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Krabat
von Susanne Hose

Sorbische Sagen- und Märchenfigur mit übernatürlichen Fähigkeiten; Zauberlehrling bzw. Schwarzkünstler, der in der zweiten Hälfte des 20. Jh. als literarische Gestalt über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt wurde.

Die schon im 18. Jh. verbreiteten Sagen über den Zauberer wurden Mitte des 19. Jh. im Umland der Kleinstadt Wittichenau, in den katholischen Dörfern um Ralbitz und Rosenthal sowie in den evangelischen Orten südöstlich von Hoyerswerda, namentlich zwischen Groß Särchen und Königswartha, aufgezeichnet. Sie berichten von einem Mann, der durch die Luft reitet bzw. mit seiner Kutsche nach Dresden fliegt, aus Getreidekörnern Soldaten zaubert, Dienstmädchen foppt oder als Wilddieb den Jägern das Wild vor der Nase wegschießt. Es sind Wandermotive über Hexenmeister und Gaukler, verbreitet in ganz Mitteleuropa. Sie ähneln besonders denen über Pumphut, den wandernden Handwerksgesellen, nur mit dem Unterschied, dass Krabat wie andere Magier in der Lausitz (z. B. Pfarrer Johann George Pech zu Neukirch oder Faust zu Ströbitz) seine übersinnlichen Kräfte einem Zauberbuch verdankt. Im Besitz jenes „Koraktors“, der ein Werkzeug des Teufels ist und von Menschen nicht beherrscht werden kann, liegt eine Gefahr, die dem Volksglauben nach von dämonisierten Menschen wie Krabat ausgeht, auch wenn sie ihr Wissen nicht unmittelbar zum Schaden anderer einsetzen. Als Wirkungsstätte des Zauberers nennen die Sagen das „Schloss“ bzw. „Krongut“ Groß Särchen, das ihm der sächsische Kurfürst aus Dankbarkeit für seine Dienste u. a. im Krieg gegen die Türken (1683) geschenkt haben soll.

Gedenktafel für Johannes Schadowitz in der Wittichenauer Kirche; Fotograf: Rafael Ledschbor

Zeitgleich mit den Sagen wurde in der Ober- und Niederlausitz das Märchen vom Zauberer und seinem Schüler – laut Erzähltypen-Index von Antti Aarne, Stith Thompson und Hans-Jörg Uther (2004) Typ 325 – erzählt. Es ist für ganz Europa und bis nach Indonesien und auf die Philippinen belegt. Darin bringt ein Vater oder eine Mutter den Sohn in die „Schwarze Schule“ – z. B. nach Leipzig – und kann ihn am Ende der Lehrzeit nur dadurch erlösen, dass er/​sie ihn aus der verwandelten Schülerschar heraus wiedererkennt. Der Bursche lernt neben einem Handwerk das Zaubern und entwendet bei seinem Abschied das Zauberbuch. Er verhilft seiner Familie zu Geld, indem er sich als Ochse oder Pferd auf dem Viehmarkt anbieten lässt. Als der Vater mit dem Tier auch das Zaumzeug verkauft, gerät der Zauberlehrling in die Gewalt des Meisters. Dieser will seinen Schüler im Verwandlungskampf töten, wird jedoch von diesem endgültig besiegt.

Der Name Krabat taucht erstmals in der Wittichenauer Chronik auf (handschriftlich 1848, gedruckt 1878). Pfarrer Franz Schneider zitiert darin das Sterberegister der Stadt, das den Tod des kroatischen Rittmeisters Johannes von Schadowitz aus Agram (heute Zagreb) am 29.5.1704 anzeigt, und vermerkt, der Volksmund nenne ihn „Krabat“ und halte ihn für einen Zauberer. Die Bezeichnung geht auf die kroatischen Söldner im Dreißigjährigen Krieg zurück, die aufseiten der kaiserlichen Katholischen Liga kämpften und „Krabaten“ (Kroaten) genannt wurden. Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen besaß eine kroatische Leibgarde, die z. T. am Feldzug gegen die Türken 1683 vor Wien unter Führung Johann Georgs III. teilgenommen haben soll. Obwohl Schadowitz nur relativ kurze Zeit in Groß Särchen lebte, hat die Gestalt des undurchschaubaren Fremdlings die Fantasie des Volkes beschäftigt und ihn in den Ruf eines Schwarzkünstlers gebracht. Man glaubte, er könne wie Zauberer anderer Regionen oder historische Personen durch die Luft reisen und Soldaten erschaffen.

