Gewaltsame Landnahme, hier Eroberung der slawischen Stämme zwischen Elbe/Saale
und Oder/Neiße durch Herrscher des fränkisch-deutschen Reiches bis Ende des 1.
Jahrtausends. Als Elbslawen oder Polaben bezeichnet man die südliche Gruppe der
Slawen, die nach 600 an Elbe und Saale siedelten (→ Besiedlung) und damit in die Interessensphäre des
Frankenreiches und in die lateinischen Quellen gerieten. Wie aus der Chronik des
sog. Fredegar hervorgeht, hatte
Dervanus, ein »Herzog der Surbi«,
der bis dahin in einem Abhängigkeitsverhältnis zum fränkischen König Dagobert I. stand, 631 einen Sieg der
Slawen über diesen genutzt, um sich zu befreien und sich dem in Böhmen und
Mähren entstehenden Reich des Samo
anzuschließen. Die Polaben unternahmen daraufhin Kriegszüge in das benachbarte
Thüringen, bis sie durch Herzog Radulf
bezwungen wurden.
Die eigentliche Konfrontation der Elbslawen, darunter die altsorbischen Stämme,
mit dem Reich der Karolinger begann jedoch erst Ende des 8. Jh. Für 766 wird vom
Einfall fränkischer Krieger in die Gebiete östlich der Saale und von der
Niederwerfung der Slawen an der Weidahaburg (Wettaburg bei Naumburg) berichtet. 782 fielen die Sorben erneut in Thüringen ein, wurden aber wohl rasch
geschlagen bzw. für ein Bündnis mit den Franken gewonnen, denn 789 halfen sie
gemeinsam mit den Obodriten Kaiser Karl dem
Großen im Krieg gegen die Wilzen bzw. Lutizen. Während des
fränkischen Feldzugs gegen Böhmen 805 wurde der Anführer der Daleminzer (Glomaci), Semela, besiegt und musste seine Söhne als Geiseln ausliefern.
Im Jahr darauf fiel bei einem Kriegszug gegen die altsorbischen Stämme deren
Fürst Miliduch, woraufhin die
Franken zwei Burgen errichteten: eine an der Saale bei Halle und eine bei Magdeburg. Unbotmäßigkeit der Elbslawen
führte 816 zu einem erneuten Feldzug der Franken; nach Einnahme ihrer Burg
ergaben sich die Meuterer. 826 erscheint in den Quellen Fürst Tunglo, »unus de Soraborum
principibus«, der vor Kaiser Ludwig dem
Frommen des Treubruchs und Ungehorsams angeklagt war. Nachdem er
seinen Sohn als Geisel zurückgelassen hatte, wurde er in sein Land
überstellt.
Besiedlung der Gebiete zwischen Elbe/Saale und Neiße vom 7. bis 8. Jahrhundert.; Karte: Iris Brankatschk
Die Slawen nutzten die inneren Spannungen des Kaiserreichs, machten sich
unabhängig und gingen ihrerseits zu Angriffen über. 839 zogen die Sachsen »gegen
die Elbslawen genannt Colodicen« (an der unteren Mulde und der Saale), bei den
Gefechten starb Fürst Cimusclo, die
Franken hingegen eroberten die Stammeshauptburg Kesigesburg (Cösitz, Landkreis Anhalt-Bitterfeld) sowie
elf kleinere Burganlagen. Der neu gewählte Anführer leistete den Siegern den
Treueid, man übergab Geiseln und verpflichtete sich zur Entschädigung. 851
unterwarf Ludwig der Deutsche die
Sorben erneut. Als er 856 gegen die Daleminzer aufbrach, schlossen sich mehrere
andere Anführer an, was von einer differenzierten Slawenpolitik zeugt. Schon
zwei Jahre später, 858, begehrten die Elbslawen gegen die fränkische Herrschaft
auf, der frankentreue Fürst Cisćibor
(→ Wendenkönig) kam dabei um. Dies belegt
starke antifränkische Strömungen, ebenso die Ereignisse von 869, als die Sorben
zusammen mit den Tschechen und weiteren Nachbarn das Grenzgebiet der Thüringer
verwüsteten und die Rache der Franken heraufbeschworen. Die Niederlage der
Sachsen in der Schlacht gegen die Normannen 880 löste einen weiteren Überfall
der Daleminzer und Tschechen auf Thüringen aus, eine der slawischen Abteilungen
soll dabei völlig aufgerieben worden sein. Die von vielen Historikern vermutete
Abhängigkeit der sorbischen Stämme vom Großmährischen Reich zum Ende des 9. Jh.,
als das Ostfränkische Reich geschwächt schien, war wohl eine der Ursachen für
das Fehlen von Quellen. Der dreimal (849, 873, 880) in den Fuldaer Annalen
erwähnte Limes Sorabicus ist als
karolingische Mark zu verstehen, die das östliche Thüringen gegen die Slawen
sichern sollte.
