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Sprach­purismus
von Jana Šołćina und Anja Pohončowa

Sprachpolitisches Konzept, dessen Ziel die sprachliche Reinheit ist und das v. a. auf Schriftsprachen angewandt wird; es ist typisch für bi- und multilinguale Sprachgemeinschaften und speziell für Minderheitensprachen, die Schutz vor dem Einfluss der dominanten Kontaktsprache(n) suchen.

Puristische Tendenzen im Sorbischen sind nachweisbar im Bemühen der Maćica Serbska um Stärkung des ethnischen Bewusstseins seit Mitte des 19. Jh. (→ Wiedergeburt, nationale). Gravierende gesellschaftliche Veränderungen im 19. und 20. Jh. (bes. nach 1945 und 1989) führten zu einem Domänenausbau der sorbischen Schriftsprachen, d. h. zur Erschließung neuer Themenbereiche, womit die Schaffung neuer lexikalischer Mittel verbunden war (→ Wortschatz).

Obersorbisch: Der in mehreren Phasen auftretende Sprachpurismus war auf die Entfernung bzw. Vermeidung meist deutscher Elemente und Strukturen ausgerichtet. Im 19. Jh. wurden zahlreiche Slawismen als Ersatz für ältere deutsche Lehnwörter aufgenommen, die sich fest einbürgerten (obersorb. lazować > čitać ,lesen‘ aus tschechisch čitati, polnisch czytać; obersorb. štunda > hodźina ,Stunde‘ aus tschechisch hodina, polnisch godzina; obersorb. lóft > powětr ,Luft‘ aus polnisch powietrze). Auch komplexe Benennungen und Hybridkomposita, vormals geduldet und akzeptiert, wurden nun durch eigene Bildungen (do grunta hić ,zu Grunde gehen‘ > zahinyć; narodny dźeń ,Geburtstag‘ > narodniny; hawptměsto ,Hauptstadt‘ > hłowne město) oder Slawismen ersetzt (hóstny dom ,Gasthaus‘ > hosćenc aus tschechisch hostinec, polnisch gościniec). Durch die Akzeptanz von Fremdwörtern bzw. deren Bevorzugung gegenüber deutschen Lehnwörtern auch in der obersorbischen Schriftsprache der Gegenwart entfernen sich Volks- und Schriftsprache immer weiter voneinander.

Křesćan Bohuwěr Pful; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Beim Sprachpurismus muss zwischen den Wörterbüchern und dem tatsächlichen Sprachgebrauch unterschieden werden. So bestand ein Unterschied zwischen sprachlichem Usus und dem in Nachschlagewerken kodifizierten Wortschatz. Das erste lexikografische Werk mit erkennbaren puristischen Zügen war Jan Arnošt Smolers „Deutsch-Wendisches Wörterbuch“ (1843), in dem Germanismen mit einem Sternchen gekennzeichnet waren. Auch Křesćan Bohuwěr Pful war in seinem Wörterbuch (1866) um gewisse Reinheit der Sprache bemüht und ersetzte Germanismen durch Slawismen, v. a. aus dem Tschechischen. Internationalismen wurden noch zu Beginn des 20. Jh. in Wörterbüchern gemieden (vgl. Filip Rězak 1920, Jurij Kral 1927 bzw. 1931) und stattdessen Neubildungen aufgenommen, die sich aber größtenteils nicht durchsetzen konnten, z. B. hibak ,Motor‘ (später motor), widźinar ,Idealist‘ (später idealist), płódna kupa ,Oase‘ (später oaza).

Versuche, Internationalismen durch Neubildungen zu verdrängen, hatten auch nach 1945 wenig Erfolg. Aktuelle Wörterbücher bieten bei Fremdwörtern Dubletten an (z. B. joggować, běhać unter dem Stichwort ,joggen‘), Hybridkomposita (joggingwoblek ,Jogginganzug‘) werden oft als umgangssprachlich markiert.

Niedersorbisch: Im Niedersorbischen war der Sprachpurismus stets geringer ausgeprägt. In der Geschichte der niedersorbischen Schriftsprache können drei Grundtendenzen festgestellt werden: Slawisierung des schriftsprachlichen Wortschatzes und Verdrängung von deutschen Elementen (seit dem letzten Drittel des 19. Jh.), Entlehnung obersorbischer Wörter und teilweise Angleichung an das Obersorbische (insbesondere nach 1945) und schließlich eine gegenläufige Entwicklung, d. h. Liberalisierung der niedersorbischen Schriftsprache, was sich u. a. in einer Akzeptanz deutscher Lehnwörter äußert (seit den 1970er Jahren).

