Herrschaftsystem, in dem die privilegierten Stände – Adel, geistliche Stifter und
Städte – einen bedeutenden Anteil an der politischen Macht und der Verwaltung
des Landes hatten. Nur in Ausnahmefällen, wie z. B. in den Niederlanden, gelang
es den Ständen, die Macht in ihren Händen zu monopolisieren. In der Regel
teilten sie diese mit den Fürsten. Die Formierung der Landstände als politische
Körperschaften begann im Spätmittelalter. Während des 15. und 16. Jh. erreichte
die Ständeherrschaft in vielen Teilen Europas ihren Höhepunkt. In der
Die Fürsten verfügten im Mittelalter nicht über ausreichende personelle,
militärische und materielle Ressourcen, um eine flächendeckende Herrschaft
aufzubauen. Sie mussten andere daran teilhaben lassen und sich mit der
Oberhoheit begnügen. Unmittelbare Gewalt über die Masse der bäuerlichen
Untertanen besaßen die Grundherren. Quelle ihrer Herrschaftsrechte war das
Obereigentum am nutzbaren Grund und Boden, das ihnen in den Lausitzen als Lehen
(→
Aus den direkt dem Landesherrn unterstehenden Personen (freie Herren, Ritter) und
Körperschaften (Stifter, Städte) entwickelten sich die politisch berechtigten
Stände. Sie mussten dem Landesherrn bei der Huldigung Treue und Gehorsam
geloben, er konnte von ihnen Hilfe bei der Landesverteidigung sowie im
begrenzten Maße materielle Leistungen fordern. Dafür erhielten sie Privilegien.
Diese vererbbaren Vorrechte und das Gewohnheitsrecht setzten den Ansprüchen des
Landesherrn relativ enge Grenzen. Einen direkten Zugriff auf die Untertanen des
Adels, der
Bautzener Landhaus der Oberlausitzer Stände, Lithografie, 1854
Fast alle landesherrlichen Güter und Burgen, Vogteirechte, Zölle und andere
Hoheitsrechte gingen nach und nach in die Hände von Adel, Städten und Stiftern
über. Weithin unbehelligt von der fürstlichen Gewalt konnten diese in den
Lausitzen ihre Macht weiter ausbauen. Macht bedeutete im Mittelalter sowie in
der Frühen Neuzeit: 1. Zugriff auf die überschüssigen Erträge des Landes – den
hatten die Stände als Grundherren in den Lausitzen fast flächendeckend; 2.
Gerichtshoheit, möglichst verbunden mit einem Zwangsapparat, um das Recht
durchsetzen zu können. Die niedere Gerichtsbarkeit war mit der Grundherrschaft
bzw. der Verleihung des Stadtrechts verbunden. Mit der Zeit konnten verschiedene
Ständemitglieder auch die Obergerichte, den sog. Blutbann, erwerben. Da es in
den Lausitzen keine Fürstenhöfe und damit auch keine Hofgerichte gab und es
gleichzeitig ein Vorrecht der Stände war, nicht vor ein auswärtiges Gericht
geladen zu werden, waren das Niederlausitzer Landgericht bzw. das Oberlausitzer
»Gericht von Land und Städten« für sie die höchsten Instanzen. Bei diesen
Gerichten fällten ausschließlich gewählte ständische Schöffen die Urteile über
ihresgleichen. Eine Appellation an den König war nicht zulässig. Damit waren die
Stände der Lausitzen von der richterlichen Gewalt des Landesherrn befreit.
Urteile der zweiten Instanz (Obergericht) wurden dem
Bis ins 14. Jh. hinein waren die politischen Ordnungen der beiden Lausitzen noch
wenig strukturiert und die Stände traten nicht als klar erkennbare Gruppierungen
in Erscheinung. Die Machtbefugnisse der Adligen, der Städte und der geistlichen
Stifter beruhten auf Gewohnheitsrechten. Es gab keine allgemein verbrieften
ständischen Rechte, sondern nur landesherrliche Privilegien für einzelne Adlige,
Städte und Klöster. Dies änderte sich, als die Herrschaft über die Lausitzen an
die Könige von Böhmen aus der Dynastie der Luxemburger gelangte. Zwischen 1319
und 1367 wurden die beiden Markgraftümer von
In der Oberlausitz hatte Kaiser Karl IV. auf die prosperierenden landesherrlichen Städte als Verbündete bei der Herrschaftssicherung gesetzt. Durch Unterstützung des 1346 geschlossenen Sechsstädtebunds bereitete er den Boden für den politischen Aufstieg der Städte. Mit Billigung des Kaisers und seiner Nachfolger auf dem böhmischen Thron erwarben die Städte zunehmend Landbesitz und Gerichtsbarkeiten und unterhielten Truppen, mit denen sie ihre Rechte gegen den räuberischen Adel wirksam durchsetzen konnten. Für fast 150 Jahre blieb der Sechsstädtebund die unangefochtene Ordnungsmacht im Land. Wirtschaftlich konnte der allein von den Grundrenten lebende Adel ohnehin nicht mit den Städten konkurrieren; dieses Ungleichgewicht verschärfte sich weiter, je mehr Landgüter die Bürger aufkauften. Die Dominanz der Städte spiegelte sich auch in der Zusammensetzung der Oberlausitzer Ständeversammlung. Es gab nur zwei Stände, die je eine Stimme führten: den aus Adel und geistlichen Stiftern bestehenden Landstand und die Sechsstädte. In der Niederlausitz hingegen dominierte der Adel. Geteilt in Herren und Ritter bildete er zwei der vier Landtagskurien. Dazu kamen die geistlichen Stifter und die Städte. Die politische Führung lag ähnlich wie in Böhmen beim Herrenstand.
