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Wendische Volkspartei
von Ludwig Ela

Politische Partei in der Lausitz, die als Interessenvertretung der Sorben fungierte (1919–1933). Im November 1919 entstand erstmals eine regionale Partei mit dem Namen Lausitzer Volkspartei/​ƁuĆŸiska ludowa strona, die politische Vorstellungen der sorbischen Bevölkerung zusammenfĂŒhrte. Der erste Vorsitzende war Hendrich Hančo aus Schleife, Organ 1920 der »Serbski dĆșenik« (Sorbisches Tageblatt, → Zeitungen). Bei den Reichstagswahlen 1920 – Spitzenkandidat war der Vorsitzende der Domowina ArnoĆĄt Bart – erhielt die Lausitzer Volkspartei 8 050 Stimmen. Ihre Existenz endete 1924. Regional und liberal ausgerichtet, wandte sie sich sowohl an sorbische als auch deutsche Einwohner der Lausitz und setzte sich fĂŒr ein friedliches Zusammenleben bei Gleichberechtigung der sorbischen Sprache und Kultur ein. Dies sollte durch die Schaffung einer einheitlichen Provinz Lausitz mit paritĂ€tischen Behörden aus beiden Volksgruppen erreicht werden.

Wahlaufruf der Lausitzer Volkspartei zur Reichstagswahl 1920; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Wahlaufruf im „Katolski PosoƂ“ zur Reichstagswahl am 4. Mai 1924; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

1924 grĂŒndeten ehemalige Mitglieder der Lausitzer Volkspartei die Wendische Volkspartei/​Serbska ludowa strona. Die Wendische Volkspartei verstand sich als nationale Partei der Sorben. Sie kooperierte mit politischen VerbĂ€nden weiterer Minderheiten (Polnische Volkspartei, Schleswigscher Verein, Masurische Volkspartei, Litauische Volkspartei, Verein Friesland), die sich als »Reichsliste Nationale Minderheiten« gemeinsam an Reichstagswahlen beteiligten, ohne jemals Mandate zu gewinnen. Die Wendische Volkspartei konnte anfangs auf breite UnterstĂŒtzung in der sorbischen Bevölkerung zĂ€hlen. Zum Aufbau von regionalen oder örtlichen Parteigliederungen kam es jedoch nicht, Angaben ĂŒber Mitgliederzahlen fehlen. In der sorbischen Nationalbewegung bildete die Partei zusammen mit der Maćica Serbska und der Domowina den Wendischen Volksrat, der bis 1933 dem Verband der nationalen Minderheiten in Deutschland angehörte. Zu den Reichstagswahlen im FrĂŒhjahr 1924 gewann die Wendische Volkspartei mehr als 10 000 Stimmen, konnte dieses Ergebnis aber im Herbst 1924 (5 585 Stimmen) und 1928 (3 111 Stimmen) nicht wiederholen. Sie war innerhalb der o. g. Reichsliste nach der Polnischen Volkspartei dennoch zweitstĂ€rkste Kraft. 1933 löste sie sich auf. Zu ihren fĂŒhrenden Vertretern gehörten Jakub Lorenc-Zalěski (Vorsitzender), Marko Smoler und Jan Skala. An den Reichstagswahlen 1930 beteiligte sich nur im Regierungsbezirk Liegnitz/​heute: Legnica (Polen) eine weitere sorbische Partei, die sog. Volkspartei der Lausitzer Sorben (288 Stimmen). GrĂŒndung und Wirken der Wendischen Volkspartei stellten den Versuch dar, unter den demokratischen VerhĂ€ltnissen der Weimarer Republik die politischen Interessen der Sorben durch eine ethnisch determinierte Partei zu vertreten.

Einladung zu einer Vorstandssitzung der Wendischen Volkspartei, 1926; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der sorbischen nationalen Bewegung kurzzeitig ebenfalls Bestrebungen zur GrĂŒndung einer sorbischen Partei, die von den sowjetischen Besatzungsbehörden jedoch abgewiesen wurden. Erfolglos blieben auch Forderungen der Domowina, in der Verfassung der DDR von 1949 die parlamentarische Vertretung von Minderheiten zu verankern (→ DDR-Zeit). In der NationalitĂ€tenpolitik und dem Vereinigungsrecht der DDR waren – außer der Domowina, die allerdings keine eigenen Kandidaten fĂŒr die Nationale Front nominieren durfte – politische Organisationen der sorbischen Minderheit nicht vorgesehen.

Wahlplakat der Domowina zu den Landtagswahlen in Brandenburg 1990; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen

1990, nach der politischen Wende, beteiligte sich die Domowina mit eigenen Listen an den Kommunalwahlen (je ein Mandat in den Kreistagen Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz) und im Land Brandenburg an den Landtagswahlen (ca. 1 100 Stimmen, kein Mandat). Im Kreis Bautzen besteht die Freie sorbische WĂ€hlervereinigung (Swobodne serbske wolerske zjednoćenstwo) mit einem Kreistagsabgeordneten (2018).

Im MĂ€rz 2005 wurde unter Berufung auf die Lausitzer Volkspartei und die Wendische Volkspartei der 1920er Jahre in der Niederlausitz eine Wendische Volkspartei / Serbska ludowa strona (SLS) gegrĂŒndet. Minderheitenpolitisch trat sie kaum in Erscheinung; Angaben ĂŒber Mitgliederzahlen fehlen. Die Parteieigenschaft der Organisation ist umstritten, da sie sich – entgegen den Kriterien des deutschen Parteiengesetzes – an Wahlen nicht beteiligt. Seit 2009 ist sie Mitglied der European Free Alliance, eines Verbunds europĂ€ischer Regional- und Minderheitenparteien. 2010 Ă€nderte sie ihren Namen in Lausitzer Allianz (ƁuĆŸiska alianca) und definierte sich als Regional- und Minderheitenpartei.

Lit.: I. Mutlak: Lausitzer Volkspartei und Wendische Volkspartei, Leipzig 1964 (Dipl.-Arbeit); M. Mieczkowska: Polityczne aspiracje ƁuĆŒyczan po przewrocie lat 1989/90 – geneza i zaƂoĆŒenia ƁuĆŒyckiej Partii Ludowej, in: Pytannja sorabistyky = PraĆĄenja sorabistiki, L’viv 2009; L. Elle: Sorbische Interessenvertretung in Vergangenheit und Gegenwart, Bautzen 2012.

Metadaten

Titel
Wendische Volkspartei
Titel
Wendische Volkspartei
Autor:in
Ela, Ludwig
Autor:in
Ela, Ludwig
Schlagwörter
DDR-Zeit; Minderheit; Minderheitenpolitik; Partei; Politik; politische Wende; Sorben; Weimarer Republik; Wendischer Volksrat; Wendische Volkspartei
Schlagwörter
DDR-Zeit; Minderheit; Minderheitenpolitik; Partei; Politik; politische Wende; Sorben; Weimarer Republik; Wendischer Volksrat; Wendische Volkspartei
Abstract

Politische Partei in der Lausitz, die als Interessenvertretung der Sorben fungierte (1919–1933).

Abstract

Politische Partei in der Lausitz, die als Interessenvertretung der Sorben fungierte (1919–1933).

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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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