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Domstift St. Petri zu Bautzen
von Jens Bulisch

Klerikergemeinschaft an der Stiftskirche St. Petri zu Bautzen. Seine Aufgabe war die Pflege der Liturgie an der Stiftskirche. Eigentlich ein Kollegiatstift, wurde das Bautzener Kapitel traditionell oft auch „Domstift“ genannt.

Portal des Domstifts in Bautzen; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Das Bautzener Stiftskapitel wurde im frühen 13. Jahrhundert gegründet. In einer Schenkungsurkunde von 1221, mit der der Meißner Bischof Bruno II. dem Stift die Schenkung des Ortes Schmiedefeld bestätigte, wird erwähnt, dass an die Kollegiatskirche ein neuer Chor angebaut und geweiht worden sei. Die Existenz des Stiftes als bereits etwas länger bestehende Körperschaft ist somit für diese Zeit vorauszusetzen. Schon wenige Jahre zuvor (1218) traten bei der Gründung der Pfarrkirche Sornzig zwei Bautzener Kanoniker als Zeugen auf. Ebenfalls in dieser Zeit nahm der böhmische König die Bautzener Kirche in seinen Schutz. Aus dieser Fürsorge des Lausitzer Landesherrn erwuchsen dem jungen Stiftskollegium nicht nur Protektion, sondern auch zahlreiche Schenkungen in der Folgezeit. Schnell wurde das Bautzener Stift neben seiner geistlichen und administrativen Funktion zu einem einflussreichen Grundbesitzer der Region. Mit der Bedeutung des Stifts stieg zugleich die Anzahl der Kanoniker. Betrug sie zunächst sieben, waren es später zwölf und im späten Mittelalter sogar 17. Damit war das Bautzener Kapitel größer als das Meißner Domkapitel.

Die Leitung des Kapitels hatte der Propst. Dieser musste aus den Reihen der Meißner Domherren gewählt werden und residierte auch in Meißen. So wuchs meistenteils den Dekanen des Kollegiatkapitels die Aufgabe zu, die Geschäfte zu führen. Weil es den Wettinern gelang, sich im späten 15. Jahrhundert die Präsentationsrechte fast aller Stellen des Meißner Domkapitels zu sichern, gewannen sie über die Bautzener Propststelle auch Einfluss auf das Stiftskapitel. Diese Konstellation war Voraussetzung dafür, dass die Bautzener Propstei seit der Konversion des Propstes Hieronymus von Komerstadt zum Luthertum 1559 stets mit einem Lutheraner besetzt war. Diese Besonderheit – ein katholisches Kapitel unter einem evangelischen Propst – währte bis ins 20. Jahrhundert, hatte jedoch schon längere Zeit praktisch keine Bedeutung mehr.

Eine wichtige geistliche und kirchenrechtliche Aufgabe übernahmen die Bautzener Pröpste als Archidiakone des Archidiakonatsbezirks Oberlausitz. Das Meißner Bistum gliederte sich in insgesamt neun Archidiakonatsbezirke. Die beiden Bezirke Ober- und Niederlausitz umfassten annähernd zwei Drittel des gesamten Bistums Meißen und spiegeln somit in ihrer Struktur die Geschichte der Siedlung und des Ausbaus des Kirchenwesens im Grenzraum zwischen Meißen, Brandenburg, Polen und Böhmen. Als die auf den bischöflichen Stuhl zu Meißen ausgerichtete Kirchenstruktur im Gefolge der Reformation zerfiel und der Bautzener Propst konvertierte, gelang es dem Bautzener Stiftsdekan, vom letzten Meißner Bischof die Befugnisse eines Generalvikars über die beiden im katholischen Einflussbereich verbliebenene Archidiakonatsbezirke Ober- und Niederlausitz übertragen zu bekommen. Dekan Johann Leisentrit vermochte es in den 1560er und 1570er Jahren, die übertragenen Vollmachten zu einer päpstlichen Administratur auszubauen. Gleichwohl beschränkte sich diese faktisch nurmehr auf die wenigen verbliebenen Reste katholisch gebliebener Institutionen und Pfarreien, vor allem im sorbischen Siedlungsgebiet zwischen Bautzen und Kamenz und Wittichenau (→ Katholische Region). Durch weitsichtiges und maßvolles Agieren sicherte Leisentrit die Anerkennung seines Amtes. Dazu gehörte, die Administratur nicht an seine Person zu binden, sondern durch kluge Diplomatie an das Bautzener Stift zu koppeln. Somit konnte nach Leisentrits Tod 1586 das Kapitel einen neuen Dekan wählen, der mit diesem Amt zugleich die Administratur der Lausitz übernahm.

