Kulturelle Großveranstaltung mit Volksfestcharakter, die sorbische Kultur, Kunst
und Folklore öffentlich darstellt, seit den 1920er Jahren meist von der Domowina organisiert. Im Sorbischen
wurden die Bezeichnungen zjězd ›Zusammenkunft‹ und zlět
(wörtlich ›Zusammenflug‹) verwendet, später auch festiwal.
Festumzug beim Domowina.Treffen in Hochkirch, 1926; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Programm zum 50. Jahrestag der Maśica Serbska in Vetschau, 1930; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Zu über Vereinsfeste hinausgehenden Veranstaltungen kam es mit der Etablierung
der sorbischen bürgerlichen Kultur ab Mitte des 19. Jh.; 1845 fand das erste
Gesangsfest in Bautzen statt. Um
1900 folgten zeittypische Chortreffen, die vorbildhaft wirkten. Vereinsjubiläen
– beliebt war das Jubiläum ihrer Stiftungen oder Fahnenweihen – boten den
Anlass, um andere Vereinigungen einzuladen und gemeinsam zu feiern. Durch die
Domowina als Dachorganisation sorbischer Vereine konnten solche Festlichkeiten
ab 1912 auf breiterer organisatorischer Grundlage inszeniert werden (→ Vereinswesen).
Sorbisches Volkstreffen in Bautzen, 1950; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Das erste Gesamt-Vereinstreffen (»wšotowarstwowy zjězd/zlět«) fand 1924 in
Quatitz statt. Bis 1935 folgten
sechs weitere, jeweils als »allsorbisches Treffen« (»wšoserbski zjězd«)
ausgerufene Domowina-Feste sowie 1930 ein Treffen unter Regie der
niedersorbischen Maśica Serbska (→ Maćica Serbska) in
Vetschau. Das Programm der
eintägigen Veranstaltungen bestand meist aus Gottesdienst, Festumzug,
Ansprachen, musikalisch-literarischen Darbietungen und abendlichem Tanz. Die
Volkstreffen der 1920er Jahre waren von der Sokoł-Bewegung inspiriert. Das Schauturnen der Turnvereine gehörte
daher bis 1933 zu den obligatorischen Programmpunkten. (Oft wurde der vom Sokoł
benutzte Begriff »zlět« statt »zjězd« gewählt.) Im Gegensatz zur zunehmenden Assimilation förderten derartige Begegnungen unter den Teilnehmern die
Identifikation mit dem Sorbentum. Die Treffen zielten auf nationalpolitischen
Prestigegewinn: Das sorbische Volk sollte sich versammeln, um »sein Sorbischsein
zu demonstrieren« (1926) und »seinen Lebenswillen zu bezeugen« (1927). Neben den
Volkstreffen fand im Spreewald eine
Reihe von Trachtenfesten mit touristischer Ausrichtung statt.
Plakat zum Sorbischen Kulturtreffen in Burg (Spreewald) von Fryco Latk, 1951; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Nach 1945 gab es verschiedene kleinere regionale Treffen und Manifestationen: z.
B. 1946 und 1947 Kreisverbandstreffen der Domowina in Crostwitz und Hoyerswerda, 1947 Grundsteinlegung für das
neue Haus der Sorben in
Bautzen, 1948 Treffen der Jugendbrigaden in Uhyst (Spree) (→ Brigadebewegung). Die erste Massenveranstaltung nach dem Krieg mit 150
000 Besuchern, war das große Volkstreffen im Juli 1950 in Bautzen. Als Ehrengast nahm
DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck
daran teil. Kultureller Höhepunkt waren der Auftritt eines Chors mit 500
Sängerinnen und Sängern und eine Tanzszene mit 2 000 Schülern in sorbischer Tracht.
Die Kultur der Massen (besonders der Arbeiter und Bauern) wurde, anknüpfend an
national geprägte Sokoł-Ideale, unter sowjetischem Einfluss als Gegenpol zur
individualisierten Kultur des Bürgertums und als Ausdruck der sozialen Befreiung
betrachtet. Auch bei den nachfolgenden Volkstreffen wie 1951 in Burg (Spreewald) und 1956 in Bautzen fanden
derartige Programme Anklang. Ab den 1950er Jahren entstand eine differenzierte
Festkultur, die dank der gestiegenen Mobilität der Bevölkerung überregionale
Resonanz gewann, z. B. 1954 Domowina-Treffen in Radibor, seit 1956 Heidetreffen in Commerau (bei Großdubrau), seit 1970 Dorffestspiele in
Bröthen.
