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NS-Zeit
von Frank Förster und Dietrich Scholze

Epoche von 1933 bis 1945, die mit der Machtergreifung durch die NSDAP unter Adolf Hitler begann und mit der Kapitulation Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkriegs endete. Eines der Kennzeichen des Nationalsozialismus war der auf die Rassentheorie gegründete Antislawismus, der das Verhältnis des Regimes zu den slawischen Völkern bestimmte. Die sog. Wendenpolitik während der NS-Zeit war durch eine spezifische Ambivalenz geprägt. Anfangs dominierte ein pragmatisches Herangehen: Die Sorben sollten in die deutsche „Volksgemeinschaft“ einbezogen werden, einigen Volkskundlern galten sie als „wendisch-sprechender deutscher Stamm“. 1940 plante Heinrich Himmler eine Abschiebung von Teilen der slawischen Minderheit ins sog. Generalgouvernement. Diese Maßnahme sollte jedoch erst nach Kriegsende erfolgen, um Unruhe an der „Heimatfront“ zu vermeiden. Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands am 8.5.1945 bewahrte die Sorben vor der ethnischen Auslöschung.

Ankündigung des zeitweiligen Verbots der „Serbske Nowiny“, 11.4.1933; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

„Spreewälderinnen begrüßen den Führer“ – Zigarettenbild; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Trotz gewisser Sympathien in allen Schichten der Bevölkerung fand der Nationalsozialismus in der Weimarer Republik bei Sorben wenig Anklang, was sich – besonders im katholischen Gebiet (→ Katholische Region) – an den Wahlergebnissen nachweisen lässt. Obwohl die kulturellen Aktivitäten zu Beginn der 1930er Jahre einen Tiefpunkt erreichten, hatte sich das sorbische nationale Bewusstsein in der Zwischenkriegszeit dennoch gefestigt. Von der Ausschaltung potenzieller politischer Gegner waren nach der Machtergreifung durch Hitler auch die Sorben betroffen. Am 11.4.1933 wurde die Tageszeitung „Serbske Nowiny“ in der Oberlausitz für acht Tage verboten, danach die Redaktion ausgetauscht. Andere Periodika mussten ihr Erscheinen einstellen (→ Zeitungen, → Zeitschriften). Ende April wurden sechs führende Vertreter der Nationalbewegung für mehrere Wochen inhaftiert, bei sog. Wendenbetätigern Haussuchungen durchgeführt. Danach änderte sich bis etwa 1936 die Taktik der Behörden. Der NS-Staat betonte seine angebliche Friedensliebe und bestritt die Absicht zur Germanisierung fremdsprachiger Volksteile. Andererseits missbrauchte er sorbische Trachten und Bräuche zur Demonstration einer angeblich deutschen Folklore. Zuvor hatte es Solidaritätsbekundungen für die Sorben gegeben, die sich v. a. auf die Tschechoslowakei und Polen, aber auch auf Jugoslawien und Frankreich erstreckten, wo Freundesgesellschaften tätig waren. Man befürchtete in Berlin Vergeltungsakte gegen das Auslandsdeutschtum, dessen Führer ihrerseits die Behandlung der Sorbenfrage zu beeinflussen suchten.

