Gelehrtengesellschaft (Abk. OLGdW), die 1779 auf Initiative des Juristen,
Historikers und Sprachforschers Karl Gottlob von
Anton in Görlitz
gegründet wurde. Sie wollte durch wissenschaftliche Forschungen über Geschichte
und Naturkunde der Oberlausitz zur
allgemeinen Aufklärung beitragen. In den Anfangsjahren zählten auch Fragen der
Landwirtschaft und des Bildungswesens zu den Schwerpunkten, so die 1780
angeregte Preisaufgabe über Mängel in der Erziehung des Landvolks und über
Mittel zur Abhilfe derselben (Gründung von Lehrerseminaren und Ablösung der Frondienste). Mit ihren Bemühungen um
Pflege und Erhaltung der nationalen Kulturen, um Erforschung der
Nationalsprachen und der Nationalgeschichte vermittelte die Görlitzer
Wissenschaftsgesellschaft der sorbischen Nationalbewegung, die ähnliche Ziele verfolgte, vielfältige Impulse.
Bald entwickelte sie sich zu einem wichtigen Zentrum deutsch-sorbischer Kontakte
und zu einer bedeutsamen sorabistischen Forschungsstätte. Vertreter des
sorbischen Bildungsbürgertums wirkten von Beginn an aktiv darin mit. Zu den 18
Gründungsmitgliedern gehörten die beiden Sorben
Jan Hórčanski, Konrektor am Görlitzer
Gymnasium, und Samuel Bohuwěr Ponich,
Pfarrer in Malschwitz. Beide
veröffentlichten in den ab 1782 herausgegebenen „Provinzialblättern“, denen 1793
die „Lausitzische Monatsschrift“ und 1800 das „Lausitzische Magazin“ folgten,
ihre Forschungsergebnisse zu Fragen der Mythologie, Topografie, Ur- und Frühgeschichte (→ Geschichtsschreibung), Sprache (→ Sprachwissenschaft),
Kulturgeschichte sowie Volkskunde der
Sorben. Damit trugen sie wirksam dazu bei, Kenntnisse zu vermitteln, Vorurteile
abzubauen und bei der deutschen Bevölkerung Sympathien für das sorbische Volk zu
wecken.
Die Kontakte sorbischer Intellektueller zur Oberlausitzischen Gesellschaft der
Wissenschaften hielten in den Folgejahren an. 1840 waren zehn Sorben Mitglied,
darunter der Pfarrer und Dichter Handrij
Zejler, der Pfarrer und Sorbenkundler Handrij Lubjenski, der katholische Bischof
Franc Jurij Lok und aus der Niederlausitz der Pfarrer und
Sprachforscher Kito Wylem Broniš.
Nachdem sich in den 1820er Jahren als Ausdruck der politischen Reaktion in
Preußen eine antisorbische Haltung verbreitet hatte, die sich u. a. in
tendenziösen Aufsätzen in dem seit 1821 erscheinenden „Neuen Lausitzischen
Magazin“ äußerte, konnte dieser Trend im nächsten Jahrzehnt wieder überwunden
werden. Ab den 1830er Jahren veränderte sich die Zielsetzung der Gesellschaft.
Der Absage an den akademischen Gedanken folgte für Jahrzehnte eine verstärkte
Hinwendung zur Erforschung von Regionalgeschichte und Landeskunde der Lausitz.
Das spiegelte sich auch in den Spalten der Vereinszeitschrift wider. Es mehrten
sich wissenschaftliche Beiträge zur sorbischen Geschichte, Sprache und
Volkskunde, zu sorbischen Kulturereignissen und Vereinen sowie Rezensionen
sorbischer Publikationen, verfasst von deutschen und sorbischen Mitgliedern.
Zeichen dieser veränderten Haltung waren auch die beiden Preisaufgaben von 1833
und 1836: zum einen über die „Geschichte der Poesie in der Lausitz“ mit der
Aufforderung, wendische und deutsche Volkslieder zu veröffentlichen, zum anderen
über „Ober- und niederlausitzische Volkslieder mit deutscher Übersetzung“ (→ Volkslied). Im Ergebnis der letztgenannten
Aufgabe entstand die Edition „Volkslieder der Wenden in der Ober- und
Nieder-Lausitz“ (1841/43) als Gemeinschaftswerk des Sorben Jan Arnošt Smoler und des Deutschen
Leopold Haupt.
1847 schuf sich das sorbische Bildungsbürgertum mit der Maćica Serbska einen eigenen
Wissenschaftsverein und mit der Zeitschrift „Časopis Maćicy Serbskeje“ ein
eigenes Publikationsorgan. Damit war die Görlitzer Gesellschaft in der
Oberlausitz nicht mehr die einzige Forschungsstätte zur Geschichte und Kultur
der Sorben. 1850 wurde ein Schriftenaustausch zwischen beiden Vereinigungen
vereinbart. Weiterhin wirkten zahlreiche Sorben in der Görlitzer Gesellschaft
mit, so der Sprachforscher und Volkskundler Arnošt Muka, der Pfarrer und Redakteur Michał Hórnik, der Publizist und Herausgeber
Jan Arnošt Smoler und der Heimatforscher Jan
Krawc. 1929 gehörten der Oberlausitzischen Gesellschaft der
Wissenschaften zwölf Sorben an. Seit Mitte des 19. Jh. wandelte sich die
Gesellschaft mehr und mehr zu einem bürgerlichen Historikerverein, der sich
allgemein wissenschaftlichen Themen widmete und seine Hauptaufgabe in der
Herausgabe von Quellen und Urkunden sah.
1945 wurde die Gesellschaft aufgelöst, nachdem schon 1941 das „Neue Lausitzische
Magazin“ sein Erscheinen einstellen musste. Eine Neugründung erfolgte erst 1990.
Die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften vereint seitdem ca. 200
Wissenschaftler, Künstler, Lehrer, Techniker u. a. Interessierte aus mehreren
Ländern zum fachlichen Gedankenaustausch. Jährlich finden zwei Tagungen zu
heimatkundlichen und regionalgeschichtlichen Fragen der gesamten Oberlausitz
statt, 2007 etwa zum Thema „Die zweisprachige Oberlausitz in
multikonfessioneller Perspektive“ und 2014 „Sorben und Deutsche: Heimat Lausitz
Fremde Lausitz“. Die Vorträge dieser Konferenzen werden meist in Sammelbänden
veröffentlicht. 1998 wurde mit der Herausgabe einer „Neuen Folge“ des „Neuen
Lausitzischen Magazins“ die Tradition des eigenen Publikationsorgans wieder
aufgenommen. Seit 2006 vergibt die Oberlausitzische Gesellschaft der
Wissenschaften den „Hermann-Knothe-Preis“ für herausragende Arbeiten an
Nachwuchswissenschaftler.
Lit.: 150 Jahre Oberlausitzischer Gesellschaft der Wissenschaften 1779–1929,
Görlitz 1929; Die Oberlausitz und ihre Gesellschaft der Wissenschaften zu
Görlitz – Tradition und Aktivitäten, Teil 2, Hg. E.-H. Lemper, Görlitz 1982; P.
Kunze: Die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften und die Slawen, in:
Erbe und Auftrag. Beiträge der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften
zu Görlitz, Görlitz 1992; Kunst und Wissenschaft um 1800. Die Sammlungen der
Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz, Bielefeld
2012.