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Volks­musikanten
von Měrko Šołta

Hausmusik in Crostwitz, um 1948, Fotograf: Oscar Kaubisch; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Spielleute, die eine populäre, meist ohne Aufzeichnungen überlieferte Musik darboten (obersorb. hercy, niedersorb. gerce). Bei den Sorben wirkten sie als Bewahrer und Erneuerer der volksmusikalischen Tradition. Sie waren zugleich begehrte Unterhalter und Vermittler ihrer Kunst. Die jungen Volksmusikanten erlernten das Repertoire bei erfahrenen Vorgängern, die oft Schulen bildeten. Wichtige Pflegestätten der Musik waren v. a. die Spinnstuben, wo die Volkslieder nicht nur gesungen, sondern auch instrumental dargeboten wurden. Gesang und Spiel begleiteten zentrale Ereignisse im Jahres- und Lebenslauf, so etwa beim Passions- und Ostersingen, bei Hochzeiten oder Beisetzungen.

Früheste Erwähnungen „wendischer Spielleute“ stammen aus dem Mittelalter, nach der Reformation verdichtet sich die Überlieferung. So musste 1627 in Bautzen „ein wendischer Pfeiffer während der Predigt, weil er die Nacht vor dem Sonntage in der Stadt herumgegangen war und Störung verursacht hatte“, am Pranger stehen. Zur Eröffnung eines außerordentlichen Landtags am 25.8.1695 wurden im Bautzener Rathaus die „churfürstliche(n) Commissarien […] durch eine wendische Musik überrascht, wobei sich zwei Bockpfeiffer befanden, welche die Herren sehr belustigten“. Für 1774 berichten die Bautzener Annalen, dass zum Johannis- Schießen der Schützenkönig mit einer „wendischen Musik“, bestehend aus Dudelsack, Schalmei und zwei sorbische Geigen (→ Volksmusikinstrumente), zum Schützenplatz geleitet wurde. Der sächsische Kurfürst Friedrich August III. schrieb 1769 anlässlich einer Reise durch den Spreewald über die ihm huldigende sorbische Bevölkerung: „Dieses Volk ist sehr fröhlich und musikliebend. Bei jeder Gruppe gab es wenigstens 12 Musikanten“. Bekannt ist die Existenz verschiedener sorbischer Musikantenvereinigungen und Innungen z. T. bis Ende des 18. Jh., so etwa die Zunft der „wendischen Spielleute“ der Niederlausitz in und um Luckau.

Hauptbetätigung der Volksmusikanten war das Aufspielen zum Tanz, bes. die Begleitung und Umrahmung von Hochzeiten. In den spärlichen Quellen bis zum Beginn des 19. Jh. finden sich selten konkrete Hinweise zur musikalischen Praxis. Nennungen von „wendischen Dudelsackpfeiffern“ oder „wendischer Musik“ bezeugen jedoch eine eigenständige, von der deutschen Umwelt unterschiedene Musikkultur. Über die Zusammensetzung der Musikgruppen geben einige Dokumente Auskunft. Berichtet wird vom einfachen Solospiel auf der großen sorbischen Geige oder dem Dudelsack, von Duos wie Dudelsack/​kleine Geige über große Geige/​Klarinette bis hin zu variablen Gruppen wie Dudelsack/​Geige/​Klarinette, Schalmei/​zwei Geigen/​Dudelsack, Geige/​Klarinette/​Kontrabass, Posaune/​Klarinette/​große Geige etc. Das wichtigste Instrument für die Volksmusikanten war die Geige.

Volksmusikanten zum Sorbentreffen in Bautzen 1956; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Der Musikant intonierte das Stück, dekorierte je nach Können die Melodie, variierte sie und bestimmte das Tempo. Die Geiger nutzten bei ihrem Spiel auch die leeren Saiten als Bordunsaiten. Die besondere Bedeutung der Geige zeigt hier die Tatsache, dass fast alle erhaltenen oder abgeschriebenen Melodiehefte sorbischer Volksmusikanten Geigenspielbücher sind. Die Instrumente bauten Musikanten oder Dorfhandwerker selbst. In den Quellen werden über die Jahrhunderte verschiedene Instrumente erwähnt, derer sich die sorbischen Volksmusikanten u. a. bedienten, darunter Flöten, Kuhhörner, Hackbrett oder Leier. Am häufigsten nachgewiesen sind Dudelsack, Geigen und die Schalmei, die man Ende des 18. Jh. durch die Klarinette ersetzte. Im 19. Jh. wurden die meisten davon durch Blechblasinstrumente verdrängt, womit ein Wandel des Repertoires einherging: weg von der traditionellen Volks- und hin zur populären Blasmusik. Die traditionelle sorbische Volksmusik erlosch um Bautzen in der ersten Hälfte des 19. Jh., in der katholischen Region (außer Wittichenau) nach 1870 und wohl zur selben Zeit auch in der Niederlausitz. In der Mittellausitzer Heide sowie im südlich angrenzenden katholischen Kirchspiel Wittichenau wurden volksmusikalische Traditionen, z. T. bei Nutzung der herkömmlichen Instrumente, bis in die 1950er Jahre gepflegt.

Nur ein kleiner Teil der Unterhaltungs- und Gebrauchsmusik ist direkt überliefert. Er blieb dank Notenaufzeichnungen und diversen Beschreibungen erhalten. Die Zeugnisse reichen bis ins letzte Drittel des 18. Jh. zurück. Erste detaillierte Informationen bot Jan Hórčanski in seiner Abhandlung „Von den Sitten und Gebräuchen der heutigen Wenden“ (1782). Außerdem sammelten und veröffentlichten sorbische Volkslieder und Tänze Jan Arnošt Smoler und Leopold Haupt (1841/43), Ludvík Kuba (1887) und Adolf Černý (1888, 1893). Die letzten Aktivitäten, zugleich die ersten Feldaufnahmen sorbischer Volksmusik, führte das Institut für sorbische Volksforschung (→ Sorbisches Institut) in den 1950er Jahren durch.

Lit.: J. Raupp: Sorbische Volksmusikanten und Musikinstrumente, Bautzen 1963; Das Kralsche Geigenspielbuch – Kralowy huslerski spěwnik. Eine Budissiner Liederhandschrift vom Ende des 18. Jahrhunderts, Bautzen 1983; CD Serbska ludowa hudźba/​Sorbische Volksmusik. Auswahl von Feldaufnahmen der 50er- und 60er- Jahre des 20. Jahrhunderts, Bautzen 2006.

Metadaten

Titel
Volks­musikanten
Titel
Volks­musikanten
Autor:in
Šołta, Měrko
Autor:in
Šołta, Měrko
Schlagwörter
Musik; Tanz; Volkslied; Volkstanz; Musiker; Musikerin; Volksmusikinstrument; Musikinstrument; Volksmusik; Musikant; Dudelsack; Geige; Fidel (Instrument); Flöte; Schalmei
Schlagwörter
Musik; Tanz; Volkslied; Volkstanz; Musiker; Musikerin; Volksmusikinstrument; Musikinstrument; Volksmusik; Musikant; Dudelsack; Geige; Fidel (Instrument); Flöte; Schalmei
Abstract

Spielleute, die eine populäre, meist ohne Aufzeichnungen überlieferte Musik darboten Bei den Sorben wirkten sie als Bewahrer und Erneuerer der volksmusikalischen Tradition.

Abstract

Spielleute, die eine populäre, meist ohne Aufzeichnungen überlieferte Musik darboten Bei den Sorben wirkten sie als Bewahrer und Erneuerer der volksmusikalischen Tradition.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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