Geistliches, erzählendes Volkslied oder Märchen mit biblischen, apokryphen oder legendenhaften
Inhalten; obersorb. pokěrluški (abgeleitet von griech. Kyrie
eleison ,Herr, erbarme dich’), niedersorb. bamžycki (von sorb.
bamž ,Papst’). Bei den Sorben hat erstmals Handrij Zejler 1830 Texte von Legendliedern
aufgezeichnet (Druck 1937 im „Časopis Maćicy Serbskeje“). Jan Arnošt Smoler veröffentlichte
„pokěrluški“ in den „Volksliedern der Wenden in der Ober- und Niederlausitz“
(1841/43). „Bamžycki“ erschienen in Zeitschriften und Sammelbänden; später ergänzten Michał Hórnik, Hendrich Jordan, Arnošt Muka, Michał Róla, Adolf
Černý und Mjertyn Moń
den Bestand, der häufig mit lokalen religiösen Traditionen verknüpft ist.
Eine spezielle Sammlung von ober- und niedersorbischen Legendenliedern erschien 1997 in der
Lyrikreihe „Serbska poezija“, historisch-kritische Untersuchungen stehen noch
aus. (Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf die genannte Ausgabe.) Die
Legendenlieder über Jesus zeigen Verbindungen zu mittelalterlichen
Passionsspielen, die in der Gegenreformation erneuert wurden und antijudaische
Züge aufweisen. Hierher gehören die Texte von Jesus in Getsemani, vom Verrat des
Judas, von den Nägeln für die Kreuzigung und von der Kreuzigung selbst. Marias
Begegnung mit einem Apostel oder mit einem Engel, den sie nach den Leiden ihres
Sohns befragt, hat ihren Ursprung im lateinischen „Planctus ante nescia“ (um
1150), aus dem sich die Tradition der Marienklagen entwickelte. In „Pod Róžantom
leži łučka zelena“ (Bei Rosenthal liegt eine grüne Wiese) ist die Begegnung von
Maria und Elisabeth in den sorbischen Wallfahrtsort Rosenthal verlegt; schon Smoler verband den
Text mit dem dortigen Marienbild. Ein über Nacht gewachsenes Kornfeld schützt
die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten vor den Verfolgern. Maria tritt
mehrfach als Fürsprecherin und Helferin auf, wie sie bereits in der griechischen
„Theophiluslegende“ gestaltet wurde. Das Lied „Wandrowachu, wandrowachu duški
tři“ (Wanderten einmal drei Seelchen) verbindet das Motiv von der Fürbitte
Marias mit der Lehre vom Fegefeuer, die erstmals in Texten der Hildegard von Bingen belegt ist. Auf
Gleichnisse Jesu gehen die Legendenlieder über den verlorenen Sohn (nach Lukas
15,11–32) und den armen Lazarus (Lukas 16,19–31) zurück; beide Stoffe waren seit
dem 16. Jh. als biblische Dramen mit didaktischer Tendenz beliebt. Die „Braut
Christi“, die sich der Ehe verweigert, um mit Christus verbunden zu sein, ist
Thema eines im 18. Jh. weit verbreiteten deutschen Zeitungsliedes, von dem fünf
sorbische Fassungen existieren. Als „Braut Christi“ verweigert auch Katharina
von Alexandria die Ehe mit einem Heiden, wofür sie hingerichtet wird (bereits
Hórnik hat die Aufzeichnung des Liedes in Ralbitz mit dem dortigen Katharinen-Patrozinium assoziiert).
Legendenlieder über Heilige sind das Lied über Augustinus als Lehrer der
Dreifaltigkeit, über den Drachentöter Georg, der sich für seinen Sieg den Bau
einer Kirche ausbittet, und über den Schutzpatron der Fuhrleute Christophorus,
der den Jesusknaben auf seiner Schulter nach Gegenständen befragt, die für die
Messfeier notwendig sind. Christophorus, Georg und Katharina gehören zu den 14
Nothelfern der katholischen Volksfrömmigkeit.
Lit.: P. Nedo: Sorbische Volksmärchen, Bautzen. 1956; P. Nedo: Grundriß der
sorbischen Volksdichtung, Bautzen 1966; Serbska poezija 40 – Pokěrluški a
bamžycki, zsgst. v. L. Udolph, Budyšin 1997.