Eine der vier Oberlausitzer Freien Standesherrschaften, deren Wirtschaftsraum im 16. Jh. zu
typisch ostelbischem Großgrundbesitz erweitert wurde und den gesamten
nordöstlichen Teil der Oberlausitz
zwischen Neiße und Spree abdeckte.
Sie grenzte im Norden bei Spremberg
an die Niederlausitz und im Süden an
die Teichlandschaft der Oberlausitz. Östlich der Neiße (→ Östliche Lausitz) verlief zu Schlesien
eine politisch und ethnisch scharfe Grenze zum Fürstentum Sagan. Naturräumlich und ethnisch wenig
unterschieden war hingegen die angrenzende Standesherrschaft Hoyerswerda (→ Hoyerswerdaer Land) westlich der
Spree. Einen Teil der Muskauer Standesherrschaft bildet bis heute die sprachlich
und kulturell besondere Schleifer
Region.
Seit dem späten Mittelalter lag die Muskauer Standesherrschaft an der „Haupt-Niederstraße“
der Oberlausitz. Ursprünglich wohl auf das Altland um Muskau beschränkt, schob sie sich im Zuge
des spätmittelalterlichen Landesausbaus (→ Kolonisation) über insgesamt 500 km2 nach Süden und Westen in
das Oberlausitzer Heideland vor. Bis um 1850 bestand eine Fronherrschaft (→ Leibeigenschaft) über die mehrheitlich sorbische Landbevölkerung.
Eine Vielzahl persönlicher und dinglicher Rechte sicherte den Muskauer Standesherren im
Reichsgrafenstand hohe politische und ökonomische Positionen. Darunter waren der
erste Rang in der Landständischen Versammlung, verbunden mit überproportionaler
Gewichtung der Stimme, ein privilegierter Gerichtsstand, die Oberlehnsbarkeit
über die Vasallen, die Obergerichtsbarkeit an einem eigenen Hofgericht sowie die
Konsistorialrechte. Wirtschaftlich waren die Zoll- und Bergwerksgerechtigkeit
sowie das Salzmonopol von Bedeutung. Später war jede Standesherrschaft im Besitz
eines reichsunmittelbaren Fürsten, der durch „Mediatisierung“ (1803 und 1806)
Untertan eines Landesherrn wurde, jedoch einige Vorrechte behielt (bis
1918).
Muskauer Standesherrschaft mit Schleifer Region (dunkel) um 1790; Karte: Iris
Brankatschk
Die beiden Territorialherrschaften Muskau und Hoyerswerda bildeten den Kernbereich eines
geschlossenen Waldgürtels zwischen Ober- und Niederlausitz, der erst im
Spätmittelalter besiedelt wurde. Die Sprache der bäuerlichen Bewohner war ein
Übergangsdialekt zwischen Ober- und Niedersorbisch, da die Binnenkolonisation aus beiden Richtungen
erfolgte (→ Dialekte). Der kalte,
sandige Boden musste von den nach sächsischem Recht angesiedelten Heidebauern
mit Waldstreu gedüngt werden, um wenigstens Roggen zu liefern. Von Anfang an war
beabsichtigt, dass die Bauern sich unter herrschaftlicher Kontrolle weitere
Nutzungen erschlossen, die ihnen bei veränderten politischen Bedingungen erst im
19. Jh. entzogen wurden. In der Muskauer Standesherrschaft waren dies v. a. die
in Zünften organisierte Bienenzucht, die Köhlerei und die
Pechsiederei, der Handel mit Kienholz, Streu und Waldfrüchten, die Verarbeitung
von Baumrinde sowie die Waldhutung und -grasung. Muskauer Erbuntertanen waren
bis zum Dreißigjährigen Krieg meist zur
Bewirtschaftung der Fischteiche und zur Jagd verpflichtet, danach zunehmend mit
eigenem Gespann zum Ackerbau auf herrschaftlichen Vorwerken, in der
Forstwirtschaft und im Bergbau (→ Roboten). Begleitet von einem starken Bevölkerungszuwachs, der von
Mitte des 18. bis Mitte des 19. Jh. zu einer Verdopplung der Einwohnerzahl von
ca. 5 000 auf 10 000 führte, machten sich zeittypische Verarmungs- und
Proletarisierungstendenzen bemerkbar.
