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Pietismus
von Jan Malink

Erneuerungsbewegung in der ev. Kirche des ausgehenden 17. und des 18. Jh., die zur Förderung der Kirchlichkeit, der Bildung und der Literatur des sorbischen Volkes beitrug. Wichtige Merkmale des Pietismus waren die Betonung der Frömmigkeit und der Glaubenserfahrung.

Die Nähe des sorbischen Siedlungsgebiets zu den Universitäten Halle, Wittenberg, Leipzig, Frankfurt (Oder) und Prag sowie zu den Residenzstädten Dresden, Potsdam und Prag hatte zur Folge, dass die Sorben Entwicklungen der deutschen und europäischen Geistesgeschichte zeitnah übernehmen konnten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg bestanden in beiden Lausitzen mehr als 100 sorbische Kirchgemeinden. Einige evangelische Pfarrer bemühten sich um die Umsetzung des reformatorischen Muttersprachprinzips, indem sie dringend benötigte sorbische Publikationen herausgaben. Die Geistlichkeit des Bautzener Domstifts und der katholischen Pfarrgemeinden war vom gegenreformatorischen Gedankengut geprägt.

Obersorbisches Gesangbuch der Herrnhuter Brüdergemeine „Ton Łoß teje Newesty Jesußoweje we Njekotrych Evangelskich Sserskich Stucżkach“, hg. von August Hersen, 1750; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut Bautzen

Philipp Jacob Spener begründete mit seiner 1675 veröffentlichten Reformschrift „Pia desideria“ den deutschen Pietismus. In seiner Zeit als Oberhofprediger in Dresden (1686–1691) setzte er sich für die Veröffentlichung der Schriften von Michał Frencel ein. Speners im „Postwitzschen Tauff-Stein“ abgedruckter Brief vom 2.1.1689 enthält nicht nur eines der ersten Zeugnisse aus der deutschen Oberschicht zugunsten der Sorben, sondern auch die Zusage des weiteren Einsatzes für das sorbische Schrifttum. Ebenfalls 1689 beschlossen die Oberlausitzer Landstände ein Programm zur Edition von sorbischen religiösen Schriften. Auf Anregung Speners finanzierte Henriette Katharina von Gersdorff Druck und Vertrieb dreier Schriften Frencels, u. a. des von ihm übersetzten Neuen Testaments (1706).

Der Pietismus gelangte auf zwei Wegen in die Lausitz: Zum einen über das Wirken erweckter Adliger, die das Gedankengut den Sorben vermittelten, zum anderen verbreitete er sich über die Universitäten und Ausbildungsstätten. August Hermann Francke, der Begründer des halleschen Pietismus, nahm 1701 Verbindung mit Freifrau von Gersdorff auf, um sich bei ihr über die religiöse Lage der Sorben zu informieren. Dem halleschen Einfluss auf den Gutsbesitzer von Pannwitz war es zu verdanken, dass Jan Bogumił Fabricius als Pfarrer nach Kahren in der Niederlausitz berufen wurde, wo er 1706 Luthers Katechismus und 1709 das niedersorbische Neue Testament herausgab. Zu diesem Zweck wurde im Pfarrhaus eine Druckerei (→ Buchdruck) eingerichtet, die erste im Cottbuser Kreis. Als Superintendent in Cottbus gelang es Fabricius, mehrere sorbische Dorfschulen zu gründen (→ Schule). Auch der Übersetzer des Alten Testaments ins Niedersorbische (1796), Jan Bjedrich Fryco, stand in enger Verbindung mit dem halleschen Pietismus, ebenso sein Bruder Pomgajbog Kristalub Fryco, wenngleich sich bei beiden schon der Übergang zur Aufklärung andeutete.

Der Leipziger Theologieprofessor Johann Gottlob Pfeiffer, der erste Präses der Leipziger Predigergesellschaft, beeinflusste mehrere sorbische Theologiestudenten im lutherisch-pietistischen Sinne. Sein bedeutendster sorbischer Schüler war Diakon Jan Pjech, der von 1731 bis 1741 an der Michaeliskirche in Bautzen wirkte. Als Folge der Pech’schen Erweckungspredigten sowie der Herausgabe pietistischer Schriften entstanden die ersten sorbischen Laiensozietäten, so in der Seidau bei Bautzen unter Martin Förster. Reichsgraf Friedrich Caspar von Gersdorff, ein Großneffe der Henriette Katharina, setzte sich als Oberamtshauptmann der Oberlausitz ab 1731 systematisch für die Pietisten ein. Er veranlasste, dass Johann Gottfried Kühn die sorbische Sprache erlernte, um ihn daraufhin als Diakon und Pfarrer nach Klix zu berufen. Kühn übersetzte mehrere Erbauungsschriften, u. a. „Sechs Bücher vom wahren Christentum“ und „Paradiesgärtlein“ von Johann Arndt sowie Karl Heinrich von Bogatzkys „Schatzkästlein“. Er war der Herausgeber der zweiten Auflage der sorbischen Bibel von 1728 (→ Bibelübersetzungen) und des sorbischen Gesangbuchs von 1741, in das er einige Übersetzungen aus dem halleschen Gesangbuch aufnahm (→ Kirchenlied).

