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Wirtschaft
von Erhard Hartstock

Entwicklung, Einrichtungen und Maßnahmen, die der Bevölkerung auch der zweisprachigen Lausitz zur Befriedigung ihres Bedarfs an Gütern und Dienstleistungen dienen.

Von der Landnahme in der Ober- und Niederlausitz ab 600 bis zur politischen Unterwerfung Mitte des 10. Jh. entfalteten die elbslawischen Stämme bereits ein eigenständiges Wirtschaftsleben; dies vollzog sich zwischen Gentilordnung und frühfeudalen Gesellschaftsformen.

Durch Nutzung vorhandener Grünlandareale und Waldrodung zur Gewinnung von Ackerflächen schufen sie die Voraussetzungen für Ackerbau und Viehzucht als Hauptzweige der Landwirtschaft. Umfangreiche Keramikfunde in den zahlreichen Burgwällen und Siedlungen dokumentieren eine frühe handwerkliche Produktion und ihre permanente Weiterentwicklung. Archäologische Funde und erste schriftliche Quellen belegen neben dem Gebrauch hölzerner und eiserner Pflugscharen, Sicheln und Mühlsteine den Anbau von Roggen, Weizen, Gerste, Hirse und Lein sowie die Nutzung von Pferd, Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Gans und Huhn. Gegen Ende der Periode kamen Gartenkulturen wie Bohnen, Erbsen, Möhren, Mohn und Hanf hinzu, die für den Eigenbedarf der einzelnen Familien angepflanzt wurden.

Illustration der Flachsverarbeitung und Tuchproduktion in der Schreiber-Karte der Oberlausitz, 1732

Von großer Bedeutung war die Verarbeitung von Leinfasern zu Flachs, der neben Wolle durch Verspinnen zu Garn als Ausgangsbasis zur Textilherstellung und Anfertigung von Bekleidung diente. Webstein, Webgewichte und Spinnwirteln gehörten zur Ausstattung der Siedlungen. Die Ackerbau und Viehzucht treibende Bevölkerung stellte die benötigten Gebrauchsgüter überwiegend in Eigenproduktion her. In den Burgwardzentren erfolgten erste handwerkliche Spezialisierungen durch Arbeitsteilung. Fischfang, Jagd und Bienenzucht ergänzten das Wirtschaftsleben.

Im selben Zeitraum entwickelten sich Handwerk, Gewerbe und Handel. Die Töpferei hatte in den frühen slawischen Gemeinschaften eine lange Tradition, denn diese nutzten bereits die Töpferscheibe. Das Schmiedehandwerk beherrschte die Eisengewinnung aus Raseneisenerz zur Herstellung von Produktionsinstrumenten, Eisengeräten und Waffen. Allgemein geläufig war die Ausführung von Zimmerer-, Böttcher-, Drechsler- und Stellmacherarbeiten als Basis für die holzbearbeitenden und -verarbeitenden Berufe, die alle noch im Familienverband erledigt wurden. Gegen Ende des 9. Jh. waren wichtige Bedingungen für eine arbeitsteilige Wirtschaft geschaffen. Aus dem gleichen Zeitraum bezeugen Hacksilberfunde (z. B. bei Cortnitz, Schmochtitz) den wachsenden Fernhandel der sorbischen Stämme in das Donaugebiet, bis Arabien, Byzanz, nach Skandinavien und Westeuropa.

Einzug der Dreschmaschine in Groß Partwitz, um 1916; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die politische Unterwerfung der sorbischen Stämme und die Eliminierung ihrer Adelsschicht bedeutete für die Wirtschaft der autochthonen Bevölkerung eine entscheidende Zäsur. Bis zum 16. Jh. erreichte auch in der Lausitz die feudale Gesellschaftsordnung ihre Hochform, zeigte aber einige Besonderheiten. Über die Jahrhunderte bildete primär die Landwirtschaft die Existenzgrundlage der Sorben. Insbesondere der niedere deutsche Adel brachte rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Erfahrungen mit, die auf die Slawen nur bedingt übertragen wurden. Im Wechselspiel der Kräfte setzte sich bis Ende des 12. Jh. die Feudalordnung auch ordnungspolitisch durch. Spätestens mit der Ansiedlung deutscher Bauern mussten im sorbischen Territorium die dörflichen Besitzstrukturen, sofern noch nicht geschehen, neu geregelt werden (→ Kolonisation). Die zugezogenen Deutschen wurden mit einer Landfläche (Hufe) ausgestattet, die zur Versorgung einer Mehrgenerationenfamilie ausreichte und überdies die Abführung von Getreide, Vieh, Geflügel, Honig und zunehmend Geld an die Herrschaft ermöglichte.

