Kurze, ein-episodige ProsaerzĂ€hlung, die glaubwĂŒrdig mit Bezug auf das jeweilige lokale
Umfeld ĂŒber die Begegnung des Menschen mit dem AuĂergewöhnlichen und die daraus
resultierenden, meist negativen Folgen berichtet. Der ober- und niedersorbische
Begriff powÄsÄ bedeutet auch ,Nachricht, GerĂŒchtâ, was den umstrittenen
Wahrheitsbezug dieser Gattung der Volksdichtung (â MĂ€rchen, â Schwank) unterstreicht. Historisches und
Mythisches flieĂen ineinander (â Wendenkönig), wofĂŒr die Ă€ltere Chronik- und Historienliteratur viele
Beispiele liefert (z.âŻB. Jakub Xaver
Ticin: âEpitome historiae Rosenthalensisâ, 1692; Abraham Frencel: âHistoria Naturalis
Lusatiae Superiorisâ, um 1720; Samuel
Grosser: âLausitzische MerckwĂŒrdigkeitenâ, 1714).
Inhaltlich werden historische und dÀmonologische Sagen unterschieden. Zur ersten Gruppe
gehören ErzĂ€hlungen ĂŒber historische Personen (z.âŻB. Paul Gerhardt in LĂŒbben, Friedrich II. oder RĂ€uberhauptmann Johannes Karasek), Sagen
ĂŒber historische Ereignisse (z.âŻB. die Auseinandersetzung zwischen Markgraf Gero und den WendenfĂŒrsten, die Hussitenkriege) sowie Orts- und
Lokalsagen. Letztere erklÀren Namen und Ursprung auffallender PhÀnomene,
historische Details an GebĂ€uden oder Ereignisse der Ortsgeschichte (z.âŻB. die
GrĂŒndung des Klosters St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau oder, wie der Hankabrunnen in Schwarzkollm zu seinem Namen kam). Parallel
zur Barbarossa-Sage ist in der Lausitz die Sage von den schlafenden Rittern
im Berge (â Lubin, Löbauer Berg, Strohmberg bei WeiĂenberg, Hahnenberg bei Stradow in der Niederlausitz)
ĂŒberliefert.
âHexenwĂ€chterâ vor der StalltĂŒr, Niederlausitz, um 1930; Repro:
Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut
Den Kern des Bestands bilden die dĂ€monologischen Sagen. Sie berichten von Ăngsten, Sorgen und
Zweifeln der âeinfachenâ Leute in einer schwer deutbaren und daher bedrohlich
wirkenden Welt. Sie bezeugen aber auch deren Lust an schaurigen, rational nicht
erklÀrbaren Begebenheiten. Der Glaube an DÀmonen kennzeichnete das Weltbild der
Menschen in der Vormoderne. Der Teufel und von ihm Besessene wie Magier und
Hexen, dazu Gespenster und WiedergÀnger, Wasser- und Buschleute, Berg- und
Hausgeister beherrschten die menschliche Umgebung. Begegnungen mit ihnen wurden
als persönliche Beobachtungen oder Erlebnisse glaubwĂŒrdiger Bekannter erzĂ€hlt,
in der Regel mit erklÀrender, warnender oder belehrender Funktion. So mahnen die
Sagen vom unförmigen und nimmersatten Wechselbalg (obersorb. pĆemÄnk,
niedersorb. pĆemÄĆk), SĂ€uglinge nicht unbeaufsichtigt zu lassen, da sie
ansonsten der Teufel, eine Hexe, der Wassermann oder ein Zwerg austauschen
könnte. Andere Sagen warnen vor der Mitnahme von Wegelagerern, da es die
personifizierte Krankheit, die Pest oder der â in der slawischen Mythologie
weiblich â Tod sein könnten, die so Zugang zum Dorf fĂ€nden.
