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Handwerk
von Erhard Hartstock

Manuelle Warenproduktion, die sich durch die naturrĂ€umlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entwickelte. Mit der Konsolidierung der königlichen bzw. landesherrlichen StĂ€dte erfolgte auch in der Lausitz eine Spaltung des Handwerks. In den vier unabhĂ€ngigen StĂ€dten der Nieder- und den sechs der Oberlausitz konzentrierte sich bereits zu Beginn des 14. Jh. das Gros der zunehmend innungsgebundenen Meister. Je nach ethnischer Struktur der Kommunen hatten auch Sorben Zugang zu den Gilden, Zechen und ZĂŒnften, wenn sie in den Besitz des BĂŒrger- und des Meisterrechts gelangen konnten (→ Zunftordnungen). Von Kaisern, Königen und anderen Landesherren sanktionierte Stadtordnungen und Innungsartikel waren fĂŒr die Landbevölkerung allgemein schwer ĂŒberwindbare HĂŒrden. HĂ€ufig scheiterte die Aufnahme daran, dass Innungen Lehrlinge vom Lande nur sehr beschrĂ€nkt ausbildeten. Gleichzeitig sicherten sich die StĂ€dte fĂŒr ihr Weichbild (Bannmeile) umfassende Verbietungsrechte, womit jegliche Konkurrenz auf dem Dorf oder in den grundherrschaftlichen LandstĂ€dtchen eliminiert bzw. bedeutend eingeschrĂ€nkt war.

Böttcher in LĂŒbbenau, 1979; Fotograf: Eberhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Entsprechend den BedĂŒrfnissen im Umland hatte sich in den großen StĂ€dten bis Anfang des 16. Jh. ein vielfĂ€ltiges Handwerk angesiedelt. In Bautzen, Cottbus, Calau, Görlitz oder Guben waren in bis zu 20 Innungen 200 bis 800 Meister aus 60 bis 90 Gewerken vereinigt. Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung war die leistungsstarke Tuchmacherei, deren Erzeugnisse in großen Mengen im Fernhandel abgesetzt wurden. Neben einer Vielzahl von Berufen in den Gewerbesteuerlisten, die nur durch einen bis zwei Meister vertreten waren, gehörten zu den großen ZĂŒnften des Weiteren die BĂ€cker, Fleischer, HĂ€ndler aller Kategorien, Leineweber, Schmiede und Schlosser, Schneider, Schuhmacher sowie Zimmerleute. In den spĂ€teren Jahrhunderten bis zum Ende der Feudalzeit kamen noch Berufe wie Buchdrucker und -hĂ€ndler, Strumpf- und Handschuhmacher, Musikanten, Steinmetze u. a. hinzu. In einzelnen StĂ€dten wird die „wendische Schneiderin“ als eigener Beruf ausgewiesen. Die streng geregelte Berufsausbildung und die QualitĂ€tsgarantie fĂŒr Waren in den Innungssatzungen, die sich anfangs bewĂ€hrten, erwiesen sich jedoch spĂ€ter als Innovationshemmnis.

Holzkohleherstellung in Rietschen, 1961; Fotograf: Eberhard Blume, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Das privilegierte stĂ€dtische Handwerk vermochte die dörflichen Handwerker aber nicht gĂ€nzlich zu verdrĂ€ngen, obwohl sie – ungeachtet ihrer NationalitĂ€t – als „Störer“ oder „Pfuscher“ verleumdet und oft mit legalen und illegalen Mitteln bekĂ€mpft wurden. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten insbesondere nach der Herausbildung der zahlreichen Gutswirtschaften bedingten die Entstehung bestimmter Gewerke auf dem Lande. Überwiegend am Ort der herrschaftlichen Verwaltung befanden sich Mahl- und BrettmĂŒhlen, Schmieden und Schenken, Letztere gehĂ€uft und in kurzen Entfernungen voneinander entlang der Fern- und Handelsstraßen. Ab der Mitte des 17. Jh. errichteten die RittergĂŒter zwecks Nebenproduktion zahlreiche Brauereien, Schnapsbrennereien, Ziegeleien und Kalköfen. Lausitztypische Berufsgruppen wie Kahnbauer oder Korbmacher konzentrierten sich auf den Spreewald und die ausgedehnten Teichgebiete. Die Teichwirtschaft erforderte den Berufsstand der Teichbauer. Noch Ende des 19. Jh. genossen die „wendischen TeichgrĂ€ber“ wegen ihrer Kenntnisse und Leistungen bei preußischen und sĂ€chsischen Verwaltungsbehörden hohes Ansehen.

