Namen unbesiedelter Flächen oder Objekte außerhalb von Ortschaften (z. B. Äcker
oder Wege), meist auch von kleineren Gewässern. Weitgehend synonym zum Begriff
Flurnamen sind die Termini Mikrotoponyme (Toponyme, → Ortsnamen) und
Anoikonyme (Nicht-Siedlungsnamen). Die Namendichte ist in agrarisch genutzten
Gebieten hoch. Flurnamen können sehr alt sein, z. B. Kanteppe, 1249
konothope, jedoch ist dies nicht die Regel; oft sind sie instabil.
Hierzu tragen der intensive Gebrauch durch einen festen, aber kleinen
Benutzerkreis (Dorfgemeinschaft) und die relativ spät (meist erst im 19. Jh.)
einsetzende Verschriftlichung bei. Bei der Interpretation von Flurnamen für
ältere Perioden ist Zurückhaltung geboten; dennoch sind sie eine wichtige Quelle
für Agrar-, Kultur- und Regionalgeschichte, Dialektologie usw.
Bedingt durch ökonomischen und sozialen Wandel im 20. Jh., besonders durch die Gründung von
Genossenschaften, ging die Verwendung der Flurnamen erheblich zurück. Daher
dokumentieren die älteren Regionalstudien in der Regel eine vergangene
Situation. Wegen der großen Zahl von Flurnamen, die leicht zu erklären sind (z.
B. delnje łuki ,die Nieder Wiesen‘), finden neben einer reinen
Namenauslegung auch soziologische Fragen Interesse (Namengebrauch durch
Sprechergemeinschaften, in sozialer Staffelung, in systemischer Sicht usw.). Die
historisch dominante Sprache einer Gemeinschaft entscheidet über die Flurnamen
der Umgebung. Im sorbischen Sprachgebiet herrschen daher sorbischen Bildungen
vor, die zweisprachigen Gegenden sind durch Interferenzen zwischen deutschen und
sorbischen Namen gekennzeichnet. Deutsche Bildungen werden dem sorbischen
Sprachgebrauch angepasst (Tonberg – Tómberk;
Torfwiesen – Torf-łuki), und vielfach gehen sorbische
Namen in das Deutsche über. Dort bleiben sie auch dann präsent, wenn der aktive
sorbische Sprachgebrauch nachgelassen hat, und zeugen als „sprachliche
Fossilien“ von der ursprünglichen Prägung der Landschaft, vgl. bei Hohenbocka (westl. Hoyerswerda): Wolschine Krey,
Rohatsch, Trieben, Puschtzina, Mutnica,
in den Brodisken, in Tschellitzka. Erst nach Umgestaltung
der Flur oder Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse kam es zu
Überlagerungen durch deutsche Flurnamen.
Sorbische Flurnamen um Ostro; Karte: Iris Brankatschk
Westlich der Elbe, wo die sorbische Sprache bis Ende des Mittelalters ausstarb, enthalten
noch etwa 2–5 % aller Flurnamen sorbisches Reliktwortgut, z. B.
Jeeserwiesen, Luckenstücken (zu altsorb. *jezer-
,See‘ bzw. *łuka ,Wiese‘). Während unter deutschen Flurnamen a)
Zusammensetzungen (Damm + Wiese), b) syntaktische Fügungen
(Unterste Tränke) und c) Flurbezeichnungen (Vor den schmalen
Wiesen) überwiegen, heben sich sorbische Flurnamen davon deutlich ab.
Sie sind meist a) Derivate (Čerwjen + ica, Zahon +
č + ik) oder b) Simplizia (Rěka), seltener c)
zweigliedrige (Fararjec kerki) oder d) sekundäre Bildungen (Za
dróhu).
Viele Bereiche des Alltags fanden Eingang in die Flurnamen: Landnutzung (Łuka
,Wiese‘, Chmjelnica ,Hopfengarten‘, Nowe polo ,Neues Feld‘),
Recht (Dańske ,Zinswiesen‘), Besitz (Fararjec ,Pfarrers
(Besitz)‘, Na Jórdanje ,Auf Jordans (Besitz)‘, Klóštrski
,Kloster- (Besitz)‘), Religion (Swjećatko ,Heiligenbild‘),
Volksüberlieferung (Mordwy puć ,Mordweg‘, Napoleonski kamjeń
,Napoleonstein‘), Spott (Srana hórka ,Kothügel‘). Traditionell
unterscheidet man Natur- von Kulturnamen. Erstere beziehen sich auf
Charakteristika der Umwelt (Lipina ,Lindengehölz‘, Bahno
,Sumpf‘), Letztere auf Einflüsse durch die Tätigkeit des Menschen
(Grenca ,Grenze‘, Winica ,Weinberg‘). Zwischen beiden
bestehen jedoch Unschärfen. Verbreitet sind Personennamen in Flurnamen, die
meist Besitzverhältnisse ausdrücken.
Flurnamen rückten später als Ortsnamen in das wissenschaftliche Blickfeld. Seit dem 19. Jh.
erschien eine Vielzahl von Publikationen unterschiedlicher Qualität, meist im
heimatgeschichtlichen Umfeld. Von größerer wissenschaftlicher Bedeutung sind
besonders die Arbeiten von Paul Kühnel
(„Die slavischen Orts- und Flurnamen der Oberlausitz“, 1891–1897, Nachdruck
1982) und von Arnošt Muka
(„Abhandlungen und Beiträge zur sorbischen Namenkunde“, 1881–1929, Nachdruck
1984). Weitere wichtige Arbeiten über Flurnamen im sorbisch-deutschen Siedlungsgebiet erschienen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. u. a. von
Bogumił Šwjela („Die Flurnamen des
Kreises Cottbus“, 1958), Lothar
Hoffmann („Die slawischen Flurnamen des Kreises Löbau“, 1959) und
Wolfgang Sperber („Die sorbischen Flurnamen des Kreises Kamenz (Ostteil)“,
1967).
Lit.: K.-D. Gansleweit: Untersuchungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte der
nordöstlichen Niederlausitz. Die Flur- und Ortsnamen im Bereich des früheren
Stiftes Neuzelle, Berlin 1982; U. Scheuermann: Flurnamenforschung, Melle 1995;
Reader zur Namenkunde III, 2. Toponymie, Hg. F. Debus/W. Seibicke,
Hildesheim/Zürich/New York 1996; Namenforschung. Ein internationales Handbuch
zur Onomastik, Hg. E. Eichler/G. Hilty/H. Löffler/H. Steger/L. Zgusta,
Berlin/New York 1996.