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Flurnamen
von Christian Zschieschang

Namen unbesiedelter FlĂ€chen oder Objekte außerhalb von Ortschaften (z. B. Äcker oder Wege), meist auch von kleineren GewĂ€ssern. Weitgehend synonym zum Begriff Flurnamen sind die Termini Mikrotoponyme (Toponyme, → Ortsnamen) und Anoikonyme (Nicht-Siedlungsnamen). Die Namendichte ist in agrarisch genutzten Gebieten hoch. Flurnamen können sehr alt sein, z. B. Kanteppe, 1249 konothope, jedoch ist dies nicht die Regel; oft sind sie instabil. Hierzu tragen der intensive Gebrauch durch einen festen, aber kleinen Benutzerkreis (Dorfgemeinschaft) und die relativ spĂ€t (meist erst im 19. Jh.) einsetzende Verschriftlichung bei. Bei der Interpretation von Flurnamen fĂŒr Ă€ltere Perioden ist ZurĂŒckhaltung geboten; dennoch sind sie eine wichtige Quelle fĂŒr Agrar-, Kultur- und Regionalgeschichte, Dialektologie usw.

Bedingt durch ökonomischen und sozialen Wandel im 20. Jh., besonders durch die GrĂŒndung von Genossenschaften, ging die Verwendung der Flurnamen erheblich zurĂŒck. Daher dokumentieren die Ă€lteren Regionalstudien in der Regel eine vergangene Situation. Wegen der großen Zahl von Flurnamen, die leicht zu erklĂ€ren sind (z. B. delnje Ƃuki ,die Nieder Wiesen‘), finden neben einer reinen Namenauslegung auch soziologische Fragen Interesse (Namengebrauch durch Sprechergemeinschaften, in sozialer Staffelung, in systemischer Sicht usw.). Die historisch dominante Sprache einer Gemeinschaft entscheidet ĂŒber die Flurnamen der Umgebung. Im sorbischen Sprachgebiet herrschen daher sorbischen Bildungen vor, die zweisprachigen Gegenden sind durch Interferenzen zwischen deutschen und sorbischen Namen gekennzeichnet. Deutsche Bildungen werden dem sorbischen Sprachgebrauch angepasst (Tonberg – TĂłmberk; Torfwiesen – Torf-Ƃuki), und vielfach gehen sorbische Namen in das Deutsche ĂŒber. Dort bleiben sie auch dann prĂ€sent, wenn der aktive sorbische Sprachgebrauch nachgelassen hat, und zeugen als „sprachliche Fossilien“ von der ursprĂŒnglichen PrĂ€gung der Landschaft, vgl. bei Hohenbocka (westl. Hoyerswerda): Wolschine Krey, Rohatsch, Trieben, Puschtzina, Mutnica, in den Brodisken, in Tschellitzka. Erst nach Umgestaltung der Flur oder Änderung der wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse kam es zu Überlagerungen durch deutsche Flurnamen.

Sorbische Flurnamen um Ostro; Karte: Iris Brankatschk

Westlich der Elbe, wo die sorbische Sprache bis Ende des Mittelalters ausstarb, enthalten noch etwa 2–5 % aller Flurnamen sorbisches Reliktwortgut, z. B. Jeeserwiesen, LuckenstĂŒcken (zu altsorb. *jezer- ,See‘ bzw. *Ƃuka ,Wiese‘). WĂ€hrend unter deutschen Flurnamen a) Zusammensetzungen (Damm + Wiese), b) syntaktische FĂŒgungen (Unterste TrĂ€nke) und c) Flurbezeichnungen (Vor den schmalen Wiesen) ĂŒberwiegen, heben sich sorbische Flurnamen davon deutlich ab. Sie sind meist a) Derivate (Čerwjen + ica, Zahon + č + ik) oder b) Simplizia (Rěka), seltener c) zweigliedrige (Fararjec kerki) oder d) sekundĂ€re Bildungen (Za drĂłhu).

