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National­bewegung
von Peter Schurmann

AktivitĂ€ten, die auf Erhalt und Entwicklung eines, hier des sorbischen Volkstums gerichtet sind. Sie schließen sprachliche, kulturelle, volksbildnerische und politische AktivitĂ€ten ein. Die sorbische Nationalbewegung entstand im ersten Drittel des 19. Jh., angeregt durch Tendenzen der nationalen Wiedergeburt bei anderen slawischen Völkern.

Erste Äußerung der Nationalbewegung war die 1834 von 19 evangelischen Geistlichen Sachsens eingebrachte Petition, die im Namen von etwa 50 000 Sorben den Gebrauch der sorbischen Sprache im Unterricht forderten, was ein Jahr spĂ€ter im neuen sĂ€chsischen Schulgesetz erstmals BerĂŒcksichtigung fand (→ Schule).

Mit dem sorbischen Vereinswesen ab 1848/49, namentlich dem Wirken der Maćica Serbska in der Oberlausitz (ab 1847) und der Maƛica Serbska in der Niederlausitz (ab 1880), sowie im Vorfeld der Jungsorbischen Bewegung im Deutschen Kaiserreich (ab 1875) wurden Grundlagen fĂŒr ein organisiertes Auftreten sorbischer nationaler KrĂ€fte geschaffen. Hinsichtlich Umfang und StĂ€rke der Nationalbewegung gab es jedoch betrĂ€chtliche Unterschiede zwischen Ober- und Niederlausitz. Sichtbaren Ausdruck fand die Nationalbewegung 1904 in der Eröffnung des Wendischen Hauses in Bautzen. 1912/13 gelang es, zunĂ€chst 15 sorbische Vereine unter dem Dach der Domowina zusammenzufĂŒhren.

GrĂŒnder der Maćica Serbska (Postkarte); Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen

Nach 1918 erstarkte die Nationalbewegung unter FĂŒhrung des Wendischen Nationalausschusses, dessen treibende Kraft ArnoĆĄt Bart war. Es wurden weitreichende politische und soziale Forderungen gestellt, die Verbesserungen auf wirtschaftlichem, kirchlichem und kulturellem Gebiet bringen sollten und es kam erstmals zu Autonomiebestrebungen. Als Gegenbewegung entstand der Ausschuss sachsentreuer Wenden. Letztlich wurden Teilergebnisse u. a. im sĂ€chsischen Übergangsgesetz fĂŒr das Volksschulwesen erzielt (→ Weimarer Republik). Gleichzeitig spitzte sich der zuvor besonders wegen des Vorwurfs des Panslawismus aufgeflammte Konflikt mit der deutschen Obrigkeit zu. Eine Reaktion war 1920 die Schaffung der Wendenabteilung, die ab 1923 fĂŒr die „StĂ€rkung der Deutschtumsarbeit in den wendischen Gebieten“ sorgte.

In der Weimarer Republik grĂŒndeten Sorben erstmals eine eigene Partei (Lausitzer bzw. → Wendische Volkspartei). Der ab 1925 bestehende Wendische Volksrat, der Vertreter von Domowina, Maćica Serbska und Wendischer Volkspartei vereinte, betrachtete sich als „oberste Vertretung des gesamten wendischen Volkes“. Er nahm bis zu seiner Auflösung 1933 die Belange der Sorben vornehmlich in den Beziehungen zu den anderen Minderheiten in Deutschland und Instanzen des Deutschen Reiches wahr und gehörte dem 1924 gebildeten Verband der nationalen Minderheiten in Deutschland an. 1925, 1926 und 1927 beteiligten sich Delegierte des Wendischen Volksrats an den in Genf stattfindenden europĂ€ischen NationalitĂ€tenkongressen. Innersorbisch und auf regionaler Ebene agierten mehrere sorbischen Gruppierungen nebeneinander, wobei sich die Domowina als ReprĂ€sentantin der sorbischen Bevölkerung gegenĂŒber den Behörden zunehmend zu profilieren vermochte. Ab 1933 wurde der Handlungsspielraum der Nationalbewegung nach und nach eingeschrĂ€nkt, bis im MĂ€rz 1937 das TĂ€tigkeitsverbot fĂŒr die Domowina und alle ihr angeschlossenen Vereine folgte. (→ NS-Zeit)

