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Dialekte
von Sonja Wölkowa

Sprachformen, die in einer bestimmten Landschaft von der ansässigen Bevölkerung im täglichen Umgang benutzt werden. Sie unterscheiden sich durch phonologische, grammatische und lexikalische Eigenheiten von der Schriftsprache und der lokalen Sprache der Nachbarterritorien. Für die Sprachform eines einzelnen Ortes hat sich in der sorabistischen Dialektologie die Bezeichnung Mundart durchgesetzt.

Trotz eines begrenzten Sprachgebiets ist das Sorbische dialektal stark differenziert. Die Unterschiede lassen sich z. T. auf die Stammesdialekte der Milzener und Lusizer zurückführen. Andererseits sind sie bedingt durch die abweichende Verbreitung sprachlicher Neuerungen. Die Anwendung dialektgeografischer Methoden bei der Erforschung und Beschreibung der sorbischen Dialekte brachte seit den 1930er Jahren neue Erkenntnisse über die Verteilung der dialektalen Besonderheiten in der Region. Das umfassendste Material auf allen Ebenen des Sprachsystems berücksichtigt der „Sorbische Sprachatlas“ (15 Bände); seine Grundlage bilden Erhebungen aus den 1950er und 1960er Jahren.

Die sorbischen Dialekte sind grundsätzlich in zwei Kernlandschaften gegliedert: eine südliche um Bautzen (obersorbische Dialekte) und eine nördliche um Cottbus (niedersorbische Dialekte) sowie eine Zone von Übergangsdialekten, in denen obersorbische und niedersorbische Sprachmerkmale in jeweils verschiedenem Maße ausgeprägt sind bzw. waren. Die Grenzlinien der Verbreitung sprachlicher Eigenheiten (Isoglossen) häufen sich besonders in zwei Bereichen: nördlich einer Linie zwischen Spremberg und Muskau und südlich einer Linie zwischen Hoyerswerda und Weißwasser; sie markieren die nördliche und die südliche Grenze der Übergangszone. Dabei ist die südliche Grenze der Übergangsdialekte deutlicher ausgeprägt als die nördliche. Eine sozialhistorische Interpretation der dialektalen Gliederung des sorbischen Sprachgebiets bietet Frido Michałk (Lětopis 1982). Er lehnt die Hypothese von Zdzisław Stieber (1934) ab, nach der die Nordgrenze des Hoyerswerdaer und des Spreewitzer Dialekts sowie im weiteren Verlauf die Südgrenze des Schleifer Dialekts und des Muskauer Dialekts die Sprachgrenze zwischen Obersorbisch und Niedersorbisch bilden. Auch Pawoł Wirths Annahme eines ostsorbischen Dialektgebiets (Muskauer und Schleifer Dialekt), an das sich die Nordgrenze des Spreewitzer und Hoyerswerdaer Dialekts als obersorbisch-niedersorbische Sprachgrenze anschließt, wird dort verworfen. Ausgehend von den im „Sorbischen Sprachatlas“ gewonnenen Daten, von historischen Belegen zur Besiedlung der Lausitz und von überlieferten Bezeichnungen der Bewohner der Übergangszone sieht Michałk in der Südgrenze der Übergangsdialekte die Linie, bis zu der im Hochmittelalter die Besiedlung des Heidegebiets von Norden her durch niedersorbische Siedler erfolgte. Erst später wurde dieses Gebiet auch von Süden her besiedelt, jedoch wohl nur bis zur Nordgrenze der Übergangsdialekte, die praktisch mit der historischen Nordgrenze des Markgraftums Oberlausitz übereinstimmt.

