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Industriali­sierung
von Frank Förster und Edmund Pech

Durchsetzung der industriellen Produktion in der Lausitz, in der zuvor Landwirtschaft und Handwerk vorherrschten. Die Ablösung der feudalen Verhältnisse durch Landabtretungen, Kapital- und Rentenzahlung zog sich hier über Jahrzehnte hin; in den preußischen Gebieten begann sie 1819 bzw. 1821, in Sachsen 1832. Sie setzte landwirtschaftliche Beschäftigte frei, die in den Dörfern weder eine bäuerliche Existenz gründen noch auskömmliche Lohnarbeit finden konnten. Im sorbischen Siedlungsgebiet war im Unterschied zu benachbarten Landstrichen (etwa dem Berliner Raum) der Stand von Industrialisierung bzw. Mechanisierung zunächst sehr niedrig. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. waltete in den ländlichen Regionen von Ober- und Niederlausitz Armut, besonders in Dörfern mit Rittergütern oder herrschaftlichen Vorwerken. Hinzu trat bei der sorbischen Bevölkerung ein Bildungsnotstand. Wo zudem eine religiöse Unterdrückung empfunden wurde – etwa bei den Altlutheranern in der preußischen Oberlausitz –, kam es neben der allgemeinen Landflucht zu einer starken Auswanderung.

Steinbruch in Horka b. Räckelwitz, 1977; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Kraftwerk in Lübbenau, um 1967; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Den bescheidenen Anfängen der Industrialisierung vor 1840 folgte eine positive Entwicklung, die sich allerdings regional unterschiedlich gestaltete. In der Leinen- und Baumwollweberei des Oberlausitzer Berglands bewies die Fabrikproduktion bis Mitte des 19. Jh. ihre Dominanz über Handwerks- und Manufakturbetriebe. Die Eröffnung der Bahnstrecke zwischen Dresden und Görlitz über Bautzen und Löbau (1847) förderte das Textilgewerbe und gab u. a. den Anstoß zur Erschließung der Granitvorkommen bei Schmölln. Der Deutsch-Französische Krieg und die Gründung des Deutschen Reiches (1870/71) führten zu einem weiteren Industrialisierungsschub. In Bautzen, Löbau und Zittau etablierte sich die Metallindustrie, aus dem Umland strömten Arbeitskräfte in die Städte. Zugleich betrieben die meisten sorbischen und deutschen Landbewohner ihre kleine Landwirtschaft weiter. So entstand der Typ des ländlichen Industriearbeiters, der an Sprache und Tradition lange festhielt. Bis Anfang des 20. Jh. wurde auch die sächsische Oberlausitz zu einem Territorium mit überwiegend industriell tätiger Bevölkerung. Die Niederlausitz war davon durch das ökonomisch rückständige Heidegebiet der preußisch-schlesischen Kreise Rothenburg und Hoyerswerda getrennt. Im südlichen Niederlausitzer Raum erfolgte nahezu zeitgleich ein Aufschwung dank der Textilindustrie, die in Cottbus, Forst, Spremberg und Finsterwalde konzentriert war. Mit wachsender Zahl und Stärke der Dampfmaschinen im Tuchgewerbe stieg der Brennstoffbedarf. Damit wurde der Braunkohlenbergbau in der Niederlausitzer Heide attraktiv. In den Gründerjahren nach 1871 nahm auch der Verkehrswegebau zu, der die allgemeine Wirtschaftsentwicklung begleitete. Die Bahnstrecke zwischen Berlin und Görlitz über Cottbus und Spremberg war 1868 fertiggestellt worden. Es folgten die Strecken zwischen Cottbus und Großenhain (1870) sowie zwischen Lübbenau und Kamenz (1874). Das Gebiet um Senftenberg wurde in den folgenden Jahrzehnten zum Kern des Lausitzer Braunkohlenreviers. (→ Senftenberger Region) In der Glaserzeugung, die bis dahin auf wenige kleine Hütten beschränkt war, bewirkte die Kohlefeuerung einen Fortschritt; sie griff von der südlichen Niederlausitz auf den Kreis Rothenburg über (v. a. Weißwasser). Dort entstanden infolge des Bergbaus, der Glas- und Ziegelproduktion neue Industriezweige, die gewerbliche Arbeitsplätze für die Dorfbevölkerung boten. So wurde die Niederlausitzer Heide zum zweitstärksten Wirtschaftsraum der Lausitzen, der ländliche Industriearbeiter zum typischen Vertreter des sorbischen Proletariats. Die weitere Industrialisierung der Region wurde im Wesentlichen durch Braunkohle- und Energiegewinnung bestimmt. Im und kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die ersten modernen Kohlekraftwerke. Gleichzeitig wurde in Lauta ein Aluminium- und Chemiewerk von überregionaler Bedeutung errichtet. Zudem hatte sich mit dem Bau von Textil- und Landmaschinen samt Zulieferern ein eigener Wirtschaftszweig etabliert, hinzu kamen Waggon- und Maschinenbau. Besonders in den 1930er Jahren gab es zusätzliche Investitionen, da in der NS-Zeit Autarkie angestrebt wurde. Zu den wichtigsten zählten der Neubau eines Treibstoffsynthesewerks bei Schwarzheide sowie mehrere elektrotechnische Unternehmen. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs verlagerten einige Industriebetriebe aus bombengefährdeten deutschen Gebieten ihre Produktion in die Ober- oder Niederlausitz.

