Durchsetzung der industriellen Produktion in der Lausitz, in der zuvor Landwirtschaft und Handwerk
vorherrschten. Die Ablösung der feudalen Verhältnisse durch Landabtretungen,
Kapital- und Rentenzahlung zog sich hier über Jahrzehnte hin; in den preußischen
Gebieten begann sie 1819 bzw. 1821, in Sachsen 1832. Sie setzte
landwirtschaftliche Beschäftigte frei, die in den Dörfern weder eine bäuerliche
Existenz gründen noch auskömmliche Lohnarbeit finden konnten. Im sorbischen Siedlungsgebiet war im
Unterschied zu benachbarten Landstrichen (etwa dem Berliner Raum) der Stand von
Industrialisierung bzw. Mechanisierung zunächst sehr niedrig. Bis in die zweite
Hälfte des 19. Jh. waltete in den ländlichen Regionen von Ober- und Niederlausitz Armut, besonders in Dörfern mit Rittergütern oder
herrschaftlichen Vorwerken. Hinzu trat bei der sorbischen Bevölkerung ein
Bildungsnotstand. Wo zudem eine religiöse Unterdrückung empfunden wurde – etwa
bei den Altlutheranern in der preußischen Oberlausitz –, kam es neben der
allgemeinen Landflucht zu einer starken Auswanderung.
Steinbruch in Horka b. Räckelwitz, 1977; Fotograf: Kurt Heine,
Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Kraftwerk in Lübbenau, um 1967; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv
am Sorbischen Institut
Den bescheidenen Anfängen der Industrialisierung vor 1840 folgte eine positive Entwicklung,
die sich allerdings regional unterschiedlich gestaltete. In der Leinen- und
Baumwollweberei des Oberlausitzer Berglands bewies die Fabrikproduktion bis
Mitte des 19. Jh. ihre Dominanz über Handwerks- und Manufakturbetriebe. Die
Eröffnung der Bahnstrecke zwischen Dresden und Görlitz
über Bautzen und Löbau (1847) förderte das Textilgewerbe und
gab u. a. den Anstoß zur Erschließung der Granitvorkommen bei Schmölln. Der Deutsch-Französische Krieg
und die Gründung des Deutschen Reiches (1870/71) führten zu einem weiteren
Industrialisierungsschub. In Bautzen, Löbau und Zittau etablierte sich die Metallindustrie, aus dem Umland
strömten Arbeitskräfte in die Städte. Zugleich betrieben die meisten sorbischen
und deutschen Landbewohner ihre kleine Landwirtschaft weiter. So entstand der
Typ des ländlichen Industriearbeiters, der an Sprache und Tradition lange
festhielt. Bis Anfang des 20. Jh. wurde auch die sächsische Oberlausitz zu einem
Territorium mit überwiegend industriell tätiger Bevölkerung. Die Niederlausitz
war davon durch das ökonomisch rückständige Heidegebiet der
preußisch-schlesischen Kreise Rothenburg und Hoyerswerda getrennt. Im südlichen Niederlausitzer Raum
erfolgte nahezu zeitgleich ein Aufschwung dank der Textilindustrie, die in Cottbus, Forst, Spremberg und Finsterwalde konzentriert war. Mit wachsender Zahl und Stärke
der Dampfmaschinen im Tuchgewerbe stieg der Brennstoffbedarf. Damit wurde der
Braunkohlenbergbau in der Niederlausitzer Heide attraktiv. In den
Gründerjahren nach 1871 nahm auch der Verkehrswegebau zu, der die allgemeine
Wirtschaftsentwicklung begleitete. Die Bahnstrecke zwischen Berlin und Görlitz über Cottbus und
Spremberg war 1868 fertiggestellt worden. Es folgten die Strecken zwischen
Cottbus und Großenhain (1870) sowie
zwischen Lübbenau und Kamenz (1874). Das Gebiet um Senftenberg wurde in den folgenden
Jahrzehnten zum Kern des Lausitzer Braunkohlenreviers. (→ Senftenberger Region) In der
Glaserzeugung, die bis dahin auf wenige kleine Hütten beschränkt war, bewirkte
die Kohlefeuerung einen Fortschritt; sie griff von der südlichen Niederlausitz
auf den Kreis Rothenburg über (v. a. Weißwasser). Dort entstanden infolge des Bergbaus, der Glas-
und Ziegelproduktion neue Industriezweige, die gewerbliche Arbeitsplätze für die
Dorfbevölkerung boten. So wurde die Niederlausitzer Heide zum zweitstärksten
Wirtschaftsraum der Lausitzen, der ländliche Industriearbeiter zum typischen
Vertreter des sorbischen Proletariats. Die weitere Industrialisierung der Region
wurde im Wesentlichen durch Braunkohle- und Energiegewinnung bestimmt. Im und
kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die ersten modernen Kohlekraftwerke.