Schrotholzkirche in Sprey; Fotografin: Iris Brankatschk
Unter den Herren von Biberstein breitete sich ab 1540 die Reformation zunächst unter
deutschen Stadtbürgern aus. Nach religionspolitischen Veränderungen, die den
Landständen größere Entscheidungsbefugnisse einräumten (→ Ständeherrschaft), berief Fabian von Schönaich als neuer Patron der
Muskauer Kirche 1564 evangelische Prediger nach Gablenz und Schleife, vermutlich auch nach Nochten und Zibelle/heute: Niwica
(Polen). Die alte Propstei Zibelle war eine Muskauer Exklave jenseits der Neiße
und bildete ein Kirchspiel mit zahlreichen deutschen Dörfern unter schlesischer
Herrschaft. Der katholische Kaplan von Muskau musste dem evangelischen Diakon
Melchior Tilenus weichen, der als
zweiter Stadtpfarrer die Zuständigkeit für die sorbische (Land-)Gemeinde
übernahm. Burggraf Carl Christoph zu
Dohna gab 1622 den Auftrag für den Neubau einer „Deutschen
Hauptkirche“ und erließ eine erste evangelische Kirchenordnung für die Muskauer
Standesherrschaft. Noch 100 Jahre später wurde Muskau trotzdem als „wendische
Stadt“ bezeichnet (Samuel Grosser),
was auf die vorherrschende Umgangs- und Marktsprache hindeutet. Die Predigt
erfolgte jeweils in der Muttersprache der Kirchgänger, wobei das Abendmahl in
der ethnisch und sozial differenzierten Gemeinde bis ins 18. Jh. gemeinsam
begangen wurde. Die deutsche Kirche war mit einem Glockenturm und der ersten
Orgel versehen, die Organisten hatten von ihren Einkünften die Pfarrer in
Schleife mit zu versorgen. Die sorbischen Dorfkirchen, in denen die
evangelischen Kirchenlieder vom Küster bzw. Kirchschulmeister vorgesungen
wurden, blieben bis weit ins 19. Jh. ohne Musikinstrumente. Das obersorbische
Gesangbuch wurde in einer 1770 durch Hadam Bohuchwał Šěrach ergänzten Neuauflage flächendeckend
eingeführt. Bis ins 19. Jh. wurde den Bauern, vertreten durch die Dorfgerichte,
ein Mitspracherecht bei der Neubesetzung der Pfarrstellen gewährt. Die
Probepredigten der Kandidaten wurden besonders nach deren sorbischer Aussprache
beurteilt.
Schüler beim Schulfest in Sagar, um 1900; Sorbisches
Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Graf Hermann von Callenberg dekretierte 1777 die
allgemeine Schulpflicht für die Kinder seiner Untertanen, sodass vor den
Napoleonischen Kriegen die Jüngeren bereits sorbisch lesen konnten. Callenberg,
der sorbisch sprach, ließ sich als einziger Standesherr in der Wendischen Kirche bestatten, deren
Neubau im klassizistischen Stil er persönlich plante und 1788 abschloss (1945
zerstört). Das nach ihm einheiratende Geschlecht derer von Pückler hatte schon
auf seinem Stammgut in Branitz bei
Cottbus Erfahrungen mit
sorbischen Untertanen gesammelt. Der Letzte dieser Linie, der in den
Fürstenstand erhobene Gartenkünstler und Schriftsteller Hermann von Pückler-Muskau, fügte dem
Ensemble des Muskauer Schlossparks am westlichen Abhang des Neißetals eine
verfallene romantische Kirchenruine ein. Darin hatten einst die sorbischen
Bauern der zehn Dörfer umfassenden Kirchgemeinde Muskau Zuflucht vor der
Reformation gefunden. Pückler lobte auch die sich „immer mehr (…) verlierende
Sprache“ der Sorben, die „reich und poetisch“ sei, ließ es jedoch nicht an
abfälligen Bemerkungen über den sorbischen Volkscharakter fehlen; zur Förderung
von Volksschulen trug er nichts mehr bei. Eine Privatfehde entzweite ihn mit dem
Schleifer Pfarrer Jan Wjelan. Auf die
Rückkehr Pücklers von einer mehrjährigen Weltreise verfasste Wjelan 1840 ein
ironisch gemeintes Gedicht in Sorbisch.
