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Cottbuser Kreis
von Peter Kunze

Von 1462 bis 1806 mitten im Markgraftum Niederlausitz gelegene brandenburgische Enklave. Seine eigenständige Existenz verdankte der Cottbuser Kreis den politischen Händeln jener Zeit. Finanzielle Schwierigkeiten sowie die innere und äußere Schwäche der böhmischen Krone und ihrer niederlausitzischen Landvögte, denen das Gebiet im zweiten Viertel des 15. Jh. verpfändet war, ermöglichten es 1442 den brandenburgischen Hohenzollern, das Pfandrecht auf die Herrschaft Peitz zu erwerben, 1445 die halbe Herrschaft Cottbus zu kaufen und 1448 das gesamte Markgraftum Niederlausitz vorübergehend als Pfandbesitz an sich zu bringen. Obwohl Georg von Podiebrad, seit 1458 böhmischer König, geordnete innere Verhältnisse schuf und teils in bewaffneten Kämpfen die Niederlausitz für Böhmen behauptete, musste er 1462 im Gubener Frieden, der die Streitigkeiten zwischen Böhmen und Brandenburg beilegte, die Herrschaften Cottbus und Peitz an die Hohenzollern abtreten. Damit schieden sie faktisch aus dem Landesverband des Markgraftums aus, wurden wenig später in die Neumark inkorporiert und der Regierung in Küstrin/​heute: Kostrzyn (Polen) unterstellt. Doch erst 1742 gingen sie im Ergebnis des Ersten Schlesischen Kriegs endgültig im Verbund Preußens auf und gehörten fortan staatsrechtlich nicht mehr zur Niederlausitz. Dadurch vollzog sich im Cottbuser Kreis über die Jahrhunderte eine politisch-territoriale Eigenentwicklung, die erst 1806 mit der Übergabe an die zu Napoleon übergetretenen Wettiner ein Ende fand.

Cottbuser Kreis um 1790; Karte: Iris Brankatschk

Der Cottbuser Kreis umfasste im 15. Jh. 1 012,5 km2. In den Städten Cottbus und Peitz wohnten etwa 20 % der insgesamt rund 11 000 Einwohner. Etwa 34 % lebten in den drei landesherrlichen Ämtern Cottbus, Peitz und Sielow, der Rest entfiel auf 82 Rittergutsdörfer. Der Boden der Region ist meist sandig, z. T. mit Lehm und Ton vermischt und für die Landwirtschaft insgesamt wenig geeignet. Charakteristisch sind Kiefernwälder und Wiesenflächen. Eine Ausnahme bildet der Spreewald, wo besonders Gemüseanbau dominiert. Der Anteil der Sorben betrug seinerzeit annähernd 85 %. In Cottbus belief er sich auf knapp 30 %, während er in dem viel kleineren Peitz über 50 % lag. Auf dem Land stand den ca. 200 deutschen Rittergutsbesitzern eine 8 600 Menschen zählende sorbische Bevölkerung gegenüber, die sich in etwa zu gleichen Teilen in Bauern und Halbbauern, Kossäten und Büdner gliederte und neben Viehzucht und Fischfang v. a. Getreide- und Gemüseanbau trieb. Daneben spielte die Leineweberei und ab dem 19. Jh. zunehmend die Tuchindustrie eine Rolle, die sich auf die Stadt Cottbus konzentrierte und in der auch viele sorbische Kleinbauern Beschäftigung fanden. Im Raum Jänschwalde kam später der Braunkohlenbergbau hinzu.

Bis ins 18. Jh. verfügten die Sorben über geringe oder keine Deutschkenntnisse. Diesen Umstand musste die Obrigkeit in ihrer Sprachenpolitik stets berücksichtigen. Nach der Reformation, deren Einführung ab 1522 vorangetrieben und 1537 abgeschlossen wurde, fand in den 24 ländlichen Kirchen mit ihren 13 Filialen sowie in der Wendischen Kirche von Cottbus ausschließlich sorbischer Gottesdienst statt, während in Peitz für die deutsche und sorbische Bevölkerung, die zur selben Landeskirche gehörte, der Gottesdienst jeweils in der Muttersprache der Besucher erfolgte.

