte entstand 1905 die Wendenschlossstraße. Auch in der Umgebung entstanden Wendenstraßen (Berlin-Altglienicke 1906, Berlin-Kreuzberg 1880, Berlin-Schmöckwitz nach 1866). Kleingartenanlagen in Köpenick und Adlershof wurden als Wendenaue und Wendenheide bezeichnet. Ähnlich romantisierende Tendenzen dürften den Namen Wendenkönigstraße in Burg (Spreewald) und Zum Wendenfürst in Steinkirchen bei Lübben zugrunde liegen. Anklang an die sorbische Auswanderung nach Südaustralien ist die Wendish Road in St. Kitts, Barossatal. Eine junge Namensgebung im ländlichen Raum ist die Sorbische Straße von Großdubrau nach Brehmen (Kreis Bautzen).

Seit der Mitte des 19. Jh. wurden bei der Neuanlage städtischer Siedlungen häufig thematisch einheitliche Straßennamen vergeben. In solchen „Taufbezirken“ mit Straßennamen deutscher Volksstämme oder Landschaften wurde 24 Mal die Bezeichnung Wendenstraße und dergleichen verwendet (Liste 2). In vier Taufbezirken bestehen gleichzeitig Sorben- und Wendenstraßen (Berlin-Altglienicke, Dortmund-Oespel, Hamburg- Hammerbrook, Schwarzenbek).

Umbenennungen von Wendenstraßen konnten wegen Funktionswechsels oder aus politischen Motiven erfolgen. Die Wendenstraße in Plön wurde nach der Gründung eines Augustinerinnen-Schwesternhauses Klosterstraße genannt. Der Wendische Markt in Erfurt wurde zum Wenigemarkt. 1742 erfolgte im Zuge der schlesischen Ambitionen des preußischen Königs Friedrichs II. die Umbenennung des Berliner Wendentors in Schlesisches Tor. Die Windische Gasse in Dresden wurde 1863 in Galeriestraße umbenannt, der Wendenmarkt in Stralsund 1869 in Badenstraße. Die frühere Wendenstraße in Villach heißt heute Italienerstraße. In der NS-Zeit erfolgten Umbenennungen von Wendenstraßen in Bautzen (Wendische Straße in Semperstraße, Wendischer Kirchhof in Röhrscheidtplatz – Rückbenennung nach 1945) und in Berlin (Berlin-Köpenick: Wendenstraße in Peter-Gast-Weg, Berlin-Schmöckwitz: Wendenstraße in Imkerweg). Nach 1945 wurden die Wendenstraßen in Polen, der Slowakei und Slowenien umbenannt. Einige Wendenstraßen in der DDR wurden zu Sorbenstraßen (Dresden-Dobritz, wohl auch Eilenburg, Naumburg-Grochlitz und Greiz-Pohlitz).

Lit.: F. Mětšk: Die Stellung der Sorben in der territorialen Verwaltungsgliederung des deutschen Feudalismus, Bautzen 1968; Die Slawen in Deutschland, Hg. J. Herrmann, Berlin, 2. Aufl., 1985; Alle Berliner Straßen und Plätze. Von der Gründung bis zur Gegenwart, Hg. H.-J. Mende, Bände 1–4, Berlin 1998.

37242 Allendorf Wendischer Markt 07955 Auma Am Wendischen Teich 07955 Auma Wendisches Dorf 02625 Bautzen Wendische Straße 02625 Bautzen Wendischer Graben 02625 Bautzen Wendischer Kirchhof 38100 Braunschweig Am Wendentor 38100 Braunschweig Am Wendenwehr 38100 Braunschweig Wendentorwall 38114 Braunschweig Wendenmaschstraße 38100 Braunschweig Wendenring 38100 Braunschweig Wendenstraße 99628 Buttstädt Windhöfe 03046 Cottbus Wendenstraße 37269 Eschwege Wendische Mark 18574 Garz Wendenstraße 18574 Garz Wendorfer Straße 37073 Göttingen Wendenstraße 31785 Hameln Wendenstraße 37308 Heilbad Heiligenstadt Windische Gasse 23774 Heiligenhafen Wendstraße 17440 Lassan Wendenstraße 21335 Lüneburg Im Wendischen Dorfe 21335 Lüneburg Wendische Straße 06618 Naumburg Wendenplan 18055 Rostock Beim Wendentor 18055 Rostock Wendenstraße 16303 Schwedt Wendenstraße 39576 Stendal Wendstraße 99423 Weimar Windischenstraße 17255 Wesenberg Vor dem Wendischen Tor 85283 Wolnzach Wendenstraße 06712 Zeitz Wendische Straße

21357 Barum St. Dionys Wendenweg 13595 Berlin-Spandau, Wilhelmstadt Wendenweg 12524 Berlin-Treptow, Altglienicke Wendenstraße 46395 Bocholt Wendenstraße 44793 Bochum OT Hamme Wendenstraße 45888 Gelsenkirchen OT Bulmke-Hüllen Wendenhof 27751 Delmenhorst Wendenstraße 44149 Dortmund OT Oespel Wendenweg 91522 Ansbach OT Elpersdorf Wendenstraße 99086/99089 Erfurt Wendenstraße 14612 Falkensee Wendensteg 97447 Frankenwinheim Wendenstraße 71723 Großbottwar Wendenstraße 03172 Guben Wendischer Ring 20537 Hamburg OT Hammerbrook Wendenstraße 85088 Irsching Wendenhof 96215 Lichtenfels Wendenstraße 23558 Lübeck OT St. Lorenz Süd Wendische Straße 24539 Neumünster Wendenstraße 99734 Nordhausen Wendenstraße 90475 Nürnberg OT Altenfurt Windenstraße 31226 Peine OT Schmedenstedt Wendenstraße 21493 Schwarzenbeck Wendenstieg 21680 Stade Wendenstraße 21465 Wentorf Wendenweg

Metadaten

Titel
Wenden­straßen
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Wenden­straßen
Autor:in
Malink, Jan
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Schlagwörter
Straßenname; Verkehrsweg; Wendisch
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Straßenname; Verkehrsweg; Wendisch
Abstract

Straßennamen mit dem Bestandteil Wend- bzw. Wind- (im 20. Jh. auch Sorb-), der auf die ursprünglich slawischen Bewohner des betreffenden Ortes verweist.

Abstract

Straßennamen mit dem Bestandteil Wend- bzw. Wind- (im 20. Jh. auch Sorb-), der auf die ursprünglich slawischen Bewohner des betreffenden Ortes verweist.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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