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Panslawismus
von Peter Kunze

Ideologische Bewegung seit Beginn des 19. Jh., die eine kulturelle und politische Einheit aller slawischen Völker anstrebte. Begründet wurde sie vom slowakischen Dichter Ján Kollár, der ein geistig-romantisches Zusammenwirken anregte. Nach 1830 nahm der Panslawismus stärker politische Züge an: Ziel wurde die Errichtung eines homogenen slawischen Staates bzw. eines losen Staatenbunds unter Führung Russlands. Ab den 1840er Jahren sahen sich auch die Sorben deutscherseits mit Vorwürfen des Panslawismus konfrontiert. In ihre Bemühungen um den Ausbau kultureller Kontakte zu anderen Slawen im Sinne der Wechselseitigkeit wurde ein politischer Inhalt hineininterpretiert. Ihnen wurde unterstellt, die Schaffung einer einheitlichen slawischen Nation unter russischer Führung zu beabsichtigen, was zur Bedrohung Deutschlands und der deutschen Interessen führen würde.

Presseorgane in Sachsen und der Oberlausitz warfen den Sorben wiederholt politischen Panslawismus im Dienste der russischen Zaren vor. Im Januar 1843 unterstellte ein anonymer Verfasser in der Zeitschrift „Der Erzähler an der Spree“, dass die Sorben, „von missverstandenem Panslawismus verleitet (…), eine völlige Unabhängigkeit von der deutschen Herrschaft verlangen“. Er sah im nationalen Aufschwung der slawischen Völker eine Gefahr für die deutschen Länder.

Die Reaktion der sorbischen Nationalbewegung auf diesen Artikel erfolgte rasch. Der junge Lehrer Jan Bohuwěr Mučink wies die Angriffe zurück. In einer „Entgegnung“ legte er den Standpunkt der „Lausitzer Serben“ (→ Wenden, → Wendisch) zur slawischen Wechselseitigkeit dar: „Sprachforschung, Ethnografie, Geschichte ist der Beweggrund des serbischen Panslawismus, sind die Haltepunkte, von welchen die Lausitzer Slawen an die übrigen gekettet werden.“ Der „serbische Panslawismus will das Nationalbewusstsein auf eine vernünftige und zeitgemäße Weise wecken, bilden und wahren, ohne deswegen zum Hasse gegen die Deutschen zu entflammen.“ Entschieden wies er die Behauptung zurück, die Sorben erstrebten eine Loslösung von Deutschland und einen Anschluss an Russland.

Postkarte aus Velehrad mit der Fürbitte in neun slawischen Sprachen: „Unserer Ahnen“

Die Panslawismusdiskussion der 1840er Jahre gewann kurz vor Ausbruch der bürgerlich-demokratischen Revolution an Intensität. Im Juni 1847 fand im Leipziger Redeübungsverein ein Vortrag über das Verhältnis der Slawen zu den Germanen statt, in dessen Verlauf der Historiker Heinrich Wuttke laut sorbischer Presse die Slawen „verleumdete“ und ihren nationalen Bestrebungen „alle nur möglichen schlimmen Tendenzen“ unterstellte. Solchen offenen Angriffen war die sorbische Bewegung nun mehrfach ausgesetzt. Deshalb lehnten die Sorben eine offizielle Beteiligung am Slawenkongress 1848 in Prag ab, obwohl sie eine Einladung erhalten hatten. Dies begründeten sie damit, dass dort Angelegenheiten der österreichischen Slawen und nicht der in Sachsen lebenden Sorben beraten würden, denen „panslawistische Gelüste“ fremd wären. Der zu jener Zeit in Prag lebende sorbische Publizist Jan Pětr Jordan nahm als Privatmann teil.

Bereits im Vorfeld war es zu einer Pressekampagne gegen den Kongress gekommen. In Bautzen wurde die Nachricht verbreitet, dass böhmische Emissäre in der Lausitz unterwegs wären und für die slawische Sache agitierten. Die Sorben wurden auch nach dem Slawenkongress weiter beargwöhnt. Nationalistische deutsche Kreise versuchten, ihren Kulturbestrebungen einen politischen Hintergrund zu suggerieren. Allein die Tatsache, dass in der Lausitz neben den deutschen und sächsischen Fahnen auch weißrote und blau-rot-weiße slawische Farben (→ Symbole, nationale) zu sehen waren, bot Anlass, den „sächsischen Lausitzern“ fehlende Loyalität gegenüber dem Königreich zu unterstellen. Trotz der vielfach ausgesprochenen Zusicherung der Sorben, „treue, biedere Sachsen und dem Gesetz immer gehorsame Staatsbürger zu bleiben“, hielten Misstrauen und Verdächtigungen an.