Die Koordinierung der „Wendenpolitik“ in beiden Lausitzen übernahm die Sächsische Staatskanzlei, der ab 1920 auch die Wendenabteilung bei der Kreis- bzw. Amtshauptmannschaft Bautzen unterstand (Aufnahme der Tätigkeit 1923). Nationalbewusste Kreise, die u. a. an Kontakten zu slawischen Ländern festhielten, sammelten sich ab 1933 in der Dachorganisation Domowina, die sich um eine Ausdehnung in die Niederlausitz bemühte. Unter Vorsitz von Pawoł Nedo nahm sie eine Reorganisation vor (1933/34), sie wollte durch Einzelmitgliedschaften stärkeres öffentliches Gewicht erhalten. Dies zog Repressalien nach sich; schon 1934 erwog die Wendenabteilung Schritte gegen den Bund Lausitzer Sorben. Eine neue Satzung sollte die Angehörigen der slawischen Minderheit als „wendisch-sprechende Deutsche“ definieren. Im Januar 1936 übermittelte das Reichsministerium des Innern einen entsprechenden Entwurf, den die Domowina-Führung ablehnte. Nachdem ein Ultimatum am 15.3.1937 verstrichen war, erließ der Bautzener Amtshauptmann am 18.3.1937 ein Betätigungsverbot, das für die Domowina und „alle ihr angeschlossenen Organisationen“ galt, aber nicht veröffentlicht werden durfte. Im Juni wurden weitere 13 sorbische Vereinigungen aufgelöst und bald darauf enteignet. Das offizielle Verbot für die zentralen Vereine erfolgte 1941. Im August 1937 wurde unter Vorwand Schmalers Verlag und Buchdruckerei liquidiert, das Wendische Haus in Bautzen besetzt und geschlossen. Damit waren sorbische Presse und Buchdruck unterbrochen (bis 1947). Schon 1938 wurde der sorbischsprachige Schulunterricht endgültig eingestellt. Selbst die Volksnamen „Wenden“, „wendisch“ bzw. „Sorben“, „sorbisch“ sollten laut ministeriellem Wendenerlass vermieden werden, um jede nationale Eigenständigkeit zu leugnen und die ethnische Herkunft der Sorben zu verdrängen. Diesem Ziel diente auch die Umbenennung von ca. 140 Lausitzer Ortsnamen, die von den NS-Behörden als fremd und slawisch empfunden wurden.

Aufenthaltsverbot in der Oberlausitz für Mina Witkojc, 1941; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Alojs Andricki; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die ab 1939 für besetzte Gebiete formulierte Doktrin, wonach nur beherrschter Raum, nicht aber fremdes Volkstum germanisiert werden sollte, wurde auf die Sorben in der Lausitz nicht angewandt. Angesichts ihrer geringen Zahl (bereits damals kaum mehr als 100 000) setzte man auf ein rasches Verschwinden von Sprache und Kultur durch Assimilation. Dennoch ist in Himmlers Denkschrift „Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“ (1940) ausdrücklich auch von „Sorben und Wenden“ die Rede, deren „rassische und menschliche Art“ den übrigen „minderwertigen“ Völkern gleichkäme. Trotz einschlägiger Erhebungen fielen die Sorben nicht unter die Rassengesetze (1935), sie wurden in der Regel wegen Widerstands gegen das NS-Regime oder prosorbischer Aktivitäten verfolgt. In sorbischen Familien wurden vereinzelt jüdische Kinder aufgenommen, slawische Zwangsarbeiter oftmals unterstützt.

Unter Repressionen litt besonders die sorbische Intelligenz, so Lehrer und Pfarrer beider Konfessionen. Sofern sie sich für sorbische Bildungs- und Kulturarbeit engagierten, waren sie von Ausweisung bedroht. Schon vor Kriegsausbruch wurden etwa 40 Lehrer aus dem Dienst entlassen, zum Militär eingezogen oder aus den zweisprachigen Gebieten versetzt, wovor selbst Parteimitgliedschaft nur bedingt schützte. Zwangsversetzt wurden 1938 die evangelischen Pfarrer Jurij Malink aus Lohsa und Gottfried Rösler aus Schleife. Für Jahre ins KZ kamen die Volkskünstlerin Pawlina Krawcowa aus Cottbus und der Student Jurij Měrćink aus Bautzen. Der Publizist Jan Skala, der Pfarrer Jan Cyž, der Verleger Jan Cyž, der Jurist Jurij Cyž und der Domowina-Vorsitzende Pawoł Nedo wurden zu Reichsfeinden erklärt, weil sie für Minderheitenrechte eintraten. Am 26.11.1940 ordnete das Reichsministerium für Volksbildung die Versetzung von weiteren 25 namentlich genannten Pädagogen aus Ober- und Niederlausitz nach Westen an, wozu es wegen des Kriegsverlaufs jedoch nicht mehr kam. Der katholische Bischof Petrus Legge wurde genötigt, Ende 1940 zwölf sorbische Geistliche aus ihren Ämtern zu entfernen; ein ähnliches Los traf elf evangelische Pfarrer, die z. T. der Bekennenden Kirche angehörten. Auf diese Stellen gelangten deutschsprachige Seelsorger; dennoch blieb in manchen Gemeinden ein reduzierter Gebrauch des Sorbischen im Gottesdienst möglich. Auf behördlichen Druck musste 1941 in der Niederlausitz der sorbischsprachige Gottesdienst eingestellt werden; die Publizistin Mina Witkojc wurde angewiesen, den Regierungsbezirk Frankfurt (Oder), zu dem die Niederlausitz gehörte, zu verlassen. Im selben Jahr wurden mehrere katholische sorbische Priester ins KZ Dachau verbracht, von denen der 2011 seliggesprochene Alojs Andricki im Februar 1943 umkam. In Lagerhaft gelangten außerdem die Sozialdemokratin Marja Grólmusec, die Kommunisten Korla Janak, Pawoł Njek u. a. Nur Janak, der Mitglied des internationalen Lagerkomitees im KZ Buchenwald war, überlebte die Haft.

