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Kollekti­vierung der Land­wirt­schaft
von Edmund Pech

Überführung von Privateigentum an landwirtschaftlichem Besitz in Gemeineigentum, im engeren Sinne die Bildung von juristisch selbstständigen Produktionsgenossenschaften (LPGs) in der DDR der 1950er Jahre. Es gehörte zur sozialistischen Ideologie, das private Landeigentum in kollektiven Besitz umzuwandeln und gemeinschaftlich bewirtschaften zu lassen. Ziel war die Schaffung genossenschaftlicher Großbetriebe. Ab Juli 1952 gab die SED mit dem Beschluss der 2. Parteikonferenz über den „Aufbau des Sozialismus“ der Bildung von Produktionsgenossenschaften ihre generelle Unterstützung.

Freundschaftsvertrag zwischen der Bau-Union Bautzen und der LPG Wurschen, 1953; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Sorbische Bauern der Gemeinde Kreckwitz im Kreis Bautzen gründeten Ende Juli 1952 die erste LPG in der deutsch-sorbischen Region. Kurz darauf folgten vielerorts weitere Zusammenschlüsse von Landwirten. Entsprechend der politischen Strategie der SED hatte die Domowina diese ökonomischen Veränderungen aktiv mitzutragen. Sie wurde in Werbekampagnen zugunsten der Kollektivierung der Landwirtschaft im sorbischen Siedlungsgebiet eingebunden. Dabei war die Frage zu beantworten, wie der Gebrauch des Sorbischen in den LPGs garantiert werden konnte. Viele Sorben befürchteten, dass in deutsch-sorbischen Arbeitsbrigaden ihre Muttersprache zurückgedrängt werden würde. Deshalb gab es Bestrebungen, rein sorbische Genossenschaften zu bilden. Die Domowina forderte zwar, in Betriebszeitungen und Vorstandssitzungen die sorbische Sprache anzuwenden, vertrat jedoch grundsätzlich die Position des Staates.

LPG „Neue Zeit – Nowy čas“ in Cölln, 1954; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Verlauf und Ergebnisse der Kollektivierung der Landwirtschaft in den zweisprachigen Dörfern beider Lausitzen bestätigen trotz regionaler Besonderheiten die Typik dieses Entwicklungsabschnitts im ländlichen Raum der DDR. Die Genossenschaftsbildung begann zögerlich und brachte zunächst nur geringe Erfolge. Ab Februar 1953 sollten die LPG-Gründungen forciert werden. Doch die Einzelbauern setzten den Werbern hartnäckigen Widerstand entgegen, der in den Junitagen 1953 einen ersten Höhepunkt erreichte. Die Polizei registrierte im zweisprachigen Gebiet „eine beunruhigende Stimmungsmache gegen die Regierung der DDR“. In vielen Dörfern der Ober- und Niederlausitz fanden nicht genehmigte Versammlungen statt, bei denen u. a. freie und geheime Wahlen gefordert wurden. Im Zuge des neuen Kurses, der nach dem Volksaufstand vom 17.6.1953 vom Politbüro eingeleitet wurde, nahm die SED die Sanktionen gegen die privaten Bauern zurück. Im gesamten Land ging die Zahl der LPG-Gründungen deutlich zurück. Für einige Jahre konnten die Bauernhöfe innerhalb der staatlich vorgegebenen Wachstumsgrenzen relativ frei von Auflagen arbeiten. Meist handelte es sich um stabile Wirtschaften mit ausreichenden Erträgen.

Nach Jahren der Zurückhaltung nahmen ab 1958, infolge von Beschlüssen des V. Parteitags der SED, die politischen Zwangsmaßnahmen gegenüber den Bauern wieder zu. Die entscheidende Phase der Kollektivierung der Landwirtschaft begann Anfang 1960. Mit Unterstützung von Parteien und Organisationen entsandte die SED zahlreiche Agitatoren aufs Land, darunter Mitarbeiter sorbischer Institutionen und der Domowina. Dies trug zu einer Verschärfung des Konflikts zwischen Bauern und Funktionären bei. Im Frühjahr 1960 registrierten die staatlichen Sicherheitsbehörden an einigen Orten „eine Zunahme krimineller Delikte“. Doch es kam nur selten zum offenen Widerstand. Meist protestierten die Bauern mit anonymen Beschwerden oder beschädigten Transparente, die für die LPGs werben sollten. In der zweisprachigen Region machte sich überdies der Einfluss der Kirchen geltend.

Sorbische Pfarrer betonten in ihren Predigten die Unvereinbarkeit der Kollektivierung der Landwirtschaft mit dem christlichen Glauben und dem Recht auf Eigentum. Zahlreiche Forderungen der Bauern, etwa die Garantie auf Einhaltung kirchlicher Feiertage in den LPG-Statuten, hatten ihren Grund in der religiösen Bindung der Landwirte. In einigen sorbischen katholischen Orten verlangten die Bauern, dass bei einem LPG-Eintritt ihre Kinder von der atheistischen Jugendweihe verschont und die Kruzifixe in den Schulen hängen bleiben müssten. Einzelne Bauern verließen infolge der politischen Repressalien ihre Höfe bzw. die DDR.

