Groß- und Universitätsstadt im Freistaat Sachsen (2017 über 585 000 Einwohner), traditionelle
Ausbildungsstätte sorbischer Studenten sowie Forschungsstandort der Sorabistik. Die dörflichen Siedlungen, die
um 1165 durch Markgraf Otto zur Stadt
Leipzig zusammengefasst wurden, lagen in einem historischen Raum, der
ursprünglich von altsorbischen Stämmen bevölkert war (→ Besiedlung). Leipzig wurde in der Chronik des Thietmar
von Merseburg 1015 als „urbe“ bzw. „aeclesia Libzi“ erstmals genannt. Zwischen
Elbe und Saale, so in Altenburg, Zwickau, Meißen oder auch Leipzig, wurden vom
13. bis zum 15. Jh. mehrfach Sprachverbote erlassen, u. a. um die „wendische Nationalität“ vom Handwerk fernzuhalten.
Mit seiner 1409 gegründeten Universität war Leipzig vor Prag
der wichtigste Bildungsort für Sorben
außerhalb des heute zweisprachigen Gebiets. Zu den Rektoren vermutlich
sorbischer Herkunft gehörten 1447 Petrus
Prischwitz aus Bautzen, 1459
Johannes Gedaw aus Bautzen und
1491 Wenceslaus Judicus aus Wittichenau. Die Reformation verlieh der Universität Wittenberg zeitweilig bes. Anziehungskraft,
bis Leipzig diese im 17. Jh. für die evangelische Oberlausitz zurückgewann; an der Alma Mater
Lipsiensis studierten Obersorben beider Konfessionen – ausgenommen der
katholische Priesternachwuchs – sowie Studenten aus der Niederlausitz.
Die Mitglieder der 1716 wohl nach polnischem Vorbild gegründeten Wendischen Predigergesellschaft,
zwei Magister und vier Studenten der Theologie, wurden zu Wegbereitern der Nationalbewegung. Diese erste
studentische Vereinsbildung stand am Beginn sorbischer Aktivitäten in
Frühaufklärung und Pietismus. Die
Kandidaten übten über fast zwei Jahrhunderte das Predigen in Sorbisch, zunächst in der universitätseigenen Pauliner-,
ab 1814 in der Thomaskirche. Um 1807 umfasste das „Collegium“ erstmals nur
deutsche Mitglieder; daher erfolgte die Umbenennung in Lausitzer
Predigergesellschaft, die ab 1844 (bei Fortbestand des „Sorabicum“ mit
sorbischen Mitgliedern) auch für deutsche Nicht-Oberlausitzer offen war.
Spätestens 1854 bzw. 1859 kam es zur Umbildung als Korporation, seit 1908 mit
eigenem Vereinshaus. In Abgrenzung zur deutschen Tradition der „Lausitzer“
versammelten ab 1874 Arnošt Muka und
der später in Russland tätige Lehrer Jan Arnošt
Holan die sorbischen Studenten in einem erstarkten Sorabicum, das
1911 noch existierte. Die an Stiftungen reiche sächsische Landesuniversität
gewährte im 18. und 19. Jh. auch bedürftigen Sorben Stipendien (so 1839 bzw.
1849 den Theologiestudenten Jurij Arnošt
Wanak und Korla Awgust
Jenč). 1884–1912 war mit Oskar
Pank ein Niedersorbe evangelischer Generalsuperintendent im
Leipziger Sprengel.
Andere Bedeutungen der Stadt für die Sorben traten hinter der Bildungsfunktion zurück.
Studenten aus der Lausitz gründeten 1766 eine
handschriftliche sorbische Zeitung, von der
sie zwei Nummern herausbrachten. Handrij
Zejler gab während des Studiums in Leipzig (1825–1829) zusammen
mit Freunden 60 Nummern der selbst geschriebenen Zeitschrift „Sserska/Serbska nowina“ (Sorbische
Zeitung) heraus, in die er v. a. Volksdichtung und eigene literarische Werke aufnahm. Die
Studentenverbindung in Leipzig gilt zugleich als „Geburtsstätte der sorbischer
Romantik“ (Ota Wićaz), die sich auf
die Volksdichtung stützte und von der slawischen und der deutschen Romantik
getragen wurde (→ Literatur). 1843 begann
Jan Pětr Jordan an der Universität
seine Lehrtätigkeit, die den Grundstein für die Slawistik in Leipzig legte (1870
Übernahme des ersten Lehrstuhls durch August
Leskien); sie schloss sorbische Sprachübungen ein (bis 1848).
