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Reformation
von Doris Teichmann

Seit Ende des 17. Jh. Bezeichnung für die 1517 von Martin Luther in Deutschland ausgelöste religiöse Erneuerungsbewegung, die zur Bildung neuer, vom Papst unabhängiger Kirchen führte und in der zweisprachigen Lausitz die religiöse Spaltung der Bevölkerung (in der → Oberlausitz) sowie den Beginn des sorbischen Schrifttums zur Folge hatte. Die Kritik richtete sich gegen Einrichtungen und Autoritäten, gegen die Vernachlässigung des geistlichen Amtes, die Verweltlichung und mangelhafte Ausbildung des Klerus und die Finanzpraktiken der Kirche (Ablasshandel). Entgegen Luthers ursprünglicher Absicht bewirkte das Streben nach einer dem Evangelium gemäßen Organisation die Entstehung eigenständiger lutherischer und reformierter Kirchen. Es bildete sich der Protestantismus als neue christliche Konfession heraus, in der Schriftlesung und Predigt in der Volkssprache an die Stelle der lateinischen Messe traten. In der Ober- und Niederlausitz, die den katholischen Habsburgern gehörten, setzte sich die Reformation trotz geografischer Nähe Wittenbergs nur langsam durch. Sie wurde jedoch von den Städten und dem Landadel zunehmend gefördert. In der Oberlausitz war der Einfluss der Stadträte stärker als in der Niederlausitz; in Bautzen drängten auch die Gemeinden auf den Einsatz evangelischer Prediger.

Seit der Christianisierung existierte auf deutscher Seite eine latente Geringschätzung der Sorben . Sie standen als Hörige und Nichtdeutsche auf der untersten Stufe der Standeshierarchie. In den protestantischen Regionen Deutschlands wurden Schulen und Universitäten infolge der Reformation von Luther und Melanchthon umgestaltet. Da die Obrigkeiten auf ein Verlöschen des Sorbischen bauten, beachtete auch Wittenberg bei der Ordinierung evangelischer Geistlicher oft nicht, dass die sorbische Bevölkerung der Lausitzen einsprachig und somit auf die Glaubensvermittlung in ihrer Sprache angewiesen war. Andererseits findet sich im Wittenberger Ordiniertenbuch z. B. der Hinweis darauf, dass der Cottbuser Lateinlehrer Simon Kśink (Kshink) am 9.11.1561 nach Ruhland „ad docendum Euangelium lingua vandalica loco diaconi “ beordert wurde. Adlige Patronatsherren wie die von Mielen, von Minkwitz oder von Schulenburg in der Niederlausitz, von Gersdorff, von Maltitz oder von Nostitz in der Oberlausitz bemühten sich um den Einsatz muttersprachlicher Geistlicher in ihren Patronatsdörfern. Im 16. und 17. Jh. gingen zahlreiche evangelische Prediger aus der Niederlausitz an Pfarrstellen in der sorbischen Oberlausitz: Gregor Stuhlschreiber aus Spremberg wurde 1554 Pfarrer in Pohla, Martin Breslo aus Golßen 1569 Diakon in Hoyerswerda, Matthäus Dobry aus der Niederlausitz wirkte Mitte des 16. Jh. als Pfarrer in (Groß-)Postwitz.