Eine neue und für die Elbslawen entscheidende Phase der deutschen bzw.
sächsischen Expansion leitete König Heinrich
I. aus dem Haus der Ludolfinger ein. Bereits als Herzog von
Sachsen war er 905 und 906 gegen die Daleminzer gezogen, freilich ohne Erfolg,
was wohl an der Bedrohung durch die Ungarn lag, die von den Angegriffenen
ausgenutzt wurde. Heinrichs Kriege 921 und 922 richteten sich vermutlich gegen
Stämme an Weißer Elster, Mulde und mittlerer Elbe. Das östliche Grenzgebiet
sollten ein Netz von Burgen sowie eine Heeresreform sichern (u. a. eine
Straflegion in Merseburg). Nach
Unterwerfung der Heveller bzw. Stodoranen und Einnahme von Brandenburg 929 überfiel Heinrich die Daleminzer,
eroberte ihre Hauptburg Gana bei Lommatzsch, tötete die Verteidiger und entführte Frauen und
Kinder in die Sklaverei. Bei einem Feldzug gegen die Tschechen unterwarf er auch
den Stamm der Nisanen im Raum des heutigen Dresden. Nach einem Kriegszug gegen die Wilzen und der
Eroberung der Obodriten im Norden besiegte er 932 die Lusizer in der Niederlausitz und die Milzener in
der Oberlausitz und machte sie
tributpflichtig. Nach längerer Belagerung nahm er die Burg der Daleminzer
Liubusua (Löbsal bei Meißen) ein. Die 929 gegründete Reichsburg
Meißen wurde nun zum Zentrum deutscher Macht im Osten.
Heinrichs Sohn Kaiser Otto I. festigte
die Eroberungen und verknüpfte die Elbregion enger mit dem deutschen Reich. Der
Herrschaft über die Slawen dienten verschiedene politisch-militärische,
organisatorische und ideologische Maßnahmen, später auch eine eigene
Besiedlungsstrategie. Die neu errichteten Grenzmarken hatten einen politischen
Zweck. 937 wurde Gero zum königlichen
Legaten und anschließend zum Markgrafen an mittlerer Elbe und Saale ernannt, zu
seinem Einzugsbereich zählten mehrere elbslawische Stämme. Unter den 30
Stammesführern, die auf seinen Befehl hinterrücks ermordet wurden, waren mit
Sicherheit auch Sorben. Die Herrschaft des mit den Sachsen verbündeten
Hevellerfürsten Tugomir in Brandenburg
ab 940 bewirkte angeblich, dass »alle Barbarenvölker bis hin zum Fluss Oder«,
also überwiegend Sorben, sich Otto ergaben. 963 gelang es Gero, die Lusizer und
die Selpoli am östlichen Rand des elbslawischen Territoriums zu unterwerfen. Ab
diesem Zeitpunkt ist von einem Widerstand der südlichen Stämme gegen die
deutsche Oberhoheit nicht mehr die Rede; anders als im mittleren und im
nördlichen Gebiet, wo sich die Elbslawen – infolge des großen Obodritenaufstands
Ende des 10. Jh. – für mehr als 100 Jahre noch einmal von der Fremdherrschaft
befreiten.
