Teildisziplin der Sprachwissenschaft, deren Gegenstand die territoriale Differenzierung
der nicht standardisierten Varietäten einer Sprache in Mundarten bzw. Dialekte ist. Diese werden in
phonetischer, morphologischer, lexikalischer und syntaktischer Hinsicht
untersucht und beschrieben.
Aussagen zu den Dialekten lassen sich schon in frühen Stadien des sorbischen Schrifttums
registrieren. 1610 wies Handroš Tara
in seinem „Enchiridion Vandalicum“ auf lokale sprachliche Unterschiede hin. Eine
erste Sammlung von Merkmalen der Sprachvarietäten um Cottbus und Lübben bzw. Storkow
sowie um Bautzen stellte Jan Chojnan in seiner handschriftlichen
Grammatik des Niedersorbischen (1650) zusammen
(→ Grammatiken). Die Differenzierung des obersorbischen Sprachraums
beschrieb erstmals Jan Arnošt Smoler
in der Sammlung „Volkslieder der Wenden in der Ober- und Nieder-Lausitz“ (2.
Teil; 1843). Er unterschied fünf Dialekte: neben dem Budissinischen (=
Bautzener, von Smoler gleichgesetzt mit der Schriftsprache) nannte er den
Löbauer, den westlichen oder
katholischen, den Heide- und den Grenzdialekt.
Mit Arnošt Muka setzte im letzten Viertel des 19.
Jh. die systematische dialektologische Untersuchung des Sorbischen ein. Die bei
Feldforschungsreisen in beiden Lausitzen gesammelten Sprachdaten verwendete Muka
in seinen zwei Hauptwerken: „Historische Laut- und Formenlehre der
niedersorbischen (niederlausitzisch-wendischen) Sprache mit besonderer
Berücksichtigung der Grenzdialecte und des Obersorbischen“ (1891) und
„Wörterbuch der nieder-wendischen Sprache und ihrer Dialekte“ (1911–1928). Er
beschrieb als Erster die Grenzen der einzelnen Dialektgebiete, viele seiner
Angaben haben sich in späteren dialektgeografischen Arbeiten bestätigt. Da Muka
auch die älteren sorbischen Sprachdenkmale hinsichtlich dialektaler Unterschiede
auswertete und zuordnete, stellen seine Werke zugleich einen Beitrag zur
historischen Dialektologie dar. Michał
Hórnik veröffentlichte im „Časopis Maćicy Serbskeje“ einige
Studien zur dialektalen Zuordnung einzelner ober- und niedersorbischer
Sprachdenkmale.
Frido Michałk bei Feldaufnahmen um Schleife, um 1956; Sorbisches
Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Weitere wichtige Publikationen erschienen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.: Lew V. Ščerbas Beschreibung der Phonetik,
Phonologie, Morphologie und einiger syntaktischer Eigenschaften des Muskauer
Dialekts („Восточнолужицкое паречие“, 1915) war die erste monografische
Darstellung eines sorbischen Dialekts überhaupt. Ščerba regte u. a. Zdzisław Stieber zu seiner Arbeit „Stosunki
pokrewieństwa języków łużyckich“ (1937) über das obersorbisch-niedersorbische
Verhältnis an. Auf der Basis von historisch-phonetischen Isoglossen kam Stieber
zu einer scharfen Grenzziehung zwischen ober- und niedersorbischen Dialekten und
lehnte die von Muka angenommene Zone von Übergangsdialekten ab. Diese Position
ist durch den „Sorbischen Sprachatlas“ jedoch widerlegt worden. Einen
bedeutenden Beitrag zur Dialektologie leistete Pawoł Wirth, der als Begründer der sorbischen Dialektgeografie
gilt. Zwar hatte schon Georg Wenker
für den Deutschen Sprachatlas 1879–1887 auch sorbisches Material gesammelt, doch
blieb dieses bis in die jüngste Zeit unbeachtet (vgl. Gerald Stone 2003). Wirth, ein Schüler
Max Vasmers, veröffentlichte 1933
und 1936 seine Dissertation „Beiträge zum sorbischen (wendischen) Sprachatlas“,
die v. a. der lexikalischen Differenzierung der sorbischen Mundarten gewidmet
war. Die systematische Untersuchung der sorbischen Dialekte sah er als dringende
Aufgabe, da das Sprachgebiet durch Assimilation beständig schrumpfte.
Auch Wirth versuchte eine Grobgliederung der sorbischen Dialekte und postulierte
eine Dreiteilung in obersorbische und niedersorbische sowie in ostsorbische
Dialekte, wozu er den Muskauer und den Schleifer Dialekt rechnete.