Schilfflechterei im Spreewald, um 1953; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die dörflichen Handwerker waren fast sĂ€mtlich konzessionierte feudale Untertanen ihrer Herrschaften, die das Konzessionsrecht besaßen. Eine Anzahl fĂ€higer Landbewohner eignete sich dennoch stets handwerkliche Fertigkeiten an und stellte Waren, GerĂ€te und Werkzeuge fĂŒr den speziellen Bedarf der Landwirtschaft meist nebenberuflich her oder nahm Reparaturen vor. Dazu gehörten auch die Schneiderin oder der Stellmacher, die im Sinne der strengen Ausbildungsvorschriften der Innungen keine Handwerker waren.

Kahnbau im Spreewald, um 1953; Fotograf: Erich Rinka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Nach dem DreißigjĂ€hrigen Krieg siedelten StĂ€dte, Klöster, Grund- und Gutsherrschaften im SĂŒden der Oberlausitz in einem Streifen von Lauban/​heute: LubaƄ (Polen) bis KönigsbrĂŒck in ihren Dörfern Tausende Leinen-, Damast- und Bandweber an. Um 1750 liefen in diesem Raum ĂŒber 25 000 WebstĂŒhle. Die Tuchproduktion beider Lausitzen benötigte jĂ€hrlich enorme Mengen Wollgarne. Der Bedarf an Garn aus Flachs (→ Spinnstube) wuchs stark. Der Bedarf der bĂ€uerlichen Familie an Leinwand und Strickwaren wurde in der Regel in Eigenproduktion gedeckt. Die Patrimonialherrschaften nutzten die Nachfrage nach Garnen aus, um sich im Rahmen der Frondienste von ihren Untertanen v. a. im Winter große Mengen Garn spinnen zu lassen. Die gemeinschaftliche Arbeit der Jugend, die sogenannte Spinn- oder Rockenstuben, wurden lokal seit 1667 immer wieder verboten. Garnsammler (sorb. pƙedĆșenak) kauften das Gespinst bei Herrschaften und Untertanen auf. FĂŒr viele HĂ€usler- und GĂ€rtnerfamilien trug das Spinnen wesentlich zum Lebensunterhalt bei. Ab Mitte des 18. Jh. drĂ€ngten Staat und StĂ€nde im Zusammenhang mit dem Bau von Armen-, Arbeits-, Waisen- und ZuchthĂ€usern auf die Einrichtung von Spinnschulen.

Frau am Webstuhl in der Hoyerswerdaer Region, um 1954; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Töpferei in Göda, 1979; Fotograf: Eberhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Erst die bĂŒrgerlichen Reformen in Preußen und Sachsen zu Beginn des 19. Jh. gewĂ€hrten in den Lausitzen die allgemeine Berufs- und Gewerbefreiheit und setzten dem herkömmlichen Innungswesen ein Ende. Im Zuge der Industrialisierung verloren viele Handwerksberufe durch die Massenfertigung in den Fabriken ihre Bedeutung, einige verschwanden ganz. Mit der Technisierung der Produktion gewannen manche Gewerke, so die Schmiede, Schlosser oder Sattler, ein völlig neues Profil und andere Arbeitsbereiche. Ein Großteil der Handwerker fand sein Auskommen als Arbeiter, Meister oder Techniker in der Fabrik, andere waren mit der Wartung, Instandhaltung und Reparatur von technischen Anlagen, Maschinen und Werkzeugen beschĂ€ftigt. Es entstanden neue Berufe wie Lokheizer oder Elektriker. Bekleidungs-, Schuh- und Möbelindustrie konnten trotz hoher ProduktivitĂ€t das Handwerk bis in die Gegenwart nicht völlig verdrĂ€ngen.

Lit.: R. Lehmann: Geschichte des Markgraftums Niederlausitz, Dresden 1937; E. SchĂ€fer: Die Lausitz und ihr Handwerk, Berlin 1964; Autorenkollektiv: Geschichte der Sorben, Band 1–3, Bautzen 1974–1977.

Metadaten

Titel
Handwerk
Titel
Handwerk
Autor:in
Hartstock, Erhard
Autor:in
Hartstock, Erhard
Schlagwörter
Gilde; Handwerker; Handwerkerin; Industrialisierung; Landwirtschaft; Produktion; Warenproduktion; Wirtschaft; Zunft
Schlagwörter
Gilde; Handwerker; Handwerkerin; Industrialisierung; Landwirtschaft; Produktion; Warenproduktion; Wirtschaft; Zunft
Abstract

Manuelle Warenproduktion, die sich durch die naturrĂ€umlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entwickelte. Je nach ethnischer Struktur der Kommunen hatten auch Sorben Zugang zu den Gilden, Zechen und ZĂŒnften.

Abstract

Manuelle Warenproduktion, die sich durch die naturrĂ€umlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entwickelte. Je nach ethnischer Struktur der Kommunen hatten auch Sorben Zugang zu den Gilden, Zechen und ZĂŒnften.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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