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Spinnstube
von Susanne Hose

FĂŒr Mitteleuropa seit dem frĂŒhen 16. Jh. bezeugte Zusammenkunft des Gesindes, spĂ€ter der weiblichen Dorfjugend, zum gemeinsamen Spinnabend (obersorb. pƙaza, niedersorb. pƛěza rĂŒhrt von obersorb. pƙasć bzw. niedersorb. pƛěsć ,spinnen’) wĂ€hrend der lichtarmen Zeit. Verbreitet war auch der Begriff Spinte, in der Lausitz und in Nordböhmen wurde daneben von Rockenstuben bzw. Lichtstuben gesprochen.

Abraham Frencel beschreibt fĂŒr das spĂ€te 17. Jh., dass sich MĂ€gde, Knechte und Kinder der Bauern zwischen dem Burkhardstag (11.10.) und dem Mittwoch der Karwoche versammelten, um das ihnen aufgetragene Pensum an feinem, mittlerem und grobem Garn zu spinnen. Anbau und Verarbeitung von Flachs zu Leinwand waren vor dem Aufkommen der Textilindustrie und dem Siegeszug der Baumwolle im 19. Jh. ein fester Bestandteil der bĂ€uerlichen TĂ€tigkeit, denn die Bauern mussten sich und ihr Gesinde selbst mit Kleidung und WĂ€sche versorgen (→ Tracht). Der Geselligkeit wegen und um Licht zu sparen (KienspĂ€ne bzw. Talglichter), fand man sich in Gemeinschaften zusammen, in der Regel in GebĂ€uden mit ausreichend großen Stuben, seltener in Gastwirtschaften. Die wenigen, meist nicht auf eigenen Beobachtungen beruhenden Aussagen der Volkskunde vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jh. lassen den Schluss zu, dass die Spinnstuben vorwiegend eine Sache der MĂ€gde war, und dass nach getaner Arbeit auch Knechte und Burschen aus dem Dorf Zutritt hatten. Sie brachten Bier und Branntwein mit und unterhielten sich „bei Gesang und Tanz mit den MĂ€dchen oft bis in den Morgen“ (Edmund Schneeweis). Sigmund Musiat verweist anhand von Annoncen in der Zeitung „TydĆșenska Nowina“, mit denen Burschen zu Festen eingeladen wurden, auf die Funktion der Spinnstuben fĂŒr das Kennen- und Liebenlernen. Der Wunsch der MĂ€dchen nach Bekanntschaften erklĂ€rt auch das Spinnverbot am Vorabend des Andreastags (30.11.), an den sich eine Reihe von Liebesorakeln knĂŒpft. Der Hl. Andreas galt als „MĂ€nnerbescherer“.

Spinnstube im Hoyerswerdaer Land, um 1920; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Das unkontrollierte Zusammentreffen junger Leute, deren Sinn nach Unterhaltung und Erotik stand, war die Ursache fĂŒr zahlreiche behördliche und kirchliche Erlasse, UrteilssprĂŒche und Revisionsverfahren, die ĂŒber Unzucht, „unsittliche Trinkgelage und sonstige Ausschweifungen“ berichten. In der Oberlausitz setzte bereits 1551 durch Landesverordnung und 1580 durch Kirchenordnung eine kontinuierliche sittenpolizeiliche Verfolgung ein, die 1677 durch ein Oberamtspatent bekrĂ€ftigt wurde und so lange anhielt, bis die industrielle Produktion von Garn und Tuch in der zweiten HĂ€lfte des 19. Jh. das Spinnen und Weben von Hand ersetzte. Spinnstuben durften laut Verordnung lediglich zwischen 19 und 22 Uhr abgehalten werden; beklagt wurden aberglĂ€ubisches GeschwĂ€tz und spiritistische Praktiken (→ Sage), „schĂ€ndliche Lieder“ und „unzĂŒchtige TĂ€nze“ (→ Volkstanz), GotteslĂ€sterung und Geschrei. Aberglaube, politische Reden, Klatsch, Karten- und PfĂ€nderspiele, PrĂŒgeleien aus RivalitĂ€t und eine damit verbundene nĂ€chtliche Unruhe erweckten den Argwohn der Behörden.

