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Nationale Symbole
von Leoš Šatava

Historisch-kulturell geprägte Kennzeichen oder Sinnbilder nationaler Identifikation, die nach innen integrierende, gemeinschaftsbildende Funktionen besitzen und nach außen hin abgrenzen und eigene Bestrebungen unterscheidbar machen sollen. Während der nationalen Wiedergeburt entstand ein Kanon nationaler Symbole, der Ausdruck und Stimulus eines neuen sorbischen Selbstverständnisses war.

Einerseits erlangten traditionelle Stereotype sorbischer Geschichte Symbolcharakter, andererseits erfüllten kulturelle Neuschöpfungen diese Funktion.

Ode auf die Lausitz, Handschrift von Handrij Zejler, 1828; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Ausbildung nationaler Symbole und kollektiver Mythen im 19. und zu Beginn des 20. Jh. in der sorbischen Nationalbewegung verlief parallel zur Bildung des deutschen Nationalstaates; sie diente zur Distanzierung von darin eingeschlossenen Ausschließlichkeitsansprüchen. Angeregt wurde sie von vergleichbaren Prozessen in anderen slawischen Nationen, besonders durch die tschechische Wiedergeburt, was die ikonografische Nähe der Symbole erklärt. Zu den integrativen Elementen gehören die „slawischen“ Farben „Blau-Rot-Weiß“ in der Trikolore. Bereits zum zweiten sorbischen Gesangfest 1846 sollen Kokarden in diesen Farben getragen worden sein. Handrij Zejler hat sie im Revolutionsjahr 1848 im Gedicht „Serbske barby“ (Sorbische Farben) besungen. Am 23.3.1848 wurden die Farben auf einem Treffen in Berlin von Vertretern aller slawischen Völker, an dem Jan Arnošt Smoler teilnahm, als slawische „Nationalfarben“ vereinbart. Sie sind seither konfessionen- und regionenübergreifend als die sorbischen Farben anerkannt. Neben der Hymne hat die sorbische Fahne, die in der NS-Zeit durch das Reichsflaggengesetz von 1935 verboten wurde, bis in die Gegenwart einen halboffiziellen Charakter und wird im zweisprachigen Gebiet neben dem schwarz-rot-goldenen Banner und der Europa-Fahne gehisst.

Illustration aus dem Besucherbuch der Maćica Serbska, 1849; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Auch der symbolische Gehalt der Linde, die als Vereinsname, als Emblem von Domowina und Domowina-Verlag sowie im ikonografischen Gebrauch in der sorbischen Bildenden Kunst und Gebrauchsgrafik erscheint, hat sich aus anderen slawischen Nationalbestrebungen heraus entwickelt. Hier war es v. a. das tschechische Vorbild, das die Linde als Gegensatz zur deutschen Eiche im 19. Jh. zum nationalen Symbol erhob. Diese Gegensätze sollten auch nationale Charaktere assoziieren. Eiche: knorrig, robust, hart; Linde: weich, zart, friedfertig.

Eine direkte Übernahme tschechischer bzw. gesamtslawischer Symbolik geschah mit der Etablierung des Sokoł in der Lausitz nach 1921. Die slawische Sokoł-Bewegung war traditionell mit einer ganzen Phalanx von Bildzeichen, Uniformierungen und Ritualen verbunden, die der sorbische Sokoł übernahm.

Als sorbische Hymnen wurden zunächst eigene und nachempfundene Texte zu polnischen und russischen Melodien gesungen, seit 1845 „Hišće Serbstwo njezhubjene“ (Noch sind die Sorben nicht verloren), Zejlers Text auf die polnische Mazurka „Jeszcze Polska nie zginęła“ und das Aufbruchslied „Naše Serbstwo z procha stawa“ (Aus dem Staub erhebt sich unser Sorbentum, 1846) von Michał Domaška, seit 1870 „Ja Słowjan sym a Słowjan budu“ (Slawe bin ich, Slawe bleib ich) von Jan Arnošt Smoler. 1923 setzte sich als sorbische „Nationalhymne“ auf Initiative von Bjarnat Krawc endgültig die schon 1828 von Zejler gedichtete Ode „Rjana Łužica“ (Lausitz, schönes Land; Melodie Korla Awgust Kocor) durch. Mit der Reduktion auf Anfangs- und Endstrophe und dem Verzicht auf den narrativen Mittelteil gewann das Gedicht eine abgehobene alltagsferne Ebene, die es zur Hymne tauglich machte.