Auch durch die Verbindung der Propstei mit einer Meißner Domherrenstelle waren die Bautzener Pröpste des Mittelalters meist keine Lausitzer. Vielfach kamen sie aus dem Dienstadel der Meißner Markgrafen. Die Dekane wiederum kamen aus Adelsfamilien der Umgebung oder angesehenen Bürgerfamilien Bautzens und anderer Lausitzer Städte. Auch die übrigen Kanonikerstellen besetzten sich vorwiegend mit Angehörigen des niederen Adels der Lausitz bzw. Schlesiens wie auch aus bürgerlichen Familien dieser Gegenden. Im Gegensatz zu anderen Stiftskapiteln war adlige Herkunft in Bautzen keine Voraussetzung für die Aufnahme. Ob unter den Kanonikern des Mittelalters auch Sorben waren, lässt sich nicht ohne weiteres feststellen. Einige Namensformen (Priztanus [Mitte 13. Jh.], Johannes Kaler [1. H. 14. Jh.], Nikolaus Czoboth [2. H. 14. Jh.]) deuten darauf hin. Sicherlich waren im Laufe der Zeit einige Kanoniker darunter, die sorbische Sprachkenntnisse hatten. Geistliche aus dem Raum, der heute sorbisches Kerngebiet ist, noch dazu mit bäuerlichem Hintergrund, sind unter den mittelalterlichen Kanonikern nicht zu finden.

Dieses Verhältnis verschob sich nach der Reformation. Die großen Lausitzer Städte und im Gefolge auch die meisten Landpfarreien wurden lutherisch. Der personelle Einzugs- und der geistliche Einflussbereich des Kollegiatstiftes wurden kleiner. Im Gefolge dieser Verschiebungen erhielten nunmehr zunehmend Sorben aus den verbliebenen katholischen Kirchspielen Kanonikate, auch wenn sie nicht aus bürgerlichen Verhältnissen kamen.

Sorbisches katholisches Gesangbuch 1787; Reproduktion: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Zugleich aber wurde das Prestige des Dekans durch die Verbindung seines Amtes mit dem des Apostolischen Administrators deutlich größer. Nachdem vor allem in Leisentrits Zeit und in den unmittelbaren Folgejahren die entscheidenden Ämter des D. mit Einheimischen besetzt wurden, was wesentlich zur Festigung der Institution in diesen unsicheren Zeiten beitrug, wurde der regionale Bezug vor allem bei der Ernennung des Dekans im Laufe des 17. Jahrhunderts oftmals aufgegeben. Als Zeichen der auch politisch wichtigen Bedeutung des Bautzener Stifts und der mit ihr verbundenen Apostolischen Administratur wurden die Bautzener Dekane meistens auch nobilitiert. Vielfach gelangten kaiserlich geförderte Kandidaten in dieses Amt, deren offensichtlich fehlende persönliche Bindungen zum Bautzener Stift und damit einhergehende Ungeschicklichkeiten auf dem religionspolitisch heiklen Gelände der Lausitz Schwierigkeiten unterschiedlicher Art mit sich brachten. Vielfach beklagte man Misswirtschaft oder fehlendes Fingerspitzengefühl im Umgang mit der mehrheitlich evangelischen Stadtbevölkerung, vor allem dem Bautzener Stadtrat. Kontroverstheologische Themen auf der Kanzel der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts simultan evangelisch und katholisch genutzten Stiftskirche St. Petri zu Bautzen zu diskutieren, war ebenfalls ungeschickt. In deutlich ruhigeres Fahrwasser kam das D. erst, als man ab der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederholt Einheimische zu Dekanen wählte, vielfach Bauernsöhne aus den sorbisch-katholischen Dörfern zwischen Bautzen und Kamenz. Die Verwurzelung in der Region, das Kennen der Verhältnisse und ein wacher Blick für das Notwendige kennzeichnen diese sorbischstämmigen Administratoren. Sie sorgten für sorbischsprachige Gesang- und Perikopenbücher und ließen das Missale überarbeiten und neu drucken. Zugleich gelang es den Lausitzer Administratoren, die Blickrichtung auf die katholischen habsburgischen Lande offenzuhalten und damit den Anschluss an die römische Weltkirche nicht zu verlieren. Schon Dekan Leisentrit war es gelungen, am Germanicum in Rom zwei Plätze für Lausitzer katholische Studenten zu reservieren. Später hatte das Kapitel auch die Aufsicht über das 1720 in Prag gegründete Wendische Seminar. Viele Sorben studierten in Prag, andere in Chomutov, Litoměřice oder Český Krumlov, was die habsburgische Orientierung des Lausitzer Katholizismus illustriert.

Die grund- und gerichtsherrlichen Rechte des Stiftes waren durch die reformatorischen Veränderungen nicht angetastet worden. So konnten auch die wirtschaftlichen Grundlagen des Bautzener Stiftes weiter ausgebaut werden. Im 18. Jahrhundert gelang es dem D., die Stadt Schirgiswalde zu erwerben. Schirgiswalde sicherte dem Bautzener Kapitel nicht nur umfängliche Einnahmen, sondern ermöglichte dort den Bau einer repräsentativen Residenz, wenn auch im bescheidenen Maßstab.