1843–1847 redigierte Jordan hier – z. T. gemeinsam mit Jan Arnošt Smoler – im
Selbstverlag die „Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft“,
die zwischen Slawen und Deutschen vermittelten und der demokratischen Bewegung
durch Jordans politisches Wirken starke Impulse gaben. Als Lektor und slawischer
Korrespondent beim Brockhaus-Verlag wirkte 1870–1913 der Lexikograf und
Übersetzer Jan Bohuwěr Pjech, der in
den 1870er Jahren die 1863 mit Smoler in Bautzen gegründete sorbisch-slawische
Buchhandlung weiterführte.
1875 formierten sich die sorbischen Studenten in Leipzig sowie in Prag als Jungsorbische Bewegung, 1876–1881
veröffentlichten sie die Zeitschrift „Lipa Serbska“ (Sorbische Linde).
Nach dem Ersten Weltkrieg gaben Leipziger Jurastudenten die Zeitschrift „Serbski Student“
(Sorbischer Student) heraus, Organ des Bundes der Lausitzisch-sorbischen
Studentenschaft, das bis 1937 erschien. Der Verein sorbischer Studenten und
Akademiker „Arnošt Muka“, gegründet 1928 in Leipzig, kann als Vorläufer des 1951
geschaffenen Hochschulverbands „Jan Skala“ der Domowina gelten. Dessen Kern bildete die 1949 erneuerte und
mitgliederstärkste Leipziger Studentengruppe „Sorabija“, seit 1952 mit eigener
Chronik („Krónika Sorabije“), wie sie für die zweite Jahrhunderthälfte keine
akademische Gliederung dieser Universität besaß. Typisch war später die
Einbindung der sorbischen Bildungsbestrebungen in Domowina und Freie Deutsche
Jugend. 1952 übergab das Rektorat den sorbischen Studierenden in einem Festakt
das nach dem „berühmtesten Sorben unter den Leipziger Studenten“ Handrij Zejler
benannte Wohnheim in der Johann-Sebastian-Bach-Straße 44; es wurde durch das
größere und komfortablere Internat Fritz-Austel-Straße (ab 1990 Bornaische
Straße) 198b ersetzt, seit 2010 dient diesem Zweck ein Gebäude in der
Arno-Nitzsche-Straße.
1959 zählte die „Sorabija“ ca. 100 Studierende beiderlei Geschlechts mit dem bis dahin
breitesten Fächerspektrum, darunter 18 Absolventen der Sorabistik/Slawistik
(acht Diplomanden und zehn Pädagogen mit Sorbisch im Hauptfach). Zum Vergleich
die Höchstzahlen sorbischer Studenten in Leipzig: 1814 (13), 1849, 1882 und 1919
(je sieben), 1922/23 (sechs, vor Prag mit fünf ), 1930 (neun, vor Dresden mit vier), 1936 („ein Grüppchen“),
seit 1920 bzw. 1925 mit Marja
Grólmusec und Hańža
Kubašec erstmals auch sorbische Studentinnen. Bis in die erste
Hälfte des 20. Jh. bildeten die evangelischen Theologen die Mehrheit, es folgten
Juristen und Mediziner.
Seit Eröffnung der sorbischen Oberschulen bzw. Gymnasien in Bautzen (erstes Abitur 1951) und
Cottbus (1956) begab sich ein
Großteil der Absolventen zum Studium nach Leipzig. Voraussetzung dafür war die
Institutionalisierung der Sorabistik an der Leipziger Universität (ab 1949
Lektorat, seit 1951 Institut für
Sorabistik). 1968 wurde das Lehramtsstudium für die Fächer Sorbisch,
Deutsch und Russisch der Klassen fünf bis zehn von Bautzen nach Leipzig verlegt.
Darüber hinaus bildet das Universitätsinstitut als weltweit einzige
selbstständige akademische Studieneinrichtung für Sorabistik den Nachwuchs für
die kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen in beiden Lausitzen
heran.
Lit.: H. Dučman-Wólšinski: Dźesać lět za serbskim blidom w Lipsku, Budyšin 1903;
H. Schuster-Šewc: Sorbische Traditionen an der Leipziger Alma mater, in: Freies
Gehege. Almanach sächsischer Autoren, Leipzig 1994; Die Matrikel der Universität
Leipzig, Hg. J. Blecher/G. Wiemers, Weimar 2006–2011; E. Eichler/H. Walther:
Alt-Leipzig und das Leipziger Land, Leipzig 2010; H. Zwahr: Leipzig als
Zentralort deutsch-slawischer Begegnung. Bekenntnis zum Nationalen und zur
Nation, in: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009, Band 2, Leipzig 2010;
H. Walther: „Indogermanische Namenswurzel“. Über neue Forschungen zur Entstehung
der Ortsbezeichnung Leipzig, in: Leipziger Volkszeitung (27. 2. 2012).