Jährliches Fest zur Erinnerung an die Einsegnung der Kirche im Ort. Dem
sorbischen Begriff (obersorb. kermuša, niedersorb. kjarmuša)
liegt das gekürzte mittelhochdeutsche Wort Kirchmesse zugrunde. Seit
dem Mittelalter wird die Kirmes von weltlichen Vergnügungen wie Jahrmärkten,
Wettspielen und Festmahlen begleitet. Ihr Termin variierte zunächst je nach dem
Datum der Kirchweihe vor Ort, konnte von den kirchlichen Obrigkeiten aber auch
neu festgelegt werden. Bevorzugt wurde die Zeit nach der Ernte, sodass sich
vielerorts die Kirmes und der Erntedank (→ Erntebräuche) miteinander verbunden haben. Im sorbischen Siedlungsgebiet liegen die
Kirmesfeiern zwischen dem 24. August (Bartholomäustag) und dem 25. November (St.
Katharina).
Backölwerbung für Kirmeskuchen, 1873; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am
Sorbischen Institut
In der bäuerlichen Gemeinschaft war die Kirmes das wichtigste Fest (→ Bräuche) im Dorf. Sie bot die Möglichkeit zum
Besuch bei der Verwandtschaft, zum Sattessen an Braten und Kuchen sowie zu Tanz
(→ Volkstanz) und Spiel. Die Verköstigung
hatte einen so hohen Stellenwert, dass Bauern bei Übertragung des Hofes die
ihnen im Altenteil zur Kirmes zustehenden Rationen an Fleisch, Milch, Eiern und
Mehl vertraglich festschreiben ließen. Kirchliche und weltliche Behörden sahen
die Ausgelassenheit des Festes generell kritisch. Um allen Formen von Völlerei
vorzubeugen, befahl beispielsweise Bischof Johann
I. von Meißen per Dekret von 1345, die Kirchweih im Kloster
Marienstern auf den Sonntag vor dem Johannistag (24. Juni) vorzuverlegen, was
dazu führte, dass in Panschwitz-Kuckau bis heute zweimal Kirmes, zu Johannis und zu
St. Ursula (21. Oktober), gefeiert wird. Auch der evangelische Pfarrer Michał Frencel klagte 1687 in seiner Predigt
zur Errichtung des Postwitzer Taufsteins über die Fress- und Trunksucht zur
Kirmes und die damit einhergehende Unzucht.
Frauen
mit Kirmeskuchen in Bröthen, 1970; Fotograf: Albrecht Lange, Sorbisches
Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Nach Abraham Frencel (um 1720) dauerte die Kirmes
drei bis vier Tage, traditionell von Montag an. Am Donnerstag begaben sich die
Gäste auf den Heimweg, belegt durch das obersorbische Sprichwort „Srjeda dom njeda, štwórtk musu fort“
(,Mittwoch geht’s nicht nach Hause, Donnerstag musst du fort‘). Im Laufe des 18.
Jh. setzte sich die Festlegung von drei Feiertagen, beginnend mit der
sonntäglichen Kirchweihpredigt durch. Der Kirmestanz fand Montag oder Dienstag
statt; am Mittwoch widmete sich die Jugend Ausflügen und Wettspielen, während
die auswärtigen Gäste die Heimreise antraten. In einigen Orten schloss sich am
Donnerstag die sog. Männerkirmes an, zu der laut Jan Arnošt Smoler und Leopold
Haupt („Pjesnički hornych a del’nych Łužiskich Serbow =
Volkslieder der Wenden in der Ober- und Nieder-Lausitz“, 1841/43) lediglich die
Verheirateten tanzen durften.
