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Kurmärkisch-wendischer Distrikt
von Peter Kunze

Territorien, die im 15. und 16. Jh. von der zur böhmischen Krone gehörenden Niederlausitz an die brandenburgische Kurmark übergingen und bis zu ihrer festen Vereinigung mit Preußen Mitte des 18. Jh. eine besondere Verwaltungseinheit bildeten. Dies betraf 1462 die Herrschaften Teupitz und Bärwalde, 1490 Zossen, 1555 Beeskow und Storkow. Diese Gebiete befanden sich zunächst im Pfandbesitz der Hohenzollern, später erhielten sie den Status eines erblichen Lehens. Erst 1742 gingen sie im Ergebnis des Ersten Schlesischen Kriegs im Verband Preußens auf und gehörten fortan staatsrechtlich nicht mehr zur Niederlausitz.

Der Kurmärkisch-wendische-Distrikt umfasste im ausgehenden 16. Jh. eine Fläche von 2 174 km2 mit rund 17 700 Einwohnern, die in fünf Städten und 166 Dörfern lebten. Zwei Drittel der Bevölkerung in 132 Dörfern waren Sorben. Allein in den beiden Ämtern Beeskow und Storkow unterstanden dem Superintendenten Christoph Treuer 1610 noch 40 sorbische und lediglich fünf deutsche Kirchen. Die 29 deutschen Dörfer lagen in den Randgebieten, 19 allein im westlichen Teil des Amtes Zossen. Insgesamt betrug der Anteil der sorbischen Bevölkerung im Kurmärkisch-wendischen Distrikt im 16. Jh. 76 %.

Kurmärkisch-wendischer Disktrikt um 1600; Karte: Iris Brankatschk, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die bäuerlichen Untertanen gliederten sich in Vollbauern (Hüfner), die etwa 60 % ausmachten, in Kossäten und Büdner. Auf den großteils sandigen und sumpfigen Böden stellte der Ackerbau die Hauptnahrungsquelle dar. Eine wesentliche Rolle spielte der Flachsanbau, der für die entstehende Leinenproduktion Bedeutung erlangte. Die bäuerliche Bevölkerung hatte ihrer Herrschaft Naturalabgaben zu leisten, die ab der Wende zum 17. Jh. in Geldzahlungen umgewandelt wurden. Der Dreißigjährige Krieg führte zur Verwüstung weiter Landstriche und zu einem Bevölkerungsverlust von etwa 50 %. Der Adel nutzte die Situation aus und schlug die wüsten Bauernstellen seinen Besitzungen zu. Die Gutswirtschaft erfuhr ihre volle Ausprägung, wobei die Landbewohner auf die Stufe schollengebundener Leibeigener gedrückt wurden (→ Leibeigenschaft).

Die brandenburgischen Herrscher verfochten gegenüber der sorbischen Bevölkerung zunächst eine tolerante Sprachenpolitik. Dazu sahen sie sich durch die Reformation genötigt; sollte die neue Lehre verbreitet werden, so musste man sie in der Muttersprache verkünden. Dazu brauchte man junge sorbische Theologen, deren Ausbildung sowohl an der Universität Wittenberg als auch an der 1506 eröffneten Landesuniversität in Frankfurt (Oder) erfolgte, wo kurz nach Mitte des 16. Jh. schon sorbische Sprachübungen für die zukünftigen Pfarrer stattfanden. Allein in Wittenberg absolvierten von 1538 bis 1570 insgesamt 140 junge Sorben ihr Theologiestudium, sodass es im Kurmärkisch-wendischen Distrikt ohne Weiteres gelang, die Pfarrstellen mit sorbischsprachigen Anwärtern zu besetzen. Damit konnte auch einer Anweisung des Kurfürsten Johann Georg von 1595 entsprochen werden, der forderte, bei Neubesetzung sorbischer Pfarrstellen dem »eingeborn Kindt« oder einem anderen Brandenburger »wendischen idiomatis« den Vorzug einzuräumen. Dort allerdings, wo die sorbischen Untertanen die deutsche Sprache bereits ausreichend beherrschten, sollte diese weiter gefördert werden. Das betraf v. a. die Städte, wo stets neben sorbischen Diakonen auch deutsche Pfarrer angestellt wurden.

