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Prag
von Alfons Frencl

Hauptstadt Tschechiens (Böhmens), eines der alten Kulturzentren Europas mit heute ca. 1,3 Mio. Einwohnern (Stand 2019) und ehemals bedeutender Bildungsort sorbischer Studenten. Als Nebenländer der Krone Böhmen waren Ober- und Niederlausitz im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit vielfältig mit Prag verbunden. Die böhmischen Könige förderten die Entwicklung der königlichen Städte Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban und Löbau, die sie mit Privilegien ausstatteten. Sie ließen sich durch Landvögte vertreten, die auf der Ortenburg in Bautzen residierten. Von dieser Epoche zeugen Eide der Bürger, die für mehrere Lausitzer Städte auch in Sorbisch vorliegen. In Prag selbst erinnern am Altstädter Brückenturm und an der Brüstung des königlichen Oratoriums im St. Veitsdom die Wappen der Ober- und Niederlausitz an die Zugehörigkeit der Lausitzen zum böhmischen Länderverbund. 1348 entstand durch einen Stiftungsbrief von König Karl IV. in Prag eine der ersten Universitäten Mitteleuropas, an der seit Anfang des 15. Jh. zahlreiche Lausitzer studierten.

Im Prager Frieden von 1635 trat der deutsche Kaiser und böhmische König Ferdinand II. Ober- und Niederlausitz als erbliches Lehen an den Kurfürsten von Sachsen ab. Durch den Traditionsrezess behielten die Habsburger die Oberhoheit über die katholische Kirche in der Lausitz, wo das Domstift in Bautzen, die Klöster St. Marienstern (Panschwitz-Kukau), St. Marienthal (Ostritz) und Lauban sowie einige Patronatspfarreien am alten Glauben festhielten. Ende des 17. Jh. erarbeitete der aus Wittichenau gebürtige Jakub Xaver Ticin, Mitglied des Jesuitenkollegiums am Prager Klementinum, die erste gedruckte Grammatik der obersorbischen Schriftsprache, die „Principia linguae Wendicae“ (1679). Er schuf damit eine Grundlage für die katholische Variante der obersorbischen Schriftsprache. Mit seiner Geschichte des Wallfahrtsorts Rosenthal „Epitome historiae Rosenthalensis“ (1692) trug er auch zur sorbischen Kirchengeschichtsschreibung bei. Mit der Rekatholisierung in Böhmen einher ging ein Aufschwung der Künste, der ausländische Künstler und Handwerker nach Prag führte – darunter den aus Wittichenau stammenden Bildhauer Mathias Wenzel Jäckel (→ Bildende Kunst).

Um die in Böhmen studierenden katholischen Theologen aus der Lausitz stärker an ihr Herkunftsland zu binden, wählten zu Beginn des 18. Jh. die Brüder Jurij Józef Šimon und Měrćin Norbert Šimon z Willenberga Prag als Ort für die Gründung eines Wendischen Seminars. Dies erwies sich als günstig für die geistig-kulturelle Entwicklung der katholischen Sorben und der sorbischen Literatur. Sorbische Studenten wie Franc Jurij Lok, Jan Pětr Jordan oder Michał Hórnik trafen in Prag bedeutende Vertreter des tschechischen kulturellen Lebens und der slawischen Wechselseitigkeit wie Josef Dobrovský, Václav Hanka oder Jan Neruda. 1846 entstand in Prag die Studentenvereinigung Serbowka und in den 1870er Jahren wurde die Stadt, in der 1871–1881 auch Jakub Bart-Ćišinski studierte, neben Leipzig zum Zentrum der Jungsorbischen Bewegung. Autoren wie Mikławš Andricki, Jan Skala oder Jurij Wićaz prägte später der Kontakt mit der tschechischen Presse.

In Prag bestanden mehrere sorbische Bibliotheken, als wichtigste die Hórnik-Bibliothek. Die Sorabistik wurde ab 1901 an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität angesiedelt und erhielt dort erstmals den Rang eines Hochschulfachs. Die erste Lehrbefugnis für sorbische Sprache und Literatur besaß der Lektor Adolf Černý, 1933 wurde die erste Professur geschaffen, die Josef Páta und ab 1945 Antonín Frinta besetzten.