Die Größe der Hofstätten schwankte zum einen nach den hergebrachten Gewohnheiten (flämische, fränkische, deutsche Hufe) und zum anderen nach der natürlichen Ertragsfähigkeit der Böden (Lößlehmböden, Heide, Spreewald, Mittelgebirgslagen). Wie die Quellen belegen, war in den sorbischen Orten der bäuerliche Besitz ebenso organisiert. Parallel zum Landesausbau entstanden in der Ober- und Niederlausitz zahlreiche, bis mehrere 100 km2 große Adelsherrschaften, deren Verwaltungszentren seit dem 12. Jh. immer mehr städtischen Charakter annahmen und für die Entwicklung einer arbeitsteiligen Wirtschaft sorgten. Um Mitte des 13. Jh. erlangte die Mehrzahl dieser Ansiedlungen das Stadtrecht. Einige wurden landesherrlich, so die größeren Städte in der Oberlausitz, Cottbus und Guben in der Niederlausitz, während die Masse der Landstädtchen bis zur Ablösung im Besitz der Grundherrschaften verblieb.

Binden von Garben und Aufstellen von Kornpuppen, um 1954; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Beschränkung des Handwerks auf die Städte und die Ausstattung der großen Kommunen mit Marktgerechtigkeit, Weichbildrecht und Bannmeile beförderten während der Feudalzeit den Warenaustausch und die Arbeitsteilung. Dadurch wurde die Ansiedlung einer Vielfalt von Gewerben auf dem Lande weitgehend ausgeschlossen. Das betraf sorbische, deutsche und gemischtnationale Gebiete gleichermaßen. Der Beitrag der beiden Bevölkerungsgruppen zum gesamtwirtschaftlichen Ergebnis entsprach ihrem Anteil. In den vom deutschen Bürgertum begründeten und verwalteten, direkt dem König unterstehenden Städten erlangten die Sorben nur beschränkt Zugang und Aufnahme in die Zünfte (→ Zunftordnungen). In den kleinen Landstädten war die handwerklich-gewerbliche Produktion auf die Versorgung des umliegenden Herrschaftsbereichs beschränkt, weshalb ihre Einwohnerzahl oft unter 1 000 blieb. In den im Oberlausitzer Sechsstädtebund 1346 vereinigten Städten Bautzen, Kamenz, Löbau, Zittau, Lauban und Görlitz sowie in den niederlausitzischen Städten Cottbus, Guben, Finsterwalde, Forst und Spremberg siedelte sich frühzeitig ein leistungsfähiges Tuchmacherhandwerk an, dessen umfangreiche Produktion nur im Fernhandel abgesetzt werden konnte. (Von der Bedeutung der Tuchherstellung bei den Slawen zeugt das Verb obersorb. płaćić, niedersorb. płaśiś ,bezahlen‘, schon im Urslawischen abgeleitet von *platъ ,Tuchstück, Leinwand‘; Tuch wurde früher als Zahlungsmittel verwendet.) Durch Tuch- und Waidhandel erlangte die städtische Kaufmannschaft politische und ökonomische Macht, Ansehen und Wohlstand. Nutznießer der Tuchproduktion waren aber auch die Landbevölkerung, die Herrschaften als Wolleproduzenten und die Bauernfamilien als Garnhersteller in Nebenbeschäftigung.

Unterschiedliche Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der sorbischen und deutschen Bevölkerung hatte die Tatsache, dass die Lausitz nie Herrschaftsterritorium eines Landesherrn vor Ort war. Selbst als sie ab 1370 als Nebenland zur böhmischen Krone gehörte, erfolgte weiterhin eine separate Verwaltung der späteren zwei Markgraftümer, weshalb die wirtschaftliche Verflechtung beider kaum voranschritt. Während die Oberlausitz seit 1089 mit Ausnahme eines längeren Intervalls geschlossen bei Böhmen verblieb, litt die Bevölkerung der Niederlausitz unter der Vielzahl ihrer Landesherren. In der Oberlausitz förderten und begünstigten besonders die böhmischen Regenten bis zum Übergang ihrer Krone auf das Haus Habsburg (1526) die Städte als Horte frühbürgerlicher Entwicklung.