Mit dem Bau des Wendischen Hauses in Bautzen wurden erstmals nationale Symbole und sorbische Schriftzüge im Schmuckwerk der Fassade eines repräsentativen städtischen Gebäudes abgebildet. Diesem symbolischen Anspruch ist der Nachfolgebau am Postplatz in Bautzen (→ Haus der Sorben) nicht mehr gerecht geworden.

Sorbische Fans bei der „Europeada“, der Fußball- Europameisterschaft der nationalen Minderheiten, 2012; Fotograf: Rafael Ledschbor

Neben den durch die sorbischen nationalen Bestrebungen konnotierten Kollektivsymbolen wurden Personen, Sachverhalten, Örtlichkeiten oder historischen Ereignissen die Eigenschaft nationaler Symbole zugeschrieben. Das gilt für den Begründer der sorbischen Nationalliteratur Handrij Zejler, in hohem Maße für die sorbischen Frauentrachten, für das verzierte Osterei, für die Berge Czorneboh und Lubin, die Spree als Siedlungsachse oder auch für Sagengestalten wie den Wassermann, die Mittagsfrau oder Krabat, im Sinne des negativen Bezugs auch für das Gastmahl des Markgrafen Gero I., das in der kollektiven Erinnerung der Sorben verankert ist. Seit den 1920er Jahren hat der Grafiker Měrćin Nowak-Njechorński durch extensive Darstellung volkstümlicher und mythischer Überlieferungen nationale Symbole des Sorbischen ins Bewusstsein der sorbischen und außersorbischen Öffentlichkeit gerückt.

Lit.: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1848; V. Macura: Znamení zrodu. České obrození jako kulturní typ, Praha 1983; L. Šatava: K problematice atributů etnické identity a územní pšíslušnosti, in: Lětopis 39 (1992) 1; Mythen der Nationen – ein europäisches Panorama, Hg. M. Flacke, Berlin 1998; K. Olsen: Ethnic Symbols and Everyday Life. Language in Finnmark, Northern Norway, in: Pro Ethnologia 10: Cultural identity of Arctic Peoples, Hg. A. Leete, Tartu 2000; W. Smith: National Symbols, in: Encyclopedia of Nationalism, Hg. A. J. Motyl, Bd. 1, San Diego/​London 2001.

Metadaten

Titel
Nationale Symbole
Titel
Nationale Symbole
Autor:in
Šatava, Leoš
Autor:in
Šatava, Leoš
Schlagwörter
Fahne; Nationalfarben; Hymne; nationale Wiedergeburt; Nationalbewegung; Bildende Kunst; Mythos; kollektives Gedächtnis
Schlagwörter
Fahne; Nationalfarben; Hymne; nationale Wiedergeburt; Nationalbewegung; Bildende Kunst; Mythos; kollektives Gedächtnis
Abstract

Historisch-kulturell geprägte Kennzeichen oder Sinnbilder nationaler Identifikation, die nach innen integrierende, gemeinschaftsbildende Funktionen besitzen und nach außen hin abgrenzen und eigene Bestrebungen unterscheidbar machen sollen. Als Ausdruck sowie als Stimulus eines neuen sorbischen Selbstverständnisses entstand während der nationalen Wiedergeburt ein Kanon nationaler Symbole.

Abstract

Historisch-kulturell geprägte Kennzeichen oder Sinnbilder nationaler Identifikation, die nach innen integrierende, gemeinschaftsbildende Funktionen besitzen und nach außen hin abgrenzen und eigene Bestrebungen unterscheidbar machen sollen. Als Ausdruck sowie als Stimulus eines neuen sorbischen Selbstverständnisses entstand während der nationalen Wiedergeburt ein Kanon nationaler Symbole.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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