Einrichtung zur Lehre und Erforschung von Sprache, Literatur, Geschichte und Kultur der Sorben in Leipzig. Mit Beginn des
Wintersemesters 1951/52 wurde an der Leipziger Universität ein „Sorbisches
Institut“ gegründet (seit 1969 Institut für Sorabistik), das Sorabisten in allen
Disziplinen auszubilden und zugleich eigene Projekte zu erarbeiten hatte. Ihm
wurden zwei Aufgaben übertragen: 1. akademische Ausbildung sorabistischer
Fachkräfte für die zweisprachige Lausitz,
wobei das dominierende Lehramtsstudium für die Oberstufe vorwiegend in den
Kombinationen Russisch/Sorbisch sowie Deutsch/Sorbisch und Geschichte/Sorbisch
angeboten wurde; 2. wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Sorabistik.
Bereits 1949 richtete die Leipziger Universität ein Lektorat für Sorbisch ein, das auf
Empfehlung der Domowina
Michał Nawka übernahm. Die
Durchführung der Vorlesungen, Seminare und Übungen am Institut oblag anfangs
externen Lehrbeauftragten. Lehrmaterialien existierten nicht, ihre Erstellung
erfolgte sukzessive, da sich die dazu notwendige Grundlagenforschung am
gleichfalls 1951 gegründeten Institut für sorbische Volksforschung (seit 1992
Sorbisches Institut) in Bautzen noch im Anfangsstadium befand. Das
Staatssekretariat für Hochschulwesen berief die Direktoren der
Universitätsinstitute für Slawistik, Reinhold
Olesch, und für Allgemeine Geschichte des Mittelalters, Heinrich Sproemberg, gemeinsam zu
kommissarischen Leitern. Bis 1955/56 bestand das Institut aus zwei
selbstständigen Abteilungen: für Sprache und Literatur bzw. für Geschichte. Nach
dem Weggang Oleschs 1953 nach Köln
empfahl das Staatssekretariat eine Personalunion zwischen dem Bautzener und dem
Leipziger Institut, sodass im Juli 1953 Pawoł
Nowotny kommissarisch Mitdirektor wurde. Im Studienjahr 1955/56
wurde Pawoł Nedo zum Direktor ernannt.
Außerdem nahm Heinz Schuster-Šewc als
Leiter der Abteilung Sprach- und Literaturwissenschaft seine Tätigkeit in
Leipzig auf. Nach dem Wechsel Nedos nach Berlin wurde Schuster-Šewc 1964 zum
Direktor berufen. Im Zuge der Hochschulreform 1969/70 wurde das nunmehrige
Institut für Sorabistik der Sektion Theoretische und Angewandte
Sprachwissenschaft (TAS) der Karl-Marx-Universität beigeordnet.
Feierlichkeiten zum 20jährigen Jubiläum des Instituts für
Sorabistik in Leipzig, 1971; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Die Ausbildung des Nachwuchses für die Schulen bzw. die kulturellen und wissenschaftlichen
Einrichtungen in der Lausitz galt von Beginn an als Schwerpunkt der
Institutstätigkeit. Ab dem Studienjahr 1953/54 wurde das Lehrprogramm erweitert.
Es umfasste nun Veranstaltungen zur ober- und niedersorbischen Sprache, Sprachgeschichte, vergleichenden Grammatik sowie
zur sorbischen Literatur und Geschichte. 1964 wurde ein Lehrstuhl für
Sorabistik, 1968 eine Dozentur für Literatur und 1969 eine weitere für
Geschichte eingerichtet. Die ab 1966 gemeinsam mit dem Sorbischen Institut für
Lehrerbildung in Bautzen aufgebaute Ausbildung im Fach Methodik des
Sorbischunterrichts wurde 1971 von einem ständigen Mitarbeiter übernommen. Im
Studienjahr 1981/82 wurde die Fachrichtung Kulturwissenschaften/Sorabistik
eingeführt. Bis 1990 absolvierten einige Hundert Studierende ein
Sorabistikstudium.
