Westslawisches Volk in der Ober- und Niederlausitz, das im Deutschen früher meist „Wenden“ genannt wurde (z. T. auch
„Sorbenwenden“ oder „Lausitzer Serben“); in der Niederlausitz heute offiziell
„Sorben/Wenden“. Es bezeichnet sich selbst durch das Ethnonym obersorbisch
Serbja bzw. niedersorbisch Serby, im Singular jeweils
Serb.
Als gegen Ende der Völkerwanderung germanische Völker (u. a. Burgunder, Hermunduren) den Raum
östlich von Elbe und Saale verlassen hatten, rückten vermutlich nach 600
slawische Stämme aus dem Karpatenvorland in das Gebiet zwischen Ostsee und
Erzgebirge nach (Germania Slavica). Wie die weiter nördlich siedelnden
Obodriten, Lutizen, Drawehnopolaben oder Pomoranen rechnet man auch die südlich
wohnenden sorbischen Stämme meist zu den Elbslawen (→ Besiedlung). Die Vorfahren der heutigen
Lausitzer Sorben, die vom Bayerischen Geographen im 9. Jh. erstmals erwähnten
Lusizer und Milzener, scheinen aus Territorien östlich ihres
späteren Siedlungsgebiets in die Nieder- und Oberlausitz gekommen zu sein – bei
Letzteren gibt es auch andere Ansichten. Nach Auffassung zahlreicher Historiker
und Archäologen (u. a. Karlheinz
Blaschke, Joachim
Herrmann) bezog sich der Name der Sorben zunächst auf einige
Kernstämme, die zwischen Saale und Mulde siedelten und 631 in der Chronik des
Fredegar als „Surbi“ erstmals genannt wurden. Erst im Laufe des frühen
Mittelalters sei infolge zunehmender Verkehrsbeziehungen das Ethnonym auf die
anderen altsorbischen Stämme, darunter Lusizer und Milzener, übertragen worden.
Diese These stützt sich auf archäologische Funde z. B. von Bestattungsriten (→
Totenkult,
vorchristlicher), auf Keramikformen und Siedlungsbauten sowie auf
Erkenntnisse der slawistischen Namenkunde.
Dagegen vertritt der sorbische Sprachwissenschaftler Hinc
Schuster-Šewc die Auffassung, dass die Einwanderungsgeschichte
zumindest der Milzener nicht von den übrigen altsorbischen Stämmen getrennt
werden könne. Auch sie seien nördlich der Karpaten aufgebrochen, anschließend
über das Böhmische Becken gewandert und von dort in die Oberlausitz gelangt.
Schuster-Šewc beruft sich dabei auf die Chronik des Cosmas von Prag (verfasst 1119–1125), in der
sich der Name „Sorben“ auch auf die späteren Lausitzer Bewohner bezieht, v. a.
aber auf die lautliche Entwicklung des Stammesnamens
Surb/Sorb/Serb/Sarb. Dieser war bereits in der slawischen Urheimat
in zwei Lautvarianten (*Sьrbъ, *Sъrbъ) mit der Bedeutung
,Milchbruder‘ bzw. ,Angehöriger derselben Gens‘ entstanden und zudem identisch
mit dem Namen der auf den Balkan eingewanderten Serben. Demnach habe eine
Differenzierung in Einzelstämme mit eigenen Namen (wie z. B. Colodici, Glomaci)
erst nach der Sesshaftwerdung in der neuen Heimat begonnen.
Die Gruppe der Sorben umfasste ursprünglich rund 20 Einzelstämme, die im 7./8. Jh. ein Gebiet
von ca. 40 000 km2 bewohnten. Es lag zwischen Elbe und
Saale im Westen sowie Oder, Bober und Queis im Osten, die nördliche Grenze
verlief in etwa entlang einer gedachten Linie zwischen Frankfurt (Oder),
Köpenick und Zerbst, die südliche bildeten die Mittelgebirge. Die
Haupterwerbszweige waren Ackerbau und Viehzucht, ergänzt durch Fischfang, Bienenzucht und Jagd. Als Zuflucht bei Überfällen errichteten oder
nutzten die Sorben Burgwälle, wobei westlich von Oder
und Neiße mehr als 600, davon in den Lausitzen rund 200, nachweisbar sind. Ab
Ende des 8. Jh. bewirkte die erste deutsche Ostexpansion eine Einengung des
sorbischen Sprachraums, insbesondere des Streifens zwischen Saale und Elbe bzw.
Schwarzer Elster. Die in Großfamilien und Sippenverbänden lebenden Slawen waren
dem militärischen Druck des benachbarten deutschen Reiches auf Dauer nicht
gewachsen. 929 gründete König Heinrich
I. nach siegreichen Kriegszügen die Reichsburg Meißen, von wo aus
er weitere sorbische Stämme tributpflichtig machte. 963 verloren die Lusizer und
990 die Milzener endgültig ihre politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Mit der Errichtung von Bistümern wie Meißen, Merseburg und Zeitz (später
Naumburg) im Jahr 968 begann die Christianisierung der Sorben, die
bis Ende des 12. Jh. völlig in die deutsche Kirchenorganisation einbezogen
wurden. Eine nationalstaatliche Entwicklung wurde damit endgültig verhindert,
sorbische Sprache, Kultur und Tradition aber konnten sich in beiden Lausitzen
bis zur Gegenwart behaupten.
Im 12./13. Jh. wanderten deutsche Bauern und Handwerker in großer Zahl in unbesiedelte
Landstriche östlich von Saale und Elbe ein (→ Kolonisation). Dies führte v. a. in den westlichen und
mittleren Regionen allmählich zu unterschiedlichen Formen der Assimilation.
