Im soziologischen Sinne ein Vorgang, bei dem Angehörige einer meist kleineren
ethnischen oder nationalen Gemeinschaft bestimmte charakteristische Merkmale wie
Sprache, Kultur oder MentalitÀt verlieren und sich Merkmale einer anderen, meist
gröĂeren ethnischen oder nationalen Gruppe aneignen. Auf die Sorben bezogen bedeutet Assimilation das Aufgehen in bzw.
Verschmelzen mit dem deutschen Volk.
Von einer Assimilation der Sorben kann man seit dem 12. Jh. sprechen. Der
massenhafte Zuzug deutscher bÀuerlicher Siedler aus Flandern, Franken, Bayern,
ThĂŒringen und Sachsen (â Kolonisation)
fĂŒhrte namentlich in den Randgebieten, wo die Sorben rasch in die Minderheit
gerieten, zu einer allmÀhlichen Assimilierung der Einheimischen. Die Zahl der
Neusiedler, der Einfluss durch StÀdte, Handel und Verkehr sowie unterschiedliche
Landesverfassungen, aber auch erzwungene Germanisierung beschleunigten den
Prozess. So erlieĂen die Landgrafen und FĂŒrsten fĂŒr die Gebiete um Zwickau, Leipzig und MeiĂen bereits
ab Ende des 13. Jh. Sprachverbote und
benachteiligten die Wenden in rechtlicher
Hinsicht. Die Bezeichnung âWendeâ galt dabei als beleidigendes Schimpfwort. In
Oschatz zahlte 1488 ein BĂŒrger,
der einen Deutschen so betitelt hatte, eine GeldbuĂe. Im MeiĂnischen soll der
Gebrauch des Sorbischen unter Androhung der Todesstrafe verboten worden sein.
Die obrigkeitlichen MaĂnahmen sowie die MajoritĂ€t der deutschen Bevölkerung
fĂŒhrten dazu, dass die westlich der Elbe lebenden Sorben bereits Ende des 15.
Jh. weitestgehend assimiliert waren.
Anders verlief die Entwicklung in beiden Lausitzen. Die zahlenmĂ€Ăige StĂ€rke der
Sorben bewirkte zum einen das teilweise Aufgehen deutscher Kolonisten im
sorbischen Volkstum, zum anderen verhinderten die Landesverfassungen der
MarkgraftĂŒmer Oberlausitz und Niederlausitz eine schnelle
Angleichung. Zu keiner Zeit waren diese Gebiete Sitz einer eigenen
Landesherrschaft bzw. straff geleitete, zentral verwaltete Territorien. Es
dominierten partikulare KrÀfte, denen es gelang, zentralistische Bestrebungen
einzudĂ€mmen. Die StĂ€nde, d.âŻh. die Vertreter der Klöster und des Domstifts, der
adligen Herrschaften und RittergĂŒter sowie der gröĂeren StĂ€dte, bildeten eine
Art kollektive Regierung, die zunĂ€chst kein Interesse an einer ZurĂŒckdrĂ€ngung
oder gar Beseitigung des Sorbischen hatte.
Deshalb kam es hier im Mittelalter zu keiner nennenswerten Assimilation der
sorbischen Bevölkerung (â StĂ€ndeherrschaft).
Das Ànderte sich ab dem 17. Jh. zunÀchst in der Niederlausitz, als behördliche
MaĂnahmen wie Verbote der sorbische Sprache im öffentlichen Leben oder der
Einsatz deutscher Pfarrer und Lehrer die Assimilation vorantrieben (â Dezemberreskript). Im Gegensatz dazu
konnte sich das sorbische Element in der Oberlausitz und im Cottbuser Kreis, wo eine gemĂ€Ăigte Sprachenpolitik betrieben wurde, im
18. und teilweise auch im 19. Jh. festigen. Doch durch Aufhebung der Leibeigenschaft, den MilitÀrdienst
sorbischer Jugendlicher und die Industrialisierung setzte in der Moderne eine beschleunigte
Assimilation ein. Besonders in die entstehenden Industriezentren zogen sehr
viele fremde ArbeitskrÀfte. Im Braunkohlenbergbau der Senftenberger Region etwa stieg die Anzahl der BeschÀftigten von 450
im Jahr 1871 auf 3âŻ100 im Jahr 1890 und auf 10âŻ600 zehn Jahre darauf. Durch den
Ausbau des Eisenbahnnetzes wurde die Isolation vieler Gebiete ĂŒberwunden, was
zur VerĂ€nderung der nationalen Struktur fĂŒhrte. Es kam zur Vermischung der
Bevölkerung einschlieĂlich ethnisch gemischter Ehen, was â zunĂ€chst in den
evangelischen Gebieten â den Ăbergang der Sorben zur Zweisprachigkeit förderte und in der Folge zur
Assimilation beitrug. Hinzu kam seit dem letzten Drittel des 19. Jh. ein starker
ideologischer Druck durch Diffamierung der Sorben und ihrer Sprache, was bei
vielen Angehörigen des Ethnikums zur SchwÀchung des Selbstbewusstseins und zur
Aufgabe der NationalitÀt beitrug. Eine deutsch-nationalistische Welle vergiftete
das öffentliche Leben, antisorbische Stimmungen breiteten sich aus. Allgemein
galt es als Makel, das Sorbische zu verwenden, da die Sprache mit Armut,
RĂŒckstĂ€ndigkeit und dörflicher Enge gleichgesetzt wurde. Wer nach sozialem
Aufstieg strebte, musste deutsch sprechen können. Dahinter stand eine Förderung
des Deutschen im öffentlichen Leben, in Schule und MilitÀr. Allein in der
Niederlausitz ging die Zahl der sorbischen Kirchspiele von 49 zu Beginn des 19.