Frauen aus dem Bärwalder Ländchen in Kirchgangstracht, 19. Jh.; Repro aus: E. Kunsdorff „Die ehemaligen Trachten des Kreises Jüterbog-Luckenwalde“ (Leipzig 1956)

Die Reformation brachte zugleich den Beginn des sorbischen Schrifttums mit sich. Der Kurmärkisch-wendische Distrikt spielte hierbei eine Vorreiterrolle. Doch sind nur vereinzelt ältere Handschriften erhalten geblieben. Eine davon ist das Fragment einer Taufagende, die der Zossener Archidiakon Mjertyn Rychtar 1543 übersetzt hat und die als ältestes niedersorbisches Schriftdenkmal gilt. Gedruckt erschien 1610 ein von Pfarrer Handroš Tara übersetzter Kleiner Katechismus mit Texten für den Schulgebrauch unter dem Titel »Enchiridion Vandalicum«. Das Buch wurde maßgeblich durch die für die brandenburgische Kirchenpolitik zuständigen Personen gefördert, um den sorbischen Bewohnern des Landes den Zugang zum evangelischen Bekenntnis zu erleichtern. Tara, der als Student die sorbischen Sprachübungen an der Universität Frankfurt (Oder) geleitet hatte, galt als Fachmann für das Sorbische und andere slawische Sprachen und war dafür gerüstet, weitere Übersetzungen vorzunehmen. Doch Kurfürst Johann Sigismund versagte einer von Tara vorbereiteten sorbischen Postille die finanzielle Zuwendung und unterstützte auch nicht dessen Bewerbung am Joachimsthaler Gymnasium bei Eberswalde, wo er sorbische Zöglinge in der Muttersprache unterrichten wollte. Auch weitere sprachwissenschaftliche Arbeiten Taras – eine Grammatik, ein Wörterbuch sowie ein Leitfaden für den Lese- und Schreibunterricht – blieben ungedruckt. So scheiterte sein Versuch, das Sorbische zur Schriftsprache zu erheben, an der Haltung des Kurfürsten und an den Zeitumständen, namentlich am Dreißigjährigen Krieg, der für Jahrzehnte den positiven Beginn der sorbischen Kulturentwicklung unterbrach. Doch kurz nach Kriegsende setzte die sorbische Geistlichkeit des Kurmärkisch-wendischen Distriks, inspiriert von Tara, dessen Bemühungen um die Kultivierung der sorbischen Sprache fort. Kurfürst Friedrich Wilhelm stand diesen Bestrebungen zunächst wohlwollend gegenüber. So konnten von 1653 bis 1656 vier sorbische Druckschriften erscheinen, allesamt Übersetzungen aus dem Deutschen: 1653 ein Psalter von Christian Schmer, 1654 ein Katechismus von Adam Thilo, 1655 ein Gesangbüchlein und 1656 Bibelextracta aus dem Alten und Neuen Testament.

Kurze Zeit später änderte Friedrich Wilhelm jedoch seine Haltung. Bereits 1667 erließ er das sog. Dezemberreskript, worin er anordnete, alle sorbischen Bücher und Manuskripte zu konfiszieren sowie nach und nach die sorbischen Prediger »abzuschaffen«. Er sah in ihrer Sprache die Ursache für die anticalvinistische Bewegung in Brandenburg, die seinen absolutistischen Bestrebungen zuwiderlief. Mit diesem Reskript leitete der preußische Staat im Kurmärkisch-wendischen Distrikt antisorbische Maßnahmen ein, die in den folgenden Jahrzehnten trotz Modifikationen beibehalten wurden und schließlich zur gänzlichen Auslöschung der sorbischen Sprache führten. So wurde das Sorbische aus Kirche und Gerichtssaal verdrängt, sorbische Pfarrer wurden schrittweise durch deutsche ersetzt, sorbische Schriften wurden nicht mehr geduldet. Sämtliche Exemplare der zwischen 1653 und 1656 edierten Drucke wurden eingezogen und makuliert (→ Sprachverbote).

Der Germanisierungsprozess verlangsamte sich zwar nach dem Regierungswechsel von 1688, weil Kurfürst Friedrich III., der spätere König Friedrich I., die Verbotspolitik seines Vorgängers nicht in jedem Fall billigte. Doch eine spürbare Förderung erfuhren die hiesigen Sorben – anders als im Cottbuser Kreis – nicht. Nach wie vor wurden die Anstellung deutscher Pfarrer und die Einschränkung der sorbischen Sprache im Gottesdienst betrieben. An fehlenden Mitteln scheiterten Bemühungen um die Gewinnung sorbischer Jugendlicher für eine Ausbildung am 1694 errichteten Friedrichsgymnasium in Frankfurt (Oder).

