Sorbische Sagen- und Märchenfigur mit übernatürlichen Fähigkeiten; Zauberlehrling
bzw. Schwarzkünstler, der in der zweiten Hälfte des 20. Jh. als literarische
Gestalt über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt wurde.
Die schon im 18. Jh. verbreiteten Sagen über den Zauberer
wurden Mitte des 19. Jh. im Umland der Kleinstadt Wittichenau, in den katholischen Dörfern um
Ralbitz und Rosenthal sowie in den evangelischen Orten
südöstlich von Hoyerswerda,
namentlich zwischen Groß Särchen und
Königswartha, aufgezeichnet. Sie
berichten von einem Mann, der durch die Luft reitet bzw. mit seiner Kutsche nach
Dresden fliegt, aus
Getreidekörnern Soldaten zaubert, Dienstmädchen foppt oder als Wilddieb den
Jägern das Wild vor der Nase wegschießt. Es sind Wandermotive über Hexenmeister
und Gaukler, verbreitet in ganz Mitteleuropa. Sie ähneln besonders denen über
Pumphut, den wandernden
Handwerksgesellen, nur mit dem Unterschied, dass Krabat wie andere Magier in der
Lausitz (z. B. Pfarrer Johann George Pech
zu Neukirch oder Faust zu Ströbitz) seine übersinnlichen Kräfte einem
Zauberbuch verdankt. Im Besitz jenes „Koraktors“, der ein Werkzeug des Teufels
ist und von Menschen nicht beherrscht werden kann, liegt eine Gefahr, die dem
Volksglauben nach von dämonisierten Menschen wie Krabat ausgeht, auch wenn sie
ihr Wissen nicht unmittelbar zum Schaden anderer einsetzen. Als Wirkungsstätte
des Zauberers nennen die Sagen das „Schloss“ bzw. „Krongut“ Groß Särchen, das
ihm der sächsische Kurfürst aus Dankbarkeit für seine Dienste u. a. im Krieg
gegen die Türken (1683) geschenkt haben soll.
Gedenktafel für Johannes Schadowitz in der Wittichenauer Kirche; Fotograf: Rafael Ledschbor
Zeitgleich mit den Sagen wurde in der Ober- und Niederlausitz das Märchen vom Zauberer
und seinem Schüler – laut Erzähltypen-Index von Antti Aarne, Stith
Thompson und Hans-Jörg
Uther (2004) Typ 325 – erzählt. Es ist für ganz Europa und bis
nach Indonesien und auf die Philippinen belegt. Darin bringt ein Vater oder eine
Mutter den Sohn in die „Schwarze Schule“ – z. B. nach Leipzig – und kann ihn am Ende der Lehrzeit
nur dadurch erlösen, dass er/sie ihn aus der verwandelten Schülerschar heraus
wiedererkennt. Der Bursche lernt neben einem Handwerk das Zaubern und entwendet
bei seinem Abschied das Zauberbuch. Er verhilft seiner Familie zu Geld, indem er
sich als Ochse oder Pferd auf dem Viehmarkt anbieten lässt. Als der Vater mit
dem Tier auch das Zaumzeug verkauft, gerät der Zauberlehrling in die Gewalt des
Meisters. Dieser will seinen Schüler im Verwandlungskampf töten, wird jedoch von
diesem endgültig besiegt.
Der Name Krabat taucht erstmals in der Wittichenauer Chronik auf (handschriftlich 1848,
gedruckt 1878). Pfarrer Franz
Schneider zitiert darin das Sterberegister der Stadt, das den Tod
des kroatischen Rittmeisters Johannes von
Schadowitz aus Agram (heute Zagreb) am 29.5.1704 anzeigt, und vermerkt, der Volksmund nenne
ihn „Krabat“ und halte ihn für einen Zauberer. Die Bezeichnung geht auf die
kroatischen Söldner im Dreißigjährigen Krieg zurück, die aufseiten der kaiserlichen
Katholischen Liga kämpften und „Krabaten“ (Kroaten) genannt wurden. Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen besaß
eine kroatische Leibgarde, die z. T. am Feldzug gegen die Türken 1683 vor
Wien unter Führung Johann Georgs III. teilgenommen haben soll.
Obwohl Schadowitz nur relativ kurze Zeit in Groß Särchen lebte, hat die Gestalt
des undurchschaubaren Fremdlings die Fantasie des Volkes beschäftigt und ihn in
den Ruf eines Schwarzkünstlers gebracht. Man glaubte, er könne wie Zauberer
anderer Regionen oder historische Personen durch die Luft reisen und Soldaten
erschaffen.
Der Historiker und Heimatforscher Jurij Pilk
stellte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die in verschiedenen sorbischen Zeitungen erschienenen Erzählungen über
Krabat zusammen. Er brachte die einzelnen Sagenmotive in eine logische Abfolge,
beseitigte inhaltliche Ungereimtheiten und lokalisierte sie exakt (Herkunft aus
Eutrich, Lehre in der
Teufelsmühle von Schwarzkollm, Tod
in Groß Särchen). Der Zauberer
erhielt in Pilks zehnseitigem Kunstmärchen vom „wendischen Faust“ (1896) einen
Lebenslauf, der ihn seitdem fest mit der Region verbindet. Durch den Verweis auf
Johann Wolfgang Goethes „Faust“
erfuhr die volkstümliche Überlieferung eine neue Deutung, die Krabats
Zaubertaten am Lebensziel des greisen Faust („auf freiem Grund mit freiem Volke
stehn“) ausrichtet. Pilks Version schuf den Übergang zu den literarischen
Bearbeitungen des 20. Jh.