Entgegnungsschrift gegen deutsche Panslawismus-Vorwürfe von Jaroměr Hendrich Imiš, 1884; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Ihren Gipfel erreichten die antisorbischen Polemiken nach Gründung des Deutschen Reiches 1871. Mit dem Panslawismus wurden sorbenfeindliche Maßnahmen begründet und gerechtfertigt, eine deutsch-nationalistische Stimmung breitete sich aus. Die nationalen und kulturellen Bestrebungen der Sorben wurden pauschal verunglimpft, das persönliche Engagement ihrer Führer als deutschfeindliche Aktivität dargestellt, die von außen, von Russland oder Böhmen, gesteuert und finanziert wäre. Hintergrund für die Angriffe war das gespannte deutsch-russische Verhältnis. Daher wurden Kontakte der Sorben mit Russland als Bedrohung angesehen. 1882 behauptete die „Schlesische Zeitung“ unter der Überschrift „Die wendische Agitation in der Lausitz“, Bautzen sei „ein Zentrum des russischen Panslawismus“ geworden. Sie bezog sich dabei auf die wiederholten Russlandreisen, die Jan Arnošt Smoler seit 1859 unternommen hatte, um Geld für sorbische kulturelle Belange zu beschaffen. Smoler wurde vorgeworfen, er wäre ein „Agent des russischen Zaren“, der seine Agitation in der Lausitz mit russischem Geld betreibe und dabei das Ziel eines vereinten Slawenreiches verfolge. Dieser Artikel, der von anderen Zeitungen übernommen wurde, sorgte in Deutschland für Aufsehen. Auch die Entgegnungsschrift des evangelischen Pfarrers Jaroměr Hendrich Imiš „Der Panslawismus, unter den sächsischen Wenden mit russischem Gelde betrieben und zu den Wenden in Preußen hinübergetragen“ (1884), die zahlreiche Unwahrheiten und Verleumdungen widerlegen konnte, brachte keine Entspannung der aufgeheizten Stimmung. Später geriet auch das Wendische Seminar in Prag in den Blick nationalistischer Kreise. Den dort ausgebildeten katholischen Geistlichen wurde eine deutschfeindliche Gesinnung unterstellt und man empfahl, die Ausbildung nach Deutschland ins eigene Bistum zu verlegen. 1922 – nach Wiedererrichtung des Bistums Meißen – wurde das Seminar, offiziell aus kirchenrechtlichen Gründen, geschlossen. Dies war nach der 1920 erfolgten Einrichtung der Wendenabteilung eine weitere Reaktion auf Bestrebungen der sorbischen Führung um Arnošt Bart, der nach dem Ersten Weltkrieg zunächst Autonomie und später einen selbstständigen sorbischen Staat bzw. einen Anschluss der Lausitz an die Tschechoslowakei forderte. Dies bot dem deutschen Staat einen Vorwand zur systematischen Überwachung sorbischer kultureller und politischer Bemühungen und diente schließlich als formelle Handhabe zur Diskriminierung während der NS- Zeit.

Lit.: V. K. Volkov: K voprosu o proischoždenii terminov „pangermanizm“ i „panslawizm“, in: Slavjano- germanskie kul’turnye svjazi i otnošenija, Moskva 1969; P. Kunze: Die sorbische nationale Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Halle 41 G (1992) 3; P. Kunze: Jan Arnošt Smoler. Ein Leben für sein Volk, Bautzen 1995; P. Kunze: The Sorbian National Renaissance and Slavic Reciprocity in the First Half of the Nineteenth Century, in: Canadian Slavonic Papers, Ottawa 41 (1999) 2.

Metadaten

Titel
Panslawismus
Titel
Panslawismus
Autor:in
Kunze, Peter
Autor:in
Kunze, Peter
Schlagwörter
Agitation; Herrschaft; Kampagne; Romantik; Russland; Slawen; Verein
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Agitation; Herrschaft; Kampagne; Romantik; Russland; Slawen; Verein
Abstract

Ideologische Bewegung seit Beginn des 19. Jh., die eine kulturelle und politische Einheit aller slawischen Völker anstrebte.

Abstract

Ideologische Bewegung seit Beginn des 19. Jh., die eine kulturelle und politische Einheit aller slawischen Völker anstrebte.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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