Viele Bereiche des Alltags fanden Eingang in die Flurnamen: Landnutzung (Ɓuka ,Wiese‘, Chmjelnica ,Hopfengarten‘, Nowe polo ,Neues Feld‘), Recht (DaƄske ,Zinswiesen‘), Besitz (Fararjec ,Pfarrers (Besitz)‘, Na JĂłrdanje ,Auf Jordans (Besitz)‘, Klóƥtrski ,Kloster- (Besitz)‘), Religion (Swjećatko ,Heiligenbild‘), VolksĂŒberlieferung (Mordwy puć ,Mordweg‘, Napoleonski kamjeƄ ,Napoleonstein‘), Spott (Srana hĂłrka ,KothĂŒgel‘). Traditionell unterscheidet man Natur- von Kulturnamen. Erstere beziehen sich auf Charakteristika der Umwelt (Lipina ,Lindengehölz‘, Bahno ,Sumpf‘), Letztere auf EinflĂŒsse durch die TĂ€tigkeit des Menschen (Grenca ,Grenze‘, Winica ,Weinberg‘). Zwischen beiden bestehen jedoch UnschĂ€rfen. Verbreitet sind Personennamen in Flurnamen, die meist BesitzverhĂ€ltnisse ausdrĂŒcken.

Flurnamen rĂŒckten spĂ€ter als Ortsnamen in das wissenschaftliche Blickfeld. Seit dem 19. Jh. erschien eine Vielzahl von Publikationen unterschiedlicher QualitĂ€t, meist im heimatgeschichtlichen Umfeld. Von grĂ¶ĂŸerer wissenschaftlicher Bedeutung sind besonders die Arbeiten von Paul KĂŒhnel („Die slavischen Orts- und Flurnamen der Oberlausitz“, 1891–1897, Nachdruck 1982) und von ArnoĆĄt Muka („Abhandlungen und BeitrĂ€ge zur sorbischen Namenkunde“, 1881–1929, Nachdruck 1984). Weitere wichtige Arbeiten ĂŒber Flurnamen im sorbisch-deutschen Siedlungsgebiet erschienen in der zweiten HĂ€lfte des 20. Jh. u. a. von BogumiƂ Ć wjela („Die Flurnamen des Kreises Cottbus“, 1958), Lothar Hoffmann („Die slawischen Flurnamen des Kreises Löbau“, 1959) und Wolfgang Sperber („Die sorbischen Flurnamen des Kreises Kamenz (Ostteil)“, 1967).

Lit.: K.-D. Gansleweit: Untersuchungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte der nordöstlichen Niederlausitz. Die Flur- und Ortsnamen im Bereich des frĂŒheren Stiftes Neuzelle, Berlin 1982; U. Scheuermann: Flurnamenforschung, Melle 1995; Reader zur Namenkunde III, 2. Toponymie, Hg. F. Debus/​W. Seibicke, Hildesheim/​ZĂŒrich/​New York 1996; Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Hg. E. Eichler/​G. Hilty/​H. Löffler/​H. Steger/​L. Zgusta, Berlin/​New York 1996.

Metadaten

Titel
Flurnamen
Titel
Flurnamen
Autor:in
Zschieschang, Christian
Autor:in
Zschieschang, Christian
Schlagwörter
Namenkunde; Mikrotoponym; Ortsname; Sorbische Sprache(n); Slawisch; Lausitz; Sprachgeschichte; Flurname; Geografischer Name
Schlagwörter
Namenkunde; Mikrotoponym; Ortsname; Sorbische Sprache(n); Slawisch; Lausitz; Sprachgeschichte; Flurname; Geografischer Name
Abstract

Namen unbesiedelter FlĂ€chen oder Objekte außerhalb von Ortschaften (z. B. Äcker oder Wege), meist auch von kleineren GewĂ€ssern.

Abstract

Namen unbesiedelter FlĂ€chen oder Objekte außerhalb von Ortschaften (z. B. Äcker oder Wege), meist auch von kleineren GewĂ€ssern.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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