In den ersten Jahrzehnten der Reformation waren überwiegend schreibkundige ehemalige Klosterangehörige, Lehrer und Handwerker deutscher und sorbischer Abstammung Multiplikatoren des lutherischen Glaubens. Für Postwitz ist schon 1521 ein Paul Boßack als evangelischer Prediger bezeugt; sein sorbischer Name (deutsch „Barfüßer“) verweist auf die Herkunft aus einem Franziskanerkloster. Im Ostteil der Niederlausitz (→ Östliche Lausitz) hatte sich der aus Sorau/​heute: Żary (Polen) stammende, früh konvertierte ehemalige Abt des Saganer Augustinerklosters Paul Lemberg für die evangelische Konfession entschieden und wurde zum Wegbereiter des Protestantismus im Einzugsbereich des Klosters. Im Kirchenkreis Sorau waren von 24 Pfarrkirchen neun bereits vor der offiziellen Einführung der Reformation mit evangelischen Pfarrern besetzt. In dieser Region vollendete Mikławš Jakubica 1548 die erste (ost)niedersorbische Übersetzung des Neuen Testaments (→ Bibelübersetzungen). Der etwa zur gleichen Zeit in einen (west)niedersorbischen Dialekt übertragene Wolfenbütteler Psalter war ebenfalls das Werk eines ehemaligen Klosterangehörigen. Luther hatte schon 1522 den Cottbuser Franziskaner Johannes Briesmann (Jan Brĕzan) in dessen Geburtsstadt gesandt. Dort predigte Briesmann von März bis Anfang Dezember 1522 in der Oberkirche. Nach seiner Vertreibung aus Cottbus verfasste er die älteste überlieferte reformatorische Schrift der damaligen Mark Brandenburg: „Unterricht und Ermahnung – an die Christliche Gemeyn zu Cottbus “ (1523). Wie Briesmann wurden der 1525 in Guben wirkende Augustiner Leonhard Beyer-Reiff und andere evangelische Prediger auf kurfürstlichen Druck hin wieder vertrieben. Die Reformation setzte sich offiziell erst in Cottbus durch , nachdem Johann von Küstrin 1535 die brandenburgische Neumark geerbt hatte. Am Fronleichnamstag 1537 fand in der Cottbuser Oberkirche evangelischer Gottesdienst statt. Johanns Bruder Joachim II., Erbe der anderen brandenburgischen Regionen, stand aufseiten des Kaisers. Am 1.11.1539 fand in der Spandauer Nikolaikirche ein evangelischer Gottesdienst unter Teilnahme Joachims II. statt. Dieses Datum gilt allgemein als Beginn der Reformation in Brandenburg. Joachim war 1548 auch an der Ausarbeitung des Augsburger Interims beteiligt, das dem Luthertum – jedoch nicht dem Calvinismus – die reichsrechtliche Anerkennung gewährte. Sein Bruder Johann von Küstrin lehnte das Gesetz ab, das den Territorialherren das Recht zusprach, die Religion ihrer Untertanen zu bestimmen.

Die Lehrstreitigkeiten zwischen den Anhängern und den Gegnern Melanchthons führten nach Luthers Tod (1546) zur interkonfessionellen Spaltung. In Kursachsen kam es zur Verurteilung des an der Spitze der Melanchthonianer stehenden, aus Bautzen stammenden Mediziners Caspar Peucer (→ Humanisten); Theologieprofessoren wurden aus ihren Ämtern entfernt, Studenten von der Universität Wittenberg relegiert. Zahlreiche deutsche und sorbische Geistliche mussten ihre Pfarrstellen verlassen. Einer der wenigen sorbischstämmigen Offiziale (Superintendenten) der Niederlausitz, Gregor Perlicius aus Lübben, wurde 1593 amtsentsetzt; Matthias Deutschmann, Archidiakon der Cottbuser Klosterkirche, in die sorbischen Dörfer eingepfarrt waren, wurde wegen angeblich kryptocalvinistischer Haltung entlassen. Nach den heftigen theologischen Auseinandersetzungen am Ende des 16. Jh. rief 1613 der Übertritt des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund zur reformierten Kirche neue Kontroversen hervor. Wegen starken Widerstands verzichtete der Kurfürst auf sein „ius reformandi“, verbot jedoch seinen Untertanen den Besuch der Wittenberger Hochschule. Zu den sorbischen Pfarrern, die gegen die reformierte Kirche polemisierten, gehörte Handroš Tara (Andreas Tharaeus Muscoviensis), seinerzeit tätig im unweit von Königs Wusterhausen gelegenen Friedersdorf .

Bald nach Luthers Thesenanschlag begann sich das reformatorische Gedankengut auch in der Oberlausitz durchzusetzen. In Görlitz, Zittau und Bautzen wurden die ersten evangelischen Predigten 1520/21 gehalten. In Görlitz und Bautzen gaben die Stadträte dem Druck der Bevölkerung nach und führten 1523 bzw. 1524 die Reformation ein. Teile des Adels wie auch einige Stadtobere standen der neuen Bewegung anfangs ablehnend gegenüber und versuchten ihre Ausbreitung zu verhindern; auch der König in Prag erließ Mandate gegen die reformatorischen Bestrebungen in den Lausitzen. Dennoch wandten sich adlige Grundherren verstärkt der Reformation zu; so führte beispielsweise Caspar von Nostitz mit seinen Brüdern 1525 die Reformation in Rothenburg ein. Der Durchsetzungs- und Festigungsprozess dauerte Jahrzehnte. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jh. waren in beiden Lausitzen Pfarrstellen mit evangelischen Predigern besetzt.