Rinderoffenstall der LPG Lehndorf, 1956; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Frauen in der Schleifer Region bei der Feldarbeit, um 1980; Fotograf: Gerhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Doch auch im deutsch-sorbischen Territorium der Bezirke Dresden und Cottbus wurde bis Ende Mai 1960 die Kollektivierung der Landwirtschaft durchgängig erreicht. Trotz aller Verweigerung war es der SED in einer dreimonatigen Kampagne gelungen, die Vergenossenschaftung abzuschließen. Am 31.5.1960 gehörten in der DDR 945 000 Menschen und 85 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche zum genossenschaftlichen Sektor. Es existierten zunächst drei Typen von LPGs: Im Typ I verblieb die Tierhaltung in eigener Verantwortung, im Typ III wurde nach dem Boden auch das Vieh kollektiv bewirtschaftet; Typ II – gemeinsame Nutzung der Maschinen – spielte praktisch kaum eine Rolle. In der Praxis gelang es manchen sorbischen Landwirten, namentlich im ertragreichen Lößlehmgebiet östlich von Kamenz, ihre Betriebe noch einige Jahre vor der LPG zu bewahren. Viele Bauern waren keineswegs von den Vorteilen überzeugt, sie wurden trotz erheblicher Bedenken zum Beitritt genötigt. Das führte unmittelbar zu Ertragseinbußen. Erst ab 1964 festigte sich die wirtschaftliche Lage der meisten LPGs und die Bauern begannen die Genossenschaften zu akzeptieren. Durch den Einsatz von Technik erwiesen sich die Großbetriebe den früheren Familienhöfen ökonomisch überlegen. Hinzu kamen bald weitere Vorzüge, so kontinuierliche Lohnerhöhungen, regelmäßiger Urlaub, bezahlte Sonn- und Feiertage, Kinder- und Krankengeld, später ein Rentenanspruch.

Die Kollektivierung der Landwirtschaft wirkte sich auch auf die Anwendung der sorbischen Sprache unter den Dorfbewohnern aus. In den Einzelwirtschaften, wo oft Familienangehörige mitarbeiteten, waren Arbeits- und Familiensprache Sorbisch. Nach den LPG-Gründungen änderte sich in mancher Hinsicht die Umgangssprache am Arbeitsplatz. Zunächst unterhielten sich die sorbischen Bauern noch in ihrer Muttersprache. Doch später, nach Zusammenschlüssen mehrerer LPGs zu größeren Einheiten der Tier- und Pflanzenproduktion, dominierte allmählich das Deutsche. Beim Sprachwechsel spielte der regionale Faktor eine wesentliche Rolle. Speziell am Rande des sorbischen Siedlungsgebiets kam es zu einem raschen Wechsel vom Sorbischen zum Deutschen, die Minderheitssprache wurde in private Nischen verdrängt. Eine Ausnahme bildete die katholische Region, wo die ethnische Substanz über Jahrzehnte die Anwendung des Sorbischen im bäuerlichen Alltag erlaubte.

Lit.: Zwischen Bodenreform und Kollektivierung. Vor- und Frühgeschichte der „sozialistischen Landwirtschaft“ in der SBZ/​DDR vom Kriegsende bis in die fünfziger Jahre, Hg. U. Kluge, Stuttgart 2001; A. Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945 –1963, Köln/​Weimar/​Wien 2002; E. Pech: „Der sozialistische Frühling auf dem Lande“. Die Kollektivierung der Landwirtschaft in der zweisprachigen Oberlausitz, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 74/75 (2003/04); J. Schöne: Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin 2005.

Metadaten

Titel
Kollekti­vierung der Land­wirt­schaft
Titel
Kollekti­vierung der Land­wirt­schaft
Autor:in
Pech, Edmund
Autor:in
Pech, Edmund
Schlagwörter
Landwirtschaft; Landwirt; Landwirtin; Bauer; Bäuerin; Lausitz; Domowina; Assimilation; Sprachsituation
Schlagwörter
Landwirtschaft; Landwirt; Landwirtin; Bauer; Bäuerin; Lausitz; Domowina; Assimilation; Sprachsituation
Abstract

Überführung von Privateigentum an landwirtschaftlichem Besitz in Gemeineigentum, im engeren Sinne die Bildung von juristisch selbstständigen Produktionsgenossenschaften (LPGs) in der DDR der 1950er Jahre. Bauern der Gemeinde Kreckwitz im Kreis Bautzen gründeten Ende Juli 1952 die erste LPG in der deutsch-sorbischen Region.

Abstract

Überführung von Privateigentum an landwirtschaftlichem Besitz in Gemeineigentum, im engeren Sinne die Bildung von juristisch selbstständigen Produktionsgenossenschaften (LPGs) in der DDR der 1950er Jahre. Bauern der Gemeinde Kreckwitz im Kreis Bautzen gründeten Ende Juli 1952 die erste LPG in der deutsch-sorbischen Region.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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