Gleichzeitig wurde in Lauta ein
Aluminium- und Chemiewerk von überregionaler Bedeutung errichtet. Zudem hatte
sich mit dem Bau von Textil- und Landmaschinen samt Zulieferern ein eigener
Wirtschaftszweig etabliert, hinzu kamen Waggon- und Maschinenbau. Besonders in
den 1930er Jahren gab es zusätzliche Investitionen, da in der NS-Zeit Autarkie angestrebt wurde. Zu den
wichtigsten zählten der Neubau eines Treibstoffsynthesewerks bei Schwarzheide sowie mehrere
elektrotechnische Unternehmen. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs verlagerten
einige Industriebetriebe aus bombengefährdeten deutschen Gebieten ihre
Produktion in die Ober- oder Niederlausitz.
Abraumbagger im Tagebau bei Lohsa, 1952; Fotograf: Kurt Heine,
Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Kühltürme im Kraftwerk Schwarze Pumpe, 1958; Fotograf: Erich
Rinka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Während der deutschen Teilung 1949–1990 wurden die traditionellen Industriezweige der
Lausitzen wie Tuchherstellung, Fahrzeug- und Maschinenbau sowie Glas- und
Lebensmittelindustrie ausgebaut. Für die rohstoffarme DDR rückte die Gewinnung
von Braunkohle zunehmend in den Mittelpunkt. Die reichen Lausitzer
Kohlevorkommen wurden systematisch ausgebeutet. Über viele Jahre galt der Bezirk
als „Kohle- und Energiezentrum“. Im Verbund mit der Errichtung von
Brikettfabriken und Kraftwerken sowie weiteren Industriebetrieben – so der
Chemie- und Kunststoffindustrie – führte der Braunkohlenbergbau zu einem hohen
Bedarf an Arbeitskräften und einem schnellen Wachstum der Einwohnerzahlen in den
Industrieorten. Industrielle Schwerpunkte waren ferner die Glas- und
Ziegelproduktion sowie in der Oberlausitz die Granitindustrie. Für den
umfangreichen Industrie- und Wohnungsbau entstanden u. a. in Bautzen,
Hoyerswerda und Cottbus große Betonwerke sowie ein Metall-Leichtbau-Kombinat in
Hosena. Die Industrialisierung
der Lausitz zog noch bis 1989 einen Strom von Menschen in das zweisprachige
Gebiet. Trotz des Zuzugs wurde der Arbeitskräftebedarf immer auch aus dem Umland
gedeckt. In vielen Betrieben arbeiteten vornehmlich landsässige Beschäftigte aus
der Umgebung, Deutsche wie Sorben. In traditioneller
dörflicher Umgebung konnte sich das sorbische Element weitaus besser behaupten
als in einer „sozialistischen Wohnstadt“ wie Hoyerswerda.
Anzeige einer Glashütte in Muskau (geg. 1898), Repro aus: Weißwasser in der
Oberlausitz mit Muskau und Umgegend nebst Industrie in Wort und Bild, 1908
Der politischen Wende folgte
in den 1990er Jahren eine weitreichende Deindustrialisierung der Lausitz,
Tausende von Arbeitsplätzen gingen verloren. Die Textil- und Glasindustrie, der
Fahrzeugbau, Teile des Maschinenbaus und der Lebensmittelindustrie waren in der
Marktwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig. Auch die Braunkohlenindustrie und
die Energiegewinnung waren betroffen. Städte wie Hoyerswerda und Weißwasser
gerieten durch den abrupten Rückgang der Produktion in eine demografische Krise,
die sich aus Arbeitslosigkeit und Abwanderung ergab. An einigen Standorten
konnten sich jedoch wirtschaftlich und technologisch optimierte
Industriebetriebe etablieren. Dazu gehören Unternehmen der Braunkohlenindustrie,
so das neue Kraftwerk Schwarze Pumpe
oder das modernisierte Synthesewerk in Schwarzheide, dazu verschiedene Bereiche
wie der Schienenfahrzeugbau durch Bombardier in Bautzen und Görlitz. Darüber
hinaus wurde das Baugewerbe durch die einsetzenden Sanierungsmaßnahmen zu einem
bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Trotzdem bildet die insgesamt strukturschwache
Lausitz seit 1990 ein Abwanderungsgebiet sowie eine Region mit relativ hoher
Arbeitslosigkeit und Überalterung. Dies wirkt sich auf die sorbische Sprache und
Kultur negativ aus, da v. a. junge Menschen bzw. Familien ihre Heimat verlassen
(→ Assimilation). Der industrielle Umstrukturierungsprozess bleibt auch
für die Zukunft eine große Herausforderung, zumal der Kohleausstieg im Jahr 2038
voraussichtlich abgeschlossen sein soll.
Lit.: F. Förster: Verschwundene Dörfer. Die Ortsabbrüche des Lausitzer Braunkohlenreviers bis
1993, 2. Aufl., Bautzen 1996; Niederlausitzer Industriearbeiter 1935 bis 1970.
Studien zur Sozialgeschichte, Hg. P. Hübner, Berlin 1995; E. Pech: Die
Sorbenpolitik der DDR 1949–1970. Anspruch und Wirklichkeit, Bautzen 1999; E.
Hartstock: Wirtschaftsgeschichte der Oberlausitz 1547–1945, Bautzen 2007.