Christliche, von Protestantismus und Pietismus geprägte
Glaubensbewegung, die von Nikolaus Ludwig Graf
von Zinzendorf gegründet wurde und sich ab dem 18. Jh. durch
intensive Missionsarbeit in der Lausitz und über Europa auf der ganzen Welt
verbreitete. Reichsgraf von Zinzendorf, auf den der Herrnhuter Zweig des
deutschen Pietismus zurückgeht, beeinflusste mit seinen Aktivitäten das Leben
der Sorben in der Ober- und Niederlausitz des 18. und 19. Jh. Er wusste
von den Bemühungen seiner Großmutter Henriette
Katharina von Gersdorf auf Großhennersdorf um das sorbische Schrifttum und führte die
pietistische Erweckung bei der Minderheit weiter (erste Erwähnung der Sorben in
seinen Schriften 1726).
Um 1730 entstanden in den sorbischen Dörfern um Löbau und Hochkirch
Sozietäten (d. h. Gesellschaften oder Konventikel) der Brüdergemeine, die an
Zinzendorfs Versammlungen im nahe gelegenen Berthelsdorf teilnahmen. Von 1736
bis etwa 1747 war diese Wirkung unter den Sorben wegen der Ausweisung
Zinzendorfs aus Sachsen und der staatlichen Konventikelverbote eingeschränkt.
Oberamtshauptmann Friedrich Caspar von
Gersdorf, Zinzendorfs Großcousin, der in der Oberlausitz mehrere
Güter besaß, beförderte das Wirken der Brüdergemeine in der Oberlausitz. Die
1737 von ihm gegründete Schulanstalt in Klix (→ Schule) verlegte er 1743 nach
Uhyst (Spree) und überführte sie
dadurch fest in das Herrnhuter Schulwesen. Sein Schloss in Teichnitz bei Bautzen gab Gersdorf 1746
Matej Dołhi in Verwaltung,
richtete dort einen Betsaal ein und bestellte für die geistliche Betreuung der
Sorben Prediger aus Herrnhut. Im
November 1747 erörterten Zinzendorf und Gersdorf den sog. wendischen Plan, der
die Gewinnung der Sorben für die Brüdergemeine beinhaltete. Der nach Teichnitz
entsandte Prediger Ernst August Hersen
erlernte nach Art der Missionare die sorbische Sprache und gab 1750 ein
sorbisches Gesangbuch mit Herrnhuter Liedversen heraus.
Nach dem Tod Gersdorfs 1751 wurde die Teichnitzer Arbeit ins nahe Kleinwelka verlegt, wo Dołhi das Rittergut
gekauft hatte. Gegen den Willen Zinzendorfs, der eine kleine Missionsstation für
die Sorben vorgesehen hatte, wurde der Ausbau einer Siedlung nach dem
architektonischen und wirtschaftlichen Vorbild Herrnhuts und Nieskys betrieben. Es entstanden Wohn- und
Gemeinhäuser sowie der Betsaal, der am 12.7.1758 durch Zinzendorf geweiht wurde.
Kleinwelka sollte als Kolonie mit dem Namen „Wendisch Nieska“ Zentrum der
sorbischen Erweckung und eine „Kanzel Jesu“ für das „National-Gemeinlein unter
den Wenden“ werden. Bei Zinzendorfs Beerdigung am 16.5.1760 in Herrnhut waren
zahlreiche Sorben anwesend, die zu seinem Gedächtnis eine Litanei in sorbischer
Sprache anstimmten. 1775 wurden von Kleinwelka aus ca. 600 Personen in 92 Orten
der Oberlausitz und des altsächsischen Gebiets betreut, die zum Großteil Sorben
waren. Ein Höhepunkt der brüderischen Arbeit war am 26.12.1778 die Weihe des
Diasporahauses, der Herberge für die auswärts wohnenden Sorben, an der 1 600
Personen teilgenommen haben sollen.
Die Gemeinschaft in Kleinwelka wurde 1751–1759 von Wilhelm Biefer und 1759–1775 von Johann Gottlieb Clemens (dem späteren Brüderbischof) geleitet,
die beide die sorbische Sprache erlernt hatten. Clemens übersetzte Zinzendorfs
Predigten ins Sorbische, die vom Milkeler Pfarrer Jan Bjenada 1766 herausgegeben wurden. Die Kolonie Kleinwelka
konnte sich, wie von Zinzendorf vorausgesehen, wegen der Nähe zu Bautzen wirtschaftlich nicht entfalten.
