Westslawischer Stamm, der nach 600 in das Gebiet der späteren Oberlausitz einwanderte (→ Besiedlung). Die Milzener, deren Urheimat wie
bei den anderen slawischen Stämmen nördlich der Karpaten zwischen Weichsel und
Dnepr vermutet wird, gelangten im Zuge der Völkerwanderung bis an die Spree. Sie
gehörten wie die Lusizer zu den
größeren der rund 20 altsorbischen Stämme, die den südlichen Teil der Elbslawen
bzw. Polaben bildeten (zwischen Saale/Elbe und Bober/Queis). Das dicht
besiedelte Kerngebiet der Milzener erstreckte sich in einem ca. 20 km breiten
und 40 km langen, fruchtbaren Gefildestreifen zwischen dem späteren Kamenz im Westen und dem Weißen Schöps
westlich von Görlitz im Osten, dem
Oberlausitzer Bergland im Süden und einem ausgedehnten Heidewald im Norden.
Zentrum war die Stammeshauptburg Budissin (→ Bautzen). Der bisher nicht eindeutig geklärte Stammesname –
slawisch Milčane, lateinisch Milzeni oder Milzini – ist eventuell nicht
slawischer Herkunft. Er verschwand nach der Unterwerfung um das Jahr 1000, danach bestand bis ins 12. Jh.
noch der Landschaftsname Gau Milska oder Milzenerland.
Siedlungsgebiet der Milzener im 10. Jh. (mit Burgwällen); Karte:
Iris Brankatschk
Ähnlich wie die Lusizer besaßen die Milzener Mitte des 9. Jh. laut dem sog. Bayerischen
Geographen 30 Burgbezirke oder Hauptorte (Civitates), die jeweils mehrere Dörfer
umfassten (sorb. župa); in der Realität lag diese Zahl in der
Oberlausitz doppelt so hoch. Der Stamm zählte damals wohl bis zu 8 000 Menschen.
Als Bodendenkmale erhalten sind Burgwälle verschiedener Bauart,
die nach neueren archäologischen Forschungen in das 9./10. Jh. datiert werden
und wohl zur Abwehr von Angriffen aus dem ostfränkischen Reich dienten. Durch
das Territorium verlief ein bedeutender Handelsweg, der vom Rheinland über Leipzig, Krakau und Kiew bis nach Mittelasien führte, die spätere „Via Regia“.
Ansicht und archäologische Funde des Burgwalls in Ostro, historische
Postkarte; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Die Milzener stellten zunächst Keramik des sog. Tornower Typs her. Ihre Wirtschaft beruhte auf Ackerbau und Viehzucht, daneben wurden
Jagd, Fischfang und Bienenzucht betrieben. Ab etwa 850
führten sie ein selbstständiges Stammesleben, in dem Adlige bzw. Älteste
dominierten. Während sich im 10. Jh. hinter den Grenzen ein deutscher, ein
polnischer und ein böhmischer Staat formierten, schufen die Elbslawen kein
eigenes Staatswesen. Nach der Konsolidierung des ostfränkischen Reiches besiegte
König Heinrich I. neben anderen
slawischen Stämmen 932 auch Milzener und Lusizer und machte sie tributpflichtig.
Nach mehreren Erhebungen und zeitweiliger erneuter Unabhängigkeit wurden die
Milzener, die sich 963 noch einmal befreien konnten, 990 durch Markgraf Ekkehard I. endgültig besiegt. Ihr
nationales und politisches Schicksal war von da an – mit kurzen Unterbrechungen
– fest mit dem Reich verbunden. An die Stelle einheimischer Aristokratie traten,
oft infolge gewaltsamer Eingriffe, deutsche Feudalherren als Träger der neuen
Oberhoheit. Verbesserungen in der Landwirtschaft und die damit verbundene
Steigerung der Erträge führten zu einer Bevölkerungszunahme, die eine
Erweiterung des Siedlungslandes notwendig machten. Die „innere“ Kolonisation, an der maßgeblich sorbische
Bauern beteiligt waren, erfolgte insbesondere in nördlicher Richtung. Große
Teile des Heidewaldes wurden gerodet und es entstanden neue Siedlungen um
Hoyerswerda, Spremberg und Weißwasser. Hier kam es zu Kontakten mit
den nördlich angrenzenden Slawen, den späteren Niedersorben.
Nach der Unterwerfung der slawischen Bevölkerung begann die langwierige Christianisierung, unterstützt durch die Gründung des Bistums
Meißen 968. Die slawischstämmige
Bevölkerung der Lausitz, deren
Selbstbezeichnung Serb lautet, konnte die eigene Sprache, Kultur und
Tradition über mehr als 1 000 Jahre hinweg bewahren. Als Nachfahren der Milzener
leben die Obersorben bis zur Gegenwart im östlichen Sachsen und sind Teil der
nationalen Minderheit bzw. des autochthonen Volkes der Sorben.
Lit.: J. Brankačk/F. Mětšk: Geschichte der Sorben, Bd. 1, Bautzen 1977; L. Leciejewicz:
Jäger, Sammler, Bauer, Handwerker. Frühe Geschichte der Lausitz bis zum 11.
Jahrhundert, 2. Aufl., Bautzen 1985; K. Blaschke: Beiträge zur Geschichte der
Oberlausitz. Gesammelte Aufsätze, Görlitz/Zittau 2000; Geschichte der
Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende
des 20. Jahrhunderts, Hg. J. Bahlcke, Leipzig 2001; Besunzane – Milzener –
Sorben. Die slawische Oberlausitz zwischen Polen, Deutschen und Tschechen, Hg.
J. v. Richthofen, Görlitz/Zittau 2004.