Angaben zu den ersten evangelischen Pfarrern und den nach der Reformation durchgeführten Kirchen- und Schulvisitationen sind für beide Lausitzen spärlich. Informationen zu sorbischen Predigern in der Oberlausitz enthält ein „Kurzer Entwurf einer Oberlausitz-wendischen Kirchenhistorie“ (1767). Evangelische Pfarrer gab es 1527 an St. Petri in Bautzen, 1540 in Ruhland, 1546 in Muskau, 1548 in Weißenberg, um 1550 in Kamenz und Hoyerswerda sowie 1565 an der St. Johanniskirche in Löbau. Die Reformation förderte die Entfaltung des sorbischen Kirchenlebens und sorbischer Kirchenliteratur, die fehlende Einbeziehung der Minderheitensprachen in das Bildungssystem verzögerte aber die Entwicklung der sorbischen Schriftsprachen.

In der Oberlausitz kam es durch den 1559 berufenen Bautzener Domdekan Johann Leisentrit, den Kaiser Ferdinand I. zum Kommissar für Religionsangelegenheiten in beiden Lausitzen ernannt hatte, zur Stabilisierung der katholischen Institutionen und der beim alten Glauben verbliebenen Gemeinden. Als 1618 mit den Unruhen in Böhmen der Dreißigjährige Krieg begann, verhielten sich die Stände der Oberlausitz bis zum Tod von Kaiser Matthias (März 1619) passiv und traten erst danach der Böhmischen Konföderation bei. Sie waren an der Absetzung Ferdinands II. und der Wahl Friedrichs V. von der Pfalz zum König von Böhmen beteiligt. Die Stände des Markgraftums Oberlausitz beabsichtigten die Schließung des Bautzener Domstifts, die Einführung evangelischer Pfarrer in den katholischen gebliebenen Dörfern und die Gründung einer eigenen Landeskirche. Wegen der Besetzung der Oberlausitz durch den mit Ferdinand II. verbündeten Kurfürsten Johann Georg von Sachsen kam es jedoch nicht dazu.

In den beiden Lausitzen fand die Reformation relativ spät Eingang in die kirchliche Praxis, zudem meist als administrativer Akt der einheimischen Obrigkeit. In der Oberlausitz kam es zu einer konfessionellen Spaltung v. a. bei den Sorben. Das Gedankengut der Reformation ermunterte die evangelischen Geistlichen dazu, die Volkssprache zur religiösen Schriftsprache auszubauen, da nur über sie den einsprachigen Gemeinden die neue Lehre in sorbischer Muttersprache nahegebracht werden konnte. Die Gegenreformation blieb, da es den wenigen katholischen Einrichtungen an Autorität fehlte, in den Lausitzen folgenlos. Nur in der zum Kloster St. Marienstern gehörenden Kleinstadt Wittichenau gelang trotz Protests die Rekatholisierung der Bürgerschaft. Dennoch haben sich gegenreformatorische Aktivitäten und die damit einhergehende Zuwendung zur Volkssprache positiv auf die sorbische Kulturentwicklung ausgewirkt.

Lit.: F. Mětšk: Die brandenburgisch-preußische Sorbenpolitik im Kreise Cottbus. Vom 16. Jahrhundert bis zum Posener Frieden (1806), Berlin 1962; K. Blaschke/​S. Seifert: Reformation und Konfessionalisierung in der Oberlausitz, in: Welt – Macht – Geist. Das Haus Habsburg und die Oberlausitz 1526–1635, Hg. J. Bahlcke/​V. Dudeck, Görlitz/​Zittau 2002; J. Bulisch: Die gebremste Reformation. Beobachtungen zur Einführung eines evangelischen Kirchenwesens in der Oberlausitz, in: Stätten und Stationen religiösen Wirkens, Hg. L.-A. Dannenberg/ D. Scholze, Bautzen 2009.

Metadaten

Titel
Reformation
Titel
Reformation
Autor:in
Teichmann, Doris
Autor:in
Teichmann, Doris
Schlagwörter
Ablass; Religiöse Erneuerung; Katholizismus; Kirche; Klerus; Kontroverse; Protestantismus; Religion; evangelische Sorben
Schlagwörter
Ablass; Religiöse Erneuerung; Katholizismus; Kirche; Klerus; Kontroverse; Protestantismus; Religion; evangelische Sorben
Abstract

Seit Ende des 17. Jh. Bezeichnung für die 1517 von Martin Luther in Deutschland ausgelöste religiöse Erneuerungsbewegung, die zur Bildung neuer, vom Papst unabhängiger Kirchen führte und den Beginn des sorbischen Schrifttums zur Folge hatte.

Abstract

Seit Ende des 17. Jh. Bezeichnung für die 1517 von Martin Luther in Deutschland ausgelöste religiöse Erneuerungsbewegung, die zur Bildung neuer, vom Papst unabhängiger Kirchen führte und den Beginn des sorbischen Schrifttums zur Folge hatte.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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