Abraumbagger im Tagebau bei Lohsa, 1952; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Kühltürme im Kraftwerk Schwarze Pumpe, 1958; Fotograf: Erich Rinka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Während der deutschen Teilung 1949–1990 wurden die traditionellen Industriezweige der Lausitzen wie Tuchherstellung, Fahrzeug- und Maschinenbau sowie Glas- und Lebensmittelindustrie ausgebaut. Für die rohstoffarme DDR rückte die Gewinnung von Braunkohle zunehmend in den Mittelpunkt. Die reichen Lausitzer Kohlevorkommen wurden systematisch ausgebeutet. Über viele Jahre galt der Bezirk als „Kohle- und Energiezentrum“. Im Verbund mit der Errichtung von Brikettfabriken und Kraftwerken sowie weiteren Industriebetrieben – so der Chemie- und Kunststoffindustrie – führte der Braunkohlenbergbau zu einem hohen Bedarf an Arbeitskräften und einem schnellen Wachstum der Einwohnerzahlen in den Industrieorten. Industrielle Schwerpunkte waren ferner die Glas- und Ziegelproduktion sowie in der Oberlausitz die Granitindustrie. Für den umfangreichen Industrie- und Wohnungsbau entstanden u. a. in Bautzen, Hoyerswerda und Cottbus große Betonwerke sowie ein Metall-Leichtbau-Kombinat in Hosena. Die Industrialisierung der Lausitz zog noch bis 1989 einen Strom von Menschen in das zweisprachige Gebiet. Trotz des Zuzugs wurde der Arbeitskräftebedarf immer auch aus dem Umland gedeckt. In vielen Betrieben arbeiteten vornehmlich landsässige Beschäftigte aus der Umgebung, Deutsche wie Sorben. In traditioneller dörflicher Umgebung konnte sich das sorbische Element weitaus besser behaupten als in einer „sozialistischen Wohnstadt“ wie Hoyerswerda.

Anzeige einer Glashütte in Muskau (geg. 1898), Repro aus: Weißwasser in der Oberlausitz mit Muskau und Umgegend nebst Industrie in Wort und Bild, 1908

Der politischen Wende folgte in den 1990er Jahren eine weitreichende Deindustrialisierung der Lausitz, Tausende von Arbeitsplätzen gingen verloren. Die Textil- und Glasindustrie, der Fahrzeugbau, Teile des Maschinenbaus und der Lebensmittelindustrie waren in der Marktwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig. Auch die Braunkohlenindustrie und die Energiegewinnung waren betroffen. Städte wie Hoyerswerda und Weißwasser gerieten durch den abrupten Rückgang der Produktion in eine demografische Krise, die sich aus Arbeitslosigkeit und Abwanderung ergab. An einigen Standorten konnten sich jedoch wirtschaftlich und technologisch optimierte Industriebetriebe etablieren. Dazu gehören Unternehmen der Braunkohlenindustrie, so das neue Kraftwerk Schwarze Pumpe oder das modernisierte Synthesewerk in Schwarzheide, dazu verschiedene Bereiche wie der Schienenfahrzeugbau durch Bombardier in Bautzen und Görlitz. Darüber hinaus wurde das Baugewerbe durch die einsetzenden Sanierungsmaßnahmen zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Trotzdem bildet die insgesamt strukturschwache Lausitz seit 1990 ein Abwanderungsgebiet sowie eine Region mit relativ hoher Arbeitslosigkeit und Überalterung. Dies wirkt sich auf die sorbische Sprache und Kultur negativ aus, da v. a. junge Menschen bzw. Familien ihre Heimat verlassen (→ Assimilation). Der industrielle Umstrukturierungsprozess bleibt auch für die Zukunft eine große Herausforderung, zumal der Kohleausstieg im Jahr 2038 voraussichtlich abgeschlossen sein soll.

Lit.: F. Förster: Verschwundene Dörfer. Die Ortsabbrüche des Lausitzer Braunkohlenreviers bis 1993, 2. Aufl., Bautzen 1996; Niederlausitzer Industriearbeiter 1935 bis 1970. Studien zur Sozialgeschichte, Hg. P. Hübner, Berlin 1995; E. Pech: Die Sorbenpolitik der DDR 1949–1970. Anspruch und Wirklichkeit, Bautzen 1999; E. Hartstock: Wirtschaftsgeschichte der Oberlausitz 1547–1945, Bautzen 2007.

Metadaten

Titel
Industriali­sierung
Titel
Industriali­sierung
Autor:in
Förster, Frank; Pech, Edmund
Autor:in
Förster, Frank; Pech, Edmund
Schlagwörter
Eisenbahn; Textilgewerbe; Granitabbau; Glasindustrie; Kohlekraftwerk; Maschinenbau; Lebensmittelindustrie; Brikettfabrik; Deindustrialisierung; Braunkohleindustrie; Energiewirtschaft; Bevölkerungsentwicklung; Strukturwandel; Abwanderung
Schlagwörter
Eisenbahn; Textilgewerbe; Granitabbau; Glasindustrie; Kohlekraftwerk; Maschinenbau; Lebensmittelindustrie; Brikettfabrik; Deindustrialisierung; Braunkohleindustrie; Energiewirtschaft; Bevölkerungsentwicklung; Strukturwandel; Abwanderung
Abstract

Durchsetzung der industriellen Produktion in einer Region, in der zuvor Landwirtschaft und Handwerk vorherrschten. In der Lausitz wurde diese v. a. durch die Textil- und Braunkohlenindustrie geprägt.

Abstract

Durchsetzung der industriellen Produktion in einer Region, in der zuvor Landwirtschaft und Handwerk vorherrschten. In der Lausitz wurde diese v. a. durch die Textil- und Braunkohlenindustrie geprägt.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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