Abfischen in den Peitzer Teichen, 1977; Fotograf: Gerhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die tolerante Sprachenpolitik wurde im Cottbuser Kreis auch nach den Maßnahmen gegen die sorbische Sprache beibehalten, die man seit dem zweiten Drittel des 17. Jh. im Kurmärkisch-wendischen Distrikt und im Kreis Krossen/​heute: Krosno (Polen) sowie im Markgraftum Niederlausitz eingeleitet hatte. Kurfürst Friedrich Wilhelm lehnte angesichts der aufflammenden Bauernaufstände eine Ausdehnung der antisorbischen Politik auf den Kreis Cottbus ab und erfüllte damit nicht die 1668 ausgesprochene Erwartung der Niederlausitzer Behörden, die Neumärkische Regierung und das Konsistorium in Küstrin würden nun auch „etwas gegen die Wenden in Anschauung ihrer Sprache im Cottbusischen Kreis“ unternehmen. Er gestattete dem Landadel lediglich die zusätzliche Einführung des Deutschen im Gottesdienst.

Sein Nachfolger Friedrich I., ab 1701 König in Preußen, setzte diese Linie fort. Er förderte religiöses sorbisches Schrifttum und ermöglichte die Schaffung eines ländlichen sorbischen Schulwesens. Vornehmlich außenpolitische Gesichtspunkte bewogen ihn zu dieser Haltung. Er sah im Cottbuser Kreis einen Brückenpfeiler Preußens nach Osten, nach Schlesien und Polen. Die sorbische Bevölkerung sollte durch Zugeständnisse neutralisiert, innere soziale und nationale Konflikte sollten vermieden werden. Als Anhänger und Förderer des Pietismus stand er den Slawen aufgeschlossen gegenüber. So konnte der Peitzer Oberpfarrer Jan Bogumił Fabricius mit finanzieller Hilfe des Königs 1709 das Neue Testament in sorbischer Sprache herausgeben, nachdem er bereits drei Jahre zuvor Luthers Katechismus übersetzt hatte (→ Bibelübersetzungen). Der Cottbuser Kreis entwickelte sich zum kulturellen Zentrum der Niederlausitzer Sorben. Auf Veranlassung Friedrichs I. gründete Fabricius 1711 für jeweils zwei bis drei Dörfer eine Schule, an der sorbische Lehrer mithilfe der von ihm herausgegebenen Bücher die Kinder in ihrer Muttersprache unterrichteten.

Zapustumzug in Striesow, 2010; Fotograf: Gregor Wieczorek, Redaktion Nowy Casnik

1713 wurde diese tolerante Sprachenpolitik für ein gutes Vierteljahr unterbrochen. König Friedrich Wilhelm I. trieb die rigorose Germanisierung des Cottbuser Kreis voran. Bereits 1714, ein Jahr nach seinem Regierungsantritt, erließ er den Befehl, den Schulunterricht auf die deutsche Sprache umzustellen und dafür zu sorgen, dass das „Wendische abgeschafft“ würde. Drei Jahre später wiederholte er diese Anordnung. Den Pfarrern befahl er, dass sie „wechselweise allemal einmal wendisch und das andere Mal deutsch predigen, um dadurch in ihren Gemeinden die deutsche Sprache in Gang und Hochachtung zu bringen“. Da der Landadel den Regierungswechsel zum Anlass nahm, den Druck auf die bäuerliche Bevölkerung zu erhöhen, spitzten sich nicht nur die nationalen, sondern auch die sozialen Widersprüche zu. Das führte einerseits zwischen 1715 und 1717 zu einer Bauernrevolte, andererseits widersetzten sich die Pfarrer und Lehrer den sorbenfeindlichen Anweisungen. 1718 protestierten zehn sorbische Geistliche im Namen „aller wendischen Prediger im hiesigen Lande“ gegen die Einschränkung des sorbischen Gottesdienstes und baten um die Zurücknahme der o. g. Anordnung. Da sie die obrigkeitlichen Maßnahmen nur sehr zögerlich umsetzten, blieb der erhoffte Erfolg aus. 1730 stellte das Küstriner Konsistorium fest, dass das Reskript von 1717 im Cottbuser Kreis „noch wenig Wirkung gehabt“ habe. Daher erging an Superintendent Fabricius die nachdrückliche Weisung, darauf zu achten, dass alle Pfarrer und Lehrer seines Aufsichtsbezirks „bei harter fiskalischer Strafe“ die Bestimmungen befolgten. Zugleich sollte er berichten, ob in allen sorbischen Dörfern „tüchtige deutsche Schulmeister“ angestellt waren. Und 1731 verordnete der Preußenkönig, dass kein Sorbe getraut werden dürfe, der nicht wenigstens notdürftig die deutsche Sprache beherrschte. Bald stellte sich heraus, dass sich diese Verordnung nicht verwirklichen ließ. Deshalb wurde sie ein halbes Jahr später auf Personen unter 20 Jahren beschränkt.