Charakteristische Unterschiede zwischen ober- und niedersorbischen Dialekten sind z. B. der Erhalt von *č im Obersorbischen gegenüber dem Wandel zu c im Niedersorbischen (obersorb. čisty – niedersorb. cysty ,sauber‘), der Wandel von urslawisch *g zu h im Obersorbischen gegenüber seinem Erhalt im Niedersorbischen (obersorb. hora – niedersorb. góra ,Berg‘), der Erhalt von weichem *š, ž im Obersorbischen und ihre Erhärtung im Niedersorbischen (obersorb. šija, žiwy – niedersorb. šyja, žywy ,Hals‘, ,lebend‘), der Erhalt von ć, im Obersorbischen und ihr Wandel zu ś, ź im Niedersorbischen (obersorb. ćichi, dźěło – niedersorb. śichy, źěło ,still‘, ,Arbeit‘), der Erhalt von o nach Labialen und Velaren im Obersorbischen (woda, koza ,Wasser‘, ,Ziege‘) gegenüber ihrem Wandel zu ó, y, ε (nicht vor Labial oder Velar) im Niedersorbischen (wóda, wyda, kóza, kyza u. Ä.), die Aufgabe der i-Deklination im Obersorbischen (kosće ,Knochen‘) und ihr weitgehender Erhalt im Niedersorbischen (kósći), der Erhalt des einfachen Präteritums im Obersorbischen gegenüber seinem Verlust im Niedersorbischen, der Verlust des Supinums (Variante des Infinitivs nach Verben der Bewegung) im Obersorbischen und seine Bewahrung in einem Teil der niedersorbischen Dialekte (obersorb. du spać – niedersorb. źom spat ,ich gehe schlafen‘) sowie zahlreiche Unterschiede im Bereich des Wortschatzes (z. B. obersorb. kwas – niedersorb. swajźba ,Hochzeit‘, obersorb. dźećel – niedersorb. kwiśina ,Klee‘, obersorb. kocht – niedersorb. wósć ,Granne‘).

Im obersorbischen Gebiet werden laut „Sorbischem Sprachatlas“ sechs Dialekte unterschieden. Davon nimmt der Bautzener Dialekt (gesprochen im südöstlichen Teil der Oberlausitz) das größte Territorium ein, er bildet die Basis der evangelischen Variante der obersorbischen Schriftsprache. Typische Besonderheiten gegenüber der heutigen einheitlichen obersorbischen Schriftsprache sind u. a. der Wandel von unbetontem *ě zu i (z. B. im Lok. Sg. w domi ,im Haus‘ gegenüber schriftsprachlichem w domje), der Rückgang des Duals, die Verallgemeinerung der Deklinationsformen der Adjektive bei den Pronomina (Gen. Sg. teho ,des‘, Dat. Sg. temu ,dem‘ gegenüber schriftsprachlichem toho, tomu). Im Westen schließt sich der sog. katholische Dialekt an, der die Grundlage einer eigenen Variante der obersorbischen Schriftsprache war. Zu seinen Charakteristika zählen die Senkung des unbetonten *ě zu e (w domje), die Expansion der pronominalen Deklination auf die Adjektive (Gen. Sg. rjanoho ,des schönen‘, Dat. Sg. rjanomu ,dem schönen‘ gegenüber schriftsprachlichem rjaneho, rjanemu). Nördlich des katholischen Dialekts sind der Wittichenauer und der Oßlinger Dialekt zu lokalisieren, nördlich des Bautzener Dialekts der Heidedialekt mit mehreren Varianten. Der Nochtener Dialekt wurde früher zu den Übergangsdialekten gerechnet. Die Erhebungen des „Sorbischen Sprachatlasses“ haben jedoch gezeigt, dass er mehr Übereinstimmungen mit den obersorbischen Dialekten aufweist.

Übersichtskarte der Dialekte im sorbische Sprachraum; Karte: Iris Brankatschk

Im niedersorbischen Kerngebiet nimmt unter den sechs sorbischen Dialekten der Cottbuser Dialekt den größten Raum ein, dabei sind mehrere Varietäten zu unterscheiden: So sind im östlichen und südlichen Gebiet ähnlich wie im weiter südlich gelegenen Spremberger Dialekt die Konsonantengruppen pr, kr erhalten und nur tr wandelt sich zu (prawy ,recht‘, kruška ,Birne‘, aber tšawa ,Gras‘). Der zentrale und der westliche Cottbuser Dialekt wandeln dagegen in allen genannten Lautgruppen das r zu š (pšawy, kšuška, tšawa). Für den nordwestlichen und nordöstlichen niedersorbischen Dialekt ist der Erhalt des harten und weichen l bzw. l’ charakteristisch (glowa ,Kopf‘ gegenüber südlich gwowa bzw. l’uby ,lieb‘ gegenüber luby). An der westlichen Peripherie der niedersorbischen Dialekte liegt das Gebiet des Vetschauer Dialekts, für den z. B. weiches -ch im Auslaut (much’i ,Fliegen‘ gegenüber östlich muchy) und der Erhalt des betonten ě (měso ,Fleisch‘) gegenüber häufigem Ersatz durch -’e (mjeso) typisch sind. Eine monografische Beschreibung dieses Dialekts bietet Helmut Faska (1964). Mit der Mundart von Horno wurde im SSA ein Rest des ehemals weiter nach Osten reichenden Gubener Dialekts beschrieben.