Im Jahr 1550 gegründetes Eisenhüttenwerk in Peitz, 1977; Fotograf: Gerhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Ein stetes Bevölkerungswachstum auf dem Lande und die Erschöpfung der nutzbaren Rodungsflächen führten in beiden Lausitzen ab Mitte des 14. Jh. zur Besitzdifferenzierung der Bauernwirtschaften. Selbst wenn Inhaber bestrebt waren, die Zerstückelung der Hufe zu verhindern, kamen sie nicht umhin, die erbberechtigten Kinder mit einer Mindestfläche zur Lebensabsicherung auszustatten. Sowohl in den deutschen als auch den sorbischen Dörfern entstanden nun unterbäuerliche Schichten – Gärtner, Kossäten, Häusler –, deren Existenz von der Verfügbarkeit der Lohnarbeit abhing. Der Zuzug vom Land in die Städte war äußerst begrenzt.

Die Agrarkrise im westlichen Europa, die seit Mitte des 14. Jh. vom Verfall der Getreidepreise begleitet war, erfasste nach 1450 auch die Lausitz. Betroffen waren die Landadligen, von denen einige wegen völliger Überschuldung im Raubrittertum die letzte Rettung sahen, aber auch die Bauernschaft, deren Einnahmen in ein wachsendes Missverhältnis zu den steigenden Abgaben und Preisen für gewerbliche Erzeugnisse sowie den Löhnen gerieten. Unter dem Druck der Verhältnisse zerfielen in der Oberlausitz bis zur Mitte des 16. Jh. bis auf wenige Ausnahmen alle Adelsherrschaften in mehrere Hundert Rittersitze. In der Niederlausitz blieb eine größere Anzahl von Grundherrschaften bestehen, doch auch hier nahmen die Gutsherrschaften und die zweite Leibeigenschaft nun ihren Anfang.

Die ostelbische Gutsherrschaft war mit einschneidenden ökonomischen Veränderungen verbunden. Auf den großen Gütern hatte sich die Bewirtschaftung der teils riesigen Waldflächen und der Gewässer auf Basis von Lohnarbeit durchgesetzt. Der übrige Boden befand sich in vorwiegend bäuerlicher Nutzung. Die Inhaber der kleinen Adels- oder Rittersitze entzogen ihren Untertanen einen Großteil der Äcker, Wiesen und Weiden und arrondierten diese zum selbst bewirtschafteten Mundgut. Wald und Gewässer waren ohnehin bei ihnen verblieben.

Nach Mitte des 16. Jh., in der Oberlausitz konkret nach dem Pönfall der Sechsstädte 1547, konsolidierten sich die Gutswirtschaften. Bis dahin konnte das Bürgertum im eigenen ökonomischen Interesse auch die Bauern außerhalb des städtischen Landbesitzes vor übermäßiger Belastung schützen. Die Masse der ländlichen Untertanen aber wurde nun zur Bearbeitung der Rittergüter teils durch definierte, in der Regel aber durch „ungemessene“, d. h. in der Praxis tägliche Frondienste gezwungen (→ Roboten). Während die noch intakten Bauernstellen (Hüfner, Halbhüfner, Bauern, Halbbauern, Pferdner u. ä.) Dienste mit einem Pferdegespann zu verrichten hatten, waren die Gartennahrungsbesitzer, Kossäten und Häusler verpflichtet, Handarbeiten auf dem Feld, im Wald und in der Scheune nach Bedarf auszuführen. In der Regel stellten die Herrschaften weder Kost für die Menschen noch Futter für die Zugtiere. Die herrschaftliche Viehwirtschaft mit Ausnahme der Schafzucht wurde durch Zwangsgesinde sowie angemietete Knechte und Mägde versehen. Anstelle der produktiven Lohnarbeit setzte sich die Fronarbeit in der Landwirtschaft durch.

