Ritualisierte Handlungen mit zeichenhafter Wirkung, die regelmĂ€Ăig von lokalen bzw.
regionalen, sozialen oder ethnischen Gemeinschaften vorgenommen werden. In der
sorbischen Kulturgeschichte besitzen sie als Ausdruck nationaler und regionaler
Zugehörigkeit grundlegende ReprÀsentationsfunktion. Die sozialwissenschaftliche
Kategorie âBrauchâ erfĂ€hrt in der sorbischen Volkskunde besondere Beachtung.
Katholische Taufe, um 1950; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am
Sorbischen Institut
Strukturell können BrÀuche im Lebenslauf und im Jahreslauf unterschieden werden, hinzu kommen
kirchliche und profane BrÀuche. Zu Ersteren gehören Rituale, die den Wechsel in
einen neuen Lebensabschnitt oder sozialen Zustand bzw. die Aufnahme in eine
Gemeinschaft markieren (Geburt und Taufe, Schuleingang, Erstkommunion,
Konfirmation/âFirmung bzw. Jugendweihe, Tod und BegrĂ€bnis). Bei den Sorben hat
die Hochzeit besondere Formen der Festkultur
angenommen. Die BrĂ€uche im Jahreslauf wie WeihnachtsbrĂ€uche, Vogelhochzeit, Fastnacht, OsterbrĂ€uche, Hexenbrennen, BrĂ€uche um den Maibaum (â Maibaumwerfen), Johannisreiten (â Calauer Region), der
niedersorbische Kokot und das Stollenreiten (â ErntebrĂ€uche) sowie die Kirmes
stehen in ritueller Verbindung mit den wiederkehrenden Jahreszeiten. Sie sind im
Laufe der Ăberlieferung, die kein kontinuierlicher Prozess ist, institutionell â
vor allem von Kirche und Staat â ĂŒberformt worden. Seit der Christianisierung gliedern die Termine des
Kirchenkalenders den Jahreslauf, wobei diese sich zum groĂen Teil an den von
Mond- und Sonnenlauf bestimmten vorchristlichen Festen orientieren. Die
dĂŒrftigen Informationen ĂŒber die Religion der nordwestslawischen StĂ€mme erlauben
keine gesicherten Aussagen, um die sorbischen BrÀuche aus der Mythologie herzuleiten, wenngleich etwa die zur Trauer
getragene Farbe WeiĂ (â Tracht), das
UmherfĂŒhren von StrohbĂ€r und Schimmelreiter zur Vorweihnachtszeit oder
Fastnacht, die Feuer zu Ostern und Walpurgis oder der Hahn bei den ErntebrÀuchen
an Toten-, Opfer- und Fruchtbarkeitskulte erinnern. Zu BrĂŒchen kam es infolge
der Reformation und des Trienter Konzils sowie der AufklÀrung und
der Industrialisierung. Von den
kirchlichen BrÀuchen (Segnungen, Weihen, Prozessionen) haben die katholischen
Sorben (â Katholische Region) mehr
bewahrt als die evangelischen. In der Niederlausitz spielen die Fastnachts- und ErntebrÀuche eine
identitÀtsstiftende Rolle.
Die BrÀuche im Jahreslauf strukturierten in der vormodernen Gesellschaft das öffentliche
Leben v.âŻa. der sorbischen Landbevölkerung. Die kirchliche und weltliche
Obrigkeit griff, wie spÀter die staatlichen Behörden, regulierend,
reglementierend und privilegierend ein. So stand das wegen seiner sozialen
Bedeutung durchaus erwĂŒnschte Heischen von Naturalien vor Fastenzeiten bzw.
anlÀsslich von Schlachtfesten und der Kirmes zeitweise im Ruf der Bettelei.
GleichermaĂen ambivalent war das VerhĂ€ltnis der Obrigkeit zur Spinnstube, einer der wichtigsten brauchgestaltenden
Gemeinschaften im Dorf. Seit Ausgang des 19. Jh. ĂŒbernahmen Vereine (â Vereinswesen) die TrĂ€gerschaft von
BrĂ€uchen und Ă€uĂerten mit deren Pflege ihr kulturell-ethnisches Anliegen. Die
Nationalsozialisten erklĂ€rten âdie Sitten und BrĂ€uche der Wendenâ zu
ursprĂŒnglich deutschen BrĂ€uchen (â NS-Zeit).
Zur DDR-Zeit wurde ihnen als âKultur der
werktĂ€tigen Massenâ eine hohe Aufmerksamkeit zuteil. Mit der
Institutionalisierung der sorbischen Kultur wurde die Verantwortung fĂŒr die
Volkskultur der Domowina und dem Haus fĂŒr sorbische
Volkskunst ĂŒbertragen. Seit der politischen Wende widmen sich neu gegrĂŒndete Heimatvereine der Pflege
von BrĂ€uchen, was den BedĂŒrfnissen nach geselligen Traditionen und
Freizeitgestaltung ebenso entspricht wie touristischen Nachfragen. Das
Engagement, das vielfach von der Dorfjugend ausgeht, wird von der Domowina bzw.
der Stiftung fĂŒr das
sorbische Volk gefördert.
Konfirmation in Spreewitz, 1919; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen
Institut
Eine umfassende handschriftliche Beschreibung sorbischer BrĂ€uche in der Oberlausitz lieferte Abraham Frencel in âHistoria populi et rituum superioris
Lusatiaeâ (ca. 1720). AuszĂŒge daraus ĂŒbersetzte ArnoĆĄt Muka zur Veröffentlichung im âÄasopis MaÄicy Serbskejeâ
(1880â1882). Quellenwert besitzen auch die Abhandlungen von Jan HĂłrÄanski in den âLausitzischen
ProvinzialblĂ€tternâ (1782) und von Jan ArnoĆĄt
Smoler in âVolkslieder der Wenden in der Ober- und
Nieder-Lausitzâ (1841/43), fĂŒr die Niederlausitz von Wilibald von Schulenburg (1880, 1882) und
Karl Gander in den
âNiederlausitzischen Mitteilungenâ (1890, 1899, 1901) und explizit fĂŒr die Schleifer Region die Berichte von
Matej Handrik-Slepjanski im
âÄasopis MaÄicy Serbskejeâ (1901/02). Edmund
Schneeweisâ âFeste und VolksbrĂ€uche der Lausitzer Wendenâ (1931)
bietet eine umfassende Darstellung sorbischer BrÀuche in Ober- und
Niederlausitz, die alle bis dahin verstreut erschienenen BeitrÀge zusammenfasst
und auf eigenen empirischen Studien Ende der 1920er Jahre basiert.
Lit.: H. Fascyna/âJ. Matschie: Sorbische BrĂ€uche, Bautzen 1992; H. M. Wolf: Das
neue Brauch-Buch, Wien 2000.