Der Teufel (obersorb. Äert, djas, djaboĆ, luÄibar,
niedersorb. cart, djas, djaboĆ) in der Sage
unterscheidet sich vom dummen Teufel im MĂ€rchen und hat nur wenig mit der
theologisch begrĂŒndeten Gestalt des gefallenen Engels zu tun. Die
euphemistischen Bezeichnungen obersorb. Äorny, niedersorb. Carny ,der Schwarzeâ,
obersorb., niedersorb. ZĆy ,der Böseâ, obersorb. Äorny Jurij
,Schwarzer Georgâ, zeugen von der Furcht, man wĂŒrde den Teufel herbeirufen,
sobald man von ihm sprÀche. Er zeigt sich in anthropomorpher Gestalt als gut
gekleideter Fremder oder schlĂŒpft in die eines schwarzen Tieres (Hund, Kater,
Ziegenbock). Jedoch verraten seine Merkmale â feurige Augen, Hörner, Schwanz,
Pferde- oder BocksfĂŒĂe, Gestank â sein wahres Wesen. In der sorbischen
Ăberlieferung ist die Vorstellung vom Teufel als mehr oder weniger zufĂ€lligem
Landschaftsbildner verbreitet. So fĂŒhrt man die Ausformung des Spreewalds auf
ihn zurĂŒck, deutet Findlinge als seine Wurfgeschosse und die Felsformationen des
Oberlausitzer Berglands als Teufelskanzeln oder -höhlen. Derartige ErzÀhlungen
weisen groĂe Ăhnlichkeiten zu den Riesensagen in den deutschen Sammlungen auf,
deren Ăberlieferung â im Gegensatz zur sorbischen â unter direktem Einfluss der
antiken und christlichen Mythologie bzw.
der mittelalterlichen Heldenepik stand.
Die Ehrfurcht vor Menschen mit scheinbar magischen FĂ€higkeiten widerspiegelt sich im Glauben
an Magier mit prophetischen und heilenden Gaben (â Volksmedizin) und an vom Teufel besessene MĂ€nner und
Frauen. SchwarzkĂŒnstler und Hexen (obersorb. chodojta, niedersorb.
chodota) setzen ihre teuflischen KrÀfte zum Schaden anderer ein.
Die Zauberer (â Krabat) beziehen ihr Wissen
meist aus einem Buch (sorb. koraktor von ,Charakterâ fĂŒr Zauberformel,
Geheimschrift). Verwandelt in harmlose Haustiere, Frösche oder MÀuse, gelangen
Hexen unbemerkt von einem Hof zum anderen und entziehen den KĂŒhen die Milch,
verderben die Butter oder machen durch den âbösen Blickâ Mensch und Tier krank.
Ein verbreitetes Sagenmotiv ist, dass man ein verdÀchtig erscheinendes Tier
verletzt und am nÀchsten Tag die Nachbarin mit analogen Verletzungen erscheint.
Die im Sorbischen weibliche Gestalt des Albs (obersorb. mĂłrawa), in der
deutschen Ăberlieferung der Lausitz auch Murraue oder MĂŒrraue
genannt, besitzt die Eigenschaften einer Hexe und verursacht AlbtrÀume, indem
sie sich Schlafenden auf die Brust legt. In den Verdacht der Hexerei konnte jede
Frau geraten, die sich mit ihrem Aussehen oder Verhalten von der Masse
unterschied. GeheimniskrÀmerei, stechende oder rot unterlaufene Augen bzw.
zusammengewachsene Augenbrauen galten als sicheres Indiz fĂŒr eine Hexe oder
mĂłrawa. Zur Abwehr dienten Gebete, Weihwasser, ĂŒberkreuzte Besen,
Hufeisen oder mit Pech gemalte Ringe, Kreuze und Pentagramme an Stall- und
HaustĂŒren.
Eine systematische Darstellung der Geister, die keine Verwandlungsgestalten oder Gesellen des
Teufels sind, bietet die Einteilung nach ihren LebensrÀumen in Natur- und
Hausgeister. Die im Wald lebenden Wilden Leute sind im Vergleich zum Wassermann fĂŒr die sorbische Ăberlieferung
wenig reprĂ€sentativ. Die Wilde Frau (obersorb. dĆșiwica, niedersorb.
Ćșiwa ĆŸona) erscheint entweder als schöne, prĂ€chtig gekleidete junge
Frau, die mit ihrer Meute mittags durch die WĂ€lder streift und alles
niederschieĂt, was ihr vor die Flinte kommt, oder in Gestalt eines verhutzelten
alten Buschweibs, das fĂŒr eine Handvoll Laub gekĂ€mmt sein will. Die Söhne der
Wilden Leute tauchen analog zu jungen WassermÀnnern beim Tanz auf oder necken
die MĂ€dchen in den Spinnstuben. Wegen
ihrer ungewöhnlichen KrÀfte eignen sie sich besonders als Knechte, sind jedoch
stÀndig hungrig und reagieren ungemein jÀhzornig. In der Muskauer Standesherrschaft werden die
Wilden MĂ€nner graby genannt, die zusĂ€tzlich durch PferdefĂŒĂe und eine
dichte Körperbehaarung gekennzeichnet sind. In der Heide- und Teichlandschaft
nördlich von Bautzen erzÀhlte man sich von
der smÄrkawa, einem weiblichen Feldgeist Ă€hnlich der Mittagsfrau, der in der DĂ€mmerstunde Kinder und junge
MĂ€dchen erschrickt und zum Heimgehen gemahnt. Auf das Einhalten der Zeit bzw.
insgesamt auf Zucht und Ordnung achten v.âŻa. im Zusammenhang mit der Spinnstube
die wurlawy, die nach zehn Uhr abends in den Dörfern ihr Unwesen treiben.
