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Kolonisation
von Karlheinz Blaschke und Peter Schurmann

Zielgerichtete Erschließung von nicht oder gering besiedelten Gebieten, in der Lausitz seit dem 7./8. Jh. und verstärkt im 13. Jh. Die äußere Kolonisation verbindet sich mit Zuwanderung, die innere Kolonisation mit dem Landesausbau. Sie bewirkt meist eine soziale und wirtschaftliche Innovation. In Europa betraf sie zuerst historische Randgebiete, etwa bei der deutschen Ostsiedlung. Innere Kolonisation meint dagegen die Gewinnung von unbenutztem Land, meist durch Rodung und Urbarmachung (Landesausbau). – Als die Milzener im 7. Jh. in das siedlungsgünstige Offenland um das spätere Bautzen einwanderten, war es vermutlich nicht besiedelt. Sie mussten den Boden landwirtschaftlich erschließen, um sich dauerhaft niederzulassen.

Eine neue Epoche der Landnutzung ist in der Oberlausitz seit dem Beginn des 13. Jh. nachweisbar. Sie ergibt sich aus dem Fortwirken der deutsch Kolonisation im meißnischen Gebiet, wo sie um 1100 mit dem Siedelwerk des Wiprecht von Groitzsch um Lausick begann und sich in der Gründung des flämischen Kolonistendorfs Kühren bei Wurzen 1154 fortsetzte. Für die Oberlausitz ergibt sich ein Anhaltspunkt aus zwei Urkunden von 1228, in denen die Grenze zwischen den Besitzungen des böhmischen Königs und des Bischofs von Meißen festgelegt war. Dieser nicht vollzogenen Trennung folgte 1241 die rechtskräftige, auf dem Königstein ausgestellte Urkunde, die als “Oberlausitzer Grenzurkunde“ für die frühe Landesgeschichte große Bedeutung besitzt. Sie nennt zahlreiche Ortsnamen sorbischer und deutscher Herkunft, erfasst also das Land bei fortgeschrittener Kolonisation, weshalb der Verlauf der Herrschaftsgrenzen genau zu bestimmen war. Die Gründung des Klosters St. Marienstern (Panschwitz-Kuckau) 1248 lässt sich dort einordnen. Dem Kloster St. Marienthal (Ostritz) wurde 1234 das wüst gewordene Seifersdorf übereignet, dessen Gründung schon längere Zeit zurücklag. Als Gründerin trat die böhmische Königin auf, denn der Ort gehörte zum Bistum Prag, sodass die Besiedlung offenbar von Süden her neißeabwärts erfolgt ist und eine zeitliche Beziehung zu St. Marienstern nicht unbedingt angenommen werden kann (→ Klöster). Bedenkt man die Ersterwähnung der oberlausitzischen Städte in der ersten Hälfte des 13. Jh., so ergibt sich ein Hinweis auf die Zeitstellung der bäuerlichen Kolonisation, die im Zusammenhang mit der Städtebildung zu sehen ist. Die Entwicklung der Ware-Geld-Beziehung erforderte die etwa gleichzeitige Anlage von neuen Dörfern und Städten in einem Gebiet.

Etwa ab 1200 wurden die lichten Heidewälder der nördlichen Ebene gerodet und in Ackerland umgewandelt, das nach der neuen Hufenordnung in Gewanne aufgeteilt und Kolonisten zugewiesen wurde. So entstanden die Gewannfluren, die sich auf dem flachen Gelände leicht vermessen ließen.