Spinnstube in Dissen, um 1903; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Jan ArnoĆĄt Smoler erwĂ€hnte als Erster, dass die MĂ€dchen – nachdem das Dorf- und Tagesgeschehen behandelt worden war – Volkslieder und geistliche Lieder unter Anleitung einer kantorka oder zanoĆĄerka (d. h. VorsĂ€ngerin) sangen. Sie hatte auf die treffende Auswahl und den rechten Gesang zu achten, denn die wĂ€hrend der Spinnstube eingeĂŒbten Kirchenlieder wiederholten die MĂ€dchen auch zu Ostern (→ OsterbrĂ€uche), Hochzeiten und Beerdigungen. Die VorsĂ€ngerin war fĂŒr das Einhalten der Regeln verantwortlich, ihr oblag die Kontrolle ĂŒber die Disziplin. Offensichtlich war der Bedarf an handgesponnenem Garn bereits Mitte des 19. Jh. so gesunken, dass sich die MĂ€dchen nur noch bis Aschermittwoch zur Spinnstube trafen, dafĂŒr aber wĂ€hrend der Fastenzeit als Singegemeinschaft im Dorf auftraten. Zudem bildeten sich in grĂ¶ĂŸeren Orten mehrere, nach der sozialen Zugehörigkeit in Gesinde-, Bauerntöchter- bzw. FabrikmĂ€dchenspinten unterschiedene Gruppen.

Die Volkskunde hat die Spinnstube zu einer Bildungs- bzw. PflegestĂ€tte der Volksdichtung erhoben, was zum Wunschbild vom Dorf als Refugium der Tradition im Gegensatz zur kulturlosen Stadt gehörte. Wilibald von Schulenburg plĂ€dierte fĂŒr die Beibehaltung der Spinnstube und wertete die Verbote und EinschrĂ€nkungen als Versuch aufgeklĂ€rter Geister, „dem Volk auch das bisschen Dichtung zu nehmen“ (1880).

Am lĂ€ngsten hat sich die Spinnstube in der Schleifer Region erhalten, die aufgrund des kargen Bodens als die Ă€rmste in der Lausitz gilt. Als in den 1920er Jahren auch hier die pćěza verschwand, trafen sich die MĂ€dchen zum gemeinsamen Singen und zur Pflege von BrĂ€uchen, wozu z. B. das HerumfĂŒhren des dĆșěćetko (→ WeihnachtsbrĂ€uche) oder das Ostersingen gehören.

Lit.: S. Musiat: Zur sozialen Struktur der obersorbischen Spinnstube, in: Zeitschrift fĂŒr Slawistik 8 (1963); S. Musiat: Zur Lebensweise des landwirtschaftlichen Gesindes in der Oberlausitz, Bautzen 1964; R. Schenda: Von Mund zu Ohr. Bausteine zu einer Kulturgeschichte des volkstĂŒmlichen ErzĂ€hlens, Göttingen 1993.

Metadaten

Titel
Spinnstube
Titel
Spinnstube
Autor:in
Hose, Susanne
Autor:in
Hose, Susanne
Schlagwörter
Gesinde; Wolle; Handarbeiten; ErzÀhlung; Volksdichtung; Brauch; Kirchenlied; Volkslied; Spiel; MÀdchen; Flachs; Garn; Spinnrad; Dorfleben; Kantorka
Schlagwörter
Gesinde; Wolle; Handarbeiten; ErzÀhlung; Volksdichtung; Brauch; Kirchenlied; Volkslied; Spiel; MÀdchen; Flachs; Garn; Spinnrad; Dorfleben; Kantorka
Abstract

FĂŒr Mitteleuropa seit dem frĂŒhen 16. Jh. bezeugte Zusammenkunft des Gesindes, spĂ€ter der weiblichen Dorfjugend, zum gemeinsamen Spinnabend wĂ€hrend der lichtarmen Zeit.

Abstract

FĂŒr Mitteleuropa seit dem frĂŒhen 16. Jh. bezeugte Zusammenkunft des Gesindes, spĂ€ter der weiblichen Dorfjugend, zum gemeinsamen Spinnabend wĂ€hrend der lichtarmen Zeit.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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