Kirchgängerinnen in Trauertracht in Dissen, 1953; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Doch wider Erwarten blieben schnelle Germanisierungserfolge aus. Das Engagement einer schmalen Schicht sorbischer Intellektueller und die nach wie vor unruhige Lage im Land veranlassten den Soldatenkönig ab 1735 zu vorsichtigem Agieren und bewogen seine Nachfolger zu liberalem Verhalten gegenüber der sorbischen Bevölkerung. Unter Friedrich II. wurde das Sorbische wieder in Kirche, Schule und vor Gericht zugelassen, was zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Kreis führte. In wenigen Jahren entwickelte sich das Gebiet, das nach wie vor wichtige strategische Bedeutung für die preußische Ostpolitik besaß, von einem Unruheherd mit Untertanenflucht zu einem Hort der inneren Ruhe und intensiven Siedlung. Dazu trug Friedrich II. mit seiner seit etwa 1740 betriebenen friderizianischen Kolonisation wesentlich bei. Er sicherte den sorbischen Neusiedlern, die sich um Burg im Spreewald sowie in den Ämtern Cottbus und Peitz niederließen und zu zwei Dritteln aus der benachbarten Niederlausitz kamen, nicht nur wirtschaftliche Vergünstigungen, sondern auch den Schutz der sorbischen Sprache zu. 1748 äußerte er, dass er geruhe, „denen Untertanen Cottbusschen Kreises die wendische Sprache vor der Hand hinwiederum zu verstatten und zu schützen“. Das niedersorbische Schrifttum erlebte nun einen beachtlichen Aufschwung. Allein während Friedrichs Regierungszeit (1740–1786) erschienen elf Bücher und 14 Nachauflagen, um die sich besonders der Briesener Pfarrer Friedrich Ludwig Wille verdient machte. Friedrich Wilhelm II. stellte für Übersetzung und Herausgabe niedersorbischer religiöser Schriften insgesamt 1 500 Taler zur Verfügung. So konnte 1796 das von Pfarrer Jan Bjedrich Fryco übersetzte Alte Testament im Druck erscheinen.