Sie existieren nur im Norden der Oberlausitz, wo die Bodenverhältnisse dies erlaubten. In der nördlichen Mitte des Landes erstreckt sich ein breiter Gürtel von Dorffluren, die in parallele Streifen aufgeteilt waren, weil hier das Bodenrelief eine Anpassung an das wellige Gelände erforderte. Diese „Gelänge“ verschafften der Ortsflur eine andere Form, gewährleisteten aber ebenso die gerechte Zuteilung von Grund und Boden an jeden Teilhaber. Ein Merkmal beider Flurformen ist die klare Unterscheidung von Dorfanlage und Flureinteilung. So entstanden geschlossene Dörfer, die sich als geplante Baukörper gegen die Dorffluren abgrenzten. Diese neuartigen Dörfer der Kolonisationszeit umfassten 20 bis 50 Bauernstellen. Darin bildete sich ein Gemeindeleben mit eigenen Rechts- und Wirtschaftsformen aus. Die Oberlausitz setzte sich vor der Teilung von 1815 aus 1 200 selbstständig verwalteten Orten mit ebenso vielen Ortsfluren zusammen.

Die weitere Zuwanderung von Siedlern richtete sich auf das Bergland der südlichen Landeshälfte, wo die Bodenverhältnisse und das Wetter ungünstigere Lebens- und Arbeitsbedingungen boten. Die Erschließung des Landes folgte den lang gestreckten Bachtälern, von denen aus den Kolonisten die Besitzanteile in Querrichtung zugeteilt wurden.

Die Höfe wurden entlang der Bäche in größeren Abständen auf dem eigenen Hufenland errichtet, das in den Wald hineingerodet wurde. So entstanden die Waldhufendörfer des Gebirges in der Einheit von Dorf- und Flurform. Die Kolonisation des 13. Jh. muss vom vorangegangenen sorbischen Landesausbau unterschieden werden, der eine Erweiterung einer bereits bestehenden Bodennutzung war.

Die Besonderheit der Kolonisation in der Oberlausitz liegt darin, dass sie Deutsche in das Gebiet der Sorben brachte. Die deutsche Besiedlung der Oberlausitz ist Teil der deutschen Ostkolonisation, die Sorben waren jedoch in beträchtlichem Umfang daran beteiligt. Die sorbische Besiedlung und der spätere sorbische Landesausbau (eine Form der inneren Kolonisation) hatten eine dicht bewohnte Siedlungsinsel geschaffen, die Bautzen als den Mittelpunkt des Landes einschloss. Der weitaus größere Teil der späteren Oberlausitz war um 1200 noch unbesiedelt, weil die Agrartechnik eine Erweiterung über das Gefildeland hinaus nicht erlaubte. Dies änderte sich mit dem Vordringen der deutschen Kolonisation, die mit technischen Neuerungen wie dem eisernen Pflug, der Dreifelderwirtschaft sowie einer neuen Sozialordnung einen Innovationsschub einleitete. Die neuen Orte erhielten meist deutsche Namen oder man nutzte sorbische Flurnamen zur Bildung von hybriden Ortsnamen.

Auch im meißnisch-sächsischen Raum waren nach neuesten Erkenntnissen Sorben in die hochmittelalterliche Kolonisation einbezogen. Damals kam es in Mitteleuropa zu einer stärkeren Zunahme der Bevölkerung, was sich in Maßnahmen zur Gewinnung von Neuland niederschlug. Für die Beteiligung von Sorben an der „deutschen“ Kolonisation der Oberlausitz gibt es eindeutige Beweise. Außerhalb des sorbischen Kerngebiets treten dieselben Orts- und Flurformen wie bei der deutschen Ostkolonisation im übrigen Sachsen auf, hier gibt es neben sorbischen auch deutsche Ortsnamen. Zwillingsformen wie Deutschbaselitz und Wendischbaselitz, Deutsch-Paulsdorf und Wendisch-Paulsdorf etc. weisen darauf hin, dass Deutsche und Sorben im gleichen Siedlungsvorgang getrennt angesiedelt wurden. Orte im sorbischen Siedlungsgebiet wie Dörgenhausen (1264 als Duringenhusen überliefert, obersorb. Němcy – ,Dorf der Deutschen‘) bestätigen diese Annahme.