Seit Mitte des 19. Jh. wurden einzelne deutsche Lehnwörter und Lehnübersetzungen durch indigene Wortbildungen (paršona > wósoba ,Person‘), Neubildungen (wegweizaŕ > drogownik ,Wegweiser‘) oder obersorbische Lehnwörter (bonhof > dwórnišćo ,Bahnhof‘) ersetzt. Für die letztgenannte Möglichkeit plädierte Jan Bjedrich Tešnaŕ in seinem programmatischen Aufsatz „Serbske słowa serbskim wutšobam“ (Wendische Worte für wendische Herzen, 1853). Der Versuch, Internationalismen durch eigene Neubildungen zu ersetzen, fand nur teilweise Zustimmung (internacionalny > mjazynarodny, aber für balkon hat sich pśedwokno nicht durchgesetzt). Passivkonstruktionen, in denen das deutsche Lehnwort wordowaś als Hilfsverb fungiert (wóno wordujo naspomnjete ,es wird erwähnt‘), wurden weitgehend durch andere Konstruktionen ausgetauscht. Damit schlug die Schriftsprache im Vergleich zu den Dialekten einen anderen Weg ein, der schließlich zu einer Diskrepanz zwischen Schrift- und Volkssprache führte.

Eine verstärkte Slawisierung des niedersorbischen Wortschatzes mit dem Ziel einer Annäherung an das Obersorbische führte nach 1945 zur Änderung der lexikalischen Norm in der niedersorbischen Schriftsprache. Spätestens seit den 1970er Jahren verzichteten ihre Träger jedoch auf eine weitere Slawisierung, man orientierte sich nun eher an der Volkssprache. Diese Tendenz wurde durch die niedersorbische Sprachkommission (→ Sprachpolitik) seit den 1980er Jahren unterstützt, z. B. durch konkrete Vorschläge, wie obersorbische Lehnwörter durch niedersorbische Bildungen oder ältere deutsche Lehnwörter ersetzt werden könnten, z. B. kejźbowaś > glědaś na něco ,achten auf etwas‘, sewjer > pódpołnoc ,Norden‘. Dubletten wurden zugelassen, z. B. dožywiś > dožywiś, dolabowaś ,erleben‘, tysac > tysac, towzynt ,tausend‘.

Sprachpuristisches Plakat, um 1950; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Der Sprachpurismus ist für das Sorbische gut erforscht, namentlich auf lexikalischer Ebene, für das Obersorbische u. a. von Gerald Stone (1968), Helmut Jenč (1999); für das Niedersorbische von Manfred Starosta (1999), Anja Pohončowa (2002); einzelne grammatische Erscheinungen behandelten Ronald Lötzsch (1968, 1998) für das Obersorbische und Hauke Bartels (2006, 2008) für das Niedersorbische.

Lit.: G. Stone: Der Purismus in der Entwicklung des Wortschatzes der obersorbischen Schriftsprache, in: Beiträge zur sorbischen Sprachwissenschaft, Red. H. Faßke/​R. Lötzsch, Bautzen 1968; R. Lötzsch: Einige Auswirkungen des Purismus auf die grammatische Normierung slawischer Schriftsprachen, in: Sorabistiske přinoški k VI. mjezynarodnemu kongresej slawistow w Praze 1968, Bautzen 1968; A. Pohontsch: Der Einfluss obersorbischer Lexik auf die niedersorbische Schriftsprache, Bautzen 2002; H. Bartels: Konkurrierende Passivkonstruktionen in der niedersorbischen Schriftsprache. Ein Beispiel für Sprachwandel und Purismus, in: Deutsche Beiträge zum 14. Internationalen Slavistenkongress Ohrid 2008, Hg. S. Kempgen u. a., München 2008.

Metadaten

Titel
Sprach­purismus
Titel
Sprach­purismus
Autor:in
Šołćina, Jana; Pohončowa, Anja
Autor:in
Šołćina, Jana; Pohončowa, Anja
Schlagwörter
Sprachpflege; Slawismus; Germanismus; Interferenz; Entlehnung
Schlagwörter
Sprachpflege; Slawismus; Germanismus; Interferenz; Entlehnung
Abstract

Sprachpolitisches Konzept, dessen Ziel die sprachliche Reinheit ist und das v. a. auf Schriftsprachen angewandt wird; es ist typisch für bi- und multilinguale Sprachgemeinschaften und speziell für Minderheitensprachen, die Schutz vor dem Einfluss der dominanten Kontaktsprache(n) suchen.

Abstract

Sprachpolitisches Konzept, dessen Ziel die sprachliche Reinheit ist und das v. a. auf Schriftsprachen angewandt wird; es ist typisch für bi- und multilinguale Sprachgemeinschaften und speziell für Minderheitensprachen, die Schutz vor dem Einfluss der dominanten Kontaktsprache(n) suchen.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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