Ab 1953 traten die Mitarbeiter des Instituts mit wissenschaftlichen und
populärwissenschaftlichen Publikationen hervor. In der Sprachwissenschaft, der
profilbestimmenden Disziplin, reichten die Arbeiten von Lehr- und Wörterbüchern sowie Grammatiken über die Analyse von
Sprachdenkmalen bis hin zu Standardwerken der Sprachgeschichte und Etymologie;
insbesondere das „Historisch-etymologische Wörterbuch der ober- und
niedersorbischen Sprache“ (Schuster-Šewc, 1978–1996) bildete einen Schwerpunkt
der Forschung. Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre wurde Material über
sorbische Dialekte gesammelt, das in den
„Sorbischen Sprachatlas“ (1965–1996) einfloss. Auf literarhistorischem Gebiet
wurde eine siebenbändige Werkausgabe von Handrij
Zejler vorgelegt (Hg. Lucija
Hajnec, 1972–1996). Der Historiker Jan Brankačk erarbeitete u. a. die Monografie „Die
Landbevölkerung der Lausitzen im Spätmittelalter“ (1990). Das Institut für
Sorabistik initiierte 1967 die Hochschulferienkurse für sorbische Sprache und
Kultur und führte sie im zweijährigen Turnus bis 1977 in Bautzen durch,
letztmals 1982. Ab 1992 übernahm das Sorbische Institut in Bautzen die
Ausrichtung der Kurse.
Einladung zur Eröffnungsveranstaltung des Wintersemesters 2020;
Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut; Grafik: Mato Šlegel
Nach der politischen Wende von 1989/90 blieb das
Leipziger Institut die einzige akademische Ausbildungsstätte für sorbische
Sprache, Literatur und Geschichte (abgesehen von einem Versuch an der
Universität Potsdam 1999–2004). Seit der personellen und strukturellen
Erneuerung der Universität, die 1994 mit der Annahme einer neuen Verfassung und
der Wahl der Leitungsgremien ihren Abschluss fand, ist das Institut für
Sorabistik der wiedergegründeten Philologischen Fakultät zugeordnet. Es wird im
Sächsischen Sorbengesetz von 1999 unter
der Rubrik „Wissenschaft“ aufgeführt. Sorabistik oder Lehramt Sorbisch können
unterdessen als eigenständige Studiengänge belegt werden. Trotz der relativ
geringen Zahl von Lehrkräften wird für die ca. 20 bis 30 Studierenden pro Jahr
das gesamte Spektrum an Vorlesungen, Seminaren und Übungen, an obligatorischen
und wahlobligatorischen Lehrveranstaltungen angeboten. Seit 1996 stellt die Stiftung für das sorbische
Volk jeweils drei Jahresstipendien für osteuropäische Studenten oder
junge Slawisten zur Verfügung. Honoraraufträge werden gelegentlich an
außeruniversitäre Lehrkräfte vergeben. Neu ist der internationale Studiengang
B.A. Europäische Minderheitensprachen.
Direktoren: Reinhold Olesch/Heinrich Sproemberg (1951–1953), Pawoł Nowotny (1953 –1955),
Pawoł Nedo (1955–1964), Heinz Schuster-Šewc (1964–1992), Ronald Lötzsch (1993–1995), Tadeusz Lewaszkiewicz (kommissarisch
1998–2001), Edward Wornar (seit
2003).
Lit.: H. Schuster-Šewc: Entwicklung der Sorabistik – Ausdruck der
Nationalitätenpolitik, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der
Karl-Marx-Universität Leipzig. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe,
Leipzig 23 (1974) 5; S. Hoyer: Die Entstehung des Sorbischen Instituts an der
Universität Leipzig (1951), in: Figuren und Strukturen. Historische Essays für
Hartmut Zwahr zum 65. Geburtstag, Hg. M. Hettling/U. Schirmer/S. Schötz, München
2002; D. Scholze: Die Institutionalisierung der Sorabistik nach dem Zweiten
Weltkrieg, in: Ebenda. www.uni-leipzig.de/~sorb/cms;
https://sorb.philol.uni-leipzig.de/start/