Außerhalb des alten Gefildelands ist die Besiedlung der Oberlausitz unter Beteiligung von Sorben und Deutschen vor sich gegangen. Zu den Zugewanderten aus Thüringen (Dörgenhausen), Bayern (Beiersdorf) oder Franken (Frankenthal) gesellten sich einheimische Slawen. Es dürfte auch zu einer Vermischung innerhalb der neuen Dörfer gekommen sein. Eine ständige Begegnung von Deutschen und Sorben ergab sich bei Gottesdiensten u. a. Kulthandlungen, denn eine klare sprachliche Unterscheidung war in der Kirchenorganisation nicht vorgesehen. Die gottesdienstlichen Formen jener Zeit kamen mit einem Mindestmaß an äußeren Handlungen und mit kurzen Gebetsformeln aus, die allgemein verständlich waren (→ Kirche).

Bei der Kolonisation der Oberlausitz wurden die im Elbe-Saale-Gebiet erprobten neuen Formen der Landnutzung angewandt, wobei die Herrschaft deutscher Adelsgeschlechter den politischen Rahmen bot. Das Ergebnis war eine Höherentwicklung der Landwirtschaft bei großer Ausdehnung der Anbaufläche, mithin eine Steigerung der Erträge, was eine Zunahme der Bevölkerung ermöglichte. Als die Besiedlung der Oberlausitz endete, waren ein rein sorbisches Siedelgebiet im Gefilde des Gaus Milska, ein rein deutsches Gebiet im Gebirge und ein Gebiet mit gemischter Bevölkerung in der Heide entstanden. Im Zuge der Kolonisation wuchsen die Städte, in denen sich das gesellschaftliche Leben verdichtete und neue wirtschaftliche Beziehungen entstanden.

An den Straßenübergängen über Schwarze Elster, Spree, Neiße und Queis entstanden im 12. Jh. Kaufmannssiedlungen, die nach 1200 zu Ausgangspunkten der Stadtentwicklung wurden. Mit der Bevölkerungszunahme, dem Aufschwung der Ware-Geld-Beziehungen und der beruflichen Arbeitsteilung bildeten sich bis zum Ende des Mittelalters neben den führenden Sechsstädten 16 Landstädtchen heraus, meist an den Sitzen größerer Herrschaften. Ihre landschaftliche Verteilung war unausgeglichen, sowohl die großen Fernhandelsstädte wie die Landstädtchen drängten sich im südlichen Landesteil zusammen. Das nördliche Flachland blieb nur schwach mit Städten besetzt. Erst zu Beginn der Neuzeit entstanden hier Marktflecken als Orte einer handwerklich-gewerblichen Tätigkeit, ohne zu wirklichen Städten werden zu können.

In der Niederlausitz bzw. bei dem dort ab dem 7./8. Jh. siedelnden slawischen Stamm der Lusizer dominierte nach dem Verlust der politischen Unabhängigkeit 963 zunächst die innere Kolonisation. Bis zur Jahrtausendwende gehörten zu den südlichsten Burgwällen mit slawischen Siedlungen die späteren Orte Möllendorf (heute Stadtteil von Sonnewalde), Großmehßow und Saßleben (Stadtteile von Calau), Leuthen-Wintdorf bei Cottbus und Forst, Datten/​heute: Datyń (Polen) und Gurkau/​heute: Górka (Polen). Danach dehnte sich der Siedlungsbereich der Lusizer v. a. in südlicher, nördlicher und nordöstlicher Richtung aus. Vor 1180 bestanden nördlich und nordöstlich der damals bezeugten Siedlung Lübben bereits 50 kleine slawische Siedlungspunkte. Sie wurden jedoch durch einfallende Ritterkrieger Heinrichs des Löwen von Norden her größtenteils zerstört. Die verbliebene Bevölkerung wanderte nach Süden. Demgegenüber hatten viele der slawischen Burganlagen seit der deutschen Besetzung ihre Bedeutung als Zufluchts- und Siedlungsorte verloren. Doch bei einigen entstanden schon in slawischer Zeit größere Niederlassungen, die als „Vorstufen der späteren Städte gewertet werden können“ (Rudolf Lehmann).