Der Einfluss der christlichen Ăberlieferung zeigt sich in Naturgeistern, die als SĂŒhne fĂŒr
ihre Schuld nach dem Tod als DĂ€monen umgehen mĂŒssen. Der von der HĂŒfte aufwĂ€rts
in Flammen stehende Feuermann (obersorb. wohnjowy muĆŸ, wohnjoĆĄ), in
dessen NĂ€he die Pferde scheuen oder scheinbar schwere Last ziehen mĂŒssen, wird
mit Brandstiftung in Verbindung gebracht (z.âŻB. 1813 der Brand der Kirche zu
Purschwitz bei Bautzen). In der
Hoffnung auf Erlösung ist er zu Menschen freundlich und hilfreich. Eine Strafe
verbĂŒĂt auch Pan Dietrich (obersorb. Dyterbjarnat). Die Sagen um die
Wilde Jagd und die Gestalt des NachtjÀgers (obersorb. nócny hajnik,
niedersorb. nĂłcny jagaĆ) deuten das LĂ€rmen des Sturms besonders in der
Adventszeit und in den zwölf RaunĂ€chten als durch die LĂŒfte jagendes Totenheer,
dessen AnfĂŒhrer zur BuĂe fĂŒr sein frevelhaftes Leben nach dem Tode ewig
weiterkÀmpfen muss. So auch Pan Dietrich, dessen Name zum einen an Dietrich von Bern aus der deutschen
Heldensage, zum anderen an den GrĂŒnder von Bernstadt auf dem Eigen erinnert: Bernhard Dietrich von Biberstein, auch
âBlauhĂŒtelâ genannt, soll in seinem Jagdfieber die Felder seiner Untertanen
zertrampelt und Ernten vernichtet haben.
Typisch fĂŒr die feuchten und morastigen Niederungen in der Lausitz sind Sagen von Irrlichtern
(obersorb. bĆudniÄka, niedersorb. [swÄĆaty] bĆud). Die kleinen
blauen FlĂ€mmchen leuchten Wanderern, v.âŻa. Betrunkenen, gegen eine kleine Gabe
heim. Werden sie um ihren Lohn betrogen, fĂŒhren sie den BetrĂŒger in die Irre.
Obgleich sie relativ harmlos wirken, fĂŒrchtet man sie, gerade wegen ihres
unvorhersehbaren Auftretens im Dunkeln. Von guter Nachbarschaft zwischen
Menschen und Geistern berichten die Sagen von den Zwergen (sorb. als
lutki, in der deutschen Oberlausitz als Querxe und
VeensmÀnnel bekannt). Ihre dÀmonischen Eigenheiten (Kinderraub und
Wechselbalg, ihr Auszug bei GelÀut der Kirchenglocken) haben sich im Laufe der
Zeit vermenschlicht, was zur Verniedlichung v.âŻa. in der Kinderliteratur fĂŒhrte. Die lutki sind
unterirdisch lebende Gemeinschaftswesen, die meist SchÀtze bewachen. Sie tauchen
in den Dörfern auf, um sich fehlende GerÀte zu borgen oder bitten die Hebamme um
Hilfe bei der Geburt ihrer Kinder. Sie sprechen eine eigentĂŒmlich verneinende
Sprache und belohnen Freigebigkeit und Hilfsbereitschaft. Der Glaube, sie wĂŒrden
in GrabhĂŒgeln und Urnenfeldern wohnen, war zu Beginn des 20. Jh. noch so
verbreitet, dass sich laut Friedrich
Sieber (1931) HilfskrÀfte archÀologischen Grabungen verweigert
haben sollen, um die âRuheâ der lutki nicht zu stören.