Gurkenernte im Spreewald, 1964; Fotograf: Gerhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Noch während des Dreißigjährigen Kriegs und lange danach erfolgte ein lebhafter Ausbau der Gutsherrschaft durch die Einverleibung wüster bäuerlicher Anwesen bzw. durch „Bauernlegen“ (Enteignung von bewirtschafteten Bauernhöfen). Gleichzeitig stagnierten bzw. sanken die Erträge wegen der nachlassenden Bodenfruchtbarkeit und unzureichenden Bodenbearbeitung, wovon namentlich die Heidegebiete betroffen waren, in denen die sorbische Bevölkerung die Mehrheit bildete. Der Rückgang der Bauernstellen führte zu einer weiteren Belastung mit Gespanndiensten. Zugleich verminderten Kriege sowie die stete Erhöhung von Steuern, Abgaben und Zinsen die Einkommen der Bauern und Gärtner bis an die Grenze der Belastbarkeit. Mitte des 18. Jh. erwies sich das auf Fronarbeit basierende Feudalsystem endgültig als unproduktiv. Durch die Erbuntertänigkeit und den Einsatz der Bauern- und Häuslerkinder als Zwangsgesinde wurde es für die unterste soziale Schicht auf dem Dorf immer schwieriger, ihren Lebensunterhalt durch Lohnarbeit zu verdienen.

Der stete Kaufkraftschwund auf dem Lande, namentlich die Verschuldung infolge des Siebenjährigen Kriegs, beschränkte die Anzahl der Meister und Gesellen im zunftgebundenen Handwerk der Lausitzer Städte, die bis ins erste Drittel des 19. Jh. ihre Einwohnerzahlen vom Ende des 15. Jh. nicht wieder erreichten. Nach 1763 versuchten die großen Herrschaften und die Rittergüter verstärkt, die Minderung ihrer Einnahmen aus der Land- bzw. Waldwirtschaft durch gewerbliche Nebenproduktion und „Veredlung“ der Erzeugnisse mittels Bierbrauerei, Schnapsbrennerei sowie den Betrieb von Kalköfen, Ziegeleien u. a. zu kompensieren.

Im Süden der Oberlausitz siedelten nach 1650 die Stadträte von Lauban, Zittau und Löbau, die Klöster St. Marienstern (Panschwitz-Kuckau) und St. Marienthal (Ostritz), das Domstift St. Petri in Bautzen und zahlreiche Rittergüter in einem Streifen vom Queis bis an die Pulsnitz Leine- und Bandweber nebst zugehöriger Gewerke an. Schon Mitte des 18. Jh. erreichte die Leinwandfertigung einen Umfang, der nur auf internationalen Märkten Absatz finden konnte. Der große Rohstoffbedarf, insbesondere bei Flachs, kam den Gutsherrschaften sowie den Bauern zugute, konnte aber von beiden Markgraftümern nicht gedeckt werden. Die bäuerliche Bevölkerung in den Gutsdörfern war in den Wintermonaten verpflichtet, im Rahmen der Handdienste Leinen- und Wollgarne unentgeltlich zu spinnen, die von den Herrschaften an Garnsammler veräußert wurden (→ Spinnstube).

Nach den Befreiungskriegen wurde auf dem Wiener Kongress 1815 die gesamte Niederlausitz und der nordöstliche Teil der Oberlausitz Preußen zugesprochen. Für die wirtschaftliche Entwicklung der vom Königreich Sachsen abgetrennten Gebiete ergaben sich daraus tief reichende Konsequenzen. Der Vollzug der Stein-Hardenberg’schen Reformen in Preußen ab 1822 eröffnete zwar früher den Weg in die bürgerliche Gesellschaft als in Sachsen, er war aber inkonsequenter und beschwerlicher. Gerade die Agrarreform veränderte die Besitzverhältnisse und damit die Wirtschaftsstruktur. Wurde die Leibeigenschaft noch unentgeltlich aufgehoben, so konnten sich bis 1848/49 nur jene Bauern und Gärtner, deren Wirtschaften „ihren Inhaber als selbstständigen Ackerwirt zu ernähren“ vermochten, von den Feudalverpflichtungen loskaufen.

Sorbische Landwirtschaftsschule in Crostwitz, um 1952; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die kapitalistische Ordnung entfesselte sowohl in der deutschen wie in der sorbischen Bevölkerung produktive Kräfte und Fähigkeiten. Die um 1830 im sächsischen Teil der Oberlausitz einsetzende Industrialisierung zwang zu einem gründlichen Strukturwandel in der Wirtschaft. Innerhalb von etwa sieben Jahrzehnten erfolgte in der gesamten Lausitz der Übergang von der handwerklich-gewerblichen, zunftgebundenen Fertigung zur industriell-fabrikmäßigen Massenproduktion unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Mit Ausnahme der Schwerindustrie siedelten sich hier alle Branchen an, wobei Textilproduktion, Maschinenbau, Schienenfahrzeugbau, Glasherstellung, Braunkohlenbergbau und Stromerzeugung gewichtige Produktionsumfänge erreichten. Zehntausende bis dahin in der sog. Heimindustrie tätige selbstständige Meister mussten sich als freie Lohnarbeiter in den Fabriken verdingen. Im sorbischen Gebiet waren davon überwiegend die produzierenden Gewerbe (Handwerk) in den Städten des Mittel- und Niederlausitzer Raums betroffen. Insbesondere die Oberlausitz profitierte von der frühzeitigen Anbindung an das Eisenbahnnetz. So konnten sich trotz geringer Rohstoffvorkommen neue Industriezweige ansiedeln, weil ein großes Arbeitskräftepotenzial zur Verfügung stand.