Die äußere Kolonisation erfolgte in der Niederlausitz vornehmlich im 13. Jh. Einerseits betraf dies den höheren und niederen (deutschen) Adel, der auf dem Weg über Elbe und Elster – aus der Mark Meißen und dem Westteil der alten Ostmark kommend – einzelne größere Herrschaften und viele kleinere Rittersitze gegründet hatte; darüber informiert die Lausitzer Veräußerungsurkunde von 1301. Andererseits waren es in großer Zahl Bauern und Handwerker, die – beginnend mit Kaiser Konrad II. – über den Fläming in die Niederlausitz einwanderten. Als deutschen Neugründungen bzw. Umgestaltungen im Umkreis von Luckau gelten u. a. Kreblitz, Gießmannsdorf, Frankendorf und Zöllmersdorf. Siedlungsfördernd erwiesen sich die beiden Zisterzienserklöster Dobrilugk (1165) und Neuzelle (1268). Eines der ältesten Dörfer bei Dobrilugk dürfte Kirchhain gewesen sein. Zu den ersten Niederlassungen im Stiftsgebiet Neuzelle zählten Henzendorf, Fünfeichen und Wellmitz.

Die Siedlungsbewegung in die Niederlausitz dauerte zumindest bis Anfang des 14. Jh., wie eine Dobrilugker Urkunde um 1300 belegt. Zunächst meist niederdeutsche, später mitteldeutsche Einwanderer, v. a. Franken, siedelten sich in den westlichen, nördlichen und östlichen Randgebieten an. Deutsche, die in den Süden der Niederlausitz gelangten, konnten ihre ethnischen Eigenheiten angesichts der benachbarten, von Sorben dominierten Regionen der Oberlausitz kaum behaupten. Rein deutsche Neugründungen waren in den Randgebieten – abgesehen vom Dobrilugker, Beeskower und Sorauer Gebiet – eher selten. Vielerorts lebten Sorben im selben Dorf, weshalb es zur Assimilation nach der einen oder anderen Seite kam. Vereinzelt bildeten Sorben eigenständige Siedlungen in unmittelbarer Nachbarschaft, wie etwa Wentdorf (heute Wildau-Wentdorf in der Gemeinde Dahmetal).

Lit.: R. Kötzschke: Ländliche Siedlung und Agrarwesen in Sachsen, Hg. H. Helbig, Remagen 1953; K. Blaschke: Die Entwicklung des sorbischen Siedelgebietes in der Oberlausitz, in: Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, Hg. H. Ludat, Gießen 1960; R. Lehmann: Geschichte der Niederlausitz, Berlin 1963; Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, Karte F IV 1, Leipzig/​Dresden 1998. E. Bünz (Hg.): Ostsiedlung und Landesausbau in Sachsen. Die Kührener Urkunde von 1154 und ihr historisches Umfeld, Leipzig 2008.

Metadaten

Titel
Kolonisation
Titel
Kolonisation
Autor:in
Blaschke, Karlheinz; Schurmann, Peter
Autor:in
Blaschke, Karlheinz; Schurmann, Peter
Schlagwörter
Besiedlung; Landesausbau; Stadt/Gründung; Innere Kolonisation; Landesgeschichte; Urbarmachung; Mittelalter
Schlagwörter
Besiedlung; Landesausbau; Stadt/Gründung; Innere Kolonisation; Landesgeschichte; Urbarmachung; Mittelalter
Abstract

Zielgerichtete Erschließung von nicht oder gering besiedelten Gebieten, in der Lausitz seit dem 7./8. Jh. und verstärkt im 13. Jh. Die äußere Kolonisation verbindet sich mit Zuwanderung, die innere Kolonisation mit dem Landesausbau. Sie bewirkt meist eine soziale und wirtschaftliche Innovation.

Abstract

Zielgerichtete Erschließung von nicht oder gering besiedelten Gebieten, in der Lausitz seit dem 7./8. Jh. und verstärkt im 13. Jh. Die äußere Kolonisation verbindet sich mit Zuwanderung, die innere Kolonisation mit dem Landesausbau. Sie bewirkt meist eine soziale und wirtschaftliche Innovation.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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