In den Übergangszonen erließen die Städte mitunter Sprachverbote. Das Kernland der Milzener
und Lusizer beiderseits der Spree war vom deutschen Landesausbau jedoch kaum
betroffen. Während westlich der Elbe bei den Daleminzern die sorbische Sprache bis 1500 praktisch erlosch,
kam es in den von den Ständen beherrschten, damals zur Böhmischen Krone
gehörenden Markgrafschaften Oberlausitz und Niederlausitz nach der Reformation zu einer kulturellen Eigenentwicklung. Im 16. Jh. wurden
90 % der Sorben protestantisch, ein Teil der zweisprachigen Oberlausitz blieb
katholisch (13 von etwa 200 Pfarrkirchen mit 20 000–25 000 Personen; → katholische Region). Die
Konkurrenz der Konfessionen förderte die Herausbildung des obersorbischen
Schrifttums, die Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs hemmten den
weiteren Aufschwung. 1635 fielen beide Lausitzen als erbliches Lehen an den
sächsischen Kurfürsten (→ Traditionsrezess). Danach unterstützte namentlich der Pietismus die
Herausgabe religiöser Literatur in Ober- und Niedersorbisch. Ende des 18. Jh., im Zeitalter der Aufklärung, begann
die nationale Bewusstwerdung der Sorben, die in der nationalen
Wiedergeburt in der ersten Hälfte des 19. Jh. gipfelte. Die Nationalbewegung führte
besonders in der Oberlausitz u. a. zur Entfaltung von Presse (→ Zeitungen, Zeitschriften) und Vereinswesen. Nach der Reichsgründung von 1871 erhöhte sich der
Germanisierungsdruck, der bereits seit Aufhebung der feudalen Abhängigkeit
wirkte; als Reaktion darauf entstand ab 1875 die Jungsorbische Bewegung, 1912 als
Dachverband sorbischer Vereine die Domowina.
Die etwas liberalere Minderheitenpolitik der Weimarer Republik ermöglichte den Sorben, die traditionell auf dem
Lande lebten, eine Erweiterung ihrer sprachlich-kulturellen Aktivitäten, was
durch die slawischen Länder unterstützt wurde. Zugleich führte die
fortschreitende soziale und ökonomische Modernisierung zur weiteren Anpassung an
die deutsche Mehrheit, sodass die subjektive Identifikation mit dem sorbischen
Ethnikum – namentlich in den industrialisierten evangelischen Gebieten –
kontinuierlich schwand. Die Nationalsozialisten wollten die Erinnerung an die
slawische Herkunft der „Ureinwohner“ Mitteldeutschlands auslöschen, indem sie ab
1937 jede öffentliche prosorbische Tätigkeit verboten, Orte umbenannten und die
aktive Intelligenz, vornehmlich Lehrer und Pfarrer, zwangsversetzten sowie die
Begriffe Sorben und Wenden aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verdrängten (→
NS-Zeit).
In der DDR wurde die Gleichberechtigung der Sorben erstmals in der Verfassung garantiert;
schon zuvor erließ der Sächsische Landtag das Gesetz zur Wahrung der Rechte der
sorbischen Bevölkerung (→ Sorbengesetze). In Bildung, Kultur, Wissenschaft und Verwaltung wurden
die Bedingungen für eine relative Autonomie, eine funktionale Zweisprachigkeit sowie die Pflege der Kultur geschaffen und finanziell
abgesichert, wobei als vorrangiges politisches Ziel die Einbindung der
Minderheit in das realsozialistische System galt. Die intensive Industrialisierung der Lausitzen, v. a. im Bereich Kohle und Energie
(→ Braunkohlenbergbau), brachte nach Kriegsflüchtlingen und Vertriebenen
einen weiteren Zustrom an deutscher Bevölkerung mit sich (→ Zuwanderung). Die Devastierung von über 100
Dörfern mit ca. 10 000 Sorben führte zu Umsiedlungen in dem noch 4 000 km2 umfassenden zweisprachigen Gebiet. Nach der
Wiedervereinigung suchten der Bund, Sachsen und Brandenburg die Regelungen zum
Minderheitenschutz an die Erfordernisse der parlamentarischen Demokratie und des
Rechtsstaats anzupassen. Die 1991 durch Staatsvertrag errichtete Stiftung für das sorbische
Volk gewährleistet seit 1992 den Erhalt der kulturellen und
wissenschaftlichen Institutionen, die sich die Sorben nach dem Zweiten Weltkrieg
schaffen konnten. In beiden Bundesländern garantieren die Verfassungen sowie
neue Sorbengesetze (Brandenburg 1994, Sachsen 1999) den noch ca. 50 000–60 000
bewussten Angehörigen des Volkes (die Sprecherzahl dürfte bei etwa der Hälfte
liegen) – ein Drittel in Brandenburg, zwei Drittel in Sachsen, hier etwa zur
Hälfte historisch evangelisch und katholisch – ihre Rechte auf Schutz und
Förderung nach modernen europäischen Maßstäben.
Lit.: Geschichte der Sorben. Gesamtdarstellung. 4 Bände, Bautzen 1974–1979; Die Slawen in
Deutschland. Ein Handbuch, Hg. J. Herrmann, Berlin, 2. Aufl., 1985; Die Sorben
in Deutschland. Serbja w Němskej. Sieben Kapitel Kulturgeschichte, Hg. D.
Scholze, Bautzen 1993; H. Schuster-Šewc: Sorben, Milzener, Lusizer. Zu Ursprung
und Ausbreitung slawischer (altsorbischer) Völker- bzw. Stammesnamen, in:
Lětopis 51 (2004) 2; P. Kunze: Kurze Geschichte der Sorben, Bautzen, 4. Aufl.,
2008.