Durch die Ansiedlung von seltenen Gewerben wie einer Bandwirkerei und der
Glockengießerei Gruhl sowie durch Gründung der Knaben- und der Mädchenanstalt
(1778/79) versuchte man den Niedergang aufzuhalten. Nach 1800 ging der sorbische
Charakter der Kolonie verloren. Brüdergemeine
Kirche der Brüdergemeine in Kleinwelka, ohne Datum; unbekannter
Fotograf, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen
Frühzeitig rückte auch die Niederlausitz in das Blickfeld der Brüdergemeine. Kontakte
zwischen dem Cottbuser Superintendenten Johann
Gottlieb Fabricius und Zinzendorf bestanden seit 1734. Zwischen
1751 und 1775 wurden von Kleinwelka aus mehrere Sozietäten in der Niederlausitz
gegründet, die von neun Stundenhaltern betreut wurden. 1767 bestanden 15
niedersorbische Sozietäten, davon elf auf brandenburgischem, vier auf
sächsischem Territorium. Im brandenburgischen Gebiet unterlag die Herrnhuter
Arbeit Einschränkungen, während sie im sächsischen Teil der Niederlausitz
toleriert wurde. 1776 entsandte Kleinwelka das Ehepaar George Grunert und Magdalene Grunert mit einer
„Geschwister-Instruktion“ in die Niederlausitz, um Anhänger zu gewinnen und zu
betreuen. Dank der konsequenten Anwendung der niedersorbischen Sprache wuchs die
Anhängerschaft, sodass man 1781 ein Haus in Limberg, einer sächsischen Exklave, erwerben konnte, das bis
1857 Mittelpunkt der Brüderarbeit war. Die Zahl der Anhänger betrug um 1780 etwa
800, sank jedoch Mitte des 19. Jh. auf 200. Eine Ursache für den Rückgang war
die fehlende muttersprachliche Betreuung der Niedersorben durch die Nachfolger
der Grunerts. Der Sitz der Arbeit wurde 1857 nach Guben, später nach Forst verlegt.
Die Brüdergemeine hatte durch ihre intensive Arbeit unter den Sorben nicht nur
das eigentliche Ziel der kirchlichen Erweckung erreicht, sondern durch die damit
verbundene Schulung in religiösen und ethischen Dingen ein umfangreiches
Programm der Erwachsenenbildung realisiert. Auch Kritiker erkannten den höheren
Bildungsstand und die größere moralische Integrität vieler Anhänger Herrnhuts
an. Galten die Sorben Anfang des 18. Jh. noch als unzivilisiertes und
unchristliches Volk, so hatten sie Ausgang des Jahrhunderts den Ruf treuer
Kirchlichkeit und guter Arbeitsmoral, was neben anderen Einflüssen auch der
Brüdergemeine zuzuschreiben ist.
Die stille, bibelbezogene Herrnhuter Frömmigkeit prägte auch im 19. Jh. viele Sorben. Eine
beachtliche Zahl trat in den Dienst der Herrnhuter Mission. Einer der bedeutendsten
war Jan Awgust Měrćink, der in
Grönland und in Afrika wirkte. Sorbische Mädchen wurden an der Kleinwelkaer
Anstalt in bürgerlich-christlichem Geist ausgebildet. Gustav Egon von Schönberg-Bibran, ein
Förderer der Sorben in der Oberlausitz, der Landtagsabgeordnete Jan Smoła, der Lehrer und Historiker
Měrćin Kral u. a. waren mit der
Kleinwelkaer Kolonie verbunden. Auch Niedersorben wie der Briesener Pfarrer
Johann Ludwig Will , der Werbener
Pfarrer Jan Zygmunt Bjedrich Šyndlaŕ,
der Pädagoge Mjertyn Lejnik, der
Lehrer Kito Šwjela und der Pfarrer
Bogumił Šwjela waren von der
Brüdergemeine beeinflusst. In den Jahren 1865/66 wurde von Pfarrer Jan Bjedrich Tešnaŕ die niedersorbische
Monatsschrift „Pobožne głosy z bratšojskeje gmejny“ (Fromme Stimmen aus der
Brüdergemeine) herausgegeben.
Auszüge aus den Schriften Zinzendorfs in Niedersorbisch
„Pobožne głosy z bratšojskeje gmejny“, 1866; Repro: Sorbische Zentralbibliothek
am Sorbischen Institut Bautzen
Die traditionelle Anrede der Sorben als Brüder und Schwestern geht wohl auf die
Tradition der Unitas Fratrum zurück, wurde aber möglicherweise durch böhmische
Kontakte vermittelt. Seit 2001 werden die täglichen Losungen der Brüdergemeine
auch in obersorbischer Sprache publiziert.
Lit.: E. Goltzsch: Der Pietismus und die Sorben der Oberlausitz im 18.
Jahrhundert, Manuskript Leipzig [o. J.]; L. Kücherer: Die Diasporaarbeit der
Brüdergemeine unter den Wenden in der Ober- und Niederlausitz im 18. und 19.
Jahrhundert; Manuskript Kleinwelka 1960; E. Beyreuther: Die große
Zinzendorf-Trilogie, Marburg 1988; T. Malinkowa: Delnjoserbscy knižni
kolporterojo, in: Rozhlad 49 (1999) 12; S. Hose: „Für die Stunde meines
Begräbnisses“: Zur kommunikativen Funktion von Lebensgeschichten in der
Herrnhuter Brüdergemeine, in: Lětopis 47 (2000) 2; S. Hose: Gottes Wort per SMS
aufs Handy. Das Sendungsbewusstsein der Herrnhuter Brüdergemeine am Beispiel der
Losungen. In: Minderheiten und Mehrheiten in der Erzählkultur. Bautzen 2008; H.
Mirtschin: Hans Friedrich Caspar von Gersdorf und Kleinwelka, in: Unitas Fratrum
63/64 (2010); L. Mahling: Um der Wenden Seelenheyl hochverdient - Reichsgraf
Friedrich Caspar von Gersdorf. Eine Untersuchung zum Kulturtransfer im
Pietismus, Bautzen 2017.