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Gesangbuch
von Gerald Stone

Sammlung von Kirchenliedern für den evangelischen und katholischen Gottesdienst, die seit der Reformation in Gebrauch sind. Der Gemeindegesang in der Landessprache war die wichtigste liturgische Neuerung seit der Reformation. In der Geschichte der sorbischen Literatur, deren Beginn mit der Kirchenerneuerung zusammenfällt, spielte das Gesangbuch als der älteste gedruckte Buchtyp (→ Buchdruck) eine wesentliche Rolle. Das erste sorbische Buch, Albin Mollers Gesangbuch mit Katechismus (Budissin 1574), enthält eine niedersorbische Liedersammlung (122 Lieder). Das erste obersorbische Gesangbuch der evangelisch-lutherischen Kirche folgte 136 Jahre später (1710) und erlebte in drei Jahrhunderten mindestens 50 Auflagen. Es war die am weitesten verbreitete Edition.

Niedersorbisches Gesangbuch von Albin Moller, 1574; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Zunächst wurden sorbische Kirchenlieder von Kantoren und Lehrern handschriftlich notiert, danach von den Gemeindemitgliedern auswendig gelernt. Es bestand eine territoriale Vielfalt, die Sammlungen unterschieden sich fast von Kirchspiel zu Kirchspiel. Moller wollte mit seinem gedruckten Gesangbuch dazu beitragen, diese Unordnung zu beseitigen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Die handschriftliche Tradition dauerte in beiden Lausitzen bis ins 18. Jh. fort. Das 36 Jahre nach Mollers Ausgabe im Kurmärkisch-wendischen Distrikt erschienene „Enchiridion Vandalicum“ von Handroš Tara enthält mehrere Choräle, wovon nur einer mit einem Text bei Moller übereinstimmt. Dafür finden sich in obersorbischen Handschriften z. B. sechs schwer zu übersetzende Luther-Choräle, die sich an Mollers niedersorbischer Übertragung anlehnen. Dass Mollers Lieder trotz Vernichtung fast aller Exemplare seines Buches im Jahr 1668 (→ Dezemberreskript) noch Mitte des 18. Jh. bekannt waren, geht aus einer Bemerkung in der niedersorbischen „Kleinen Sammlung geistreicher Lieder“ von 1749 hervor, deren Gesamtredaktion dem Briesener Pfarrer Johann Ludwig Will zugeschrieben wird. Das sog. Will’sche Gesangbuch erschien in erweiterten Auflagen von 1760 bis 1854 unter dem Titel „Wohl eingerichtetes Gesangbuch“, von 1860 bis 1915 als „Sserske Duchowne Kjarliże“.

Obersorbisches evangelisches Gesangbuch, 1710; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Im 19. Jh. gab es in der Niederlausitz ein weiteres Gesangbuch, das zuerst 1800 als „Nachtrag einiger Lieder, welche schon größtenteils in dem Niederlausitzischen wendischen Gesangbuch befindlich sind“, und dann 1806, 1817, 1851, 1858 und 1881 mit dem Titel „Serske spiwarske knigły“ herauskam. Ferner hatte das Kirchspiel Lübbenau bis zum Erlöschen der sorbischen Gottesdienste 1863 ein eigenes, von Johann Gottlieb Hauptmann verfasstes und 1769 als „L°ubnowski Sz°arski Sambuch“ veröffentlichtes Gesangbuch. Um 1877 wurde beschlossen, die „Serske duchowne kjarliže“ gründlich zu revidieren. Daran nahm auch der Dichter Mato Kosyk teil, der ca. 250 deutsche Choräle nach seinen poetischen Auffassungen für die neue niedersorbische Version bearbeitete. Als 1882 die 9., revidierte Ausgabe erschien, wollten einige Gemeinden sie nicht anerkennen; für sie wurde 1897 die alte Fassung als „Stare serbske duchowne kjarliže“ neu aufgelegt, die als die 12. Ausgabe galt. Die revidierten „Serbske duchowne kjarliže“ kamen noch einmal 1915 heraus. 1957 veröffentlichte Hermann Jahn ein Heft mit neun Liedern für die Kirchgemeinde Dissen. Erst 2007 erschien nach langer Unterbrechung ein gänzlich neu konzipiertes, vom Förderverein für wendische Sprache in der Kirche herausgegebenes niedersorbisches Gesangbuch mit dem Titel „Duchowne kjarliže“; es bietet nahezu 400 Kirchenlieder parallel in traditioneller Fraktur- und moderner lateinischer Schrift.