Marja Grólmusec; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

„Stolperstein“ für Pawlina Krawcowa in Cottbus; Fotograf: Rafael Ledschbor, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die schweren Kampfhandlungen Ende April/​Anfang Mai 1945 zwischen sowjetischen und polnischen Verbänden einerseits und Resten von Einheiten der Wehrmacht und der Waffen-SS andererseits führten zu zahlreichen Opfern und unersetzlichen materiellen und kulturellen Verlusten.

Lit.: M. Kasper/​J. Šołta: Aus Geheimakten nazistischer Wendenpolitik, Bautzen 1960; W. Wippermann: Sind die Sorben in der NS-Zeit aus „rassischen“ Gründen verfolgt worden?, in: Lětopis 43 (1996) 1; K. Bott-Bodenhausen: Sprachverfolgung in der NS-Zeit. Sorbische Zeitzeugen berichten, Lětopis Sonderheft, Bautzen 1997; H. Schaller: Der Nationalsozialismus und die slawische Welt, Regensburg 2002; Zwischen Zwang und Beistand. Deutsche Politik gegenüber den Sorben vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart, Hg. E. Pech/​D. Scholze, Bautzen 2003; F. Förster: Die „Wendenfrage“ in der deutschen Ostforschung 1933–1945. Die Publikationsstelle Berlin-Dahlem und die Lausitzer Sorben, Bautzen 2007; Eine Kirche – zwei Völker, Bd. 2: 1930–1945, Hg. K. Zdarsa, Bautzen/​Leipzig 2008; E. Pech: Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die nationale Minderheit der Sorben, in: Ideengeschichte als politische Aufklärung, Berlin 2010.

Metadaten

Titel
NS-Zeit
Titel
NS-Zeit
Autor:in
Förster, Frank; Scholze, Dietrich
Autor:in
Förster, Frank; Scholze, Dietrich
Schlagwörter
Nationalsozialismus; Minderheitenpolitik; Diktatur; Schulpolitik; Sprachenpolitik; Rassentheorie; Weltkrieg (1939–1945); Verein; Geschichte 1933–1945
Schlagwörter
Nationalsozialismus; Minderheitenpolitik; Diktatur; Schulpolitik; Sprachenpolitik; Rassentheorie; Weltkrieg (1939–1945); Verein; Geschichte 1933–1945
Abstract

Epoche von 1933 bis 1945, die mit der Machtergreifung durch die NSDAP unter Adolf Hitler begann und mit der Kapitulation Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkriegs endete. Eines der Kennzeichen des Nationalsozialismus war der auf die Rassentheorie gegründete Antislawismus.

Abstract

Epoche von 1933 bis 1945, die mit der Machtergreifung durch die NSDAP unter Adolf Hitler begann und mit der Kapitulation Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkriegs endete. Eines der Kennzeichen des Nationalsozialismus war der auf die Rassentheorie gegründete Antislawismus.

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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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