Jh. auf 26 im Jahr 1870 zurĂŒck, bis es um 1900 noch zwölf waren. Das fĂŒhrte v.
a. in der mittleren Niederlausitz in der Spremberger Region, in der Senftenberger
Region und in der Calauer Region, in
der westlichen um LĂŒbben, in der
nördlichen Niederlausitz um Neu
Zauche, Lieberose
und Guben sowie in der Ăstlichen Lausitz um Forst, Triebel/âheute: Trzebiel (Polen) und Sorau/âheute: Ć»ary (Polen) zu einer raschen
Assimilation
In der sÀchsischen Oberlausitz setzte bei einer liberaleren Sprachenpolitik und
gröĂeren sorbische AktivitĂ€ten auf nationalem und kulturellem Gebiet der Prozess
der Assimilation zeitverzögert ein. Er erfasste zuerst die von der
Industrialisierung stark betroffenen Gebiete im westlichen und sĂŒdlichen Teil um
Demitz, Schmölln, GauĂig, Uhyst am
Taucher, Göda,
Kirschau, Wilthen und GroĂpostwitz. Um 1900 gab es hier noch 28 evangelische
sorbische Kirchspiele, 30 Jahre spÀter 23. Die katholische Region war von der Entwicklung
zunĂ€chst nicht berĂŒhrt, da einerseits die doppelte Barriere â
sorbisch-katholisch gegenĂŒber deutsch-evangelisch â bis 1945 Mischehen
verhinderte, andererseits die Landwirtschaft vorherrschte und es zu keinem
nennenswerten Aufschwung kam. WĂ€hrend der NS-Zeit wirkte jedoch die erzwungene Assimilation, v.âŻa. durch das
Verbot alles Sorbischen in der Ăffentlichkeit ab 1937, besonders nachhaltig.
Nach 1945 schritt die Assimilation der Sorben trotz staatlicher kultureller
UnterstĂŒtzung weiter voran. Sie wurde durch die deutschen FlĂŒchtlinge und
Vertriebenen, die sich auch in sorbischen Dörfern niederlieĂen, beschleunigt
(zeitweise ĂŒber 25âŻ%, â Zuwanderung). Das
betraf v.âŻa. die protestantischen Gebiete, wĂ€hrend in den katholischen Orten der
Oberlausitz partiell ein umgekehrter Prozess stattfand; einige der jĂŒngeren
Neuankömmlinge wurden ans Sorbische assimiliert. Mitte der 1950er Jahre kam es
erneut zu einem Zuzug deutscher ArbeitskrÀfte in den expandierenden
Braunkohlenbergbau der Niederlausitz, was nicht nur zu einer weiteren
EinschrĂ€nkung des Lebensraums fĂŒhrte, sondern auch einen betrĂ€chtlichen Verlust
an nationaler Substanz mit sich brachte.
Die Globalisierung beschleunigt zwar einerseits die Assimilation der Sorben
(Englisch-, nicht Sorbischkenntnisse sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt),
andererseits vermag die NĂ€he der Lausitz zu
den slawischen NachbarlÀndern das Prestige der sorbischen Sprache zu erhöhen.
Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass der weiteren Assimilation wirksam
entgegengesteuert und die sorbische IdentitĂ€t erhalten werden kann (â Witaj-Modellprojekt). Einen
wichtigen Beitrag leisten Schule, Kirche,
kulturelle und politische Institutionen sowie Vereine (â Vereinswesen), die sich die Pflege von sorbische
Sprache und Kultur zum Ziel gesetzt haben.
Lit.: T. Malinkowa: Narodne wuwiÄe ewangelskich Serbow w Sakskej w zaĆĄĆym poĆdra
lÄtstotku, in: Rozhlad 48 (1998) 7/8; P. Kunze: Die Sorben/âWenden in der
Niederlausitz, Bautzen 2000; P. Kunze: Kurze Geschichte der Sorben, Bautzen
2001; Der Niedersorben Wendisch. Eine Sprachreise, Bautzen 2003; I. Keller: âIch
bin jetzt hier und das ist gut soâ. Lebenswelten von FlĂŒchtlingen und
Vertriebenen in der Lausitz, LÄtopis Sonderheft, Bautzen 2005; M. Walde: Wie man
seine Sprache hassen lernt. Sozialpsychologische Ăberlegungen zum
deutsch-sorbischen KonfliktverhÀltnis, Bautzen 2010.