Obersorbisches katholisches Gesangbuch von Michał Jan Wałda, 1785; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Als ältestes obersorbisches Gesangbuch wird eine Handschrift mit einigen Nachdichtungen vom Ende des 16. Jh. aus dem Umkreis des Bautzener Domstifts angesehen. Aus der katholischen Tradition stammen auch die beiden ersten gedruckten obersorbischen Kirchenliedersammlungen: 15 Lieder, die 1690 in Bautzen als Beilage zur Übersetzung der Evangelien durch Jurij Hawštyn Swětlik herauskamen, und Swětliks „Serbske katolske kěrluše“ (Sorbische katholische Kirchenlieder, 1696) mit 86 Liedern. Bedeutendster katholischer Editor von Kirchenliedern war Michał Jan Wałda, der in seiner „Spěwawa Jězusowa Winica“ Der singende Weinberg Jesu, 1787) 659 Lieder, darunter auch aus der evangelischen Tradition, versammelte und bearbeitete. Die katholischen Gemeinden Ralbitz, Ostro und Crostwitz behielten ihre eigenen Gesangbücher, bis Michał Hórnik mit seinem „Pobožny wosadnik“ (Frommes Gesang- und Gebetbuch, 1889) die Vereinheitlichung gelang. Seit der 5. Auflage wird der „Wosadnik“ von Michał Nawka geprägt (slawisierende Textrevision, eigene Choräle). Die 7. Auflage 1977 berücksichtigte die neuen liturgischen Richtlinien und zeitgemäße Formen (Nachdichtung slawischer Kirchenlieder, Lieder für die Jugend). 2008 erschien eine stark veränderte Neubearbeitung.

In der Predigtsammlung Michał Frencels „Postwitzscher Tauff-Stein“ (1688) finden sich die ersten zwei gedruckten obersorbischen evangelischen Kirchenlieder. Damals beschlossen die Oberlausitzer Stände, dass die handschriftlichen Sammlungen überprüft und ein einheitliches Gesangbuch für die Oberlausitz und mittlere Lausitz herausgegeben werden sollte. Daher wurde 1703 eine Kommission gebildet, die unter Vorsitz des Bautzener Archidiakons Pawoł Prätorius wirkte und 1710 „Das neue Teutsche und Wendische Gesang-Buch“mit 202 Liedern veröffentlichen ließ. In erweiterten Auflagen und unter wechselnden Titeln wurde es im 18. und 19. Jh. mehrfach aufgelegt. Die letzte vollständige Ausgabe ist 1930 in Fraktur und 1931 in Antiqua, eine gekürzte mit 314 Liedern dann 1955 erschienen. Zum 300. Jubiläum des ersten evangelischen Gesangbuchs gab der Sorbische Kirchgemeindeverband 2010 eine Neubearbeitung der „Spěwarske za ewangelskich Serbow“ (Gesangbuch für evangelische Sorben) heraus, die etwa 350 Lieder sowie weitere Gebrauchstexte enthält.

In der Geschichte des sorbischen Gesangbuchs ist auch die Brüdergemeine von Belang. Eine Auswahl obersorbischer Übersetzungen von Herrnhuter Kirchenliedern hat 1750 Ernst August Hersen vorgelegt.

Aus dem Gesangbuch wurde früher nicht nur in der Kirche, sondern auch zu Hause und während der Arbeit gesungen. In den Spinnstuben wurden zuerst Choräle, danach geistliche Lieder und zuletzt weltliche Volkslieder angestimmt. Nach dem metrischen Vorbild der Kirchengesänge entstanden im 19. und 20. Jh. von Laien geschaffene geistliche Lieder (→ Volksliteratur).

Lit.: G. Stone: The Sorbian Hymn, in: Perspektiven sorbischer Literatur, Hg. W. Koschmal, Köln/​Weimar/​Wien 1993; Serbska poezija 37 – Kěrluše, Hg. G. Stone, Budyšin 1995; Serbska poezija 39 – Kjarliže, Hg. G. Stone, Budyšin 1996.

Metadaten

Titel
Gesangbuch
Titel
Gesangbuch
Autor:in
Stone, Gerald
Autor:in
Stone, Gerald
Schlagwörter
Kirche; Kirchenlied; Geistliches Lied; Religion; evangelische Sorben; katholische Sorben
Schlagwörter
Kirche; Kirchenlied; Geistliches Lied; Religion; evangelische Sorben; katholische Sorben
Abstract

Sammlung von Kirchenliedern für den evangelischen und katholischen Gottesdienst, die seit der Reformation in Gebrauch sind. In der Geschichte der sorbischen Literatur, deren Beginn mit der Kirchenerneuerung zusammenfällt, spielte das Gesangbuch als der älteste gedruckte Buchtyp eine wesentliche Rolle.

Abstract

Sammlung von Kirchenliedern für den evangelischen und katholischen Gottesdienst, die seit der Reformation in Gebrauch sind. In der Geschichte der sorbischen Literatur, deren Beginn mit der Kirchenerneuerung zusammenfällt, spielte das Gesangbuch als der älteste gedruckte Buchtyp eine wesentliche Rolle.

Enthalten in Sammlung
Enthalten in Sammlung
Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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Wortschatz
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Deutsch-Sorbisches Volks­theater
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Niedersorbisch