Die Landwirtschaft erfuhr erhebliche Veränderungen. Die großen Herrschaften und die Rittergüter konnten ihre Areale nur mit Lohnarbeit bestellen, wobei Gesindeordnungen viele feudalzeitliche Relikte im Umgang mit weiblichen und männlichen Arbeitskräften konservierten. Die großen Anstrengungen zur Ertragssteigerung erbrachten besonders im Heidegebiet nicht den erhofften Produktivitätszuwachs, der die sinkenden Weltmarktpreise für agrarische Erzeugnisse hätte ausgleichen können. Der von Gutsbesitzern und Großbauern beklagte Arbeitskräftemangel wegen höherer Löhne in der Industrie war hingegen größtenteils selbstverschuldet, weil man das bis dahin extrem niedrige Lohnniveau auf Dauer beizubehalten suchte.

Nach der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 und der Reichseinigung 1871 kam es zwischen dem sächsischen und dem preußischen Teil der Oberlausitz sowie zwischen beiden Lausitzen jeweils zur raschen Ausweitung der Wirtschaftskooperation. Die zweite Phase der Industrialisierung blieb jedoch in der Mittel- und Niederlausitz bis zur Jahrhundertwende fast ganz auf einzelne Städte und Siedlungen beschränkt. Im West- und Südteil der Oberlausitz erfolgte eine Flächenindustrialisierung; mit Ausnahme der Schwerindustrie siedelten sich in diesem Raum alle Gewerbezweige vornehmlich auf dem Lande an. Zwischen 1882 und 1907 erhöhte sich in der Oberlausitz die Zahl der Arbeiter und Angestellten in Fabriken und Gewerben um ca. 240 %, während die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft lausitzweit rückläufig war. Die Industrialisierung führte hier zu einem nie dagewesenen Lohnanstieg und damit zu einem tief greifenden Wandel in den Vermögensverhältnissen. In jenen Jahren stieg der Anteil der Löhne und Gehälter am Gesamteinkommen der Bevölkerung von 28 auf 52 %, während sich die Einnahmen aus der Landwirtschaft real verminderten. Der immense Lohnfonds sicherte eine hohe Kaufkraft und stabilisierte in Krisenzeiten Landwirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe. Ab 1830 setzten Unternehmer, Händler und Landwirte zunehmend auf die Nutzung von Wissenschaft und Technik zur Stärkung der wirtschaftlichen Innovationskraft.

Kraftwerk Lübbenau, 1961; Fotograf: Erich Rinka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Der Erste Weltkrieg beendete abrupt die erfolgreichste Entwicklungsperiode der Lausitzer Wirtschaft, die sich nun in fast allen Bereichen den kriegswirtschaftlichen Vorgaben zu unterwerfen hatte. Die geopolitischen, materiellen und finanziellen Folgen der Niederlage Deutschlands, dazu Revolution, Inflation, Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit unterbrachen immer wieder die Versuche, an die alte Leistungskraft anzuknüpfen. Infolge des Plebiszits in Oberschlesien vom Mai 1921 wurden 90 der dortigen Steinkohlenvorräte sowie die Schwerindustrie Polen zugeschlagen. In der Lausitz mussten daher binnen kürzester Zeit die Braunkohlenvorkommen zur Deckung des eigenen Energiebedarfs und zur Versorgung des Berlin-Brandenburger Raums erschlossen werden. Dadurch veränderten sich vor allem in der Mittellausitz die Wirtschaftsstruktur und die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung. Der Ausbau der Energiewirtschaft stützte zwar die Einkommen, konnte jedoch nur durch die Zuführung auswärtiger Arbeitskräfte gesichert werden (→ Assimilation, → Braunkohlenbergbau).

