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Schleifer Dialekt
von Hync Rychtaŕ

Sorbischer Übergangsdialekt bzw. ostniedersorbischer Dialekt mit relativer Eigenständigkeit und einem bescheidenen regionalen Schrifttum im evangelischen Kirchspiel Schleife bei Weißwasser. Die Schleifer Region im Nordosten Sachsens war früher Teil der Muskauer Standesherrschaft und gehört seit 2008 zum Landkreis Görlitz. Sie umfasst sieben historisch sorbisch-deutsche Dörfer. Der nur in diesen Ortschaften gesprochene Schleifer Dialekt wird eingerahmt im Norden vom östlichen Spremberger, im Osten vom Muskauer, im Süden vom Nochtener und im Westen vom Spreewitzer Dialekt (in diesem Dialektgebiet liegt das von 1744 bis 1918 zur Schleifer Parochie gehörende Dorf Neustadt/​Spree). Die engste Verwandtschaft besteht zum Muskauer Dialekt.

An die benachbarten Mundarten, die alle zu den sog. Übergangsdialekten zählen, schließen sich im Norden die eigentlichen niedersorbischen und im Süden die eigentlichen obersorbischen Dialekte an. Entstanden wohl als Mischform infolge Kontakten zwischen ober- und niedersorbischen Dialektträgern während der inneren Kolonisation im späten Mittelalter, liegt der Schleifer Dialekt in der Mitte des heutigen sorbischen Sprachgebiets, woraus eine unverkennbare „zentrale Struktur“ im Aufbau (Phonetik, Grammatik, Wortschatz usw.) und eine allgemein gute Verständlichkeit für die Sprecher anderer sorbischer Dialekte resultiert. Allerdings ist er beständig im Rückgang begriffen, als Muttersprache beherrschen und gebrauchen ihn nur noch wenige Menschen im vorgerückten Alter. Das gilt noch stärker für die angrenzenden Dialekte, sodass der Schleifer Dialekt samt einer relativ eigenständigen Volkskultur zunehmend in eine Inselposition gerät. In der Schule des Kirchspiels wird traditionell die obersorbische Schriftsprache gelehrt, sie findet auch in Einrichtungen des Witaj-Modellprojekts Anwendung. Ebenso wurde und wird – neben dem Schleifer Dialekt z. B. in Predigten – in der Liturgie, in Bibel und Gesangbuch die evangelische Variante des Obersorbischen gebraucht. Bis etwa 1990 besuchten die älteren Schüler der Region das sorbische Gymnasium in Cottbus, seitdem bevorzugen sie meist Bautzen.

Handschriftliches Erbauungsbuch von Hanso Njepila, um 1832; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Der Sprachwechsel zugunsten des Deutschen vollzog sich besonders in den letzten 100 Jahren. Die Statistik von Arnošt Muka im „Časopis Maćicy Serbskeje“ von 1885 zeigt, dass damals über 95 % der Einwohner die sorbische Sprache aktiv beherrschten; heute sind es ca. 5 %. Ursachen der Assimilation waren die planmäßige Germanisierungspolitik v. a. der preußischen Obrigkeit, namentlich der Schulbehörden, die Industrialisierung, darunter der Braunkohlenbergbau, die Kriegsfolgen mit ihren Bevölkerungsverschiebungen (→ Zuwanderung) sowie ein geringeres Prestige des Sorbischen gegenüber dem Deutschen; als Resultat erfolgte ein Wechsel zur Zweisprachigkeit und schließlich fast durchgängigen deutschen Einsprachigkeit.

Selbst wenn der Schleifer Dialekt in absehbarer Zeit als Mittel des täglichen Verkehrs verschwinden und nur noch in Folkloredarbietungen zu hören sein wird, ist er doch mündlich und schriftlich gut beschrieben und dokumentiert. Als Wegbereiter haben sich dabei v. a. die Schleifer Gemeindepfarrer Julius Eduard Wjelan und Matej Handrik durch Wort- und Textsammlungen, linguistische und ethnografische Studien etc. hervorgetan. Die ältesten und umfangreichsten Texte im Schleifer Dialekt stammen vom Halbbauern Hanso Nepila aus Rohne. Es handelt sich um originale Schriften bzw. spätere Abschriften aus der ersten Hälfte des 19. Jh., die – soweit erhalten – veröffentlicht sind. Darüber hinaus sind einige Sammlungen von Liedern, Sprüchen, Sprichwörtern, Sagen und Erzählungen folkloristischer Art sowie kleinere literarische Beiträge bis in die jüngste Zeit in Buchform, in Zeitschriften oder auf Tonträgern zugänglich.

