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Roboten
von Joachim Bahlcke

Gesamtheit aller Arbeitsleistungen und Dienste, zu denen die meist bĂ€uerlichen Untertanen vom spĂ€ten Mittelalter bis zu den Agrarreformen des 18. und 19. Jh. verpflichtet waren (→ Leibeigenschaft). Der aus dem westslawischen Wort robota (,Arbeit, Fron‘; sorb. roboćić – ,fronen‘) ins Deutsche entlehnte, fĂŒr die Oberlausitz seit 1438 urkundlich belegte Begriff blieb im Wesentlichen auf den slawisch-deutschen Sprachraum im Osten beschrĂ€nkt; im mittleren und westlichen Reichsgebiet sprach man von Scharwerk, Hand- und Spanndiensten oder Burgwerk. Die den Grundherrschaften und Leibherren zu leistenden Dienste, die sich der Form nach in landwirtschaftliche Arbeiten, gewerbliche TĂ€tigkeiten sowie Transport- und Botendienste unterteilten, wiesen nicht nur nach Epochen und Landschaften ihre Besonderheiten auf, sie konnten auch hinsichtlich des zeitlichen Umfangs je nach Herrschaftsstruktur und Agrarverfassung sehr differieren. WĂ€hrend sich westlich der Elbe eine Tendenz zum RĂŒckgang der Roboten und zur AbschwĂ€chung der AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnisse beobachten lĂ€sst, nahm die Belastung der Bauern im ostelbischen Reichsgebiet und in Ostmitteleuropa seit dem SpĂ€tmittelalter kontinuierlich zu. Auch in der Oberlausitz verschlechterte sich die soziale und rechtliche Stellung des Bauernstandes wĂ€hrend der FrĂŒhen Neuzeit spĂŒrbar.

Die lĂ€ndliche Bevölkerung der Oberlausitz unterschied sich nach der ethnisch-sprachlichen Zusammensetzung, der Dorf- und Flurverfassung sowie dem rechtlichen Status. Ein bei der mittelalterlichen Kolonisation entstandenes und vergleichsweise vorteilhaftes bĂ€uerliches Besitzrecht mit Elementen von Erbzinsrecht und Gemeindeautonomie findet sich in den deutschen Dörfern v. a. im sĂŒdlichen und östlichen Landesteil sowie entlang der Hohen Straße (Via Regia). Die nach deutschem Recht siedelnden Bauern lieferten nominal festgelegte Geldzinsen und Naturalabgaben und leisteten nur geringe Hofdienste von wenigen Tagen im Jahr; die Zahl ihrer Roboten hielten die Grundherren in Urkunden daher kaum fĂŒr erwĂ€hnenswert. In den sorbischen Dörfern um Bautzen und Kamenz besaßen die Bauern, sofern sie nicht am hochmittelalterlichen Landesausbau beteiligt gewesen waren, kein Eigentumsrecht an ihren GĂŒtern und waren zu vielen Abgaben und Diensten genötigt. Eine den Verkauf von sechs Untertanen des sorbischen Dorfes Gelenau an den Kamenzer Rat bestĂ€tigende Urkunde von 1447 erwĂ€hnt, dass dieselben „mit roboten, dinsten, hoferbeten und beten, alse wir denn lange zceit gehabt, besessin und gebrucht habin“, belegt wurden. Laut Urbar von 1552 sollen die Dörfer der Muskauer Standesherrschaft von alters her „ungemessene“ Frondienste geleistet haben.

Mit der Umwandlung von Grund- in Gutsherrschaften wurden ab dem 16. Jh. die Rechte der Bauern teilweise drastisch beschrĂ€nkt: Man unterhöhlte die starke Stellung der Erbbauern und stellte ihre FreizĂŒgigkeit infrage, erhöhte Abgaben und Dienste und zog gelegentlich bĂ€uerliches Land zum Ausbau der gutsherrlichen Eigenwirtschaft ein. Ohne schriftliche Aufzeichnungen konnten sich auch die deutschen Bauern nicht auf Ă€ltere Rechte berufen – die Erbzinsbauern des Dorfes Petershain dienten 1519 schon acht Tage im Jahr. Mit Dienst- und Abgabeverweigerungen, Beschwerden und Widerstand reagierte zuerst die sorbische Landbevölkerung auf die stĂ€ndige Vermehrung der Frondienste. Bereits 1527 erhoben sich die Bauern der Herrschaft Hoyerswerda wegen der „harten Dienstbarkeit“. Die in der zweiten HĂ€lfte des 16. Jh. an SchĂ€rfe zunehmenden BauernaufstĂ€nde waren Reaktionen auf die allgemeine soziale und rechtliche Erniedrigung.