Als typische Speisen nennt Jan Hórčanski (1782)
verschieden zubereitetes Rindfleisch und mit Pfefferkuchen gewürztes
„Schwarzfleisch“ (im Rauch geschwärzter Pökelschinken) mit Hirse. Außerdem gab
es Kalbs- und Schweinebraten, Schweinshaxen sowie eine geräucherte Grützwurst
mit Grieben und Fleischstücken (niedersorb. bruchawa) (→ Küche). Bei Kleinbauern, Häuslern und Gärtnern
kamen Karpfen und Ziegen auf den Tisch. Der Halbbauer Handrij Šołta aus Jeschütz bei Bautzen beanspruchte z. B. im Altenteil für die Kirmes zwei Karpfen,
eine Mastgans, ein Schwein, ein Viertel vom Kalb, fünf Kannen Milch, zwei Kannen
Sahne und 20 Pfund Reibequark. Letzterer war für den Käsekuchen (obersorb.
sydrojty/sydrowy tykanc, niedersorb. sydrowy mazańc)
bestimmt, von dem so reichlich gebacken wurde, dass den Gästen ein paar Stück
mitgegeben werden konnten. Dazu wurde Bier getrunken. Um Wurst und Kuchen
„heischten“ (obersorb. stonać), die Mädchen der Spinnstuben und ebenso die Hirten, die während der
Kirmes bei den Herden bleiben mussten und sich den Kuchen mit lautem
Peitschenknall „erknallten“ (obersorb. tykancy praskać). Zum
„Kuchensingen“ kamen auch Bettler bzw. die Stadtarmut in die sorbischen Dörfer.
Für die Fremden und das Gesinde war der Kuchen aus dunklerem Mehl und dünner
belegt.
Kirmes
in Piskowitz, 1958; Fotograf: Pawoł Rota, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen
Institut
Seit dem 18. Jh. sind Kirmes- und Jahrmarktslieder (→ Volkslied) bekannt. Um 1850 druckten obersorbische Zeitungen humorvoll gereimte Einladungen zur Kirmes und
Entgegnungen. Darüber hinaus mehrten sich die Annoncen der Wirtsleute, die zum
Kirmesball einluden und mit frischem Kuchen und warmen Speisen warben. Die Kalender in der Oberlausitz informierten über die Termine der Kirmes
in den einzelnen Dörfern. Die Anzahl der Feiertage blieb auch nach Aufhebung der
Leibeigenschaft umstritten.
Beschwerden von Bauern in der landwirtschaftlichen Zeitschrift „Serbski hospodar“ (1894; 1900) weisen
auf Unterschiede zwischen deutschen und sorbischen Dörfern Ende des 19. Jh. hin:
Während die Deutschen nur noch am Sonntag Kirmes hätten, würden die sorbischen
Mägde und Knechte länger als drei Tage der Arbeit fernbleiben und dabei keinen
Tanzsaal auslassen. Die Bauern forderten, dass das Gesinde nur noch bei seinem
Dienstherrn Kirmes feiern solle. Im Laufe des 20. Jh. konzentrierten sich die
Besuche von Familie und Freunden zunehmend auf den Sonntag. Wo Vereine die
Organisation des Kirmestanzes übernahmen, wurde er zu einer geselligen
Abendveranstaltung mit Programm. Zum Kuchenbacken ging man zum Bäcker, wo die
Hausfrauen den vorbereiteten Teig mit eigenen Zutaten belegten, v. a. mit Quark,
Mohn und Streuseln bzw. mit Pflaumen und Äpfeln. Mit wachsendem Wohlstand kamen
weitere Beläge hinzu wie Kokosflocken, geriebene Mandeln, Kakaostreusel und
Eierschecke. Zugleich schwand der Unterschied zwischen dem reinen Kirmeskuchen
und dem zu Geburtstagen, Hochzeiten oder
Kindtaufen gebackenen Blechkuchen.
Heute ist die Kirmes ein Anlass, um sich gegenseitig zu besuchen und zu bewirten. In der
literarischen Erinnerung lebt sie vom Gegensatz zwischen dem kargen bäuerlichen
Alltag und einer rauschhaften Festtagsstimmung, die von Großzügigkeit und
Geselligkeit geprägt war. Die seit 1995 angebotene „Literarna kermuša“
(Literaturkirmes) des Domowina-Verlags im Herbst ist eine Veranstaltung, bei der der
literarische Ertrag des laufenden Jahres präsentiert wird.
Lit.: E. Müller: Das Wendentum in der Niederlausitz, Cottbus 1893; S. Musiat:
Wokoło Michała, kermuša najrjeńša, in: Serbske Nowiny (5.10., 12.10., 19.10.,
26.10., 2.11., 9.11.2006).