Die Toleranzpolitik Friedrichs I., die freilich kaum zu einer spürbaren Verbesserung der Lage für die ansässigen Sorben geführt hatte, endete abrupt mit dem Amtsantritt seines Nachfolgers König Friedrich Wilhelms I. Bereits 1714 ordnete dieser an, die Abschaffung des Sorbischen gemäß dem Reskript von 1667 voranzutreiben, ein Jahr später erging an die Kirchenvisitatoren die Aufforderung, »unter ständiger Beachtung unseres Befehls von der Abschaffung der wendischen Sprache« jährlich Inspektionen durchzuführen, da »in mehreren Kirchen noch immer wendische Laute erklangen«. Ähnliche Anweisungen folgten 1719, 1732, 1735 und 1757 jeweils mit der nachdrücklichen Aufforderung, alle gegen die sorbische Sprache ergangenen Befehle und Anweisungen strikt zu befolgen. Die »Forstbedienten und andere Amtsoffizianten« erreichte die Aufforderung, »die Ausbreitung der deutschen Sprache und damit Handel und Wandel zu fördern, wendische Verstockung dagegen notfalls mit Geldbußen zu ahnden«. In Friedrich Wilhelms Amtszeit (1713–1735) wurden in den Superintendenturen Beeskow und Storkow sowie einigen benachbarten Parochien insgesamt 28 Geistliche berufen, von denen 20 deutscher Herkunft waren. Ob die restlichen acht aus sorbischen Gebieten stammenden Pfarrer das (Nieder-)Sorbische beherrschten und anwandten, ist zu bezweifeln. Die strikte Befolgung der königlichen Anweisungen führte dazu, dass 1735 in allen Parochien des Kurmärkisch-wendischen Distrikts diese Sprache fast vollständig aus dem kirchlichen Bereich verschwunden war. 1761 gab es in den Herrschaften Beeskow und Storkow von ehedem 40 sorbischen Kirchen keine einzige mehr. Deutsches Schulwesen und Militärdienst trugen das Ihrige zur Verbreitung der Mehrheitssprache bei.

König Friedrich II. sah unter diesen Voraussetzungen keine Ursache zur Konzessionierung des Sorbischen, er förderte alles, was dazu diente, den alleinigen Gebrauch der deutschen Sprache durchzusetzen. Ein wirksames Instrument erkannte er in der von ihm initiierten und geförderten Kolonisationsbewegung. Allein zwischen 1746 und 1800 gründeten Kolonisten aus Württemberg, der Pfalz, Hessen und zu einem geringen Teil aus der sorbischen Niederlausitz 61 neue Ortschaften. Das beschleunigte den Prozess der Eindeutschung der einheimischen Bevölkerung. 1757 stellte die preußische Hofkanzlei fest, dass sich »die deutsche Sprache überall eingewöhnt und die Zuziehung der Pfälzer und anderer Kolonisten deren Verbreitung weiter gefördert habe«. Einheimischen Kolonisten, die wiederholt um die Gewährung sorbischer Gottesdienste baten, wurde empfohlen, sich lieber im Kreis Cottbus anzusiedeln, da es im Kurmärkisch-wendischen Distrikt »bei der anno 1714 verordneten Abschaffung der wendischen Sprache auch fürderhin« bliebe. Rund 100 Jahre später, zur Mitte des 19. Jh., war hier die sorbische Sprache endgültig erloschen. Doch vielerorts hielten sich sorbische Traditionen in der geistigen und materiellen Volkskultur, besonders in der Volkstracht, im Sagenschatz, in Bräuchen, in der Bauweise, in der Mundart sowie bei Flur- und Hofnamen.

Lit.: F. Mětšk: Der Kurmärkisch-wendische Distrikt. Ein Beitrag zur Geschichte der Territorien Bärwalde, Beeskow, Storkow, Teupitz und Zossen unter besonderer Berücksichtigung des 16. bis 18. Jahrhunderts, Bautzen 1965; D. Teichmann: Studien zur Geschichte und Kultur der Niederlausitz im 16. und 17. Jahrhundert, Bautzen 1998; P. Kunze: Zur brandenburgisch-preußischen Sorben-(Wenden-)Politik im 17. und 18. Jahrhundert, in: Lětopis 46 (1999) 1.

Metadaten

Titel
Kurmärkisch-wendischer Distrikt
Titel
Kurmärkisch-wendischer Distrikt
Autor:in
Kunze, Peter
Autor:in
Kunze, Peter
Schlagwörter
Kirchenpolitik; Sprachdenkmal; Sprachpolitik; Sprachenpolitik; Verwaltung; Landesgeschichte
Schlagwörter
Kirchenpolitik; Sprachdenkmal; Sprachpolitik; Sprachenpolitik; Verwaltung; Landesgeschichte
Abstract

Territorien, die im 15. und 16. Jh. von der zur böhmischen Krone gehörenden Niederlausitz an die brandenburgische Kurmark übergingen und bis zu ihrer festen Vereinigung mit Preußen Mitte des 18. Jh. eine besondere Verwaltungseinheit bildeten. Dies betraf 1462 die Herrschaften Teupitz und Bärwalde, 1490 Zossen, 1555 Beeskow und Storkow.

Abstract

Territorien, die im 15. und 16. Jh. von der zur böhmischen Krone gehörenden Niederlausitz an die brandenburgische Kurmark übergingen und bis zu ihrer festen Vereinigung mit Preußen Mitte des 18. Jh. eine besondere Verwaltungseinheit bildeten. Dies betraf 1462 die Herrschaften Teupitz und Bärwalde, 1490 Zossen, 1555 Beeskow und Storkow.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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