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 weiteten sich die ordnungspolitischen Eingriffe des Staates auf Landwirtschaft, Industrie, Handwerk, Handel und Gewerbe gravierend aus. Wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft wurde die Wirtschaft für die Vorbereitung und Führung des Kriegs bis zum totalen Zusammenbruch im Mai 1945 missbraucht. Die Spaltung Deutschlands in zwei Teile und deren Einbindung in zwei sich diametral gegenüberstehende Blöcke bewirkte nach 1945 die Ausbildung von zwei Volkswirtschaften. Die Lausitz, die ihr Territorium rechts der Neiße an Polen verlor, konnte nicht mehr an die altbewährten Wirtschaftsbeziehungen anschließen. Gesellschaftsprägende Eingriffe in die Eigentums- und Besitzverhältnisse wie Bodenreform, Enteignung der Banken und Wirtschaftsbetriebe von Nazi- und Kriegsverbrechern, die Überführung der Landwirtschaft und des Handwerks in kollektive Produktionsformen und schließlich die Übernahme der mittelständischen und kleinen Betriebe in den volkseigenen Sektor unterbanden die Privatinitiative fast völlig und setzten der Vermögensbildung enge Grenzen.

Lausitzer Seenland, 2008; Fotograf: Peter Radke, Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH

Die überdurchschnittlich industrialisierte Lausitz hatte infolge der teilungsbedingten Disproportionen im Osten eine besondere wirtschaftliche Verantwortung zu tragen. In der DDR-Zeit wurden Energiewirtschaft, Textilindustrie, Glasherstellung, Schienenfahrzeugbau und andere Bereiche zu großen Produktionseinheiten (Kombinaten) zusammengefasst und arbeitskräfteintensiv erweitert. Die aus dem Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen resultierenden Auswirkungen auf die ethnische Zusammensetzung der Region konnten durch staatliche Förderung der sorbischen Minderheit abgeschwächt werden.

Nach der Wiedervereinigung 1990 machten die Überproduktionskapazitäten in den alten Bundesländern, in den EU-Ländern sowie auf dem Weltmarkt fast die gesamte, wenig produktive Industrie im Beitrittsgebiet überflüssig. Ganze Industriezweige, z. B. die Textil- und Glasindustrie, die wegen hoher Lohnkosten anderswo längst ins Ausland abgewandert waren, wurden in der Lausitz in kürzester Zeit weitgehend abgewickelt. Andere Zweige schrumpften bis auf die Herstellung von Nischenprodukten zusammen. Lediglich die groß dimensionierten landwirtschaftlichen Betriebe konnten sich dank einer Produktivitätssteigerung erfolgreich dem Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt stellen. Die Braunkohlenförderung im Lausitzer Revier beträgt weiterhin rund ein Drittel der Jahresförderung in Deutschland.

Glaspyramidenverkaufhaus Cristalica Kingdom in Döbern, 2020; Fotografin: Anja Pohontsch, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Erste Erfahrungen mit dem Fremdenverkehr als Wirtschaftszweig wurden Ende des 19. Jh. im Spreewald gemacht, der von der Nähe zu Berlin profitierte und bis heute ein beliebtes Naherholungsgebiet darstellt. Hohe Erwartungen knüpfen sich derzeit an die Entwicklung des Tourismus im Gebiet des „Lausitzer Seenlands“, das durch die Flutung früherer Tagebaue entsteht und sich über 20 künstlich geschaffene, teilweise durch schiffbare Kanäle verbundene Seen zwischen Großräschen, Senftenberg, Hoyerswerda und Boxberg erstreckt.

Lit.: J. Brankačk: Studien zur Wirtschaft und Sozialstruktur der Westslawen zwischen Elbe/​Saale und Oder aus der Zeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert, Bautzen 1964; J. Brankačk: Landbevölkerung der Lausitzen im Spätmittelalter. Hufenbauern, Besitzverhältnisse und Feudallasten in Dörfern großer Grundherrschaften von 1374 bis 1518, Bautzen 1990; E. Hartstock: Wirtschaftsgeschichte der Oberlausitz 1547–1945, Bautzen 2007.

Metadaten

Titel
Wirtschaft
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Wirtschaft
Autor:in
Hartstock, Erhard
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Hartstock, Erhard
Schlagwörter
Braunkohleindustrie; Energiewirtschaft; Gewerbe; Glasindustrie; Gutswirtschaft; Handel; Landwirtschaft; Textilgewerbe
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Braunkohleindustrie; Energiewirtschaft; Gewerbe; Glasindustrie; Gutswirtschaft; Handel; Landwirtschaft; Textilgewerbe
Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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