Aus den zwei- bis dreimal jährlich stattfindenden Versammlungen der Gerichtsgemeinden entstanden allmählich Ständeversammlungen, die über verschiedene Belange des Landes berieten und dazu Beschlüsse fassten. Seit dem letzten Drittel des 15. Jh. gab es regelmäßige Landtage mit einem klar definierten Kreis berechtigter Teilnehmer, die ihre Beratungen nach festen Regeln abhielten. Eine Besonderheit in beiden Lausitzen war, dass sich die Stände meist ohne Einberufung des Landesherrn versammelten, denn er war nur selten in den Markgraftümern zugegen und wurde vom Landvogt vertreten. Daraus erwuchs die weitreichende Autonomie der Landtage, die sich die Stände über Jahrhunderte zu bewahren wussten. Da es in den Lausitzen keinen slawischen Adel gab, gehörten keine Sorben zum Kreis der landtagsfähigen Personen. Die Landvögte waren als Stellvertreter des Königs die höchsten Beamten. In diese Position wurden meist auswärtige Vertraute des Herrschers berufen; allerdings hatten sich die Stände frühzeitig ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Landvogteien sichern können. Die Landvögte waren in der Hauptsache für die Gerichte, die Vergabe der Lehen und die Landesverteidigung zuständig. In beiden Markgraftümern standen den Landvögten ein Kanzler sowie einige wenige Schreiber und Amtsdiener zur Verfügung. Erst zu Zeiten der Habsburgerherrschaft (1526–1635) gelang es den Königen, neue landesherrliche Ämter zu schaffen.
Landeshauptleute, Gegenhändler und Kammerprokuratoren waren v. a. für die
königlichen Einkünfte aus den Lausitzen verantwortlich. Ohne einen Fürstenhof
als Zentrum und ohne Kammergüter als Einkommensquelle fehlten auch in der Frühen
Neuzeit die Voraussetzungen zur Etablierung landesherrlicher Behörden. Manche
Aufgaben wurden bis zum
Wappen des Bautzener Landhauses, jetzt am Landratsamt Bautzen; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Infolge der hussitischen Revolution (→
Unter der Habsburgerherrschaft kam es zu den letzten größeren Veränderungen an
den ständischen Verfassungen der Lausitzen. Der durch den Schmalkaldischen Krieg
ausgelöste Pönfall beendete 1547 die Vormacht der Sechsstädte in der
Oberlausitz. Wie im Hauptland Böhmen setzte
1562 gewährte er deshalb allen Ständen die Obergerichtsbarkeit auf ihren
Besitzungen. Ein Jahr zuvor wurden die ständischen Rechte in einer königlichen
Urkunde präzisiert und bestätigt. Der Inhalt der sog. Abhandlung ging auf einen
Entwurf von Land und Städten zurück. Bei den Huldigungen von 1564 wurde den
lutherischen Ständen beider Lausitzen von
Nach den Bestimmungen des Prager Friedens gingen die beiden Markgraftümer 1635
endgültig in den Besitz des sächsischen Kurfürsten über. Der
Bis zum Ende der ständischen Verfassung nahmen die Lausitzer Landtage ihr Steuerbewilligungsrecht wahr, es mussten deutlich geringere Sätze als in den Erblanden gezahlt werden. Zu einer aktiven Gestaltung der Landesangelegenheiten waren die Versammlungen der Stände dagegen kaum in der Lage. Man vermied durchgreifende Neuerungen, um den Bestand der alten Rechte und Privilegien, auf denen die Ständeherrschaft beruhte, nicht zu gefährden. Das Verfassungsrecht und die Ordnung der Landesinstitutionen blieben in sächsischer Zeit auf dem bis 1618 erreichten Stand gleichsam eingefroren.
Der ständische Konservatismus, die Selbstbezogenheit und die divergierenden
Interessen der einzelnen Ständemitglieder verhinderten Reformen oder gemeinsame
Investitionen, so etwa in der Finanzverwaltung oder im Schulwesen. Das Fehlen
staatlicher Strukturen war eine entscheidende Ursache für die
Entwicklungsdefizite, die die Lausitzen an der Wende vom 18. zum 19. Jh.
kennzeichneten. Den Erfordernissen der Moderne war das mittelalterliche
Herrschaftssystem nicht mehr gewachsen. Nach dem Sieg über
Lit.: H. Knothe: Urkundliche Grundlagen zu einer Rechtsgeschichte der Oberlausitz von ältester Zeit bis Mitte des 16. Jahrhunderts, Görlitz 1877; R. Lehmann: Geschichte der Niederlausitz, Berlin 1963; K. Blaschke: Beiträge zur Geschichte der Oberlausitz. Gesammelte Aufsätze, Görlitz/Zittau 2000; Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Hg. J. Bahlcke, Leipzig 2001.
Metadaten
Herrschaftsystem, in dem die privilegierten Stände – Adel, geistliche Stifter und Städte – einen bedeutenden Anteil an der politischen Macht und der Verwaltung des Landes hatten.
Herrschaftsystem, in dem die privilegierten Stände – Adel, geistliche Stifter und Städte – einen bedeutenden Anteil an der politischen Macht und der Verwaltung des Landes hatten.