Der Historiker und Heimatforscher Jurij Pilk stellte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die in verschiedenen sorbischen Zeitungen erschienenen Erzählungen über Krabat zusammen. Er brachte die einzelnen Sagenmotive in eine logische Abfolge, beseitigte inhaltliche Ungereimtheiten und lokalisierte sie exakt (Herkunft aus Eutrich, Lehre in der Teufelsmühle von Schwarzkollm, Tod in Groß Särchen). Der Zauberer erhielt in Pilks zehnseitigem Kunstmärchen vom „wendischen Faust“ (1896) einen Lebenslauf, der ihn seitdem fest mit der Region verbindet. Durch den Verweis auf Johann Wolfgang Goethes „Faust“ erfuhr die volkstümliche Überlieferung eine neue Deutung, die Krabats Zaubertaten am Lebensziel des greisen Faust („auf freiem Grund mit freiem Volke stehn“) ausrichtet. Pilks Version schuf den Übergang zu den literarischen Bearbeitungen des 20. Jh.

Eine erste Fassung lieferte der Hellerauer Schriftsteller und Volksschullehrer Kurt Gerlach: „Krabat oder Die Zauberschule. Kleines Gruselbuch“ (1925). Die im Geiste der anthroposophischen Reformpädagogik erzählte Geschichte schildert die Entwicklung eines wissbegierigen jungen Mannes, der die Zeichen der Natur erkennt, mit seiner übersinnlichen Begabung Wunder vollbringt und „die Heimat“ fruchtbar macht. An eine junge Leserschaft richtet sich auch die bis heute populäre, reich illustrierte Ausgabe „Meister Krabat. Eine sorbische Sage“ (1954) von Měrćin Nowak-Njechorński. Der Grafiker und Schriftsteller orientierte sich im Wesentlichen an der Fassung von Pilk, stellte jedoch eine historische Einführung an den Anfang. Die einzelnen Figuren beschrieb er getreu der seinerzeit vorherrschenden Ideologie als „Junkernpack“, „wetterwendische Könige“ und „liebedienernde Pfaffen“, die die armen, fleißigen und aufrechten sorbischen Untertanen knechten. Krabat erscheint als der wahre Volksbefreier mit urslawischen Zügen, der an seinem Lebensende das Zauberbuch nicht aus Furcht um sein Seelenheil vernichtet, sondern weil die neue – sozialistische – Zeit der Zauberei nicht mehr bedarf.

Erlebnishof Krabatmühle in Schwarzkollm; Fotograf: Rafael Ledschbor

Zeitnah zueinander erschienen mit Jurij Brězans „Die Schwarze Mühle“ (1968) und Otfried Preußlers „Krabat“ (1971) zwei Jugendbücher, die den Stoff für junge Leser sehr unterschiedlich verarbeiteten. Während Brězans Protagonist mit den des wissensdurstigen Faust in der Sphäre des Magisch-Mythischen agiert und sein Volk vom Bösen befreien will, ist Preußlers 14-jähriger wendischer Betteljunge ganz von „dieser Welt“, wenn er in drei Lehrjahren in der Zaubermühle die Wirrungen des Erwachsenwerdens durchlebt. Preußler erzählt psychologisch einfühlsam und mit großer Nähe zum Märchen vom Zauberschüler, der von finsteren Mächten fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich eingelassen hat und sich mithilfe treuer Freunde befreit. Preußlers Fassung wurde in über 30 Sprachen übersetzt. Das Buch ist in vielen Bundesländern Deutschlands und Österreichs Bestandteil der Lehrpläne für den Deutschunterricht, erschien 1977 als Zeichentrickfilm „Krabat“ (ČSSR/​BRD; Regie: Karel Zeman) und diente schließlich Regisseur Marco Kreuzpaintner als Vorlage für einen gleichnamigen Spielfilm, der im Oktober 2008 in die deutschen Kinos kam. Das Buch „Die Schwarze Mühle“ von Brězan war bereits 1975 im Auftrag des DDR-Fernsehens von der DEFA verfilmt worden (Regie: Celino Bleiweiß).