Eine erste Fassung lieferte der Hellerauer
Schriftsteller und Volksschullehrer Kurt
Gerlach: „Krabat oder Die Zauberschule. Kleines Gruselbuch“
(1925). Die im Geiste der anthroposophischen Reformpädagogik erzählte Geschichte
schildert die Entwicklung eines wissbegierigen jungen Mannes, der die Zeichen
der Natur erkennt, mit seiner übersinnlichen Begabung Wunder vollbringt und „die
Heimat“ fruchtbar macht. An eine junge Leserschaft richtet sich auch die bis
heute populäre, reich illustrierte Ausgabe „Meister Krabat. Eine sorbische Sage“
(1954) von Měrćin Nowak-Njechorński.
Der Grafiker und Schriftsteller orientierte sich im Wesentlichen an der Fassung
von Pilk, stellte jedoch eine historische Einführung an den Anfang. Die
einzelnen Figuren beschrieb er getreu der seinerzeit vorherrschenden Ideologie
als „Junkernpack“, „wetterwendische Könige“ und „liebedienernde Pfaffen“, die
die armen, fleißigen und aufrechten sorbischen Untertanen knechten. Krabat
erscheint als der wahre Volksbefreier mit urslawischen Zügen, der an seinem
Lebensende das Zauberbuch nicht aus Furcht um sein Seelenheil vernichtet,
sondern weil die neue – sozialistische – Zeit der Zauberei nicht mehr
bedarf.
Erlebnishof Krabatmühle in Schwarzkollm; Fotograf: Rafael Ledschbor
Zeitnah zueinander erschienen mit Jurij Brězans
„Die Schwarze Mühle“ (1968) und Otfried
Preußlers „Krabat“ (1971) zwei Jugendbücher, die den Stoff für
junge Leser sehr unterschiedlich verarbeiteten. Während Brězans Protagonist mit
den des wissensdurstigen Faust in der Sphäre des Magisch-Mythischen agiert und
sein Volk vom Bösen befreien will, ist Preußlers 14-jähriger wendischer
Betteljunge ganz von „dieser Welt“, wenn er in drei Lehrjahren in der
Zaubermühle die Wirrungen des Erwachsenwerdens durchlebt. Preußler erzählt
psychologisch einfühlsam und mit großer Nähe zum Märchen vom Zauberschüler, der
von finsteren Mächten fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich eingelassen
hat und sich mithilfe treuer Freunde befreit. Preußlers Fassung wurde in über 30
Sprachen übersetzt. Das Buch ist in vielen Bundesländern Deutschlands und
Österreichs Bestandteil der Lehrpläne für den Deutschunterricht, erschien 1977
als Zeichentrickfilm „Krabat“ (ČSSR/BRD; Regie: Karel Zeman) und diente
schließlich Regisseur Marco Kreuzpaintner als Vorlage für einen gleichnamigen
Spielfilm, der im Oktober 2008 in die deutschen Kinos kam. Das Buch „Die
Schwarze Mühle“ von Brězan war bereits 1975 im Auftrag des DDR-Fernsehens von
der DEFA verfilmt worden (Regie: Celino Bleiweiß).
In den beiden Romanen „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ (1976) und „Krabat oder Die
Bewahrung der Welt“ (1995) löste sich Brězan weitgehend vom Sagenstoff, indem er
Krabat als Faust-Gestalt in einen Herr-und-Knecht-Konflikt stellte, der von der
mythischen Erschaffung der Welt bis zu gegenwärtigen Fragen der
wissenschaftlichen Ethik reicht. Der 2002 erschienene Roman von Martin Beyer „Hinter den Türen“ orientierte
sich wiederum an Preußlers „Krabat“. Das Sorbische National-Ensemble
inszenierte nach Brězans literarischer Vorlage die Ballettoper „Krabat oder Die
Erschaffung der Welt“ sowie ein getanztes Märchen für Kinder „Krabat oder Das
Geheimnis der Schwarzen Mühle“. 2011 brachte der Trickfilmproduzent Jörg Herrmann den Silhouettenfilm „Der
siebente Rabe“ heraus, der auch in ober- und niedersorbischer Sprache
vorliegt.
Der Begriff KRABAT bündelt inzwischen eine große Anzahl kultureller Aktivitäten (Feste,
Singspiele, Ausstellungen, Lesungen etc.) in Ober- und Niederlausitz. Der Name
ist als Dachmarke für regionale Produkte geschützt. Ziel des 2001 gegründeten
KRABAT e. V. mit Sitz in Nebelschütz ist die touristische und wirtschaftliche
Förderung der KRABAT-Region im Städtedreieck Bautzen – Kamenz –
Hoyerswerda, deren äußere Grenzen ein ca. 90 km langer Radwanderweg mit 15
Stationen markiert. Schwarzkollm entwickelt sich mit der Anlage der Schwarzen
Mühle als Gehöft am Dorfrand unter Verwendung originaler Requisiten aus dem
Spielfilm von 2008 zum Zentrum der Erlebnistour. Der historisierende Neubau des
Krabat-Vorwerks in Groß Särchen fungiert als Informations- und Begegnungsstätte.
Von der Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien zu „Botschaftern der
Lausitz“ erklärt, treten Krabat und der Schwarze Müller als postmoderne
Personifikationen volkskultureller Werte zu offiziellen Anlässen
(Tourismusmessen, regionale Feste) in Erscheinung.
Lit.: M.-L. Ehrhardt: Die Krabat-Sage. Quellenkundliche Untersuchung zur
Überlieferung und Wirkung eines literarischen Stoffes aus der Lausitz, Marburg
1982; Krabat. Analysen und Interpretationen, Hg. K. Luban, Cottbus 2008; K.
Richter: Krabat und die Schwarze Mühle. Modelle und Materialien für den
Literaturunterricht, Balmannsweiler 2010; S. Hose: Erzählen über Krabat, Bautzen
2013.