Ebenfalls im 18. Jahrhundert wurden dem Bautzener Dekan und Crostwitzer Bauernsohn Józef Wóski (nobilitiert: von Bärenstamm) die Pontifikalienrechte verliehen. Auch seine Nachfolger bekamen diese bischöflichen Rechte, was die Ausübung ihres Amtes und die Spende bischöflich reservierter Sakramente für die sorbischen Katholiken erheblich erleichterte. Letzter sorbischer Dekan und Titularbischof war der aus Ostro gebürtige Jurij Łusčanski (gest. 1905).

Jurij Łusčanski; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

In gewisser Weise war die Apostolische Administratur der Lausitz eine territorial beschränkte Nachfolgerin des in der Reformationszeit untergegangenen Meißner Bistums. Schon seit dem Spätmittelalter nannte man das Kollegiatstift auch „Domstift“ und die Kapitelkirche „Dom“, freilich kirchenrechtlich nicht exakt. Die gravierenden gesellschaftlichen, politischen und auch kirchlichen Veränderungen nach 1918 schufen nun auch die Voraussetzungen für eine grundlegende Neuordnung. Im Zusammenhang mit dem (historisch ebenso nicht exakten) 700jährigen Gründungsjubiläum wurde das Bautzener Kollegiatkapitel 1921 zum Domkapitel erhoben und das Bistum Meißen wiedererrichtet, was nun neben den verbliebenen Oberlausitzer Teilen Gebiete des ehemaligen mittelalterlichen Bistums wie auch Teile der ehemaligen Bistümer Naumburg und Merseburg umfasst.

Der Sorbe Jakub Skala hatte sich als Domdekan nicht unberechtigt Hoffnung gemacht, auch als Bischof eingesetzt zu werden, doch ernannte der Papst den Regens des Fuldaer Priesterseminars Christian Schreiber. Waren bis dahin die Mehrheit der Bautzener Kanoniker Sorben, so verringerte sich ihr Anteil zügig. Durch die Erhöhung des Kollegiat- zum Domkapitel wandelten sich nicht nur die Zuständigkeiten, sondern auch die Perspektiven. Die in der Ordnung des Domkapitels für Sorben reservierte Anzahl der Kanonikate verkleinerte sich stetig. 1980 wurden der Bischofssitz und die Verwaltung des Bistums offiziell von Bautzen nach Dresden verlegt. Die Statuten von 1989 reservieren ein Kanonikat für einen Sorben „zur Wahrung der Tradition des Domkapitels“. Ebenso formulieren es die überarbeiteten Statuten von 1998.

Lit.: F. Příhonsky: Statuten des Collegiatstiftes St. Petri zu Budissin, in ihrer Entstehung und Fortbildung, Bautzen 1858; F. Schwarzbach: Geschichte der Kollegiatkirche und des Kollegiatstiftes St. Petri zu Bautzen im Mittelalter, Görlitz 1929; U. Spyra/​B. Mitzscherlich (Bearb.): Katalog der Handschriften der Domstiftsbibliothek Bautzen, Leipzig 2012; H. Kinne (Bearb.): Das (Exemte) Bistum Meissen. Teil 1: Das Kollegiatstift St. Petri zu Bautzen von der Gründung bis 1569, Berlin u. a. 2014.

Anmerkung: Der Artikel wurde für die Publikation im Modul Kulturlexikon DIGITAL auf der Plattform SORABICON neu verfasst; er entspricht nicht der Fassung im gedruckten Sorbischen Kulturlexikon von 2014.

Metadaten

Titel
Domstift St. Petri zu Bautzen
Titel
Domstift St. Petri zu Bautzen
Autor:in
Bulisch, Jens
Autor:in
Bulisch, Jens
Schlagwörter
Sorben; Bautzen; Lausitz; Kirchengeschichte; Reformation; Katholische Kirche; Domkapitel; Domstift
Schlagwörter
Sorben; Bautzen; Lausitz; Kirchengeschichte; Reformation; Katholische Kirche; Domkapitel; Domstift
Abstract
Klerikergemeinschaft an der Stiftskirche St. Petri zu Bautzen. Seine Aufgabe war die Pflege der Liturgie an der Stiftskirche. Eigentlich ein Kollegiatstift, wurde das Bautzener Kapitel traditionell oft auch „Domstift“ genannt.
Abstract
Klerikergemeinschaft an der Stiftskirche St. Petri zu Bautzen. Seine Aufgabe war die Pflege der Liturgie an der Stiftskirche. Eigentlich ein Kollegiatstift, wurde das Bautzener Kapitel traditionell oft auch „Domstift“ genannt.
Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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