In den beiden Romanen „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ (1976) und „Krabat oder Die Bewahrung der Welt“ (1995) löste sich Brězan weitgehend vom Sagenstoff, indem er Krabat als Faust-Gestalt in einen Herr-und-Knecht-Konflikt stellte, der von der mythischen Erschaffung der Welt bis zu gegenwärtigen Fragen der wissenschaftlichen Ethik reicht. Der 2002 erschienene Roman von Martin Beyer „Hinter den Türen“ orientierte sich wiederum an Preußlers „Krabat“. Das Sorbische National-Ensemble inszenierte nach Brězans literarischer Vorlage die Ballettoper „Krabat oder Die Erschaffung der Welt“ sowie ein getanztes Märchen für Kinder „Krabat oder Das Geheimnis der Schwarzen Mühle“. 2011 brachte der Trickfilmproduzent Jörg Herrmann den Silhouettenfilm „Der siebente Rabe“ heraus, der auch in ober- und niedersorbischer Sprache vorliegt.

Der Begriff KRABAT bündelt inzwischen eine große Anzahl kultureller Aktivitäten (Feste, Singspiele, Ausstellungen, Lesungen etc.) in Ober- und Niederlausitz. Der Name ist als Dachmarke für regionale Produkte geschützt. Ziel des 2001 gegründeten KRABAT e. V. mit Sitz in Nebelschütz ist die touristische und wirtschaftliche Förderung der KRABAT-Region im Städtedreieck BautzenKamenz – Hoyerswerda, deren äußere Grenzen ein ca. 90 km langer Radwanderweg mit 15 Stationen markiert. Schwarzkollm entwickelt sich mit der Anlage der Schwarzen Mühle als Gehöft am Dorfrand unter Verwendung originaler Requisiten aus dem Spielfilm von 2008 zum Zentrum der Erlebnistour. Der historisierende Neubau des Krabat-Vorwerks in Groß Särchen fungiert als Informations- und Begegnungsstätte. Von der Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien zu „Botschaftern der Lausitz“ erklärt, treten Krabat und der Schwarze Müller als postmoderne Personifikationen volkskultureller Werte zu offiziellen Anlässen (Tourismusmessen, regionale Feste) in Erscheinung.

Lit.: M.-L. Ehrhardt: Die Krabat-Sage. Quellenkundliche Untersuchung zur Überlieferung und Wirkung eines literarischen Stoffes aus der Lausitz, Marburg 1982; Krabat. Analysen und Interpretationen, Hg. K. Luban, Cottbus 2008; K. Richter: Krabat und die Schwarze Mühle. Modelle und Materialien für den Literaturunterricht, Balmannsweiler 2010; S. Hose: Erzählen über Krabat, Bautzen 2013.

Metadaten

Titel
Krabat
Titel
Krabat
Autor:in
Hose, Susanne
Autor:in
Hose, Susanne
Schlagwörter
Sage; Sagengestalt; Lausitz; Dreißigjähriger Krieg; Zauberer; Zauberbuch; Magie; Literatur
Schlagwörter
Sage; Sagengestalt; Lausitz; Dreißigjähriger Krieg; Zauberer; Zauberbuch; Magie; Literatur
Abstract

Sorbische Sagen- und Märchenfigur mit übernatürlichen Fähigkeiten; Zauberlehrling bzw. Schwarzkünstler, der in der zweiten Hälfte des 20. Jh. als literarische Gestalt über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt wurde.

Abstract

Sorbische Sagen- und Märchenfigur mit übernatürlichen Fähigkeiten; Zauberlehrling bzw. Schwarzkünstler, der in der zweiten Hälfte des 20. Jh. als literarische Gestalt über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt wurde.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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