GrĂŒnder der Maƛica Serbska (Postkarte); Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen

Signet der Domowina auf den Beitragsmarken 1935; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wirkten zunĂ€chst die Domowina, bis 1948 ein neu gegrĂŒndeter Sorbischer Nationalausschuss bzw. Nationalrat sowie ein Slawischer Ausschuss nebeneinander. Zeitweise wurden Forderungen nach Autonomie bzw. Eigenstaatlichkeit erhoben. Es gelang in den Nachkriegsjahren in der Oberlausitz, eine Reihe von sprachlich-politischen und kulturellen Forderungen durchzusetzen. Sie bildeten die Grundlage fĂŒr das mit UnterstĂŒtzung der SED im MĂ€rz 1948 in Sachsen verabschiedete Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung (→ Sorbengesetze). In Brandenburg 1950 als Regierungsverordnung ĂŒbernommen, garantierte es erstmals Schutz und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur, v. a. mithilfe relativ autonomer staatlicher sorbischer Institutionen.

Ab den 1950er Jahren kann von einer Nationalbewegung nicht mehr gesprochen werden, das restriktive System duldete nur politisch konforme AktivitĂ€ten. Dennoch gab es weiterhin Bestrebungen, an frĂŒhere Forderungen etwa nach administrativer Vereinigung der Ober- und Niederlausitz anzuknĂŒpfen. Dies blieb ebenso Illusion wie die geforderte Novellierung des Sorbengesetzes. Mit der politischen Wende 1989/90 wurden die Defizite in der rechtlichen Situation der Sorben wĂ€hrend der DDR-Zeit öffentlich thematisiert. Inhalt und Strategie der maßgeblich von der sich sukzessive reformierenden Domowina getragenen Nationalbewegung wandelten sich nach dem Beitritt zur Bundesrepublik. In den Mittelpunkt rĂŒckten die Sicherstellung von Minderheitenrechten fĂŒr die Sorben in beiden BundeslĂ€ndern und eine dauerhafte und auskömmliche institutionelle Förderung sorbischer Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen.

Lit.: H. Zwahr: Sorbische Volksbewegung, Bautzen 1968; E. Hartstock/​P. Kunze: Die Lausitz im Prozeß der bĂŒrgerlichen Umgestaltung 1815–1847. Eine Quellenauswahl, Bautzen 1985; P. Schurmann: Die Sorbenfrage als Politikum. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der sorbischen nationalen Bewegung nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, in: Zwischen Zwang und Beistand, Hg. E. Pech/​D. Scholze, Bautzen 2003.

Metadaten

Titel
National­bewegung
Titel
National­bewegung
Autor:in
Schurmann, Peter
Autor:in
Schurmann, Peter
Schlagwörter
Sprachenpolitik; Minderheitenpolitik; Minderheitenrecht; Separatismus; Partikularismus; Autonomiebewegung
Schlagwörter
Sprachenpolitik; Minderheitenpolitik; Minderheitenrecht; Separatismus; Partikularismus; Autonomiebewegung
Abstract

AktivitĂ€ten, die auf Erhalt und Entwicklung eines, hier des sorbischen Volkstums gerichtet sind. Sie schließen sprachliche, kulturelle, volksbildnerische und politische AktivitĂ€ten ein.

Abstract

AktivitĂ€ten, die auf Erhalt und Entwicklung eines, hier des sorbischen Volkstums gerichtet sind. Sie schließen sprachliche, kulturelle, volksbildnerische und politische AktivitĂ€ten ein.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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