Die südlichen Elbslawen verblieben für immer beim Reich, obwohl auf ihr
Territorium zeitweise Ansprüche durch Tschechen und Polen erhoben wurden, durch
Letztere bes. zur Zeit von König Bolesław
Chrobry (992–1025). Eine reguläre Kirchenorganisation erhielten
die Sorben 968, als zugleich mit dem Erzbistum Magdeburg, dem Zentrum der
Slawenmission, auch die Bistümer Merseburg, Meißen und Zeitz (1030 nach Naumburg verlegt)
errichtet wurden (→ Kirche). Als Teil eines
Plans zur Stärkung kirchlichen Einflusses auf die slawische Bevölkerung darf die
Ausgliederung des Bistums Bamberg
aus der Diözese Würzburg im Jahr
1007 angesehen werden, denn die Christianisierung der Slawen in Ostfranken – der sog. Main- und
Regnitzwenden –, die höchstwahrscheinlich zur Gruppe der Sorben gehörten, kam am
Beginn des 11. Jh. nur schleppend voran. Nach Geros Tod (965) wurde seine
ausgedehnte Mark in mehrere kleinere aufgeteilt, u. a. die Mark Lausitz, die
Sorbische Mark im Westen sowie die Marken Merseburg, Zeitz und Meißen. Der
Meißener Markgraf Ekkehard I.
unterwarf die Milzener und betrieb eine selbstständige Politik, er blieb als
Gegner Kaiser Heinrichs II. im Bündnis
mit Polen. Die Herrschaft von Bolesław in Meißen blieb eine Episode, die
Territorien der Lusizer und Milzener aber standen von 1018 bis 1031 unter
polnischer Hoheit. Ende des 11. Jh. fiel die Mark Meißen an die Wettiner.
1135–1146 und 1158–1253 gehörte das Gebiet der Milzener mit Bautzen zur böhmischen Dynastie der Přemysliden.
Die Ottonenherrscher betrieben östlich der Saale eine planmäßige, aber
unterschiedlich intensive Eroberungs- und Besiedlungspolitik. Zwar lässt sich
für die Herrschaft Heinrichs I. nur von einer Erweiterung im westlichen Vorfeld
Merseburgs sprechen, doch bereits unter Otto I. ist eine ausgeprägte
Kolonisation beiderseits der Saale zu erkennen. Nutznießer der ersten
königlichen Belehnungen westlich der Saale waren kirchliche Institutionen,
namentlich das St. Moritz-Kloster in Magdeburg; östlich der Saale (nicht über
die Mulde hinaus) waren es Mitglieder des Königshauses, etwas später (wohl ab
Mitte des 10. Jh.) auch Hofbeamte wie Grafen oder Markgrafen. Für die erste
Hälfte des 10. Jh. fehlt in den Quellen jeglicher Hinweis auf die slawische
Bevölkerung zwischen Saale und Mulde. Erst zum Ende jenes Jahrhunderts tauchen
einzelne Nachrichten über Belehnungen an Mulde und Elbe auf; Adressaten waren
zunächst ebenfalls geistliche Einrichtungen, die o. g. drei Bistümer sowie die
Abteien Nienburg und Memleben. Wohl auf Initiative Ottos wurden
die Grafschaftsverfassung und das Lehnswesen auf das östliche Grenzland
ausgedehnt, was um 1000 auch für die Niederlausitz nachweisbar ist. Im 10. Jh.
finden sich unter den bestätigten königlichen Vasallen nur Personen mit
deutschem Namen; Vertreter slawischer Nationalität tauchen in der ersten Hälfte
des 11. Jh. auf.
Eine führende Rolle bei der hochmittelalterlichen Kolonisation fiel Wiprecht von Groitzsch, Markgraf von Meißen und der Lausitz,
zu.
Lit.: W. Schlesinger: Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte
des Mittelalters, Göttingen 1961; W. Schlesinger: Kirchengeschichte Sachsens im
Mittelalter, 2 Bde., 2. Aufl., Köln 1983; R. Lehmann: Geschichte der
Niederlausitz, Berlin 1963; J. Brankačk/F. Mětšk: Geschichte der Sorben, Bd. 1,
Bautzen 1977; L. Leciejewicz: Jäger, Sammler, Bauer, Handwerker. Frühe
Geschichte der Lausitz bis zum 11. Jahrhundert, Bautzen 1982; G. E. Schrage:
Slaven und Deutsche in der Niederlausitz. Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte
im Mittelalter, Berlin 1990; G. E. Schrage: Zur Siedlungspolitik der Ottonen.
Untersuchungen zur Integration der Gebiete östlich der Saale im 10. Jahrhundert,
in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999); Geschichte der
Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende
des 20. Jahrhunderts, Hg. J. Bahlcke, Leipzig 2001.