1620 wandten sich 72 Dörfer aus beiden Kreisen der Oberlausitz geschlossen an den König von Böhmen, um eine Minderung der Roboten zu erwirken. Die Landesgesetzgebung des 17. Jh. bot der weiteren Entwicklung gutsherrschaftlicher VerhĂ€ltnisse jedoch gĂŒnstige Bedingungen. Die Möglichkeit, volle „landĂŒbliche Robotten“ zu fordern, wurde ebenso verankert wie die ErbuntertĂ€nigkeit, wenngleich in der Praxis das volle Maß tĂ€glicher Dienste kaum ausgeschöpft wurde. Bis zum 18. Jh. waren deutsche und sorbische Bauern nahezu gleichermaßen belastet.

Akte ĂŒber Abgaben und Frondienste aus Wurschen, 1833; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Wirtschaftliche IneffektivitĂ€t und die Forderungen der AufklĂ€rung verstĂ€rkten auch in der Oberlausitz die Kritik an den Frondiensten. 1778 prangerte der aus Bautzen gebĂŒrtige Jurist und Schriftsteller August Gottlieb Meißner offen die Leibeigenschaft auf den oberlausitzischen LandgĂŒtern an, die „dem Auge des Freiheitsliebenden immer ein Stoff trauriger Betrachtungen“ sei. Wie die GrĂ€fin Reuß auf Burkersdorf 1794 anlĂ€sslich der Anlage eines neuen Urbars die Frondienste auf wöchentlich zwei Tage reduzierte, so erhofften sich auch andere Gutsbesitzer durch die Anlage von Urbaren und Erbregistern Abhilfe gegen die zahlreichen Prozesse wegen bĂ€uerlicher Dienstverweigerungen. In der landwirtschaftlichen Fachliteratur und in AufklĂ€rungszirkeln wurde diskutiert, ob die nur widerwillig verrichteten Roboten nicht besser in bestimmte jĂ€hrliche Renten umzuwandeln wĂ€ren. Die endgĂŒltige Beseitigung der Frondienste erfolgte erst im Prozess der Bauernbefreiung, der mit den normativen Akten von 1819/21 im preußischen und von 1832 im sĂ€chsischen Teil der Oberlausitz begann. Allerdings mussten viele Bauern fĂŒr den Freikauf hohe BetrĂ€ge entrichten oder Land abtreten. Denn die Agrarreform bezweckte die Erhaltung der Gutswirtschaft und verstĂ€rkte die Ungleichheit innerhalb der bĂ€uerlichen Schicht.

Lit.: W. Boelcke: Bauer und Gutsherr in der Oberlausitz. Ein Beitrag zur Wirtschafts-, Sozial und Rechtsgeschichte der ostelbischen Gutsherrschaft, Bautzen 1957; J. Brankačk: Landbevölkerung der Lausitzen im SpĂ€tmittelalter. Hufenbauern, BesitzverhĂ€ltnisse und Feudallasten in Dörfern großer Grundherrschaften von 1374 bis 1518, Bautzen 1990; Th. Rudert: Gutsherrschaft und lĂ€ndliche Gemeinde. Beobachtungen zum Zusammenhang von gemeindlicher Autonomie und Agrarverfassung in der Oberlausitz im 18. Jahrhundert, in: Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frĂŒhneuzeitlicher Agrargesellschaften, Hg. J. Peters, MĂŒnchen 1995; Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Hg. J. Bahlcke, Leipzig 2001.

Metadaten

Titel
Roboten
Titel
Roboten
Autor:in
Bahlcke, Joachim
Autor:in
Bahlcke, Joachim
Schlagwörter
Arbeitsleistung; ErbuntertÀnigkeit; Frondienst; Grundherrschaft; Grundherr; Herrschaft; Untertan; Verweigerung
Schlagwörter
Arbeitsleistung; ErbuntertÀnigkeit; Frondienst; Grundherrschaft; Grundherr; Herrschaft; Untertan; Verweigerung
Abstract

Gesamtheit aller Arbeitsleistungen und Dienste, zu denen die meist bĂ€uerlichen Untertanen vom spĂ€ten Mittelalter bis zu den Agrarreformen des 18. und 19. Jh. verpflichtet waren. Der aus dem westslawischen Wort robota (,Arbeit, Fron‘) ins Deutsche entlehnte Begriff blieb auf den slawisch-deutschen Sprachraum im Osten beschrĂ€nkt.

Abstract

Gesamtheit aller Arbeitsleistungen und Dienste, zu denen die meist bĂ€uerlichen Untertanen vom spĂ€ten Mittelalter bis zu den Agrarreformen des 18. und 19. Jh. verpflichtet waren. Der aus dem westslawischen Wort robota (,Arbeit, Fron‘) ins Deutsche entlehnte Begriff blieb auf den slawisch-deutschen Sprachraum im Osten beschrĂ€nkt.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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