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Mittagsfrau
von Susanne Hose

Sorbische Sagenfigur und Schreckgestalt, die auf Einhaltung der mittäglichen Arbeitsruhe achtet. Die Vorstellung von einem Dämon, der zur Mittagsstunde dem Menschen erscheint, war schon im Volksglauben der vorchristlichen Zeit verbreitet, worauf u. a. Psalm 90,6 (bzw. 91,6) des hebräischen Originals der Septuaginta verweist. In der sorbischen Überlieferung hebt sich die obersorbische připołdnica bzw. niedersorbische pśezpołdnica – abgeleitet von połdnjo ‘Mittag’ – von anderen weiblichen Dämonen wie der wilden Frau (z. B. „Šćipata Marata“ [Stichelnde Marata] bei Kubschütz), der Hexe oder dem im Sorbischen weiblichen Alb (mórawa) und dem Tod (smjertnica) als festumrissene Spukgestalt mit anthropomorphen Zügen ab. Sie erscheint bei sengender Mittagshitze als weiß umhüllte, lange, dürre alte Frau und fragt diejenigen zu Tode, die noch auf dem Feld arbeiten. Ihren Opfern stiehlt sie die Erinnerung, straft sie mit geistiger Verwirrung und lebenslangem Siechtum oder schlägt ihnen mit der Sichel den Kopf ab. Allegorisch sagt man über einen Menschen, der mit seiner Fragerei anderen auf die Nerven geht, obersorb. tón praša so kaž připołdnica ‘der fragt wie die Mittagsfrau’ bzw. über eine Frau, die ausgemergelt und ungepflegt aussieht, niedersorb. ta wuglěda ak pśezpołdnica ‘die sieht aus wie die Mittagsfrau’ (→ Phraseologie). In den Sagen überwinden jene die Mittagsfrau, die langsam und mit vielen Wiederholungen sprechen. Im Unterschied zur Überlieferung von der Kornmuhme in den benachbarten deutschsprachigen Regionen bestraft sie nicht Kinder, die beim Spiel das Korn zertreten, sondern vor allem Frauen und Mädchen, die am hohen Mittag im Flachs arbeiten.

Mittagsfrau, Měrćin Nowak-Njechorński; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die volkskundlichen Untersuchungen von Wilhelm Mannhardt (1865) und die Erhebungen für den Atlas für deutsche Volkskunde (1930–1935) zeigen eine auffällige Konzentration der Sagen über die Mittagsfrau im sorbischen Sprachraum, besonders in der Umgebung von Bautzen und im Heidegebiet der mittleren Lausitz. In der Niederlausitz spricht man auch von der Serpownica, einem Sichelweib, das unabhängig von der Tageszeit und mit einer an eine Stange gesteckten Sichel (niedersorb. serp) auftritt. Adolf Černý verweist auf ähnliche Gestalten bei anderen westslawischen Völkern. Die Mittagsfrau gehört zusammen mit dem Wassermann und dem Hausdrachen (obersorb. zmij, niedersorb. plon) zu jenen Geistern, über deren Erscheinen man noch Mitte des 20. Jh. wie über tatsächliche Begebenheiten berichtete. Dabei wurden meist persönliche Erlebnisse aus der älteren Generation wiedergegeben, selten eigene Begegnungen. Die Angst vor Hitzschlag und Wahnsinn hat in einer Zeit noch mangelnder Aufklärung und medizinischen Wissens den Volksglauben an die Mittagsfrau bestärkt.

Die Gestalt der Mittagsfrau war häufig Gegenstand der bildkünstlerischen Auseinandersetzung (Měrćin Nowak-Njechorński, Maja Nagelowa).

Lit.: A. Černý: Mythiske bytosće łužiskich Serbow, Budyšin 1889; P. Nedo: Grundriß der sorbischen Volksdichtung, Bautzen 1966; L. Petzoldt: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister, München 32003.

Metadaten

Titel
Mittagsfrau
Titel
Mittagsfrau
Autor:in
Hose, Susanne
Autor:in
Hose, Susanne
Schlagwörter
Sage; Sagengestalt; Dämon; Geist (Motiv); Sichel; Tod (Motiv)
Schlagwörter
Sage; Sagengestalt; Dämon; Geist (Motiv); Sichel; Tod (Motiv)
Abstract

Sorbische Sagenfigur und Schreckgestalt, die auf Einhaltung der mittäglichen Arbeitsruhe achtet.

Abstract

Sorbische Sagenfigur und Schreckgestalt, die auf Einhaltung der mittäglichen Arbeitsruhe achtet.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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