1907 entstand in Prag eine aktive sorbisch-tschechische Freundesgesellschaft. Sie bemühte sich nach der Schließung des Wendischen Seminars um Studienmöglichkeiten für Sorben, verlegte sorbische Literatur (→ Verlagswesen) und organisierte sorbische kulturelle Höhepunkte, so 1922 die Fahrt von über 100 Sängern nach Prag mit Empfang bei Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk oder die Teilnahme sorbischer Vereine an allslawischen Treffen des Sokol . 1932 inszenierte der Bund slawischer Frauen in Prag das sozialkritische Stück „Z chudych žywjenja“ (Aus dem Armenleben) von Marjana Domaškojc auf Tschechisch (→ Theater). Nach 1933 wurde Prag zum Exilort der dort studierenden jungen Sorben, z. B. von Jurij Chěžka, die in der handschriftlichen Zeitschrift „Gmejska heja“ (Gemeindekeule) offen über Repressionen der Nationalsozialisten berichteten. Auch Mina Witkojc wählte 1946, nach ihrer Verhaftung wegen „illegaler“ Tätigkeit für die Domowina, Prag als Wohn- und Zufluchtsort (bis 1954).

Nach 1945 diente Prag noch für ca. ein Jahrzehnt als Studienort für einen kleinen Teil des sorbischen akademischen Nachwuchses. Die Tätigkeit der Freundesgesellschaft wurde nach 1948 durch die Politik stark behindert, lebte aber dank dem Engagement einzelner Tschechen immer wieder auf. Bis nach 2000 bot die Prager Universität noch das Fach Sorabistik an. Seit 1993 präsentiert sich der Domowina-Verlag jährlich auf der hiesigen Buchmesse, was mit Leseveranstaltungen in sorbischer Sprache verbunden ist.

Prag nimmt in der sorbischen Literatur einen wichtigen Platz ein, sowohl im geistigen Horizont wie als Handlungsort einzelner Werke. Das Literatencafé „Slavia“ am Moldau-Ufer bot Mikławš Andricki Anregungen zur Beschäftigung mit slawischen Literaturen. Das Haus „Zu den zwei Sonnen“ in der Neruda-Gasse erinnert an die Freundschaft zwischen Jan Neruda und Michał Hórnik. Bart-Ćišinski, den Klassiker der modernen sorbischen Poesie, haben zeitgenössische tschechische Dichter während des Studiums maßgeblich beeinflusst. In der Tradition von Petr Bezruč stand Józef Nowak u. a. mit dem bekannten Gedicht „Złota Praha“ (Goldenes Prag). Als Ort des Geschehens dient Prag in Prosawerken von Andricki, Romuald Domaška, Jurij Brězan, Marja Młynkowa oder Jurij Koch. Breiten Raum nimmt die Stadt in der historischen Romantrilogie „Bosćij Serbin“ von Marja Kubašec ein, ebenso in der Romanbiografie über Bart-Ćišinski „Chcu domoj“ (Ich will nach Hause, 1983) der tschechischen Autorin Bohumila Šretrová.

Lit.: T. Meškank: Kultur besteht – Reich vergeht. Tschechen und Sorben (Wenden) 1914–1945, Berlin 2000; Praha a Lužičtí Srbové, Praha, 2005; A. Frenzel: Lausitz grenzenlos. Augenblicke der Geschichte, Bautzen 2008

Metadaten

Titel
Prag
Titel
Prag
Autor:in
Frencl, Alfons
Autor:in
Frencl, Alfons
Schlagwörter
Sorben; Böhmen; Tschechien; Theologiestudent; Theologiestudium; Universität; Wendisches Seminar; Hórnik-Bibliothek; Freundesgesellschaften; Serbowka; Slawische Wechselseitigkeit
Schlagwörter
Sorben; Böhmen; Tschechien; Theologiestudent; Theologiestudium; Universität; Wendisches Seminar; Hórnik-Bibliothek; Freundesgesellschaften; Serbowka; Slawische Wechselseitigkeit
Abstract

Hauptstadt Tschechiens (Böhmens), eines der alten Kulturzentren Europas; ehemals bedeutender Bildungsort sorbischer Studenten und zwischen 1728 und 1921 Sitz des Wendischen Seminars.

Abstract

Hauptstadt Tschechiens (Böhmens), eines der alten Kulturzentren Europas; ehemals bedeutender Bildungsort sorbischer Studenten und zwischen 1728 und 1921 Sitz des Wendischen Seminars.

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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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