Auch im Gebiet der Übergangsdialekte gibt es sechs verschiedene Varietäten. Dabei stehen der Hoyerswerdaer und der Spreewitzer Dialekt sowie die Mundart von Großkoschen dem Obersorbischen näher, während für den Muskauer und den Schleifer Dialekt sowie für den mittleren Grenzdialekt mehr Gemeinsamkeiten mit dem Niedersorbischen feststellbar sind. So ist im Schleifer und Muskauer Dialekt wie im Niedersorbischen g erhalten (góra), č zu c (čas > cas ,Zeit‘) und o nach Velaren und Labialen zu ó gewandelt (wóda, kóza); wie im Niedersorbischen lauten die Dualformen der Substantive im Nominativ der Maskulina auf -a, im Dativ, Instrumental und Lokativ auf -oma aus (kónja, Instr. Du. z kónjoma ,zwei Pferde, mit zwei Pferden‘). Andererseits haben sich in diesen Dialekt wie im Obersorbischen ć, erhalten (ćicho ,leise‘, dźělo ,Arbeit‘), die Lautgruppen pr, kr, tr bleiben unverändert (prawy, kruška, trawa). Als Besonderheit gegenüber den benachbarten Dialekten ist hier z. B. der Erhalt der Lautgruppe str (sostra, strup – obersorb. sotra, trup – niedersorb. sotša, tšup ,Schwester‘, ,Grind‘) zu nennen. Im Spreewitzer Dialekt – als Beispiel eines Übergangsdialekts mit größerer Ähnlichkeit zum Obersorbischen – ist dagegen č, ć und bewahrt (čas, ćicho, dźěło) und g zu h geworden (hólica – obersorb. holca ,Mädchen‘) – wie im Niedersorbischen sind š, ž erhärtet (šyja, žywy) und o nach Labialen und Velaren meist zu ó gewandelt (hólica).

Heute ist infolge der sprachlichen Assimilation die Zahl der Dialektsprecher erheblich zurückgegangen. Verschiedene Dialekte werden nur noch von der ältesten Generation gesprochen, andere sind ausgestorben (z. B. die Hornoer und Großkoschener Mundart, Oßlinger Dialekt). Doch auch im Gebiet des katholischen und des Wittichenauer Dialekts, wo noch eine größere Zahl an sorbischen Muttersprachlern aufwächst, unterliegt der Dialekt zunehmend den Einflüssen der obersorbischen Schriftsprache und der Interferenz mit dem Deutschen. Der Status der von jungen Sorben in diesem Gebiet im täglichen Umgang gesprochenen Varietät ist umstritten: Lenka Šołćic und Walter Breu ordnen sie als (regionale) Umgangssprache mit dialektalem Substrat ein. Denkbar ist auch eine Interpretation als Entwicklungsform des katholischen bzw. Wittichenauer Dialekts mit den o. g. Einflüssen.

Lit.: Z. Stieber: Stosunki pokrewieństwa języków łużyckich, Kraków 1934; F. Michałk: Die mundartliche Gliederung der sorbischen Sprache, in: Makedonski jazik 32–33 (1982); S. Michalk: Wo socialnohistoriskim pozadku dialektalneje diferenciacije serbšćiny, in: Lětopis A 29 (1982) 2; L. Scholze: Das grammatische System der obersorbischen Umgangssprache im Sprachkontakt, Bautzen 2008.

Metadaten

Titel
Dialekte
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Dialekte
Autor:in
Wölkowa, Sonja
Autor:in
Wölkowa, Sonja
Schlagwörter
Dialekt; Dialektologie; Sorbische Sprache(n); Obersorbisch; Niedersorbisch; Mundart; Übergangsdialekt
Schlagwörter
Dialekt; Dialektologie; Sorbische Sprache(n); Obersorbisch; Niedersorbisch; Mundart; Übergangsdialekt
Abstract

Sprachformen, die in einer bestimmten Landschaft von der ansässigen Bevölkerung im täglichen Umgang benutzt werden. Sie unterscheiden sich durch phonologische, grammatische und lexikalische Eigenheiten von der Schriftsprache und der lokalen Sprache der Nachbarterritorien. Trotz eines begrenzten Sprachgebiets ist das Sorbische dialektal stark differenziert.

Abstract

Sprachformen, die in einer bestimmten Landschaft von der ansässigen Bevölkerung im täglichen Umgang benutzt werden. Sie unterscheiden sich durch phonologische, grammatische und lexikalische Eigenheiten von der Schriftsprache und der lokalen Sprache der Nachbarterritorien. Trotz eines begrenzten Sprachgebiets ist das Sorbische dialektal stark differenziert.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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