Zur Gattung der dienstbaren Hausgeister gehören der Kobold (obersorb. kuboĆÄik), der
Hausdrachen oder Drak (obersorb. zmij, niedersorb. plon), und
â regional spezifisch im Spreewald â die
Schlange (niedersorb. wuĆŸ). Sie verhilft ihrem Besitzer zu Reichtum,
verlangt dafĂŒr aber seine Seele oder versetzt ihn in direkte AbhĂ€ngigkeit. Der
âSpiritus familiarisâ ist ein solitĂ€res Wesen, d.âŻh., jedes Haus hat seinen
zmij/âplon bzw. seinen Kobold. Sie bilden keine Familien, sind
âerwachsenâ und wollen unentdeckt bleiben. Sie können unterschiedliche Gestalten
annehmen (glĂŒhende Kugel, nasses Huhn, schwarze Katze oder KĂ€lbchen) und suchen
nachts den Weg durchs Dach oder durch die Katzenluke ins Freie, oft als feurige
Erscheinung. Wer sie vernachlÀssigt, der verliert Hab und Gut oder gar sein
Leben. Weniger beĂ€ngstigend wirkt das obersorb. boĆŸe sedleĆĄko,
niedersorb. bĂłĆŸa ĆosÄ, eine kleine bleiche Gestalt, die klagend groĂe
Gefahren wie die Pest, Hochwasser oder FeuersbrĂŒnste ankĂŒndigt. Diese Gottes-
oder Wehklage gilt als Besonderheit der sorbischen Ăberlieferung ohne Parallelen
bei den benachbarten Völkern. Christoph Johann
Adelung hat sie in Grimms âDeutschem Wörterbuchâ als âvon den
Wenden herrĂŒhrendâ bezeichnet. Von der Vorstellung der Klagegestalt als weiĂ
gekleidetes Kind oder Weiblein mit wirrem Haar zeugt der redensartliche
Vergleich niedersorb. wuglÄdaĆ kaĆŸ bĂłĆŸaĆosÄ (aussehen wie eine
Wehklage), d.âŻh. bleich oder ungepflegt sein. Jan
HĂłrÄanski erwĂ€hnte in seiner Studie ĂŒber die Sitten und BrĂ€uche
der Sorben (1782), wie umsichtig Frauen den unsichtbaren Geist wÀhrend der
Hausarbeit behandelten, dessen Wohnstatt nahe dem Herd vermutet wurde. Die
Akzeptanz des boĆŸe sedleĆĄko als Hausbewohner verweist ebenso wie dessen
prophetische Gabe auf Àltere Formen des Seelenkults.
Sorbische Sagen in einer Ausgabe fĂŒr Kinder, Domowina-Verlag
2017
Das wissenschaftliche Interesse an den Sagen ging von Vertretern der Altertumskunde aus, die
nach Resten der vorchristlichen Mythologie suchten (â Christianisierung). Der Wegbereiter der
deutschen Slawistik Karl Gottlob von
Anton verwies als Erster auf die Existenz einer mĂŒndlichen
Ăberlieferung bei den Sorben, âdie sie aber vor den Deutschen sehr geheim
haltenâ (1783). Eine Auflistung von âReliquien der Feld-, Wald-, Wasser- und
Hausgötter unter den Wendenâ veröffentlichte 1797 Samuel Traugott Ponich, allerdings um mit aufklĂ€rerischem
Impetus ĂŒber den verbreiteten Aberglauben zu klagen. Die Aufforderung Herders,
MĂ€rchen, Sagen und Volkslieder zu sammeln
und ihre UrsprĂŒnge zu erforschen, förderte ebenso wie Pavol Jozef Ć afĂĄriks Auffassung vom
Quellenwert der Sagen fĂŒr Dichtung und Geschichtsschreibung die intensive
SammeltĂ€tigkeit im 19. Jh. Als erstes Ergebnis erschienen 1839 Heinrich Gottlob GrĂ€ves âVolkssagen und
volksthĂŒmliche Denkmale der Lausitzâ. Weitaus zuverlĂ€ssiger und reprĂ€sentativer
ist die zweibĂ€ndige Ausgabe âSagenbuch der Lausitzâ (1862/63) von Karl Haupt. In der Niederlausitz widmete
sich Edmund Veckenstedt in den 1870er
Jahren dem Aufzeichnen von Sagen und MĂ€rchen, was zur Edition âWendische Sagen,
MĂ€rchen und aberglĂ€ubische GebrĂ€ucheâ (1880) fĂŒhrte. Gleichzeitig erschienen mit
Wilibald von Schulenburgs BĂŒchern
âWendische Volkssagen und GebrĂ€uche aus dem Spreewaldâ (1880) und âWendisches
Volksthum in Sage, Brauch und Sitteâ (1882) zwei Sammlungen, die ein reiches und
zuverlÀssiges Material bieten. Schulenburgs Arbeiten regten den Lehrer und
Heimatforscher Karl Gander an, Sagen
im nördlichen Gebiet der Niederlausitz um die Tuchmacherstadt Guben zusammenzutragen (âNiederlausitzer
Volkssagenâ, 1894). Der tschechische Volkskundler Adolf ÄernĂœ erfasste ausschlieĂlich sorbischsprachige
dÀmonologische Sagen. Seine zwischen 1890 und 1897 zunÀchst in Fortsetzungen im
âÄasopis MaÄicy Serbskejeâ und 1898 als Buch gedruckte Sammlung âMythiske
bytosÄe ĆuĆŸiskich Serbowâ (Mythische Gestalten der Lausitzer Sorben) bietet eine
Gesamtdarstellung der unter den Sorben in Ober- und Niederlausitz im 19. Jh.