C. H. von Bogatzky „Güldenes Schatzkästlein der Kinder Gottes“ in obersorbischer Übersetzung, 1767; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut Bautzen

1737 gründete Kühn auf Veranlassung Gersdorffs die erste Internatsschule in Klix, die begabte Sorben für das Gymnasium oder auf den Lehrerberuf vorbereite. Eine weitere Volksschule nach halleschem Vorbild, die mit einer Lehrerausbildung verbunden war, entstand 1746 in Großwelka unter August Adolph von Below (→ Lehrerseminare). Die beiden Lehrer Michał Haupt in Großwelka und Handrij Gědan in Baruth waren die ersten sorbischen Volksschullehrer, die mit selbstständigen Veröffentlichungen hervortraten (Choräle, Traktate, Übersetzung der Predigten Johann Albrecht Bengels). Aus Sicht des halleschen Pietismus verfasste der Friedersdorfer Pfarrer Christian Knauthe 1767 die erste umfassende Darstellung der sorbische Geschichte „Derer Sorberwenden umständliche Kirchengeschichte“. Eine eigene Wirkung entfaltete in Ober- und Niederlausitz der Zinzendorf’sche Pietismus (→ Brüdergemeine).

Der Pietismus erfüllte bei den Sorben wesentliche Postulate der Reformation, etwa bei der Umsetzung des Muttersprachprinzips, er trug zur geistigen Hebung des sorbischen Volkes bei. Er war jedoch in seiner gefühlsbetonten Art unter den sorbischen Geistlichen nicht unumstritten. Hauptgegner waren in der Oberlausitz die Pfarrer Hadam Zacharias Šěrach und dessen Sohn Hadam Bohuchwał Šěrach, in der Niederlausitz Gabriel Fabricius. Mehrfach wurden literarische Fehden ausgetragen.

Im 19. und 20. Jh. lebte der Pietismus bei den evangelischen Sorben z. T. innerhalb der Landeskirchen weiter (→ Mission, → Auswanderung, → Kirche). Die pietistisch orientierte lutherische Bewegung des 19. Jh. führte zur Gründung von Vereinen und Bruderschaften, die dem Missionsgedanken verpflichtet waren. Unter maßgeblichem Einfluss von Jan Kilian wurden sorbische altlutherische Gemeinden in der preußischen Oberlausitz und in der Niederlausitz gegründet. In einigen Gemeinden separierten sich sorbische Pietisten von der Landeskirche und gründeten Freikirchen, in denen auch die sorbische Sprache verwendet wurde (Katholisch-apostolische Gemeinde in Werben, baptistische Freikirche in Schleife).

Lit.: E. Goltzsch: Der Pietismus und die Sorben der Oberlausitz im 18. Jahrhundert, Manuskript, Leipzig o. J.; F. Mětšk: Lusatica aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus in der Lausitz, in: F. Mětšk.: Studien zur Geschichte sorbisch-deutscher Kulturbeziehungen, B. 1980.

Metadaten

Titel
Pietismus
Titel
Pietismus
Autor:in
Malink, Jan
Autor:in
Malink, Jan
Schlagwörter
Evangelische Kirche; Reformbewegung; Protestantismus
Schlagwörter
Evangelische Kirche; Reformbewegung; Protestantismus
Abstract

Erneuerungsbewegung in der evangelischen Kirche des ausgehenden 17. und des 18. Jh. Wichtige Merkmale waren die Betonung der Frömmigkeit und der Glaubenserfahrung. In der Lausitz trug der Pietismus zur Förderung der Kirchlichkeit, der Bildung und der Literatur des sorbischen Volkes bei.

Abstract

Erneuerungsbewegung in der evangelischen Kirche des ausgehenden 17. und des 18. Jh. Wichtige Merkmale waren die Betonung der Frömmigkeit und der Glaubenserfahrung. In der Lausitz trug der Pietismus zur Förderung der Kirchlichkeit, der Bildung und der Literatur des sorbischen Volkes bei.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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