Teilnehmer aus der Niederlausitz beim Sorbischen Volkstreffen in Bautzen, 1956; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Kulturprogramm beim IV. Festival der sorbischen Kultur in Bautzen, 1976; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Das Festival der sorbischen Volkskunst in Wittichenau 1964 wurde zum Auslöser und zum Namensgeber für die
sieben Festivals der sorbischen Kultur, die von 1966 bis 1989 als Großereignisse
in Bautzen stattfanden. Den zentralen Festivals gingen Kreisfestivals in den
regionalen Domowina-Verbänden der Ober- und Niederlausitz voraus. Die Festivals entwickelten sich zu
aufwendigen, mehrtägigen Veranstaltungen mit jeweils über 100 Programmpunkten,
Tausenden von Beteiligten und zuletzt mehr als 150 000 Besuchern. Die
professionelle Vorbereitung oblag jeweils einem Komitee unter Leitung des
Staatssekretärs im Ministerium für Kultur der DDR. Die Festivals der sorbischen
Kultur boten ein Forum sowohl für Laienschaffende, die sich im Vorfeld
qualifizierten, als auch für die Berufskunst, die neue Aufträge erhielt. Das
kulturelle Angebot war breit gefächert: Ausstellungen bildender Künstler und
Volkskünstler, Auftritte von in- und ausländischen Stars, Bühnenprogramme des
Sorbischen
National-Ensembles, Theaterinszenierungen, Filmvorstellungen, Premieren
zeitgenössischer Musik, Kinderprogramme sowie ein buntes Markttreiben gehörten
dazu. Für das sorbische Publikum besaßen die Aufführungen selten oder noch nie
gespielter Stücke des klassischen Musikrepertoires einen hohen
Identifikationswert. Gleichzeitig wurden die Festivals, wie auch schon die
Volkstreffen in den 1950er Jahren, politisch instrumentalisiert. Nicht die
sorbische Kultur, sondern das »sozialistische Vaterland« bestimmte die
offiziellen Losungen – so stand 1972 das Festival unter dem Motto »Unsere Liebe,
Treue und Kraft dem sozialistischen Vaterland – der DDR«, 1980 feierte man es
als »Sozialistisches Volksfest und Fest der Völkerfreundschaft«. Regelmäßig
wurde es zu runden Jahrestagen der Gründung der DDR oder des »Sieges über den
Faschismus« in Bezug gesetzt. Zu den Ehrengästen zählten stets eine Delegation
der Partei- und Staatsführung sowie ausländische Diplomaten, besonders aus
slawischen Ländern. In dem umfangreichen Festgeschehen auf den Straßen und
Plätzen Bautzens trat die sorbische Sprache in den Hintergrund.
Festumzug beim IX. Internationalen Folklorefestival „Łužica“ in Crostwitz, 2011; Fotograf: Rafael Ledschbor
Nach der politischen Wende
von 1989/90 kam es zu einer kontroversen Bewertung dieser Aktivitäten. Die
Domowina knüpfte nun wieder an Traditionen der kleineren Sorbentreffen an (1994
in Raddusch, 2000 in Schleife). Seit 1995 findet alle zwei Jahre
in Crostwitz sowie an anderen Orten, auch in der Niederlausitz, das
Internationale Folklorefestival »Łužica« statt, bei dem Tanz- und Gesangsgruppen
aus Minderheitenkulturen dem Publikum ein abwechslungsreiches Programm
bieten.
Lit.: M. Völkel: Zjězdy, zlěty, schadźowanja a festiwale, Budyšin 1979 (Pokiwy a
literatura za Domowinske dźěło, 49); M. Wałda: Na socialno-komunikatiwnej
kwaliće zaleži. Něšto w naležnosći masopolitiskich swjedźenjow, festiwalow a
kwasnych ćahow, in: Rozhlad 39 (1989) 12.
29. Juli 1924 |
in Quatitz |
5. Juli 1925 |
in Wittichenau |
15. Juni 1926 |
in Hochkirch |
17. Juli 1927 |
in Radibor |
13. Juli 1930 |
in Königswartha |
10. August 1930 |
in Vetschau (50-jähriges Jubiläum der Maśica Serbska) |
15. Juli 1934 |
in Radibor |
18. August 1935 |
in Hoyerswerda (Domowina-Kreisverbandstreffen) |
8.-9. Juli 1950 |
in Bautzen (Zjězd Serbow) |
30. Juni-1. Juli 1951 |
in Burg (Spreewald) (Serbski kulturny zjězd) |
7.-8. Juli 1956 |
in Bautzen (Zjězd Serbow) |
27.-28. Juni 1964 |
in Wittichenau (Festiwal serbskeho ludoweho wuměłstwa) |
I. 18.-26. Juni 1966 |
II. 12.-26. Mai 1968 |
III. 18.-28. Mai 1972 |
IV. 26.-30. Mai 1976 |
V. 26. Mai-1. Juni 1980 |
VI. 26. Mai-2. Juni 1985 |
VII. 29. Mai-4. Juni 1989 |
25.-26. Juni 1994 |
in Raddusch, Tage der sorbischen Kultur (Dny serbskeje
kultury/Serbski swěźeń) |
30. Juni-2. Juli 2000 |
in Schleife, Fest der sorbischen Kultur (Zjězd Serbow) |