bekannten Sagenfiguren und der entsprechenden ErzĂ€hlungen. ÄernĂœ verglich das
auf seinen Forschungsreisen zusammengetragene Material mit den bereits
veröffentlichten Ergebnissen und beachtete das breite Spektrum an regionalen und
dialektalen Eigenheiten in der Lausitz. Sein komparatistisches Vorgehen weist
ihn als Kenner des Forschungsstands in Europa aus. Theoretisch stand er der
anthropologischen Schule von Edward B.
Tylor und Andrew Lang
nahe, die u.âŻa. die Ăhnlichkeiten im Sagenschatz verschiedener Völker auf die
GrundsĂ€tze des Denkens und der Psyche zurĂŒckfĂŒhrten.
Von den Publikationen nach ÄernĂœ sind die von Jurij
Pilk beigebrachte Auswahl in Alfred Meiches âSagenbuch des
Königreichs Sachsenâ (1903), Friedrich
Siebers âWendische Sagenâ (1925) und âNatursagen der SĂ€chsischen
Oberlausitz und ihrer Nachbargebieteâ (1931) erwĂ€hnenswert. Mit den in den
1950er und 1960er Jahren systematisch unternommenen Magnetofonaufnahmen
sorbischer Dialekte (â Dialektologie)
wurden auch Beispiele des lebendigen SagenerzÀhlens aufgezeichnet. Von den
Erhebungen des polnischen Slawisten Jerzy
ĆliziĆski im Herbst 1959 zeugt eine Ausgabe âSorbische
VolkserzĂ€hlungenâ (1964). Alle weiteren Editionen bieten den aus den bekannten
Quellen ausgewĂ€hlten Stoff und folgen BedĂŒrfnissen der pĂ€dagogischen Praxis, so
Erich Krawcâ âSerbske bajeâ
(Sorbische Sagen, 1951), âSagen der Lausitzâ (1962) und âSagen aus Heide und
Spreewaldâ (1972) oder Frido MÄtĆĄks
âNaĆĄa rÄdna bajkojta domownjaâ (Unsere schöne mĂ€rchenhafte Heimat, 1955). Die
stilistisch ĂŒberarbeiteten Texte sind bis heute ein beliebter Lesestoff im
Heimatkunde- und Literaturunterricht. Die zur Illustration vielfach genutzten
Federzeichnungen von MÄrÄin
Nowak-NjechorĆski haben die bildhaften Vorstellungen von den
Lausitzer Sagengestalten geprĂ€gt. Moderne Sagen ĂŒber PhĂ€nomene wie WiedergĂ€nger
und mysteriöse Anhalter oder ĂŒber unerklĂ€rliche Verhaltensweisen Fremder und die
TĂŒcken der modernen Technik sind inzwischen auch in der Lausitz bekannt.
Lit.: P. Nedo: GrundriĂ der sorbischen Volksdichtung, Bautzen 1966; R. W.
Brednich/âL. Röhrich/âH.-J. Uther: Sage, in: EnzyklopĂ€die des MĂ€rchens, Band 11,
Berlin/âNew York 2004; S. Hose: ErzĂ€hlen ĂŒber Krabat. MĂ€rchen, Mythos und Magie,
B. 2013; S. Hose: âEin ungebeten Gast aus fremden LandenâŠâ. ErzĂ€hlen ĂŒber die
Pest in der Lausitz, in: B. Rieken (Hg.), ErzĂ€hlen ĂŒber Katastrophen,
MĂŒnster/âNew York 2016; S. Hose: Des kleinen Volkes Hochzeitsfest. Eine
Motivstudie, in: A. Hultsch (Hg.): Musica in litteris, Dresden 2018.