Anordnung zum Umgang mit der niedersorbischen Sprache vor Gericht, 1795; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Ende des 18. Jh. war der Cottbuser Kreis dank seiner zentralen Lage im sorbischen Sprachgebiet und der weitgehend toleranten Politik der Hohenzollern ein geschlossenes sorbischsprachiges Gebiet. Mit Ausnahme der beiden Städte Cottbus und Peitz, in denen es neben sorbischen auch deutsche Kirchgemeinden gab, galten alle übrigen 17 Kirchspiele des Kreises als „wendisch“. Zu einschneidenden Veränderungen in der Nationalitätenpolitik kam es 1806, als der Cottbuser Kreis seine Sonderstellung verlor und verwaltungsmäßig wieder in die Niederlausitz eingegliedert wurde (1806). Für Kirchen- und Schulfragen war nun das Konsistorium in Lübben zuständig, das seine seit 1668 praktizierte Germanisierungspolitik (→ Sprachverbote) zunächst unter sächsischer, ab 1815 unter preußischer Herrschaft fortsetzte. Bereits 1812 ordnete es im Namen des sächsischen Königs an, auch im Kreis Cottbus den Gebrauch der sorbischen Sprache „nach und nach und vor der Hand wenigstens in Ansehung des Volksunterrichts und der gottesdienstlichen Amtshandlungen einzuschränken“, um „die von unsern Vorfahren vorlängst gehegte und bezeigte Absicht, die wendische Sprache gänzlich abzutun, baldmöglichst ins Werk“ zu setzen. Doch die Auswirkungen der langen Toleranzperiode waren im Cottbuser Kreis weiterhin spürbar und sind bis in die Gegenwart kenntlich. So haben sich sorbische Sprache, Sitten, Bräuche und Volkstracht hier im Vergleich zu anderen Regionen der Niederlausitz am längsten lebendig erhalten. 1812 lebten hier 6 721 Familien, von denen 5 170 (77 %) als „wendisch sprechende“, „vorwiegend wendisch sprechende“ bzw. „besser wendisch als deutsch sprechende“ charakterisiert wurden. In der Niederlausitz setzte ab der Mitte des 19. Jh. ein zügiger Assimilierungsprozess ein, der sich vor allem in einem schnellen Rückgang der Anwendung der sorbischen Sprache im Bereich der Kirche äußerte. Betrug 1956 der prozentuale Anteil der Sorben in der gesamten Niederlausitz nur noch 4,8 %, so lag er im Kreis Cottbus hingegen bei 29 %. Von den 66 im Jahr 1827 als sorbisch geltenden Pfarr- und Filialkirchen befanden sich allein im Cottbuser Kreis 35 (53 %). 1880 hatte sich die Gesamtzahl der Kirchen mit niedersorbischem Gottesdienst auf 32 reduziert. Von diesen lagen 27 (84 %) im Kreis Cottbus. Ähnliches galt für das Schulwesen. 1872 gab es 77 Schulen, in denen das Niedersorbische mit angewendet wurde, 64 davon lagen in dieser Region. Auch heute konzentriert sich das Sprachgebiet der Niederlausitzer Sorben auf den alten Cottbuser Kreis: Von den 51 Städten und Gemeinden, die sich zum angestammten Siedlungsgebiet der Sorben (Wenden) bekennen, gehören 25 zu diesem Territorium. Die Niederlausitzer sorbische Tracht wird von der jüngeren Generation anlässlich von Bräuchen wie Zapust (→ Fastnacht), Johannisreiten im Sommer oder Hahnrupfen in der Erntezeit angelegt (→ Erntebräuche).

Lit.: F. Mětšk: Die brandenburgisch-preußische Sorbenpolitik im Kreise Cottbus vom 16. Jahrhundert bis zum Posener Frieden (1806), Berlin 1962; P. Kunze: Zur brandenburgisch-preußischen Sorben(Wenden-)Politik im 17. und 18. Jahrhundert, in: Lětopis 46 (1999) 1; P. Kunze: Kirchen- und Schulpolitik in der Niederlausitz bis zum Ersten Weltkrieg, in: Zeitmaschine Lausitz. Raum-Erfahrungen – Leben in der Lausitz, Hg. S. Hose, Bautzen 2004.

Metadaten

Titel
Cottbuser Kreis
Titel
Cottbuser Kreis
Autor:in
Kunze, Peter
Autor:in
Kunze, Peter
Schlagwörter
Herrschaft; Regionalkultur; Assimilation; Landesgeschichte
Schlagwörter
Herrschaft; Regionalkultur; Assimilation; Landesgeschichte
Abstract

Von 1462 bis 1806 mitten im Markgraftum Niederlausitz gelegene brandenburgische Enklave. Seine eigenständige Existenz verdankte der Cottbuser Kreis den politischen Händeln jener Zeit.

Abstract

Von 1462 bis 1806 mitten im Markgraftum Niederlausitz gelegene brandenburgische Enklave. Seine eigenständige Existenz verdankte der Cottbuser Kreis den politischen Händeln jener Zeit.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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