Zur historischen Dialektologie wurden zwischen den Weltkriegen wichtige Sprachdenkmale
wissenschaftlich ediert und analysiert; zu nennen sind hier Arbeiten von
Karl Heinrich Meyer (Edition und
Analyse der obersorbischen Katechismusübersetzung von Wjacław Warichius, 1923), Reinhold Trautmann und Curt Hoenicke (Textedition und phonetische
Analyse des Wolfenbütteler niedersorbischen Psalters, 1928 und 1930). Nach dem
Zweiten Weltkrieg erlebte die sorbische Dialektologie einen Aufschwung. Als
wichtigste Autoren sind Frido Michałk,
Helmut Faska und Helmut Jenč zu nennen. Die Forschungen
wurden in den 1950er und 1960er Jahren durch systematische Tonbandaufnahmen in
der Oberlausitz und Niederlausitz eingeleitet. Das Tonmaterial
bildete die Grundlage für die in phonetischer Transkription veröffentlichten
„Sorbischen Dialekttexte“ (1963–1972). (Die Aufnahmen wurden nach 2000
digitalisiert und sind im Sorbischen Institut zugänglich.) In einem weiteren Schritt
bearbeiteten die Autoren in drei Monografien je einen Dialekt aus dem Gebiet der
Übergangsdialekte (Michalk 1962) sowie von der Peripherie der niedersorbischen
(Faßke 1964) und der obersorbischen Dialekte (Jentsch 1980). Ihre umfassendste
Darstellung fanden die sorbischen Dialekte im Sprachatlas. 1960 wurde mit der
Materialaufnahme begonnen, 1965–1996 erschienen insgesamt 15 Atlasbände.
Gegenstand der ersten zehn Bände ist die lexikalische Differenzierung, geordnet
nach Sachgebieten. Die Bände 11–15 dokumentieren die dialektalen Unterschiede in
Flexion, Phonologie und Syntax. Zusammenfassende Wabenkarten im 10. sowie im
12.–15. Band zeigen ein präzisiertes Bild der dialektalen Gliederung. Außerdem
sind die sorbischen Dialektologen an der Bearbeitung des „Slawischen
Sprachatlas“ beteiligt, der die Dialekte sämtlicher slawischer Sprachen erfasst
(bis 2020).
Karte zur Verbreitung dialektaler Lexik; Karte: Iris
Brankatschk
Beträchtliche Fortschritte verzeichnete nach 1945 die historische Dialektologie. Es
erschienen sprachliche Analysen und kommentierte Ausgaben zahlreicher ober- und
niedersorbischer Sprachdenkmale. Die meisten dieser Arbeiten stammen von
Heinz Schuster-Šewc (z. B.
„Vergleichende historische Lautlehre der Sprache des Albin Moller“, 1958; „Niedersorbisches
Gesangbuch und Katechismus, Budissin 1574/Albin Moller“; 1959). Hervorzuheben
ist auch die Edition der bis dahin unveröffentlichten Texte des Hanso Nepila mit Laut- und Formenlehre der
zum Schleifer Dialekt gehörenden Sprache durch Hélène Brijnen (2004).
Grundlegende Aufsätze zur dialektalen Zuordnung katholischer bzw. evangelischer
obersorbischer Sprachdenkmale veröffentlichten u. a. Michałk und Jenč. Roland Marti realisierte 2005/06 ein Projekt
zur Dokumentation des Niedersorbischen in gesprochener Form. So ist neben
standardsprachlichen Texten eine umfangreiche Sammlung niedersorbischer
Dialektaufnahmen aus den Jahren 1951–2006 im Internet zugänglich
(genie.coli.uni-saarland.de). Ebenso im Internet zugänglich ist das zwischen
2011 und 2016 an der Cottbuser Zweigstelle des Sorbischen Instituts im Rahmen
der Förderinitiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“ (DoBeS) angefertigte
Korpus des muttersprachlichen Niedersorbischen, das etwa 100 Stunden
Audioaufnahmen enthält (http://www.dolnoserbski.de/dobes/?rěc=de).
Gegenstand der meisten dialektologischen Arbeiten sind die sog. Basisdialekte,
die kaum Einflüsse anderer sorbischer Sprachvarietäten aufweisen. Lenka Šołćic hat sich der Untersuchung der
sorbischen Umgangssprache zugewandt, die sie auf die Sprachform Jugendlicher
bzw. jüngerer Leute aus dem Territorium des katholischen Dialekts in der
Oberlausitz einschränkt; sie unterscheide sich unter dem Einfluss der
Schriftsprache und der Interferenz des Deutschen stark vom bisher bekannten
Lokaldialekt (Scholze 2008).
Lit.: Sorbischer Sprachatlas, bearb. von H. Faßke/H. Jentsch/S. Michalk, Band 1–10, Bautzen
1965–1986, bearb. von H. Faßke, Bde. 11–15, Bautzen 1975–1996; Sorbische
Dialekttexte I–X, bearb. von H. Faßke/H. Jentsch/S. Michalk, Bautzen 1963–1972;
S. Michalk: Der obersorbische Dialekt von Neustadt, Bautzen 1962; H. Faßke: Die
Vetschauer Mundart, Bautzen 1964; H. Jentsch: Die sorbische Mundart von
Rodewitz/Spree, Bautzen 1980; G. Stone: Der erste Beitrag zur sorbischen
Sprachgeographie. Aus dem Archiv des Deutschen Sprachatlas, Lětopis Sonderheft,
Bautzen 2003; H. Brijnen: Die Sprache des Hanso Nepila, Bautzen 2004. L.
Scholze: Das grammatische System der obersorbischen Umgangssprache im
Sprachkontakt, Bautzen 2008.