Folgende auffällige Besonderheiten bzw. Gemeinsamkeiten zum Obersorbischen und Niedersorbischen weist der Schleifer Dialekt in der Lautentwicklung, Lexik und Grammatik auf:

Kirchenlieder, Psalme und Gebete im Schleifer Dialekt, Slěpe: Kólesko, 2019

Erhalt des ursprünglichen g wie im Niedersorbischen gegenüber Wandel zu h im Obersorbischen (Schleifer Dialekt góla, noga; niedersorb. góla, noga; obersorb. hola, noha); Erhalt der Laute ć, wie im Obersorbischen gegenüber Wandel zu ś, ź im Niedersorbischen (Schleifer Dialekt ćma, lěće; obersorb. ćma, lěćo; niedersorb. śma, lěśe – Schleifer Dialekt dźeń, budźo; obersorb. dźeń, budźe; niedersorb. źeń, buźo); Wandel von č zu c wie im Niedersorbischen gegenüber Erhalt von č im Obersorbischen (Schleifer Dialekt cas, kluc; niedersorb. cas, kluc; obersorb. čas, kluč); Erhalt von str im Schleifer Dialekt, aber Wandel im Obersorbischen zu tr und im Niedersorbischen zu (Schleifer Dialekt sostra, wóstry; obersorb. sotra, wótry; niedersorb. sotša, wótšy); Verbindung -er-/​-- im Schleifer Dialekt, -or-/​-- im Obersorbischen und -ar-/​-- im Niedersorbischen (Schleifer Dialekt kercma, wełma; obersorb. korčma, wołma; niedersorb. kjarcma, wałma).

Beispiele aus dem Wortschatz: ,sagen‘ (Schleifer Dialekt prajić, obersorb. prajić, niedersorb. groniś); ,sprechen‘ (Schleifer Dialekt powědać, niedersorb. powědaś, obersorb. rěčeć); ,Bett‘ (Schleifer Dialekt póstol, niedersorb. póstola, obersorb. łožo); ,Hemd‘ (Schleifer Dialekt kóšula, obersorb. košla, niedersorb. zgło); im Schleifer Dialekt bedeutet gad ,Blaubeerwanze‘, niedersorb. gad ,Gift, giftiges Gewürm‘, obersorb. had dagegen ,Schlange‘.

In der Grammatik kennt der Schleifer Dialekt im Gegensatz zum Obersorbischen, aber wie das heutige Niedersorbische nur noch das Perfekt als Vergangenheitsform beim Verb (Schleifer Dialekt wón jo pisał, niedersorb. wón jo pisał, aber obersorb. wón je pisał; wón pisaše; wón běše pisał ). Andererseits verfügt der Schleifer Dialekt im Gegensatz zum Niedersorbischen und wie das Obersorbische über keine besondere Supinum-Form beim Verb (Schleifer Dialekt wón dźo spać/​se myć, obersorb. wón dźe spać/​so myć, aber niedersorb. wón źo spat/​se myt). Eine Eigenheit des Schleifer Dialekts ist dagegen das nur hier auftretende Lexem jědyrno ,früh, zeitig‘ gegenüber rychło, chitro/​chytšo in den Nachbardialekten und niedersorb. rano bzw. obersorb. zahe.

Lit.: E. Mucke: Historische und vergleichende Laut- und Formenlehre der niedersorbischen (niederlausitzisch-wendischen) Sprache. Mit besonderer Berücksichtigung der Grenzdialekte und des Obersorbischen, Leipzig 1891; A. Schroeder: Die Laute des wendischen (sorbischen) Dialekts von Schleife in der Oberlausitz. Lautbeschreibung, Tübingen 1958; H. Faßke: Der Schleifer Dialekt – eine lebendige Existenzform der sorbischen Sprache, in: Die Folklore der Schleifer Region. Zur Wortfolklore, Heft 4, Bautzen 1990; Sorbischer Sprachatlas, bearb. von H. Faßke/​H. Jentsch/​S. Michalk, Band 1–10, Bautzen 1965–1986, bearb. von H. Faßke, Band 11–15, Bautzen 1975–1996; H. Brijnen: Die Sprache des Hanso Nepila. Der niedersorbische Dialekt von Schleife in einer Handschrift aus der Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bautzen 2004.

Metadaten

Titel
Schleifer Dialekt
Titel
Schleifer Dialekt
Autor:in
Rychtaŕ, Hync
Autor:in
Rychtaŕ, Hync
Schlagwörter
Sorbische Sprache(n); Dialekt; Schleifer Region
Schlagwörter
Sorbische Sprache(n); Dialekt; Schleifer Region
Abstract

Sorbischer Übergangsdialekt bzw. ostniedersorbischer Dialekt mit relativer Eigenständigkeit und einem bescheidenen regionalen Schrifttum im evangelischen Kirchspiel Schleife bei Weißwasser.

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Sorbischer Übergangsdialekt bzw. ostniedersorbischer Dialekt mit relativer Eigenständigkeit und einem bescheidenen regionalen Schrifttum im evangelischen Kirchspiel Schleife bei Weißwasser.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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