Nach der Revolution 1848 erfolgte in den letzten Dörfern die seit Jahrzehnten angekündigte
und verhandelte Ablösung der gegenseitigen Verbindlichkeiten zwischen Herrschaft
und Untertanen. Da die „befreiten“ Bauern ihre Waldnutzungsrechte verloren,
wurde die traditionelle Schrotholzbauweise durch Ziegelbau ersetzt, zu dem die
herrschaftlichen Eigenbetriebe das Material lieferten. Die Kleidung für beide
Geschlechter wurde unter dem Einfluss der Industrialisierung farbenfroher; die bäuerliche Tracht der Frauen
blieb vielfach bis zum Zweiten Weltkrieg lebendig. Die Muskauer
Standesherrschaft investierte in Holz- und Papierverarbeitung, in Glasindustrie
und Bergbau, wo viele Sorben Arbeit fanden. Besonders von Osten her drang die
deutsche Sprache in die Region vor. Der letzte „wendische“ Pfarrer der Muskauer
Landgemeinde namens Otto Jurk klagte
1900, dass unter den elf Dörfern nur in Weißkeißel, Sagar,
Skerbersdorf, Haide und Brand sorbisch gesprochen würde. Er predigte noch jede zweite
Woche in dieser Sprache, deren Abschaffung die Lehrer meist förderten. Seit dem
18. Jh. wurden oft deutsche und sorbische Gottesdienste zusammengelegt, selbst
die Lieder simultan zweisprachig gesungen. In Nochten erlosch die sorbische
Predigt mit Bogumił Šwjela 1913; sein
Nachfolger wurde nach längerer Vakanz ein aus China zurückgekehrter
Missionar.
Altes Bauernhaus in Sagar, 1955; Fotograf: Ernst Tschernik,
Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Südflügel des Neuen Schlosses Muskau
In Schleife wurde der sorbische Gottesdienst im Einvernehmen bzw. mit Duldung der
schlesischen Kirchenleitung sowie des letzten standesherrlichen Patrons von
Arnim während der NS-Zeit verboten.
Nach 1945 wurde seitens der evangelischen Kirche nichts unternommen, um die
Sprache erneut ins Kirchenleben zu integrieren, obwohl der größte Teil der
Landbevölkerung damals noch das Sorbische beherrschte. Gegenläufige Bemühungen
der Schule konnten am Trend zum Sprachwechsel nichts mehr ändern, weil die
sorbische Sprache mit kommunistischen Wertvorstellungen verbunden wurde, die die
Mehrheit der Bevölkerung ablehnte.
Die Muskauer Standesherrschaft mit 18 Eigenbetrieben und einem Millionenbudget wurde auf
Anordnung der sowjetischen Besatzungsbehörden am 11.7.1945 „entschädigungslos
enteignet“.
Lit.: J. Mörbe: Ausführliche Geschichte und Chronik von der Stadt und der Freien
Standesherrschaft Muskau, Muskau 1861; S. Gräfin von Arnim: Bilder aus Muskaus
Vergangenheit, Grünwald 1973; H. Fürst von Pückler-Muskau: Briefe eines
Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus Irland, England und Frankreich,
geschrieben in den Jahren 1828 und 1829, Frankfurt am Main/Leipzig 1991; H. Graf
von Arnim / W. A. Boelcke: Muskau. Standesherrschaft zwischen Spree und Neiße,
Frankfurt am Main/ Berlin 1992; P. M. Jahn: Vom Roboter zum Schulpropheten –
Hanso Nepila (1766–1856). Mikrohistorische Studien zu Leben und Werk eines
wendischen Fronarbeiters und Schriftstellers aus Rohne in der Standesherrschaft
Muskau, Bautzen 2010.